Walter Benjamin Gesammelte Schriften 1-2 Herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhauser Suhrkamp CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften / Walter Benjamin. Unter Mitw. von Theodor W Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhauser. - [Ausg. in Schriftenreihe »Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft«]. - Frankfurt am Main : Suhrkamp. ISBN 3-518-09832-2 NE: Tiedemann, Rolf [Hrsg.]; Benjamin, Walter: [Sammlung] [Ausg. in Schriftenreihe »Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft «] 1. [Abhandlungen] / hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhauser. 2.-(i9 9 i) (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft ; 931) ISBN 3-518-28531-9 NE:GT suhrkamp taschenbuch wissenschaft 931 Erste Auflage 1991 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1974 Suhrkamp Taschenbuch Verlag Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des offentlichen Vortrags, der Ubertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Ubersetzung, auch einzelner Teile. Druck: Wagner GmbH, Nordlingen Printed in Germany Umschlag nach Entwiirfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt 1 2 3 4 5 6 - 96 95 94 93 92 91 Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Erste Fassung) Le vrai est ce qu'il peut; le faux est ce qu'il veut. Madame de Duras (Inhalt) i Vorwort 435 2 Technische Reproduzierbarkeit 436 3 Echtheit 437 4 Zertriimmerung der Aura 439 5 Ritual und Politik 441 6 Kultwert und Ausstellungswert 443 7 Photographie 445 8 Ewigkeitswert 446 9 Photographie und Film als Kunst 447 10 Film und Testleistung 448 11 Der Filmdarsteller 450 12 Ausstellung vor der Masse 454 1 3 Anspruch gefilmt zu werden 45 j 14 Maler und Kameramann 457 15 Rezeption von Gemalden 459 16 Micky-Maus 460 17 Dadaismus 462 18 Taktile und optische Rezeption 464 19 Asthetik des Krieges 467 Als Marx die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise unternahm, war diese Produktionsweise in den Anfangen. Marx richtete seine Untersuchungen so ein, dafi sie prognostischen Wert bekamen. Er ging auf die Grundverhaltnisse der kapitali- stischen Produktion zuruck und stellte sie so dar, dafi sich aus ihnen ergab, was man kiinftighin dem Kapitalismus noch zu- trauen konne. Es ergab sich, dafi man ihm nicht nur eine zu- nehmend verscharfte Ausbeutung der Proletarier zutrauen kon- ne sondern schliefilich auch die Herstellung von Bedingungen, die die Abschaffung seiner selbst moglich machen. Die Umwalzung des Oberbaus, die langsamer als die des Unter- baus vor sich geht, hat mehr als ein halbes Jahrhundert ge- braucht, urn auf alien Kulturgebieten die Veranderung der Produktionsbedingungen zur Geltung zu bringen. In welcher Gestalt das geschah, lafit sich erst heute feststellen. An diese Feststellungen sind gewisse prognostische Anforderungen be- rechtigt. Es entsprechen ihnen aber weniger Thesen iiber die Kunst des Proletariats nach der Machtergreifung, geschweige die der klassenlosen Gesellschaft, als Thesen iiber die Entwicklungs- tendenzen der Kunst unter den gegenwartigen Produktionsbe- dingungen. Deren Dialektik macht sich im Oberbau nicht weni- ger bemerkbar als in der Okonomie. Darum ware es falsch, den Kampfwert soldier Thesen zu unterschatzen. Sie setzen eine Anzahl uberkommener BegrirTe - wie Schopfertum und Genia- litat, Ewigkeitswert und Stil, Form und Inhalt - beiseite - BegrifFe, deren unkontrollierte (und augenblicklich schwer kon- trollierbare) Anwendung zur Verarbeitung des Tatsachenmate- rials in faschistischem Sinne fiihrt. Die im folgenden neu in die Kunsttheorie eingefuhrten Begriffe unter scheiden sich von ande- ren dadurch, dafi sie fiir die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauchbar sind, Dagegen sind sie zur Formulierung revolu- tiondrer Forderungen in der Kunstpolitik brauchbar. 43 6 Das Kunstwerk im Zeitalter <*> Das Kunstwerk ist grundsatzlich immer reproduzierbar gewe- sen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Mensdien nachgemacht werden. Solche Nadibildung wurde audi ausgeiibt von Schiilern zur Obung der Kunst, von Mei- stern zur Verbreitung der Werke, endlich von gewinnliisternen Dritten. Demgegeniiber ist die technische Reproduktion des Kunstwerks etwas Neues, das sich in der Geschichte intermit- tierend, in weit auseinanderliegenden Schiiben, aber mit wach- sender Intensitat durchsetzt. Mit dem Holzschnitt wurde zum ersten Male die Graphik technisch reproduzierbar; sie war es lange, ehe durdi den Druck audi die Schrift es wurde. Die unge- heuren Veranderungen, die der Druck, die technische Reprodu- zierung der Schrift, in der Literatur hervorgerufen hat, sind be- kannt. Von der Erscheinung, die hier in weltgeschichtlichem Mafistab betrachtet wird, sind sie aber nur ein, freilich besonders wichtiger Sonderfall. Zum Holzschnitt treten im Laufe des Mit- telalters Kupferstidi und Radierung, sowie im Anfang des neun- zehnten Jahrhunderts die Lithographic Mit der Lithographie erreicht die Reproduktionstechnik eine grundsatzlich neue Stufe. Das sehr viel biindigere Verfahren, das die Auftragung der Zeichnung auf einen Stein von ihrem Kerben in einen Holzblock oder ihrer Atzung in eine Kupfer- platte unrerscheidet, gab der Graphik zum ersten Male die Moglichkeit, ihre Erzeugnisse nicht allein massenweise (wie vor- dem) sondern in taglich neuen Gestaltungen auf den Markt zu bringen. Die Graphik wurde dadurch befahigt, den Alltag illustrativ zu begleiten. Sie begann, Schritt mit dem Druck zu halten. In diesem Beginnen wurde sie aber schon wenige Jahr- zehnte nach ihrer Erfindung durch die Photographie iiberflu- gelt. Mit der Photographie war die Hand im Prozeft bildlicher Reproduktion zum ersten Mai von den wichtigsten kunstleri- schen Obliegenheiten entlastet, welche nunmehr dem Auge allein zufielen. Da das Auge schneller erfafit als die Hand zeichnet, so wurde der Prozefi bildlicher Reproduktion so ungeheuer be- schleunigt, dafi er mit dem Sprechen Schritt halten konnte. Wenn in der Lithographie virtuell die illustrierte Zeitung ver- borgen war, so in der Photographie der Tonfilm. Die technische seiner technischen Reproduzierbarkeit 437 Reproduktion des Tons wurde am Ende des vorigen Jahrhun- derts in Angriff genommen. Mit ihr hatte die technische Repro- duktion einen Standard erreicht, auf dem sie nicht nur die Gesamtheit der uberkommenen Kunstwerke zu ihrem Objekt machte und deren Wirkung den tie fs ten Ver under ungen unter- war}, sondern sich einen eigenen Platz unter den kiinstlerischen Verfahrungsweisen eroberte. Fiir das Studium dieses Standards 1st nichts aufschlufireicher, als wie seine beiden verscbiednen Funktionen - Reproduktion des Kunstwerks und Filmkunst - einander durchdringen. <3> Noch bei der hochstvollendeten Reproduktion fallt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks - sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet. An diesem einmaligen Da- sein aber und an nichts sonst vollzog sich die Geschichte, der es im Laufe seines Bestehens unterworfen gewesen ist. Dahin rechnen sowohl die Veranderungen, die es im Laufe der Zeit in seiner physischen Struktur erlkten hat, wie die wechselnden Besitzverhaltnisse, in die es eingetreten sein mag. Die Spur der ersteren ist nur durch Analysen chemischer oder physikalischer Art zu fordern, die sich an der Reproduktion nicht vollziehen lassen; die der zweiten Gegenstand einer Tradition, deren Ver- folgung von dem Standort des Originals ausgehen mufi. Das Hier und Jetzt des Originals macht den BegrifF seiner Echtheit aus, und auf deren Grund ihrerseits liegt die Vorstel- lung einer Tradition, welche dieses Objekt bis auf den heutigen Tag als ein Selbes und Identisches weitergeleitet hat. Der ge- samte Bereicb der Echtheit entzieht sich der technischen - und natiirlich nicht nur der technischen - Reproduzierbarkeit, Wah- rend das Echte aber der manuellen Reproduktion gegenuber, die von ihm im Regelfalle als Falschung abgestempelt wurde, seine voile Autoritat bewahrt, ist das der technischen Repro- duktion gegenuber nicht der Fall. Der Grund ist ein doppelter. Erstens erweist sich die technische Reproduktion dem Original gegenuber selbstandiger als die manuelle. Sie kann, beispiels- weise, in der Photographie Aspekte des Originals hervorheben, 438 Das Kunstwerk im Zeitalter die nur der verstellbaren und ihren BHckpunkt willkiirlich wah- lenden Linse, nicht aber dem menschlichen Auge zuganglich sind, oder mit Hilfe gewisser Verfahren wie der Vergrofierung oder der Zeitlupe Bilder festhalten, die sich der natiirlichen Optik sdilechtweg entziehen. Das ist das erste. Sie kann zudem zwei- tens das Abbild des Originals in Situationen bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind. Vor allem macht sie ihm moglich, dem Aufnehmend'en entgegenzukommen, sei es in Ge- stalt der Photographie, sei es in der der Schallplatte. Die Kathe- drale verlafk ihren Platz, um in dem Studio eines Kunstfreun- des Aufnahme zu finden; das Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem Himmel exekutiert wurde, lafit sich in einem Zim- mer vernehmen. Diese veranderten Umstande mogen im iibrigen den Bestand des Kunstwerks unangetastet lassen - sie entwerten auf alle Falle sein Hier und Jetzt. Wenn das auch keineswegs vom Kunstwerk allein gilt sondern entsprechend zum Beispiel von einer Landschaft, die im Film am Beschauer vorbeizieht, so wird durch diesen Vorgang am Kunstwerk doch ein empfindlichster Kern beriihrt, den so ein Gegenstand der Natur nicht aufweist. Das ist seine Echtheit. Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiel- len Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft. Da die letztere auf der ersteren fundiert ist, so gerat in der Reproduk- tion, wo die erstere sich dem Menschen entzogen hat, auch die letztere: die historische Zeugenschaft der Sache ins Wanken. Freilich nur diese; was aber dergestalt ins Wanken gerat, das ist die Autoritat der Sache, ihr traditionelles Gewicht. Man kann diese Merkmale im BegrirT der Aura zusammenfas- sen und sagen: Was im Zeitalter der technischen Reproduzier- barkeit des Kunstwerks verkummert, das ist seine Aura. Dieser Vorgang ist symptomatisch; seine Bedeutung weist iiber den Bereich der Kunst weit hinaus. Die Reproduktionstecbnik, so la/It sich allgemein formulieren, lost das Reproduzierte aus dem Bereiche der Tradition ab. Indem sie die Reproduktion verviel- faltigt, setzt sie an die Stelle seines eihmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Beschauer in seiner jeweiligen Situation entgegenzukom- men, aktualisiert sie das Reproduzierte. Diese beiden Prozesse seiner technischen Reproduzierbarkeit 439 fiihren zu einer gewaltigen Ersdiiitterung des Tradierten - einer Ersdiiitterung der Tradition, die die Kehrseite der gegen- wartigen Krtse und Erneuerung der Menschheit ist. Sie stehen im engsten Zusammenhang mit den Massenbewegungen unserer Tage. Ihr gewaltigster Agent ist der Film. Seine gesellschaftliche Bedeutung ist audi in ihrer positivsten Gestalt, und gerade in ihr, nicht ohne diese seine destruktive, seine kathartische Seite denkbar: die Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe. Diese Erscheinung ist an den grofien historischen Filmen von Kleopatra und Ben Hur bis zu Fridericus und zu Napoleon am handgreiflichsten. Sie bezieht immer weitere Positionen in ihr Bereich ein. Und wenn Abel Gance 1927 enthusiastisch ausrief: » Shakespeare, Rembrandt, Beethoven werden filmen . . . Alle Legenden, alle Mythologien und alle Mythen, alle Religions- stifter, ja alle Religionen . . . warten auf ihre belichtete Aufer- stehung, und die Heroen drangen sich an den Pforten« (A Innerhalb grower geschicbtlicher Zeitrdume verdndert sich mit der gesamten Daseinsweise der historischen Kollektiva aucb ihre Wahrnehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche Wahrnehmung sich organisiert - das Medium, in dem sie er- folgt - ist nicht nur naturlich sondern audi gesdiichtlich be- dingt. Die Zeit der Volkerwanderung, in der die spatromische Kunstindustrie und die wiener Genesis entstanden, hatte nicht nur eine andere Kunst als die der klassischen Zeiten sondern audi eine andere Wahrnehmung. Die grofien Gelehrten der wiener Schule, Riegl und WickhofT, die sich gegen das Gewicht der klassischen Oberlieferung stemmten, unter dem jene Kunst begraben gelegen hatte, sind als erste auf den Gedanken ge- kommen, aus ihr Schlusse auf die Organisation der Wahrneh- mung in dem geschichtlichen Zeitraum zu tun, in dem sie in Gel- tung stand. So weittragend ihre Erkenntnisse waren, so hatten sie freilich darin ihre Grenze, dafi sich diese Forscher begniigten, 440 Das Kunstwerk im Zeitalter die formale Signatur aufzuweisen, die der Wahrnehmung in der spatromischen Zeit eigen war. Sie haben nicht versucht - und konnten vielleicht audi nicht hoffen - die gesellschaft lichen Um- walzungen zu zeigen, die in diesen Veranderungen der Wahr- nehmung ihren Ausdruck fanden. Fur die Gegenwart liegen die Bedingungen einer entsprechenden Einsicht giinstiger. Und wenn die Veranderungen im Medium der Wahrnehmung, deren Zeit- genossen wir sind, sich als Verfall der Aura begreifen lassen, so lassen sich dessen gesellschaftliche Bedingungen aufzeigen. Was ist eigentlich Aura? Ein sonderbares Gespinst aus Raum und Zeit: einmalige Erscheinung einer Feme, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft - das heifk die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen. An der Hand dieser Definition ist es ein Leich- tes, die besondere gesellschaftliche Bedingtheit des gegenwarti- gen Verfalls der Aura einzusehen. Er beruht auf zwei Um- standen, welche beide mit der zunehmenden Ausbreitung und Intensitat der Massenbewegungen auf das Engste zusammen- hangen. Die Dinge sich »naherzubringen« ist namlich ein genau so leidenschaftliches Anliegen der gegenwartigen Massen wie es ihre Tendenz einer Oberwindung des Einmaligen jeder Gege- benheit durch deren Reproduzierbarkeit darstellt. Tagtaglich macht sich unabweisbarer das Bediirfnis geltend, des Gegen- stands aus nachster Nahe im Bild, vielmehr im Abbild, in der Reproduktion habhaft zu werden. Und unverkennbar unter- scheidet sich die Reproduktion, wie illustrierte Zeitung und Wochenschau sie in Bereitschaft halten, vom Bilde. Einmaligkeit und Dauer sind in diesem so eng verschrankt, wie Fliichtigkeit und Wiederholbarkeit in jener. Die Entschdlung des Gegen- standes aus seiner Hiille, die Zertrummerung der Aura, ist die Signatur einer Wahrnehmung, deren »Sinn fur das Gleichartige in der Welt« (Joh(annes) V Jensen) so gewachsen ist, daft sie es mittels der Reproduktion auch dem Einmaligen abgewinnt. Es wiederholt sich im anschaulichen Bereich was sich im Bereiche der Theorie als die zunehmende Bedeutung der Statistik be- merkbar macht. Die Ausrichtung der Realitat auf die Massen und der Massen auf sie ist ein Vorgang von unbegrenzter Trag- weite sowohl fiir das Denken wie fur die Anschauung. seiner technischen Reproduzierbarkeit 441 <5> Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Einge- bettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradi- tion selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas ganz auflerordentlich Wandelbares. Eine antike Venusstatue etwa stand in einem durchaus andern Traditionszusammenhange bei den Griechen, die sie zum Gegenstand des Kultus machten, als bei den mittelalterlichen Kirchenvatern, die einen unheil- vollen Abgott in ihr erblickten. Was aber beiden in gleicher Weise entgegentrat, war ihre Einzigkeit, mit einem andern Wort: ihre Aura. Die ursprunglichste Art der Einbettung des Kunstwerks in den Traditionszusammenhang fand ihren Aus- druck im Kult. Die altesten Kunstwerke sind, wie wir wissen, im Dienst eines Rituals entstanden, zuerst eines magischen, dann eines religiosen. Es ist nun von entscheidender Bedeutung, daft diese auratische Daseinsweise des Kunstwerks niemals durchaus von seiner Ritualfunktion sich lost. Mit andern Worten: der einzigartige Wert des »echten« Kunstwerks ist immer theolo- gisch fundiert. Diese Fundierung mag so vermittelt sein wie sie will: sie ist auch noch in den profansten Formen des Schonheits- dienstes als sakularisiertes Ritual erkennbar. Diese profanen Formen des Schonheitsdienstes, die sich mit der Renaissance herausbilden, um fiir drei Jahrhunderte in Geltung zu bleiben, lassen nach Ablauf dieser Frist bei der ersten schweren Erschiit- terung, von der sie betroffen wurden, jene Fundamente deutiich erkennen. Als namlich mit dem Aufkommen des ersten wahrhaft revolutionaren Reproduktionsmittels - der Photographie (gleichzeitig auch mit dem Anbruch des Sozialismus) - die Kunst das Nahen der Krise spurt, die nach weiteren hundert Jahren unverkennbar geworden ist, reagierte sie auf das Kom- mende mit der Lehre vom l'art pour Tart, die eine Theologie der Kunst ist. Aus ihr ist dann weiterhin geradezu eine negative Theologie der Kunst hervorgegangen, in Gestalt der Idee einer reinen Kunst, die nicht nur jede soziale Funktion sondern auch jede Bestimmung durch einen gegenstandlichen Vorwurf ab- lehnt. (In der Dichtung hat Mallarme als erster diesen Stand- ort erreicht.) Diese Zusammenhange zu ihrem Recht kommen zu lassen, ist unerlafllich fiir eine Betrachtung, die es mit der Kunst 442 Das Kunstwerk im Zeitalter im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit zu tun hat. Denn sie bereiten die Erkenntnis, die hier entscheidend ist, vor: die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mai in der Weltgeschichte von seinem parasi- taren Dasein am Ritual. Das reproduzierte Kunstwerk ist in immer steigendem Mafk die Reproduktion eines auf Reprodu- zierbarkeit angelegten Kunstwerks. Von der photographischen Platte zum Beispiel ist eine Vielhek von Abziigen moglich; die Frage nach dem echten Abzug hat keinen Sinn. In dem Augen- blick aber, da der Mafistab der Echtheit an der Kunstproduk- tion versagt, hat sich die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewalzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual ist ihre Fundierung auf eine andere Praxis getreten: namlich ihre Fun- dierung auf Politik. Bei den Filmwerken ist die technische Reproduzierbarkeit des Produkts nicht wie z. B. bei den Werken der Literatur oder der Malerei eine von aufien her sich einfindende Bedingung ihrer massenweisen Verbreitung. Die technische Reproduzierbarkeit der Filmwerke ist unmittelbar in der Technik ihrer Produktion begriindet. Diese ermoglicht nicht nur auf die unmittelbar ste Art die massenweise Verbreitung der Filmwerke, sie erzwingt sie vielmehr geradezu. Sie erzwingt sie, we'd die Produktion eines Films so teuer ist, daji ein Einzelner, der zum Beispiel ein Ge- m'dlde sich leisten kbnnte, sich den Film nicht mehr leisten kann. Der Film ist eine Anschaffung des Kollektivs. 1927 hat man errechnet, dafi ein grofierer Film, um sich zu rentieren, ein Pu- blikum von neun Millionen erreichen musse. Mit dem Tonfilm ist hier allerdings zunachst eine rucklaufige Bewegung eingetre- ten; sein Publikum schrankte sich auf die Sprachgrenzen ein und das geschah gleichzeitig, mit der Betonung nationaler Interessen durch den Faschismus. Wichtiger aber als diesen Riickschlag zu registrieren, der im iibrigen durch die Synchronisierung bald kompensiert wurde, ist es, seinen Zusammenhang mit dem Faschismus ins Auge zu fassen. Die Gleichzeitigkeit beider Er- scheinungen beruht auf der Wirtschaftskrise. Die gleichen Sto- rungen, die im Grofien gesehen zu dem Versuch gefiihrt haben, die bestehenden Eigentumsverhaltnisse mit offner Gewalt, also in faschistischer Form, festzuhalten, haben das von der Krise bedrohte Filmkapital dazu gefiihrt, die Vorarbeiten am Ton- seiner technischen Reproduzierbarkeit 443 film zu forcieren. Die Einfiihrung des Tonfilms brachte sodann eine zeitweilige Erleichterung der Krise. Und zwar nicht nur, weil der Tonfilm von neuem die Massen fur den Kinobesuch mobil machte, sondern auch weil der Tonfilm neue Trustkapita- lien aus der Elektrizitatsindustrie mit dem Filmkapital soli- darisch machte. So hat der Tonfilm von aufien betrachtet natio- nalen Interessen Vorschub geleistet, von innen betrachtet aber die Filmproduktion noch mehr internationalisiert als sie es bereits vordem war. <6> Es ware moglich, die Kunstgeschichte als Auseinandersetzung zweier Polaritaten im Kunstwerk selbst darzustellen und die Geschichte ihres Verlaufes in den wechselnden Verschiebungen des Schwergewichts vom einen Pol des Kunstwerks zum anderen zu erblicken. Diese beiden Pole sind sein Kultwert und sein Aus- stellungswert. Die kiinstlerische Produktion beginnt mit Gebil- den, die im Dienst der Magie stehen. Von diesen Gebilden ist einzig wichtig, daf$ sie vorhanden sind, nicht aber daft sie ge- sehen werden. Das Elentier, das der Mensch der Steinzeit an den Wanden seiner Hohle abbildet, ist ein Zauberinstrument, das er nur zufallig vor seinen Mitmenschen ausstellt; wichtig ist hbchstens, dafi es die Geister sehen. Der Kultwert als soldier drangt geradezu darauf hin, das Kunstwerk im Verborgenen zu halten: gewisse Gotterstatuen sind nur dem Hohepriester in der cella zuganglich, gewisse Madonnenbilder bleiben fast das ganze Jahr iiber verhangen, gewisse Skulpturen an mittelalter- lichen Domen sind fiir den Betrachter zu ebner Erde nicht sicht- bar. Mit der Emanzipation der einzelnen KunstUbungen aus dem Scbofie des Kultus wachsen die Gelegenheiten zur Aus- stellung ihrer Produkte. Die Ausstellbarkeit einer Portratbuste, die dahin und dorthin verschickt werden kann, ist grower als die einer Gotterstatue, die ihren festen Ort im Innern des Tempels hat. Die Ausstellbarkeit des Gemaldes ist grofter als die des Mosaiks oder Freskos, die ihm vorangingen. Und wenn die Ausstellbarkeit einer Messe von Hause aus vielleicht nicht gerin- ger war als die einer Symphonie, so entstand doch die Sympho- 444 Das Kunstwerk im Zeitalter nie in dem Zeitpunkt, als ihre Ausstellbarkeit grofier zu werden versprach als die der Messe. Mit den verschiedenen Methoden technischer Reproduktion des Kunstwerks ist dessen Ausstell- barkeit in so ungeheurem Mafie gewachsen, dafi die quantitative Akzentverschiebung zwischen semen beiden Polen ahnlich wie in der Urzeit in eine qualitative Veranderung seiner Natur um- schlagt. Wie namlich in der Urzeit das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Kultwert lag, in erster Linie zu einem Instrument der Magie wurde, das man als Kunstwerk gewissermaften erst spater erkannte, so wird heute das Kunst- werk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Ausstellungs- wert liegt, zu einem Gebilde mit ganz neuen Funktionen, dessen uns bewufite, die »kunstlerische«, man spater gewisser- mafien als eine rudimentare erkennen wird. Soviel ist sicher, dafi gegenwartig der Film die brauchbarsten Handhaben zu dieser Erkenntnis gibt. Sicher ist weiter, dafi die geschicht- liche Tragweite dieses Funktionswandels der Kunst, die im Film am weitesten vorgeschritten erscheint, deren Konfronta- tion mit der Urzeit der Kunst nicht nur methodisch sondern audi materiell erlaubt. Diese halt, im Dienst der Magie, gewisse Notierungen fest, die der Praxis dienen. Und zwar wahrschein- lich ebensowohl als Ausiibung magischer Prozeduren, wie audi als Anweisungen zu solchen, wie audi endlich als Gegenstande einer kontemplativen Betrachtung, der man magische Wirkun- gen zuschrieb. Gegenstande soldier Notierungen boten der Mensch und seine Umwelt dar, und abgebildet wurden sie nach den Erfordernissen einer Gesellschaft, deren Technik nur erst vollig verschmolzen mit dem Ritual existierte. Diese Gesellschaft stellte den Gegenpol zu der heutigen dar, deren Technik die emanzipierteste ist. Diese emanzipierte Technik steht nun aber der heutigen Gesellschaft als eine zweite Natur gegeniiber und zwar, wie Wirtschaftskrisen und Kriege beweisen, als eine nicht minder elementare wie die der Urgesellschaft gegebene es war. Dieser zweiten Natur gegeniiber ist der Mensch, der sie zwar erfand aber schon langst nicht mehr meistert, genau so auf einen Lehrgang angewiesen wie einst vor der ersten. Und wieder stelit sich in dessen Dienst die Kunst. Insbesondere aber tut das der Film. Der Film dient, den Menschen in denjenigen neuen Apperzeptionen und Reaktionen zu iiben, die der Umgang mit seiner tedinisdien Reproduzierbarkeit 445 einer Apparatur bedingt, deren Rolle in seinem Leben fast tag- lich zunimmt. Die ungeheure technische Apparatur unserer Zeit zum Gegenstande der menschlichen Innervation zu machen - das ist die geschichtliche Aufgabe, in deren Dienst der Film seinen wahren Sinn hat. <7> In der Photographie beginnt der Ausstellungswert den Kultwert auf der ganzen Linie zuruckzudr'dngen. Dieser weicht aber nicht widerstandslos. Er bezieht vielmehr eine letzte Verschanzung, und die ist das Menschenantlitz. Keineswegs zufallig steht das Portrat im Mittelpunkt der friihen Photographie. Im Kult der Erinnerung an die fernen oder die abgestorbenen Lieben hat der Kultwert des Bildes die letzte Zuflucht. Im fluchtigen Ausdruck eines Menschengesichts winkt aus den friihen Photographien die Aura zum letzten Mai. Das ist es, was deren schwermutvolle und mit nichts zu vergleichende Schonheit ausmacht. Wo aber der Mensdi aus der Photographie sich zuriickzieht, da tritt nun erstmals der Ausstellungswert dem Kultwert uberlegen entge- gen. Diesem Vorgang seine Statte gegeben zu haben ist die unvergleichliche Bedeutung von Atget, der die pariser Strafien um 1900 in menschenleeren Aspekten festhielt. Sehr mit Recht hat man von ihm gesagt, dafi er sie aufnahm wie einen Tatort. Auch der Tatort ist menschenleer. Seine Aufnahme geschieht der Indizien wegen. Die photographischen Aufnahmen beginnen bei Atget Beweisstiicke im historischen ProzeE zu werden. Das macht ihre verborgene politische Bedeutung aus. Sie fordern schon eine Rezeption in bestimmtem Sinne. Ihnen ist die frei- schwebende Kontemplation nicht mehr angemessen. Sie beun- ruhigen den Betrachter; er fiihlt: zu ihnen muE er einen be- stimmten Weg suchen. Wegweiser beginnen ihm gleichzeitig die illustrierten Zeitungen aufzustellen. Richtige oder falsche - gleichviel. In ihnen ist die Beschriftung zum ersten Mai obligat geworden. Und es ist klar, daf$ sie einen ganz andern Charakter hat als der Titel eines Gemaldes. Die Direktiven, die der Be- trachter von Bildern in der illustrierten Zeitschrift durch die Beschriftung erhalt, werden bald darauf noch praziser und ge- 446 Das Kunstwerk im Zeitalter bieterischer im Film, wo die Auffassung von jedem einzelnen Bild durch die Folge aller vorangegangenen vorgeschrieben erscheint. <8> Die Griechen kannten nur zwei technische Reproduktionsver- fahren von Kunstwerken: den Gufi und die Pragung. Miinzen und Terrakotten waren die einzigen Kunstwerke, die von ihnen massenweise hergestellt werden konnten. Alle iibrigen waren einmalig und technisch nicht zu reproduzieren. Daher mufiten sie fiir die Ewigkeit gemacht sein. Die Griechen waren durch den Stand ihrer Technik darauf angewiesen, in der Kunst Ewigkeits- werte zu produzieren. Diesem Umstand verdanken sie ihren ausgezeichneten On in der Kunstgeschichte, an dem Spatere ihren eignen Standpunkt bestimmen konnen. Es ist nun kein Zweifel, dafi der unsrige sich an dem den Griechen entgegen- gesetzten Pol befindet. Niemals vorher sind Kunstwerke in so hohem Mafie und so weitem Umfang technisch reproduzierbar gewesen wie heute. Im Film haben wir eine Form, deren Kunst- charakter zum ersten Mai durchgehend von ihrer Reproduzier- barkeit determiniert wird. Diese Form in alien Bestimmungen mit der griechischen Kunst zu konfrontieren, ware muEig. Wohl aber ist das in einem exakten Punkt moglich. Mit dem Film namlich ist fiir das Kunstwerk eine Qualitat ausschlaggebend geworden, die ihm die Griechen wohl zuletzt zugebilligt oder doch als seine unwesentlichste angesehen haben wiirden. Das ist seine Verbesserungsfahigkeit. Der fertige Film ist nichts weniger als eine Schopfung aus einem Wurf, er ist aus sehr vielen einzel- nen Bildern und Bildfolgen montiert, zwischen denen der Mon- teur die Wahl hat - Bildern, die im iibrigen von vornherein in der Folge der Aufnahmen bis zum endgiiltigen Gelingeh beliebig zu verbessern gewesen waren. Urn seine »Opinion publique«, die 3000 m lang ist, herzustellen, hat Chaplin 125000 m drehen lassen. Der Film ist also das verbesserungsfahigste Kunstwerk. Und da£ diese seine Verbesserungsfahigkeit mit seinem radika- len Verzicht auf den Ewigkeitswert zusammenhangt, geht aus der Gegenprobe hervor. Fiir die Griechen, deren Kunst auf die seiner technischen Reproduzierbarkeit 447 Produktion von Ewigkeitswerten angewiesen war, stand an der Spitze der Kunste die am allerwenigsten verbesserungsfahige Kunst, namlich die Plastik, deren Schopfungen buchstablich aus einem Stiick sind. Der Niedergang der Plastik im Zekalter des montierbaren Kunstwerks ist selbstverstandlich. <9> Der Streit, der im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts zwi- schen der Malerei und der Photographie um den Kunstwert ihrer Produkte durchgefochten wurde, wirkt heute abwegig und verworren. Das spricht aber nicht gegen seine Bedeutung, konn- te sie vielmehr eher unterstreichen. In der Tat war dieser Streit der Ausdruck einer weltgeschichtlichen Umwalzung, die als solche keinem der beiden Partner bewufit war. Indem das Zeit- alter ihrer technischen Reproduzierbarkeit die Kunst von ihrem kultischen Fundament loste, erlosch der Schein ihrer Autonomic auf immer. Die Funktionsveranderung der Kunst aber, die da- mit gegeben war, fiel aus dem Blickfeld des Jahrhunderts her aus. Und audi dem zwanzigsten, das die Entwicklung des Films erlebte, entgingen sie lange Zeit. Hatte man vordem vielen ver- geblichen Scharfsinn an die Entscheidung der Frage, ob die Photographie eine Kunst sei, gewandt, ohne die Vorfrage sich gestellt zu haben: ob durch die Erfindung der Photographie sidy die Kunst selber verdndert habe - so iibernahmen die Film- theoretiker bald die entsprechende voreilige Fragestellung. Aber die Schwierigkeiten, welche die Photographie der uberkomme- nen Asthetik bereitet hatte, waren ein Kinderspiel gegen die, mit denen der Film sie erwartete. Daher die blinde Gewaltsam- keit, die die Anfange der Filmtheorie kennzeichnet. So ver- gleicht Abel Gance z. B. den Film mit den Hieroglyphen: »Nous voila, par un prodigieux retour en arriere, revenu sur le plan d'expression des £gyptiens . . . Le langage des* images n'est pas encore au point parce que nos yeux ne sont pas encore faits pour elles. II n'y a pas encore assez de respect, de culte, pour ce qu'elles expriment.« Oder Severin-Mars schreibt: »Quel art eut un reve . . . plus poetique a la fois et plus r£el. Consi- 448 Das Kunstwerk im Zeitalter dere ainsi, le cinematographe deviendrait un moyen d'expres- sion tout a fait exceptionnel, et dans son atmosphere ne de- vraient se mouvoir que des personnages de la pensee la plus superieure aux moments les plus parfaits et les plus mysterieux de leur course. « (L'art cinematographique II Paris 1927 p 101 et p 100). Es ist sehr lehrreich zu sehen, wie das Bestreben, den Film der »Kunst« zuzuschlagen, diese Theoretiker notigt, mit einer RUcksichtslosigkeit ohne gleichen kultische Elemente in ihn hineinzuinterpretieren. Und doch waren zu der Zeit, da die- se Spekulationen veroffentlicht wurden, schon Werke vorhanden wie »L'opinion publique« oder »La ruee vers l'or«. Abel Gance spricht von einer sakralen Schrift und Severin-Mars spricht von ihm wie man von Bildern des Fra Angelico sprechen konnte. Kennzeichnend ist, dafi audi heute noch besonders reaktionare Autoren die Bedeutung des Films in der gleichen Richtung suchen und wenn nicht geradezu im Sakralen so doch im Obernatiirlichen. Anlafilich der Reinhardtschen Verfilmung des Sommernachtstraums stellt Werfel fest, dafi es unzweifel- haft die sterile Kopie der Aufienwelt mit ihren Strafien, Inte- rieurs, Bahnhofen, Restaurants, Autos und Strandplatzen ist, die bisher dem Aufschwung des Films in das Reich der Kunst im Wege gestanden hat. »Der Film hat seinen wahren Sinn, seine wirklichen Moglichkeiten noch nicht erfafit ... Sie be- stehen in seinem einzigartigen Vermogen, mit naturlichen Mit- teln und mit unvergleichlicher Oberzeugungskraft das Feen- hafte, Wunderbare, Obernaturliche zum Ausdruck zu bringen.« (Franz Werfel: Ein Sommernachtstraum Ein Film von Shake- speare und Reinhardt Neues Wiener Journal cit Lu 15 no- vembre 1935.) Es ist eine andere Art der Reproduktion, die die Photographie einem Gemalde, und eine andere, die sie einem im Filmatelier gestellten Vorgang zuteil werden lafk. Im ersten Fall ist das Reproduzierte ein Kunstwerk und die Reproduktion ist es nicht. Denn die Leistung des Kameramanns am Objektiv ist ebensowenig ein Kunstwerk wie die eines Dirigenten an einem seiner technischen Reproduzierbarkeit 449 Symphonieordiester; sie ist bestenfalls eine Kunstleistung. An- ders bei der Aufnahme im Filmatelier. Hier ist schon das Re- produzierte kein Kunstwerk und die Reproduktion ihrerseits ist das natiirlich ebensowenig wie sonst eine Photographic Das Kunstwerk entsteht hier im besten Fall erst auf Grund der Montage. Es beruht im Film auf einer Montage, von der jedes einzelne Bestandstuck die Reproduktion eines Vorgangs ist, der ein Kunstwerk weder an sich ist noch in der Photographie ein solches ergibt. Was sind diese im Film reproduzierten Vorgange, da sie doch keine Kunstwerke sind? Die Antwort mufi von der eigentumlichen Kunstleistung des Filmdarstellers ausgehen. Ihn unterscheidet vom Biihnenschau- spieler, dafi seine Kunstleistung in ihrer originalen Form, in der sie der Reproduktion zugrunde liegt, nicht vor einem zufalligen Publikum sondern vor einem Gremium von Fachleuten vor sich geht, die als Produktionsleiter, Regisseur, Kameramann, Ton- meister, Beleuchter usw. jederzeit in die Lage geraten konnen, in seine Kunstleistung einzugreifen. Es handelt sich hier urn eine gesellschaftlich sehr wichtige Kennmarke. Das Eingreifen eines sachverstandigen Gremiums in eine Kunstleistung ist namlich charakteristisch fur die sportliche Leistung und im weitern Sinn fiir die Testleistung iiberhaupt. Ein solches Eingreifen aber be- stimmt in der Tat den Prozefi der Filmproduktion durchgehend. Viele Stellen werden bekanntlich in Varianten gedreht. Ein Hilfeschrei beispielsweise kann in verschiednen Ausfertigungen registriert werden. Unter diesen nimmt der Cutter dann eine Wahl vor; er statuiert gleichsam den Rekord unter ihnen. Ein im Aufnahmeatelier dargestellter Vorgang unterscheidet sich also von dem entsprechenden wirklichen so wie das Werfen eines Diskus auf einem Sportplatz in einem Wettbewerb unter- schieden ist von dem Werfen der gleichen Scheibe am gleichen Ort auf die gleiche Strecke, wenn es geschahe, um einen Mann zu toten. Das erste ware eine Testleistung, das zweite nicht. Nun ist allerdings die Testleistung des Filmdarstellers eine voll- kommen einzigartige. Worin besteht sie? Sie besteht in der Oberwindung einer gewissen Schranke, welche den gesellschaft- lichen Wert von Testleistungen in enge Grenzen schliefit. Es ist hier nicht von der sportlichen Leistung die Rede sondern von der Leistung am mechanisierten Test. Der Sportsmann kennt ge- 450 Das Kunstwerk im Zeitalter wissermafien nur den natiirlichen; er mifit sich an Aufgaben, wie die Natur sie bietet, nicht an denen einer Apparatur - es sei denn in Ausnahmefallen, wie Nurmi, von dem man sagte, dafi er gegen die Uhr lief. Inzwischen ruft der Arbeitsprozefi, be- sonders seit er durch das laufende Band normiert wurde, tag- lich unzahlige Priifungen am mechanisierten Test hervor. Diese Priifungen erfolgen unter der Hand: wer sie nicht besteht, wird aus dem Arbeitsprozefi ausgeschaltet. Sie erfolgen aber audi eingestandlich: in den Instituten fur Berufseignungspriifung. Dabei stofit man nun auf die oben erwahnte Schranke. Diese Priifungen sind namlich, zum Unterschied von den sport- lichen, nicht im wiinschenswerten Mafi ausstellbar. Und genau dies ist die Stelle, an der der Film eingreift. Der Film macbt die Testleistung ausstellbar indem er aus der Ausstellbarkeit der Leistung selbst einen Test macht. Der Filmdarsteller spielt ja nicht vor einem Publikum sondern vor einer Apparatur. Der Aufnahmeleiter steht genau an der Stelle, an der bei der Eig- nungspriifung der Versuchsleiter steht. Im Licht der Jupiter- lampen zu spielen und gleichzeitig den Bedingungen des Mikro- phons zu geniigen, ist eine Testforderung ersten Ranges. Ihr entsprechen heifit, im Angesicht der Apparatur seine Mensch- lichkeit beibehalten. Das Interesse an dieser Leistung ist riesen- grofi. Denn eine Apparatur ist es, vor der die iiberwiegende Mehrzahl der Stadtebewohner in Kontoren und in Fabriken wahrend der Dauer des Arbeitstages ihrer Menschlichkeit sich entaufiern mufi. Abends fiillen dieselben Massen die Kinos, um zu erleben, wie der Filmdarsteller fur sie Revanche nimmt, in- dem seine Menschlichkeit (oder was ihnen so erscheint) ^ nicht nur der Apparatur gegenuber sich behauptet, sondern sie dem- eignen Triumph dienstbar macht. <»> Dem Film kommt es viel weniger darauf an, dafi der Darsteller dem Publikum einen andern, als dafi er der Apparatur sich selbst darstellt. Einer der ersten, der diesen Umbau des Dar- stellers durch die Testleistung gespurt hat, ist Pirandello ge- wesen. Es beeintrachtigt die Bemerkungen, die er in seinem seiner tedinischen Reproduzierbarkeit 4ji Roman »Es wird gefilmu dariiber macht, nur wenig, dafi sie sich darauf beschranken, die negative Seite des Vorgangs her- vorzuheben. Nodi weniger, dafi sie an den stummen Film an- schliefien. Denn der Tonfilm hat an diesem Vorgang nichts Grundsatzliches geandert. Entscheidend bleibt, dafi fiir eine Apparatur oder vielmehr - im Falle des Tonfilms - fiir zwei gespielt wird. »Der Filmdarsteller, schreibt Pirandello, fiihlt sich wie im ExiL Exiliert nicht nur von der Buhne sondern von seiner eignen Person. Mit einem dunklen Unbehagen spurt er die unerklarliche Leere, die dadurch entsteht, dafi sein Korper zur Ausfallserscheinung wird, dafi er sich verfluchtigt und seiner Realitat, seines Lebens, seiner Stimme und der Gerausche, die er verursacht, indem er sich riihrt, beraubt wird, um sich in ein stummes Bild zu verwandeln, das einen Augenblick auf der Leinwand zittert und sodann in der Stille verschwindet . . . Die kleine Apparatur wird mit seinem Schatten vor dem Publikum spielen; und er selbst mufi sich begniigen, vor ihr zu spielen.« (cit L£on Pierre-Quint: Signification du Cinema L/art cin£- matographique II Paris 1927 p 14/15) In der Reprdsentation des Menschen durch die Apparatur hat dessert Selbstentfremdung eine hochst produktive Verwertung erfabren. Diese Verwertung kann man daran ermessen, dafi das Befremden des Darstellers vor der Apparatur, wie Pirandello es schildert, von Hause aus von der gleichen Art ist, wie das Be- fremden des romantischen Menschen vor seinem Spiegelbild - bekanntlich ein Lieblingsmotiv von Jean Paul. Nun aber ist dieses Spiegelbild von ihm ablosbar, es ist transportabel gewor- den. Und wohin wird es transportiert? Vor die Masse. Das Be- wufitsein davon verlafit den Filmdarsteller naturlich nicht einen Augenblick. Er weifi, wahrend er vor der Apparatur steht, hat er es in letzter Instanz mit der Masse zu tun. Diese Masse ist's, die ihn kontrollieren wird. Und gerade sie ist nicht sichtbar, noch nicht vorhanden, wahrend er die Kunstleistung absolviert, die sie kontrollieren wird. Die Autontat dieser Kontrolle aber wird gesteigert durch jene Unsichtbarkeit. Freilich darf nie ver- gessen werden, dafi die politische Auswertung dieser Kontrolle so lange wird auf sich warten lassen, bis sich der Film aus den Fesseln seiner kapitalistischen Ausbeutung befreit haben wird. Denn durch das Filmkapital werden die revolutionaren Chan- 452 Das Kunstwerk im Zeitalter cen dieser Kontrolle in gegenrevolutionare verwandelt. Der von ihm geforderte Starkultus konserviert nicht allein jenen Zauber der Personlichkeit, welciier schon langst im fauligen Schimmer ihres Warencharakters besteht, sondern sein Komple- ment, der Kultus des Publikums, befdrdert zugleich die korrup- te Verfassung der Masse, die der Faschismus an die Stelle ihrer klassenbewufiten zu setzen sudit. Die Kunst der Gegenwart darf auf urn so grojiere Wirksamkeit rechnen, je mehr sie sich auf Reproduzierbarkeit einrichtet, also je weniger sie das Originalwerk in den Mittelpunkt stellt. Wenn unter alien Kunsten die dramatische am offenkundigsten von der Krise befallen ist, so liegt das in der Natur der Sache. Denn zu dem restlos von der technischen Reproduktion erfaflten, ja - wie der Film - aus ihr hervorgehenden Kunstwerk gibt es keinen entschiedenern Gegensatz als das der Sdiaubiihne mit seinem jedesmal neuen und origmaren Einsatz des Schauspielers. Jede eingehendere Betrachtung bestatigt das. Sachkundige Be- obachter haben langst erkannt, dafi »die grofiten Wirkungen fast immer erzielt werden, indem man so wenig wie moglich >spielt< . . . Die letzte Entwicklung« sieht Arnheim 1932 darin, »den Schauspieler wie ein Requisit zu behandeln, das man cha- rakteristisch auswahlt und ... an der richtigen Stelle einsetzt.« (Rudolf Arnheim: Film als Kunst Berlin 1932 p 176/177) Damit hangt sehr eng etwas anderes zusammen. Der Schauspie- ler, der auf der Buhne agiert, versetzt sich in eine Rolle. Dem Filmdarsteller ist das sehr oft versagt. Seine Leistung ist durch- aus keine einheitliche, sondern aus vielen einzelnen zusammen- gestellt, deren Hier und Jetzt von ganz zufalligen Riicksichten auf Ateliermiete, Verfugbarkeit von Partnern, Dekor usw. be- stimmt wird. So kann ein Sprung aus dem Fenster im Atelier in Gestalt eines Sprungs vom Geriist gedreht werden, die sich an- schliefiende Flucht aber unter Umstanden Wochen nachher bei einer Aufienaufnahme. - Im iibrigen sind weit paradoxere Montagen moglich. Es kann, nach einem Klopfen gegen die Tiir, vom Darsteller gefordert werden, dafi er zusammen- schrickt. Vielleicht ist dieses Zusammenfahren nicht wunsch- gemafi ausgefallen. Da kann der Regisseur zu der Auskunft greifen, gelegentlich, wenn der Darsteller wieder einmal im Atelier ist, ohne dessen Vorwissen in seinem Riicken einen Schufi seiner technischen Reproduzierbarkeit 453 abfeuern zu lassen. Das Erschrecken des Darstellers in diesem Moment kann aufgenommen und dann in den Film montiert werden. Nichts konnte drastischer zeigen, wie die Kunst aus dem Reiche des »schonen Scheins« entwichen ist, dessen Klima so lange als das einzige gait, in dem sie gedeihen konne. Das Verfahren des Regisseurs, der, um das Erschrecken der dargestellten Person aufzunehmen, experimentell ein wirkliches Erschrecken ihres Darstellers hervorruft, ist durchaus filmge- recht. Bei der Filmaufnahme kann kein Darsteller beans pruchen, den Zusammenhangy in dem seine eigene Leistung stebt, zu iiberblicken. Die Anforderung, eine Leistung ohne unmittel- baren erlebnismafiigen Zusammenhang mit einer - nicht spiel- mafiig geregelten - Situation zu liefern, ist alien Tests gemein- sam, den sportlichen so gut wie den filmischen. Dies bradite Asta Nielsen gelegentlich auf sehr eindrucksvolle Weise zur Gel- tung. Es war in einer Pause im Atelier. Man drehte einen Film nach dem »Idioten« von DostojewskL Asta Nielsen, die die Aglaia spielte, stand im Gesprache mit einem Freund. Eine der Hauptszenen stand bevor: Aglaia bemerkt von weitem den Fur- sten Myschkin, der mit Nastassja Philippowna voriibergeht, und die Tranen treten ihr in die Augen. Asta Nielsen, die wah- rend der Unterhaltung alle Komplimente ihres Freundes abge- lehnt hatte, sah auf einmal die Darstellerin der Nastassja, ihr Fnihstuck verzehrend, im Hintergrunde des Ateliers auf und ab gehen. »Sehen Sie, das verstehe ich unter Filmdarstellung« sagte Asta Nielsen zu ihrem Besucher, wahrend sie ihn mit Augen ansah, welche sich beim Anblick der Partnerin, wie die kommende Szene es vorschrieb, mit Tranen gefiillt hatten, ohne dafi eine Miene in ihrem Gesicht sich verzogen hatte. Die technischen Anforderungen an den Filmdarsteller sind an- dere als die an den Biihnenschauspieler. Fast nie sind Filmstars hervorragende Schauspieler im Sinn der Biihne. Vielmehr sind es meist Schauspieler zweiten oder dritten Ranges gewesen, denen der Film eine grofie Laufbahn eroffnet hat. Und wieder- um sind es selten die besten Filmdarsteller gewesen, die den Versuch, vom Film zur Biihne zu gelangen, gemacht haben - einen Versuch, der zudem meist gescheitert ist. (Diese Umstande hangen mit der besondern Natur des Films zusammen, dem es viel weniger darauf ankommt, dafi der Darsteller dem Publi- 454 E* as Kunstwerk im Zekaher kum einen andern als dafi er der Apparatur sich selbst dar- stellt.) Der typische Filmschauspieler spielt nur sich selbst. Er steht im Gegensatze zum Typ des Mimen. Dieser Umstand be- schrankt seine Verwertbarkeit auf der Biihne, erweitert sie aber aufierordentlich im Film. Denn der Filmstar spricht sein PubH- kum vor allem dadurch an, daf? er jedem einzelnen aus ihm die Moglichkeit zu eroffnen scheint, »zum Film zu gehen«. Die Vorstellung, sich durch die Apparatur reproduzieren zu lassen, iibt auf den heutigen Menschen eine ungeheure Anziehungskraft aus. Gewifi schwarmte auch friiher der Backfisch davon zur Biihne zu gehen. Der Traum zu filmen hat abef davor zweierlei entscheidend voraus. Er ist erstens erfiillbarer, weil der Konsum von Darstellern durch den Film (da hier jeder Darsteller nur sich selbst spielt) ein viel grofierer als durch die Biihne ist. Er ist zweitens kiihner, weil die Vorstellung, die eigene Erscheinung, die eigene Stimme massenweise verbreitet zu sehen, den Glanz des grofien Schauspielers zum Verblassen bringt. Die Veranderung der Ausstellungsweise durch die Reproduk- tionstechnik macht sich auch in der Politik bemerkbar. Die Krise der Demokratien lafit sich als eine Krise der Ausstellungsbedin- gungen des politischen Menschen verstehen. Die Demokratien stellen den Politiker unmittelbar, in eigner Person, und zwar vor Reprasentanten, aus. Das Parlament ist sein Publikum. Mit den Neuerungen der Aufnahmeapparatur, die es erlauben, den Redenden wahrend der Rede unbegrenzt vielen vernehm- bar und kurz darauf unbegrenzt vielen sichtbar zu machen, tritt die Anstellung des politischen Menschen vor dieser Auf- nahmeapparatur in den Vordergrund. Es veroden die Parla- mente gleichzeitig mit den Theatern. Rundfunk und Film ver- andern nicht nur die Funktion des professionellen Darstellers sondern genau so die Funktion dessen, der sich selber vor ihnen darstellt, wie der politische Mensch das tut. Die Richtung dieser Veranderung ist, unbeschadet ihrer verschiednen Spezialauf- gaben, die gleiche beim Filmdarsteller und beim Politiker. Sie erstrebt die Ausstellbarkeit prufbarer, ja iiberschaubarer Lei- seiner technischen Reproduzierbarkeit 455 stungen unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen wie der Sport sie zuerst unter gewissen natiirlichen Bedingungen ge- fordert hatte. Das bedingt eine neue Auslese, eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Champion, der Star und der Dikta- tor als Sieger hervorgehen. Es hangt mit der Technik des Films genau wie mit der des Sports zusammen, dafi jeder den Leistungen, die sie ausstellen, als halber Fachmann beiwohnt. Man braucht nur einmal eine Gruppe von Zeitungsjungen, auf ihre Fahrrader gestiitzt, die Ergebnisse eines Radrennens diskutieren gehort zu haben, um diesem Zusammenhang auf die Spur zu kommen. Fur den Film beweist die Wochenschau klipp und klar, dafi jeder einzelne in die Lage kommen kann, gefilmt zu werden. Aber mit dieser Moglichkeit ist es nicht getan. Jeder heutige Mensch hat einen Anspruch, gefilmt zu werden. Diesen Anspruch verdeutlicht am besten ein Blick auf die geschichtliche Situation des heutigen Schrifttums. Jahrhundertelang lagen im Schrifttum die Dinge so, dafi einer geringen Zahl von Schreibenden eine vieltausend- fache Zahl von Lesenden gegeniiberstand. Darin trat gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Wandel ein. Mit der urige- heuren Ausdehnung der Presse, die immer neue politische, reli- giose, wissenschaftliche, berufliche, lokale Organe der Leser- schaft zur Verfugung stellte, gerieten immer grofiere Teile der Leserschaft - zunachst fallweise - unter die , Schreibenden. Es begann damit, dafi die Tagespresse ihr ihren »Briefkasten« eroffnete und es steht heute so, dafi es kaum einen im Arbeits- prozefi stehenden Europaer gibt, der nicht grundsatzlich irgend- wo Gelegenheit zur Publikation einer Arbeitserfahrung, einer Beschwerde, einer Reportage oder dergleichen finden konnte. Damit ist die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Begriff, ihren grundsatzlichen Charakter zu verlieren. Sie wird eine funktionelle, von Fall zu Fall so oder anders verlaufende. Der Lesende ist jederzeit bereit ein Schreibender zu werden. Als Sachverstandiger, der er wohl oder iibel in einem aufierst spezialisierten Arbeitsprozefi werden mufite - sei es audi nur 45 6 Das Kunstwerk im Zeitalter als Sachverstandiger einer geringen Verrichtung - gewinnt er einen Zugang zur Autorschaft. Die Arbeit selbst kommt zu Wort. Und ihre Darstellung im Wort macht einen Teil des Konnens, das zu ihrer Ausubung erforderlich ist. Die literarische Befugnis wird nicht mehr in der spezialisierten sondern in der polytechnischen Ausbildung begrundet, und so Gemeingut. Alles das lafit sich ohne weiteres auf den Film ubertragen, wo Verschiebungen, die im Schrifttum Jahrhunderte in Anspruch genommen haben, sich im Laufe eines Jahrzehnts vollzogen. Denn in der Praxis des Films - vor allem der russischen - ist diese Verschiebung stellenweise schon realisiert. Ein Teil der im russischen Film begegnenden Darsteller sind nicht Darsteller in unserm Sinn sondern Leute, die sich - und zwar in erster Linie in ihrem Arbeitsprozefi - darstellen. In Westeuropa verbietet die kapitalistische Ausbeutung des Films dem legitimen An- spruch, den der heutige Mensch auf sein Reproduziertwerden hat, die Beriicksichtigung. Im iibrigen verbietet sie audi die Ar- beitslosigkeit, welche grofie Massen von der Produktion aus- schliefit, in deren Arbeitsgang sie in erster Linie ihren Anspruch auf Reproduktion hatten. Unter diesen Umstanden hat die Filmindustrie alles Interesse, die Anteilnahme der Massen durch illusionare Vorstellungen und durch zweideutige Spekulationen zu stacheln. Das gelingt ihr zumal bei den Frauen. Zu diesem Zweck hat sie einen gewaltigen publizistischen Apparat in Be- wegung gesetzt; sie hat die Karriere und das Liebesleben der Stars in ihren Dienst gestellt, sie hat Plebiscite veranstaltet, sie hat Schonheitskonkurrenzen einberufen. Alles das, um das ur- spriingliche und berechtigte Interesse der Massen am Film - ein Interesse der Selbst- und somit audi der Klassenerkenntnis - auf korruptivem Weg zu verfalschen. Es gilt daher vom Film- kapital im besondern, was vom Faschismus im allgemeinen gilt, dafi er das unabweisliche Bediirfnis nach neuen sozialen Ver- fassungen insgeheim im Interesse einer besitzenden Minderheit ausbeutet. Die Enteignung des Filmkapitals ist schon darum eine dringende Forderung des Proletariats. Jede ausgebildete Kunstform steht im Schnittpunkt dreier Entwidklungslinien. Es arbeitet namlich einmal die Technik auf eine bestimmte Kunstform hin. Ehe der Film auftrat, gab es Photobuchlein, deren Bilder durch einen Daumendruck schnell seiner technischen Reproduzierbarkeit 457 am Beschauer voriiberhuschend einen Boxkampf oder ein Ten- nismatch vorfiihrten; es gab die Automaten in den Passagen, deren Bilderablauf durcli eine Drehung der Kurbel in Bewegung erhalten wurde. Es arbeiten zweitens die iiberkommenen Kunst- formen in gewissen Stadien ihrer Entwicklung angestrengt auf Effekte hin, welche spaterhin zwanglos von der neuen Kunst- form erzielt werden. Ehe der Film zur Geltung gekommen war, suchten die Dadaisten durch ihre Veranstaltungen ins Publikum eine Bewegung zu bringen, die ein Chaplin dann auf natiir- lichere Weise zu Wege brachte. Es arbeiten drittens, oft un- scheinbare, gesellschaftliche Veranderungen auf eine Verande- rung der Rezeption hin, die erst der neuen Kunstform zugute kommt. Ehe der Film sein Publikum zu bilden begonnen hatte, wurden im Kaiserpanorama bereits Bilder (die begonnen hatten, sich in Bewegung zu setzen) von einem versammelten Publikum rezipiert. Nun gab es ein solches zwar audi in Gemaldesalons - aber ohne dafi deren Inneneinrichtung - wie z. B. die der Theater - imstande ware, es zu organisieren. Im Kaiserpan- orama dagegen sind Sitzplatze vorgesehen, deren Verteilung vor den verschiedenen Stereoskopen eine Mehrzahl von Bildbetrach- tern verspricht. Leere kann in einer Gemaldegalerie angenehm sein, im Kaiserpanorama schon nicht mehr und im Kino um keinen Preis. Und doch hat im Kaiserpanorama noch jeder - wie zumeist in Gemaldegalerien - sein eignes Bild. So kommt die Dialektik der Sache gerade darin zum Ausdruck, dafi hier, kurz ehe die Bildbetrachtung im Film ihren Umsdilag erfahrt und zu einer kollektiven wird, das Prinzip der Bildbetrachtung durch einen Einzelnen noch einmal mit einer Scharfe heraustritt wie einst in der Betrachtung des Gotterbilds durch den Priester im Allerheiligsten. Eine Film- und besonders eine Tonfilmaufnahme bietet einen Anblick wie er vorher nie und nirgends denkbar gewesen ist. Sie stellt einen Vorgang dar, dern kein einziger Standpunkt mehr zuzuordnen ist, von dem aus die, zu dem Spielvorgang als solchem nicht zugehorige Aufnahmeapparatur, die Beleuch- 458 Das Kunstwerk im Zeitalter tungsmaschinerie, der Assistentenstab usw. nidit in das Blick- feld des Beschauers fiele. (Es sei denn, die Einstellung seiner Pupille falle mit der des Aufnahmeapparates zusammen, der oft den Darstellern geradezu auf den Leib riidkt.) Dieser Urn- stand, er mehr als jeder andere, madit die etwa bestehenden Ahnlichkeiten zwischen einer Szene im Filmatelier iind auf der Biihne zu oberflachlichen und belanglosen. Das Theater kennt prinzipiell die Stelle, von der aus das Geschehen nicht ohne weiteres als illusionar zu durchschauen ist. Der Aufnahme- szene im Film gegeniiber gibt es diese Stelle nicht. Seine illusio- nare Natur ist eine Natur zweiter Ordnung, sie ist ein Ergebnis des Schnitts. Das heifit: im Filmatelier ist die Apparatur der art tief in die Wirklichkeit eingedrungen, dafi deren reiner, vom Fremdkorper der Apparatur freier Aspekt das Ergebnis einer eigenen technischen Prozedur, namlich der Aufnahme durch die besonders eingesiellte Kamera und ihrer Montierung mit andern Aufnabmen von der gleichen Art ist. Der apparatfreie Aspekt der Realitat ist hier zu ihrem kiinstlichsten geworden und der Anblick der unmittelbaren Wirklichkeit zu der blauen Blume im Land der Technik. Der gleiche Sachverhalt, der sich so gegen den des Theaters ab- hebt, lafit sich noch sehr viel aufschlufireicher mit dem konfron- tieren, der in der Malerei vorliegt. Hier haben wir die Frage zu stellen: wie verhalt sich der Operateur zum Maler? Zu ihrer Beantwortung sei eine Hilfskonstruktion gestattet, die sich auf den Begriff des Operateurs stiitzt, welcher von der Chirurgie her gelaufig ist. Der Chirurg stellt den einen Pol einer Ordnung dar, an deren anderm der Magier steht. Die Haltung des Magiers, der einen Kranken durch Auflegen der Hand heilt, ist verschieden von der des Chirurgen, der einen EingrifF in den Kranken vor- nimmt. Der Magier erhalt die natiirliche Distanz zwischen sich und dem Behandelten aufrecht; genauer gesagt: er vermindert sie - kraft seiner aufgelegten Hand - nur wenig und steigert sie - kraft seiner Autoritat - sehr. Der Chirurg verfahrt umge- kehrt: er vermindert die Distanz zu dem Behandelten sehr - indem er in dessen Inneres dringt - und er vermehrt sie nur wenig - durch die Behutsamkeit, mit der seine Hand sich unter den Organeri bewegt. Mit einem Wort gesagt: zum Unterschied vom Magier (der audi noch im praktischen Arzte steckt) ver- seiner technischen Reproduzierbarkeit 459 zichtet der Chirurg im entscheidenden Augenblick darauf, sei- nem Kranken von Mensch zu Mensch sich gegeniiberzustellen; er dringt vielmehr operativ in ihn ein. - Magier und Chirurg verhalten sich wie Maler und Kameramann. Der Maler beob- achtet in seiner Arbeit eine natiirliche Distanz zum Gegebenen, der Kameramann dagegen dringt tief ins Gewebe der Gegeben- heit ein. Die Bilder, die beide davontragen, sind ungeheuer ver- schieden. Das des Malers ist ein totales, das des Kameramanns ein vielfaltig zerstiickeltes, dessen Teile sich nach einem neuen Gesetze zusammenfinden. So ist die filmiscbe Darstellung der Realitdt fur den heutigen Menscben darum die unvergleichlicb bedeutungsvollere, well sie den apparatfreien Aspekt des Wirk- lichen, den er von der Kunst zu for der n berechtigt ist, gerade auf Grund ihrer intensivsten Durchdringung mil der Apparatur gewdhrt. Die techniscbe Reproduzierbarkeit des Kunstwerks ver'dndert das Verhdltnis der Masse zur Kunst. Aus dem r ticks tdndigsten, z. B. einem Picasso gegentiber, schldgt es in das fortschrittlichste z. B. bei Chaplin um. Dabei ist das fortschrittliche Verhalten dadurch gekennzeichnet, dafi die Lust am Schauen und am Er- leben in ihm eine unmittelbare und innige Verbindung mit der Haltung des fachmannischen Beurteilers eingeht. Solche Verbin- dung ist ein wichtiges gesellschaftliches Indizium. Je mehr nam- lich die gesellschaftliche Bedeutung einer Kunst sich vermindert, desto mehr fallen - wie das sehr deutlich angesichts der Malerei sich erweist - die kritische und die geniefiende Haltung im Pu- blikurn auseinander. Das Konventionelle wird kritiklos genos- sen, das wirklich Neue kritisiert man mit Widerwillen. Nicht so im Kino. Und zwar ist der entscheidende Umstand dabei: nirgends so sehr wie im Kino erweisen sich die Reaktionen des Einzelnen, deren Summe die massive Reaktion des Publikums ausmacht, von vornherein so sehr durch ihre unmittelbar bevor- stehende Massierung bedingt und indem sie sich kundgeben, kontrollieren sie sich. Von neuem ist der Vergleich mit der Malerei dienlich* Das Gemalde hatte stets ausgezeichneten 460 Das Kunstwerk im Zeitalter Anspruch auf die Betraditung durch einen oder durch wenige. Die simultane Betraditung von Gemalden durch ein grofies Publikum, wie sie im neunzehnten Jahrhundert beginnt, ist ein friihes Symptom der Krise der Malerei, die keineswegs durch die Photographie allein sondern relativ unabhangig von dieser durch den Anspruch des Kunstwerks auf die Masse ausgelost wurde. Es liegt eben so, dafi die Malerei nicht imstande ist, den Gegen- stand einer simultanen Kollektivrezeption zu bilden, wie es von jeher fur die Architektur, wie es einst fur das Epos der Fall war, wie es heute fiir den Film zutrifft. Und so wenig aus diesem Umstand von Hause aus ein Schlufi auf die gesellschaftliche Rol- le der Malerei zu ziehen ist, so fallt er doch in dem Augenblick als eine schwere gesellschaftliche Beeintraditigung ins Gewicht, wo die Malerei durch besondere Umstande und gewissermafien wider ihre Natur mit den Massen unmittelbar konfrohtiert wird. In den Kirchen und Klostern des Mittelalters oder an den Hofen des i6ten, I7ten und des i8ten Jahrhunderts fand die Kollektivrezeption von Gemalden nicht simultan sondern viel- fach vermittelt statt. Wenn das anders geworden ist, so kommt darin der besondere Konflikt zum Ausdruck, in welchen die Malerei durch ihre technische Reproduzierbarkeit im Laufe des vorigen Jahrhunderts verstrickt wurde. Aber ob man auch un- ternahm, sie in Galerien und in Salons mit den Massen des Pu- blikums zu konfrontieren, so war doch auf keinem Weg moglich, dafi dieses Publikum im Rezipieren sich selbst organisiert und kontrolliert hatte. Es hatte schon zum Skandal schreiten miissen, um sein Urteil offenkundig zu manifestieren. Mit andern Wor- ten: die oflenkundige Manifestierung seines Urteils hatte einen Skandal gebildet. Damit wird ebendasselbe Publikum, das vor dem Groteskfilm fortschrittlich reagiert, vor dem Surrealismus zu einem riickstandigen. U titer den gesellschaftlichen Funktionen de$ Films ist die wich- tigste, das Gleichgewicht 2wischen dem Menschen und der Ap- paratur berzustellen. Diese Auf gabe lost der Film durchaus nicht seiner technischen Reproduzierbarkeit 461 nur auf die Art wie der Mensch sich der Aufnahmeapparatur sondern wie er mit deren Hilfe die Umwelt sidi darstellt. Indem er durch Grofiaufnahmen aus ihrem Inventar, durch Betonung versteckter Details an den uns gelaufigen Requisiten, durch die Erforschung banaler Milieus unter der genialen Fiihrung des Objektivs auf der einen Seite die Einsicht in die Zwangslaufig- keiten vermehrt, von denen unser Dasein regiert wird, kommt er auf der andern Seite dazu, eines ungeheueren und ungeahnten Spielraums uns zu versichern. Unsere Kneipen und Grofistadt- strafien, unsere Biiros und moblierten Zimmer, unsere Bahnhofe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschliefien. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehn- telsekunden gesprengt, so dafi wir nun zwischen ihren weitver- streuten Triimmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen. Unter der Grofiaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeit- lupe die Bewegung in ihm. So wird handgreiflich, dafi es eine andere Natur 1st, die zu der Kamera als die zum Auge spricht. Anders vor allem so, dafi an die Stelle eines vom Menschen mit Bewufitsein durchwirkten Raums ein unbewufit durchwirkter tritt. 1st es schon ublich, dafi einer vom Gang der Leute, bei- spielsweise, sei es audi nur im Groben, sich Rechenschaft ablegt, so weifi er bestimmt nichts mehr von ihrer Haltung im Sekun- denbruchteil des Ausschreitens. 1st uns schon im Groben der GrifF gelaufig, den wir nach dem Feuerzeug oder dem Loffel tun, so wissen wir doch kaum von dem was sich zwischen Hand und Metall dabei eigentlich abspielt, geschweige wie das mit den verschiednen Verfassungen schwankt, in denen wir uns befin- den. Hier greift die Kamera mit ihren vielen Hilfsmitteln - ihrem Stiirzen und Steigen, ihrem Unterbrechen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raff en des Ablaufs, ihrem Vergrofiern und ihrem Verkleinern ein. Vom Optisch-Unbewufiten erfahren wir erst durch sie, wie von dem Triebhaft-Unbewufiten durch die Psychoanalyse. Im iibrigen bestehen zwischen beiden die engsten Zusammenhange. Denn die mannigfachen Aspekte, die die Auf- nahmeapparatur der Wirklichkeit abgewinnen kann, liegen zum grofien Teile nur aufierhalb eines normalen Spektrums der Sinneswahrnehmungen. Viele der Deformationen und Stereo- typies der Verwandlungen und Katastrophen, die die Welt der Gesichtswahrnehmung in den Filmen betreffen konnen, betref- 462 Das Kunstwerk im Zeitalter fen sie in der Tat in Psychosen, in Halluzinationen, in Trau- men. Und so sind jene Verfahrungsweisen der Kamera ebenso- viele Prozeduren, dank deren sich die Kollektivwahrnehmung des Publikums die individuellen Wahrnehmurigsweisen des Psychotikers oder des Traumenden zu eigen zu machen vermag. In die alte heraklitische Wahrheit - die Wachenden haben ihre Welt gemeinsam, die Schlafenden jeder eine fiir sich - hat der Film eine Bresche geschlagen. Und zwar viel weniger mit Dar- stellungen der Traumwelt als mit der Schopfung von Figuren des Kollektivtraums wie der erdumkreisenden Micky-Maus. Wenn man sich davon Rechenschaft gibt, welche gefahrlichen Spannungen die Technisierung mit ihren Folgen in den grofien Massen erzeugt hat - Spannungen, die in kritischen Stadien einen psychotischen Charakter annehmen - so wird man zu der Erkenntnis kommen, dafi diese selbe Technisierung gegen solche Massenpsychosen sich die Moglichkeit psychischer Impfung durch gewisse Filme geschaffen hat, in denen eine forcierte Entwick- lung sadistischer Phantasien oder masochistischer Wahnvorstel- lungen deren natiirliches und gefahrliches Reifen in den Massen verhindern kann. Den vorzeitigen und heilsamen Ausbruch der- artiger Massenpsychosen stellt das kollektive Gelachter dar. Die ungeheuren Massen grotesken Geschehens, die zur Zeit im Film konsumiert werden, sind ein drastisches Anzeichen der Gefah- ren, die der Menschheit aus den Verdrangungen drohen, die die Zivilisation mit sich bringt. Die amerikanischen Groteskfilme und die Filme Disneys bewirken eine therapeutische Sprengung des Unbewufiten. Ihr Vorganger ist der Excentric gewesen. In den neuen Spielraumen, die durch den Film entstanden, ist er als erster zu Hause gewesen; ihr Trockenbewohner. In diesen Zusammenhangen hat Chaplin als historische Figur seinen Platz. Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kiinst ge- wesen, eine Nachfrage zu erzeugen, fiir deren voile Befriedigung die Zeit noch nicht gekommen ist. Die Geschichte jeder Kunst- form hat kritische Zeiteh, in denen diese Form auf Effekte hin- drangt, die sich zwanglos erst bei einem veranderten technischen seiner technischen Reproduzierbarkeit 463 Standard, d. h. in einer neuen Kunstform ergeben konnen. Die derart, zumal in den sogenannten »Verfallszeiten« sich ergeben- den Extravaganzen und Kruditaten der Kunst gehen in Wirk- lichkeit aus ihrem reichsten historischen Kraftezentrum hervor. An solchen Barbarismen hat noch zuletzt der Dadaismus seine Freude gehabt. Sein Impuls dabei wird erst jetzt erkennbar: Der Dadaismus versuchte, die Effekte, die das Publikum heute im Film sucht, mit den Mitteln der Malerei (beziehungsweise der Literatur) zu erzeugen. Jede von Grund auf neue, bahnbrechende Erzeugung von Nach- frage wird liber ihr Ziel hinausschiefien. Der Dadaismus tut das in dem Grade, dafi er die Marktwerte, die dem Film in so hohem Mafi eignen, zugunsten bedeutsamerer Intentionen - die ihm natiirlich in der hier beschriebnen Gestalt nicht bewufit sind - opfert. Auf die merkantile Verwertbarkeit ihrer Kunst- werke legten die Dadaisten viel weniger Gewicht als auf ihre Unverwertbarkeit als Gegenstande kontemplativer Versenkung. Diese Unverwertbarkeit suchten sie nicht zum wenigsten durch eine grundsatzliche Entwiirdigung ihres Materials zu erreichen. Ihre Gedichte sind »Wortsalat«, sie enthalten obszone Ausrufe und alien nur vorstellbaren Abfall der Sprache. Garnicht an- ders ihre Gemalde, denen sie Knopfe oder Fahrscheine auf- montierten. Was sie mit solchen Mitteln erreichen, ist eine riick- sichtslose Vernichtung der Aura ihrer Hervorbringungen, denen sie mit den Mitteln der Produktion das Brandmal einer Repro- duktion aufdriicken. Es ist unmoglich, vor einem Bild von Arp oder einem Gedicht August Stramms sich wie vor einem Bild Derains oder einem Gedicht von Rilke Zeit zur Sammlung und Stellungnahme zu lassen. Der Versenkung, die in der Entartung des Burgertums eine Schule asozialen Verhaltens wurde, tritt die Ablenkung als eine Spielart sozialen Verhaltens gegeniiber. Das durch den Dadaismus provozierte soziale Verhalten ist: Anstofi nehmen. In der Tat gewahrleisteten seine Kundgebungen eine recht vehemente Ablenkung indem sie das Kunstwerk zum Mit- telpunkt eines Skandals machten. Dieses Kunstwerk hatte vor allem einer Forderung Genuge zu leisten: offentliches Argernis zu erregen. Aus einem lockenden Augenschein oder einem iiber- redenden Klanggebilde wurde es zu einem Geschofi. Es stiefi dem Betrachter zu. Und es stand damit im Begriff, die taktile 464 Das Kunstwerk im Zeitalter Qualitat, die der Kunst in den grofien Umbauepochen der Ge- schichte die unentbehrlichste ist, fiir die Gegenwart zuruckzu- gewinnen. Dafi alles Wahrgenommene, Sinnenfallige ein uns Zustofiendes ist - diese Formel der Traumwahrnehmung, die zugleidi die taktile Seite der kiinstlerischen umfafit - hat der Dadaismus von neuem in Kurs gesetzt. Damit hat er die Nachfrage nach dem Film begunstigt, dessen ablenkendes Element ebenfalls in erster Linie ein taktiles ist, namlich aiif dem Wechsel der Schau- platze und Einstellungen beruht, welche stofiweise auf den Be- schauer eindringen. Der Film hat also die physische Chockwir- kung, welche der Dadaismus gleichsam in der moralischen nodi verpackt hielt, aus dieser Emballage befreit. In seinen vorge- schrittensten Werken, vor allem bei Chaplin, hat er beide Chock- wirkungen auf einer neuen Stufe vereinigt. Man vergleiche die Leinwand, auf der der Film abrollt, mit der Leinwand, auf der sich das Gemalde befindet. Das Bild auf der einen verandert sich, das Bild auf der andern nicht. Das letztere ladt den Betrachter zur Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsablauf uberlassen. Vor der Filmauf- nahme kann er das nicht. Kaum hat er sie ins Auge gefafit, so hat sie sich schon verandert. Sie kann nicht fixiert werden, we- der wie ein Gemalde noch wie etwas Wirkliches. Der Assozia- tionsablauf dessen, der sie betrachtet, wird sofort durch ihre Veranderung unterbrochen. Darauf beruht die Chockwirkung des Films, die wie jede Chockwirkung durch gesteigerte Geistes- gegenwart aufgefangen sein will. Der Film ist die der betonten Lebensgefahr, in der die Heutigen leben, entspredbende Kunst- form. Er entspricht tiefgreifenden Veranderungen des Apper- zeptionsapparats - Veranderungen wie sie im Mafistab der Privatexistenz jeder Passant im Grofistadtverkehr, wie sie im weltgeschichtlichen Mafistab jeder Kampfer gegen die heutige Gesellschaftsordnung erlebt. Die Masse ist eine matrix, aus der gegenwartig alles gewohnte Verhalten Kunstwerken gegenuber neu geboren hervorgeht. Die seiner tedinisdien Reproduzierbarkeit 465 Quantitat ist in Qualitat umgeschlagen: die sehr viel grofieren Massen der Anteilnehmenden haben eine veranderte Art des Anteils hervorgebradit. Es darf den Betrachter niciit irre ma- chen, dafi diese zunachst in verrufener Gestalt in Erscheinung tritt. Man klagt ihm, dafi die Massen im Kunstwerk Zerstreu- ung suchten, wahrend der Kunstf reund sich diesem mit Samm- lung nahe. Fur die Massen sei das Kunstwerk ein Anlafi der Unterhaltung, fur den Kunstfreund sei es ein Gegenstand seiner Andacht. Hier heifit es nun, naher zusehen. Zerstreuung und Sammlung stehen in einem Gegensatz, der folgende Formulie- rung erlaubt: Der vor dem Kunstwerk sich Sammelnde versenkt sich darein; er geht in dieses Werk ein, wie die Legende es von einem chinesischen Maler beim Anblick seines vollendeten Bildes erzahlt. Dagegen versenkt die zerstreute Masse ihrerseits das Kunstwerk in sich; sie umspielt es mit ihrem Wellenschlag, sie umfangt es in ihrer Flut. So am sinnfalligsten die Bauten. Die Architektur bot von jeher den Prototyp eines Kunstwerks, dessen Rezeption in der Zerstreuung und durch das Kollektivum erfolgt. Die Gesetze ihrer Rezeption sind die lehrreichsten. Bauten begleken die Menschheit seit ihrer Urgeschichte. Viele Kunstformen sind entstanden und sind vergangen. Die Tragodie entsteht mit den Griechen, um mit ihnen zu verloschen und nach Jahrhunderten aufzuleben. Das Epos, dessen Ursprung in der Jugend der Volker liegt, erlischt in Europa mit dem Ausgang der Renaissance. Die Tafelmalerei ist eine Schopfung des Mit- telalters und nichts gewahrleistet ihr eine ununterbrochene Dauer. Das Bedurfnis des Menschen nach Unterkunft aber ist bestandig. Die Baukunst hat niemals brach gelegen. Ihre Ge- schichte ist langer als die jeder andern Kunst und ihre Wirkung sich zu vergegenwartigen von Bedeutung fur jeden Versuch, das Verhaltnis der Massen zum Kunstwerk nach seiner geschicht- lichen Funktion zu erkennen. Bauten werden auf doppelte Art rezipiert: durch Gebrauch und durch Wahrnehmung. Oder besser gesagt: taktil und optisch. Es gibt von soldier Rezeption keinen Begriff, wenn man sie sich nach Art der gesammelten vorstellt, wie sie z. B. Reisenden vor beriihmten Bauten gelaufig ist. Es besteht namlich auf der taktilen Seite keinerlei Gegenstuck zu dem, was auf der opti- schen die Kontemplation ist. Die taktile Rezeption erfolgt nicht 466 Das Kunstwerk im Zeitalter sowohl auf dem Wege der Aufmerksamkeit als auf dem der Ge- wohnheit. Der Architektur gegeniiber bestimmt diese letztere weitgehend sogar die optische Rezeption. Audi sie findet ur- spriinglich viel weniger in einem gespannten Aufmerken als in einem beilaufigen Bemerken statt. Diese, an der Architektur gebildete, Rezeption hat aber unter gewissen Umstanden kano- nischen Wert. Denn: Die Aufgaben, welche in geschichtlichen Wendezeiten dem menschlichen Wahrnehmungsapparat gestellt werden, sind auf dem Wege der blofien Optik, also der Kon- templation, gar nicht zu losen. Sie werden allmahlich, nach An- leitung der taktilen Rezeption durch Gewohnung bewaltigt. Gewohnen kann sich aber audi der Zerstreute. Mehr: gewisse Aufgaben in der Zerstreuung bewaltigen zu konnen, erweist erst, dafi sie zu losen einem zur Gewohnheit geworden ist. Durch die Zerstreuung, wie die Kunst sie zu bieten hat, wird unter der Hand kontrolliert, wie weit neue Aufgaben der Apperzeption losbar geworden sind. Da im ubrigen fur den Einzelnen die Versuchung besteht, sich solchen Aufgaben zu ent- ziehen, so wird die Kunst deren schwerste und wichtigste nur da angreifen, wo sie Massen mobilisieren kann. Sie tut es gegen- wartig im Film. Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit wachsendem Nachdruck auf alien Gebieten der Kunst bemerk- bar macht und das Symptom von tiefgreifenden Veranderungen der Wahrnehmung ist, hat in den Kinos ihren zentralen Platz. Und hier, wo das Kollektivum seine Zerstreuung sucht, fehlt keineswegs die taktile Dominante, die die Umgruppierung der Apperzeption regiert. Ursprunglicher ist sie in der Architektur zuhause. Aber nichts verrat deutlicher die gewaltigen Spannun- gen unserer Zeit als dafi diese taktile Dominante in der Optik selber sich geltend macht. Und das eben geschieht im Film durch die Chockwirkung seiner Bilderfolge. So erweist sich audi von dieser Seite der Film als der derzeitig wichtigste Gegenstand jener Lehre von der Wahrnehmung, die bei den Griechen Asthetik hiefi. seiner technisdien Reproduzierbarkeit 467 Die zunehmende Proletarisierung der heutigen Menschen und die zunehmende Formierung von Massen sind zwei Seiten eines und desselben Geschehens. Der Faschismus versudit, die neuent- standnen proletarischen Massen zu organisieren, ohne die Pro- duktions- und Eigentumsordnung, auf deren Beseitigung sie hin- drangen, anzutasten. Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen. Hier ist, besonders mit Riicksicht auf die Wochenschau, deren propagandistische Bedeutung gar nicht zu uberschatzen ist, anzumerken, dafi die massenweise Reproduktion der Repro- duktion von Massen besonders entgegenkommt. In den grofien Festaufzugen, den Monstreversammlungen, in den Massenver- anstaltungen sportlicher Art und im Krieg, die heute samtlich der Aufnahmeapparatur zugefiihrt werden, sieht die Masse sich selbst ins Gesicht. Dieser Vorgang, dessen Tragweite keiner Betonung bedarf, hangt aufs engste mit der Entwicklung der Reproduktions- beziehungsweise Aufnahmetechnik zusammen. Massenbewegungen stellen sich im allgemeinen der Apparatur deutlicher dar als dem Blick. Kaders von Hunderttausenden lassen sich von der Vogelperspektive aus am besten erfassen. . Und wenn diese Perspektive dem menschlichen Auge auch eben- sowohl zuganglich ist wie der Apparatur, so ist doch an dem Bilde, das das Auge davontragt, die Vergrofierung nicht mog- lich, welcher die Aufnahme unterzogen wird. Das heifk, dafi Massenbewegungen, und an ihrer Spitze der Krieg, eine der Apparatur besonders entgegenkommende Form des menschli- chen Verhaltens darstellen. - Die Massen haben ein Recht auf Veranderung der Eigentumsverhaltnisse; der Faschismus sucht ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben. Er I'dufl folgerecbt auf eine Asthetisierung des politischen Lebens binaus. Mit d'Annunzio hat die Dekadence in die Politik ihren Einzug gehalten, mit Marinetti der Futurismus und mit Hitler die Schwabinger Tradition. Alle Bemkhungen um die Asthetisierung der Politik konvergie- ren in ein em Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg. Der Krieg und nur der Krieg macht es moglich, Massenbewegungen grofiten Maftstabs unter Wahrung der liberkommenen Eigen- 468 Das Kunstwerk im Zeitalter tumsverhaltnisse ein Ziel zu geben. So formuliert sich der Tat- bestand von der Politik her. Von der Technik her formuliert er sich folgendermafien: Nur der Krieg macht es moglich, die samt- lichen technischen Mittel der Gegenwart unter Wahrung der Eigentumsverhaltnisse zu mobilisieren. Es ist selbstverstandlich, dafi die Apotheose des Krieges durch den Faschismus sich nicht dieser Argumente bedient. Trotzdem ist ein Blick auf sie lehrreich. In Marinettis Manifest zum athiopischen Kolonial- krieg heifit es: »Seit ij Jahren erheben wir Futuristen uns dage- gen, dafi der Krieg als antiasthetisch bezeichnet wird . . . Dem- gemafi stellen wir fest: . . . Der Krieg ist schon, weil er dank der Gasmasken, der schreckenerregenden Megaphons, der Flam- menwerfer und der kleinen Tanks die Herrschaft des Menschen iiber die unterjochte Maschine begriindet. Der Krieg ist schon, ■weil er die ertraumte Metallisierung des menschlichen Korpers inauguriert. Der Krieg ist schon, weil er eine bliihende Wiese um die feurigen Orchideen der Mitrailleusen bereichert. Der Krieg ist schon, weil er das Gewehrfeuer, die Kanonaden, die Feuer- pausen, die Parfums und Verwesungsgerliche zu einer Sympho- nie vereinigt. Der Krieg ist schon, weil er neue Architekturen, wie die der grofien Tanks, der geometrischen Fliegergeschwa- der, der Rauchspiralen aus brennenden Dorfern und vieles andere schafft . . . Dichter und Kiinstler des Futurismus . . . er- innert Euch dieser Grundsatze einer Asthetik des Krieges, damit Euer Ringen um eine neue Poesie und eine neue Plastik . . . von ihnen erleuchtet werde!« Dieses Manifest hat den Vorzug der Deutlichkeit. Seine Fra- gestellung verdient, von dem Schongeist an den Dialektiker iiberzugehen. Ihm stellt sich die Asthetik des heutigen Krieges folgendermafien dar: Wird die natiirliche Verwertung der Pro- duktivkrafte durch die Eigentumsordnung hintangehalten, so drangt die Steigerung der technischen Behelfe, der Tempi, der Kraftquellen nach einer unnatiirlichen. Sie findet sie im Kriege, der mit seinen Zerstorungen den Beweis dafiir antritt, dafi die Gesellschaft nicht reif genug war, sich die Technik zu ihrem Or- gan zu machen, dafi die Technik nicht ausgebildet genug war, die gesellschaftlichen Elementarkrafte zu bewaltigen. Der impe- rialistische Krieg ist in seinen grauenhaftesten Ziigen bestimmt durch die Diskrepanz zwischen gewaltigen Produktionsmit- seiner tedinischen Reproduzierbarkeit 469 teln und ihrer unzulanglichen Verwertung im Produktions- prozefi (mit andern Worten durdi die Arbeitslosigkeit und den Mangel an Absatzmarkten). Er ist ein Sklavenaufstand der Technik, die am »Menschenmaterial« die Anspriiche eintreibt, denen sidi die Gesellschaft entzogen hat. Anstelle von Kraft- werken setzt sie die Menschenkraft - in Gestalt von Armeen - ins Land. Anstelle des Luftverkehrs setzt sie den Verkehr von Geschossen und im Gaskriege hat sie ein Mittel, die Aura auf neue Art abzuschaffen. »Fiat ars - pereat mundus« sagt der Fasdiismus und erwartet die kunstlerische Befriedigung der von der Technik veranderten Sinneswahrnehmung, wie Marinetti bekennt, vom Kriege. Das ist offenbar die Vollendung des Part pour Tart. Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt fur die olympischen Gotter war, ist es nun fur sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als asthetischen Genufi ersten Ranges erleben lafit. So steht es mit der Asthetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Dritte Fassung) (Die zweite Fassung findet sich Band VII, S. 3Soff. D. Hg.) Die Begriindung der schonen Kiinste und die Em- setzung ihrer verschiedenen Typen geht auf eine Zeit zuriick, die sich eingreifend von der unsrigen unterschied, und auf Mensdhen, deren Macht iiber die Dinge und die Verhaltnisse versdiwindend im Vergleich zu der unsrigen war. Der erstaunliche Zu- wachs aber, den unsere Mittel in ihrer Anpassungs- fahigkeit und ihrer Prazision erfahren haben, stellt uns in naher Zukunft die eingreifendsten Veranderungen in der antiken Industrie des Scho- nen in Aussicht. In alien Kusten gibt es einen physischen Teil, der nicht langer so betrachtet und so behandelt werden kann wie vordem; er kann sich nicht langer den Einwirkungen der modernen Wissenschaft und der modernen Praxis entziehen. Weder die Materie, noch der Raum, noch die Zeit sind seit zwanzig Jahren, was sie seit jeher gewesen sind. Man mull sich darauf gefafit machen, dafi so grofie Neuerungen die gesamte Technik der Kiinste verandern, dadurch die Invention selbst beeinflus- sen und schliefilich vielleidit dazu gelangen werden, den Begriff der Kunst selbst auf die zauberhafteste Art zu verandern. Paid Valery: Pieces sur I' art. Paris [o. J.J, p. joj/104 (»La conquete de Vubiquitk*). VoRVORT Als Marx die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise unternahm, war diese Produktionsweise in den Anfangen. Marx richtete seine Unternehmungen so ein, dafi sie progno- stischen Wert bekamen. Er ging auf die Grundverhaltnisse der kapitalistischen Produktion zuruck und stellte sie so dar, dafi sich aus ihnen ergab, was man kunftighin dem Kapitalismus noch zutrauen konne. Es ergab sich, dafi man ihm nicht nur eine zunehmend verscharfte Ausbeutung der Proletarier zu- trauen konne, sondern schliefilich auch die Herstellung von Be- dingungen, die die Abschaffung seiner selbst moglich machen. Die Umwalzung des Uberbaus, die viel langsamer als die des Unterbaus vor sich geht, hat mehr als ein halbes Jahrhundert gebraucht, um auf alien Kulturgebieten die Veranderung der Produktionsbedingungen zur Geltung zu bringen. In welcher Gestalt das geschah, lafit sich erst heute angeben. An diese An- gaben sind gewisse prognostische Anforderungen zu stellen. Es entsprechen diesen Anforderungen aber weniger Thesen iiber die Kunst des Proletariats nach der Machtergreifung, geschweige die der klassenlosen Gesellschaft, als Thesen iiber die Entwick- lungstendenzen der Kunst unter den gegenwartigen Produk- tionsbedingungen. Deren Dialektik macht sich im Oberbau nicht weniger bemerkbar als in der Okonomie. Darum ware es falsch, den Kampfwert soldier Thesen zu unterschatzen. Sie setzen eine Anzahl uberkommener Begriffe - wie Schopfertum und Genialitat, Ewigkeitswert und Geheimnis - beiseite - Begriffe, deren unkontrollierte (und augenblicklich schwer kpntrollier- bare) Anwendung zur Verarbeitung des Tatsachenmaterials in faschistischem Sinn fiihrt. Die im folgenden neu in die Kunst- theorie eingefiihrten Begriffe unterscheiden sich von gelaufige- ten dadurch, dafi sie fur die Zwecke des Fascbismus vollkommen unbrauchbar sind. Dagegen sind sie zur Formulierung revolutio- ndrer Forderungen in der Kunstpolitik brauchbar. 474 Das Kunstwerk im Zeitalter Das Kunstwerk ist grundsatzlich immer reproduzierbar gewe- sen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nachgemacht werden. Solche Nachbildung wurde audi ausgeiibt von Schulern zur Obung in der Kunst, von Meistern zur Verbreitung der Werke, endlich von gewinnlusternen Drit- ten. Dem gegenuber ist die technische Reproduktion des Kunst- werkes etwas Neues, das sich in der Geschichte intermittierend, in weit auseinanderliegenden Sdiiiben, aber mit wachsender Intensitat durchsetzt. Die Griechen kannten nur zwei Verfahren technischer Reproduktion von Kunstwerken: den Gufi und die Pragung. Bronzen, Terrakotten und Miinzen waren die einzigen Kunstwerke, die von ihnen massenweise hergestellt werden konnten. Alle ubrigen waren einmalig und technisch nicht zu reproduzieren. Mit dem Holzschnitt wurde zum ersten Male die Graphik technisch reproduzierbar; sie war es lange, ehe durch den Druck audi die Schrift es wurde. Die ungeheuren Verande- rungen, die der Druck, die technische Reproduzierbarkeit der Schrift, in der Literatur hervorgerufen hat, sind bekannt. Von der Erscheinung, die hier in weltgeschichtlichem Mafistab be- trachtet wird, sind sie aber nur ein y freilich besonders wichtiger Sonderfall. Zum Holzschnitt treten im Laufe des Mittelalters Kupferstich und Radierung, sowie im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Lithographic Mit der Lithographie erreicht die Reproduktionstechnik eine grundsatzlich neue Stufe. Das sehr viel bundigere^ Verfahren, das die Auftragung der Zeichnung auf einen Stein von ihrer Kerbung in einen Holzblock oder ihrer Atzung in eine Kupfer- platte unterscheidet, gab der Graphik zum ersten Mai die Mog- lichkeit, ihre Erzeugnisse nicht allein massenweise (wie vordem) sondern in taglich neuen Gestaltungen auf den Markt zu brin- gen. Die Graphik wurde durch die Lithographie befahigt, den All tag illustrativ zu begleiten. Sie begann, Schritt mit dem Druck zu halten. In diesem Beginnen wurde sie aber schon weni- ge Jahrzehnte nach der Erflndung des Steindrucks durch die Photographie iiberflugelt. Mit der Photographie war die Hand im Prozefi bildlicher Reproduktion zum ersten Mai von den wichtigsten kunstlerischen Obliegenheiten entlastet, welche nun- seiner tedinischen Reproduzierbarkeit 475 mehr dem ins Objektiv blickenden Auge allein zufielen. Da das Auge schneller erfafit, als die Hand zeichnet, so wurde der Prozefi bildlicher Reproduktion so ungeheuer beschleunigt, dafi er mit dem Sprechen Schritt halten konnte. Der Filmoperateur fixiert im Atelier kurbelnd die Bilder mit der gleichen Schnellig- keit, mit der der Darsteller spricht. Wenn in der Lithographie virtuell die illustrierte Zeitung verborgen war, so in der Photo- graphic der Tonfilm. Die technische Reproduktion des Tons wurde am Ende des vorigen Jahrhunderts in Angriff genommen. Diese konvergierenden Bemiihungen haben eine Situation ab- sehbar gemacht, die Paul Valery mit dem Satz kennzeichnet: »Wie Wasser, Gas und elektrischer Strom von weither auf einen fast unmerklichen Handgriff hin in unsere Wohnungen kom- men, um uns zu bedienen, so werden wir mit Bildern oder mit Tonfolgen versehen werden, die sich, auf einen kleinen Griff, fast ein Zeichen einstellen und uns ebenso wieder verlassen«. 1 Um neunzehnhundert hatte die technische Reproduktion einen Standard erreicht, auf dem sie nicht nut die Gesamtheit der Uberkommenen Kunstwerke zu ihrem Objekt zu machen und deren Wirkung den tiefsten Verdnderungen zu unterwerjen begann, sondern sich einen eigenen Platz unter den kilnstleri- schen Verfahrungsweisen eroberte. Fur das Studium dieses Standards ist nichts aufschlufireicher, als wie seine beiden ver- schiedenen Manifestationen - Reproduktion des Kunstwerks und Filmkunst - auf die Kunst in ihrer uberkommenen Gestalt zuriickwirken. II Noch bei der hochstvollendeten Reproduktion fallt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks - sein einmaliges Daseih an dem Orte, an dem es sich befindet. An diesem einmaligen Dasein aber und an nichts sonst vollzog sich die Geschichte, der es im Laufe seines Bestehens unterworfen gewesen ist. Dahin rechnen sowohl die Veranderungen, die es im Laufe der Zeit in seiner physischen Struktur erlitten hat, wie die wechselnden 1 Paul VaUry: Pieces sur Tart. Paris [0. J.]» p. 105 (»La conquSte de l'ubiquit£«). 476 Das Kunstwerk im Zeitalter Besitzverhaltnisse, in die es eingetreten sein mag 2 . Die Spur der ersteren ist nur durch Analysen chemischer oder physikalischer Art zu fordern, die sich an der Reproduktion nicht vollziehen lassen; die der zweiten ist Gegenstand einer Tradition, deren Verfolgung von dem Standort des Originals ausgehen mulJ. Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner . Echtheit aus. Analysen chemischer Art an der Patina einer Bronze konnen der Feststellung ihrer Echtheit forderlich sein; entsprechend kann der Nachweis, dafi eine bestimmte Hand- schrift des Mittelalters aus einem Archiv des fiinfzehnten Jahr- hunderts stammt, der Feststellung ihrer Echtheit forderlich sein. Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der techniscben - und natiirlich nicht nur der technischen - Reproduzierbar- keii*. Wahrend das Echte aber der manuellen Reproduktion gegeniiber, die von ihm im Regelfalle als Falschung abgestempelt wurde, seine voile Autoritat bewahrt, ist das der technischen Reproduktion gegeniiber nicht der Fall. Der Grund ist ein dop- pelter. Erstens erweist sich die technische Reproduktion dem Original gegeniiber selbstandiger als die manuelle. Sie kann, bei- spielsweise, in der Photographie Ansichten des Originals hervor- heben, die nur der verstellbaren und ihren Blickpunkt willkiir- lich wahlenden Linse, nicht aber dem menschlichen Auge zugang- lich sind, oder mit Hilfe gewisser Verfahren wie der Vergrofie- rung oder der Zeitlupe Bilder festhalten, die sich der natiirlichen Optik schlechtweg entziehen. Das ist das Erste. Sie kann zudem zweitens das Abbild des Originals in Situationen bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind. Vor allem macht sie 2 Naturlidi umfaflt die Gesdiidite des Kunstwerks nodi mehr: die Geschichte der Mona Lisa 2.B. Art und Zahl der Kopien, die im siebzehnten, aditzehnten, neun- zehnten Jahrhundert von ihr gemacht worden sind. 3 Gerade weil die Echtheit nicht reproduzierbar ist, hat das intensive Eindringen ge- wisser Rep rod ukt ions verfahren - es waren technische - die Handhabe zur DirTeren- zierung und Stufung der Echtheit gegeben. Solche Unterscheidungen auszubilden, war eine wichtige Funktion des Kunsthandels. Dieser hatte ein handgreifliches Interesse, verschiedene Abziige von einem Holzstock, die vor und die nach der Schrift, von einer Kupferplatte und dergleichen auseinanderzuhalten. Mit der Erfindung des Holz- schnitts, so darf man sagen, war die Echtheitsqualitat an der Wurzel angegriffen, ehe sie noch ihre spate Blute entfaltet hatte. »Echt« war ein mittelalterltches Madonnen- bild ja zur Zeit seiner Anfertigung nodi nicht; das wurde es im Laufe der nachfolgen- den Jahrhunderte und am uppigsten vielleicht in dem vorigen. seiner technischen Reproduzierbarkeit 477 ihm moglich, dem Aufnehmenden entgegenzukommen, sei es in Gestalt der Photographie, sei es in der der Schallplatte. Die Kathedrale verlafk ihren Platz, um in dem Studio eines Kunst- freundes Aufnahme zu finden; das Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem Himmel exekutiert wurde, lafit sich in einem Zimmer vernehmen. Die Umstande, in die das Produkt der technischen Reproduktion des Kunstwerks gebracht werden kann, mogen im iibrigen den Bestand des Kunstwerks unangetastet lassen - sie entwerten auf alle Falle sein Hier und Jetzt. Wenn das audi keineswegs vom Kunstwerk allein gilt sondern entsprechend z. B. von einer Landschaft, die im Film am Beschauer vorbeizieht, so wird durch diesen Vorgang am Gegenstande der Kunst ein empfind- lichster Kern beriihrt, den so verletzbar kein natiirlicher hat. Das ist seine Echtheit. Die Echtheit einer Sache ist der InbegrirT alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiel- len Dauer bis zu ihrer gescmchtlichen Zeugenschaft. Da die letztere auf der ersteren fundiert ist, so gerat in der Reproduk- tion, wo die erstere sich dem Menschen entzogen hat, auch die letztere: die geschichtliche Zeugenschaft der Sache ins Wanken. Freilich nur diese; was aber dergestalt ins Wanken' gerat, das ist die Autoritat der Sache 4 . Man kann, was hier ausfallt, im Begriff der Aura zusammen- fassen und sagen; was im Zeitalter der technischen Reproduzier- barkeit des Kunstwerks verkummert, das ist seine Aura. Der Vorgang ist symptomatisch; seine Bedeutung weist iiber den Bereich der Kunst hinaus. Die Reproduktionstechnik, so lie fie sid> allgemein formulieren, lost das Reproduzierte aus dem Be- reich der Tradition ab. Indem sie die Reproduktion verviel- fdltigt, setzt sie an die S telle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden in seiner jeweiligen Situation entgegenzu- kommen, aktualisiert sie das Reproduzierte. Diese beiden Pro- zesse fuhren zu einer gewaltigen Erschutterung des Tradierten - 4 Die kiimmerlichste Provinzauffuhrung des »Faust« hat vor einem Faustfilm jeden- falls dies voraus, dafi sie in Idealkonkurrenz zur Weimarer Urauffiihrung steht. Und was an traditionellen Gehalten man vor der Rampe sich in Erinnerung rufen mag, ist vor der Filmleinwand unverwertbar geworden - da 6 in Mephisto Goethes Jugend- freund Johann Heinrich Merck steckt, und was dergleichen mehr ist. 478 Das Kunstwerk im Zeitalter einer Erschiitterung der Tradition, die die Kehrseite der gegen- wartigen Krise und Erneuerung der Menschheit ist. Sie stehen im engsten Zusammenhang mit den Massenbewegungen unserer Tage. Ihr machtvollster Agent ist der Film. Seine gesellschaft- liche Bedeutung 1st audi in ihrer positivsten Gestalt, und gerade in ihr, nicht ohne diese seine destruktive, seine kathartische Seite denkbar: die Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe. Diese Erscheinung ist an den grofien historischen Filmen am handgreiflichsten. Sie bezieht immer weitere Positionen in ihr Bereich ein. Und wenn Abel Gance 1927 enthusiastisch ausrief: »Shakespeare, Rembrandt, Beethoven werden filmen . . . Alle Legenden, alle Mythologien und alle Mythen, alle Religions- stifter, ja alle Religionen . . . warten auf ihre belichtete Aufer- stehung, und die Heroen drangen sich an den Pforten« 5 so hat er, ohne es wohl zu meinen, zu einer umfassenden Liquida- tion eingeladen. Ill Innerhalb grofler geschichtlicher Zeitrdume verdndert sick mit der gesamten Daseinsweise der menschlicben Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organi- siert - das Medium, in dem sie erfolgt - ist nicht nur natiirlich sondern auch geschichtlich bedingt. Die Zeit der Volkerwan- derung, in der die spatromisohe Kunstindustrie und die Wiener Genesis entstanden, hatte nicht nur eine andere Kunst als die Antike sondern auch eine andere Wahrnehmung. Die Gelehrten der Wiener Schule, Riegl und Wickhoff, die sich gegen das Ge- wicht der klassischen Oberlieferung stemmten, unter dem jene Kunst begraben gelegen hatte, sind als erste auf den Gedanken gekommen, aus ihr Schlusse auf die Organisation der Wahr- nehmung in der Zeit zu tun, in der sie in Gekung stand. So weittragend ihre Erkenntnisse waren, so hatten sie ihre Grenze darin, da£ sich diese Forscher begnugten, die formale Signatur aufzuweisen, die der Wahrnehmung in der spatromischen Zeit 5 Abel Gance: Le temps de l'image est venu, in: L'art cinematographique II. Paris 1927. p. 94-96. seiner tedimschen Reproduzierbarkeit 479 eigen war. Sie haben nicht versucht - und konnten vielleicht auch nicht hoffen -, die gesellschaftlichen Umwalzungen zu zei- gen, die in diesen Veranderungen der Wahrnehmung ihren Ausdruck fanden. Fiir die Gegenwart liegen die Bedingungen einer entsprechenden Einsicht giinstiger. Und wenn Veranderun- gen im Medium der Wahrnehmung, deren Zeitgenossen wir sind, sich als Verfall der Aura begreifen lassen, so kann man dessen gesellschaftliche Bedingungen aufzeigen. Es empfiehlt sich, den oben fiir geschichtliche Gegenstande vor- geschlagenen Begriff der Aura an dem Begriff einer Aura von natiirlichen Gegenstanden zu illustrieren. Diese letztere definie- ren wir als einmalige Erscheinung einer Feme, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirfl - das heifit die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen. An der Hand dieser Beschreibung ist es ein Leichtes, die gesellschaftliche Bedingtheit des gegenwartigen Verfalls der Aura einzusehen. Er beruht auf zwei Umstanden, die beide mit der zunehmenden Bedeutung der Massen im heu- tigen Leben zusammenhangen. Namlich: Die Dinge sich raum- lich und menschlich »naherzubringen« ist ein genau so leiden- schaflliches Anliegen der gegenwartigen Massen 6 wie es ihre Tendenz einer Vberwindung des Einmaligen jeder Gegebenheit durch die Aufnabme von deren Reproduktion ist. Tagtaglich macht sich unabweisbarer das Bedurfnis geltend, des Gegen-. stands aus nachster Nahe im Bild, vielmehr im Abbild, in der Reproduktion, habhaft zu werden. Und unverkennbar unter- scheidet sich die Reproduktion, wie illustrierte Zeitung und Wochenschau sie in Bereitschaft halten, vom Bilde. Einmaligkeit und Dauer sind in diesem so eng verschrankt wie Fluchtigkeit und Wiederholbarkeit in jener. Die Entschalung des Gegenstan- des aus seiner Hulle, die Zertriimmerung der Aura, ist die Si- 6 Mensdilict sicfc den Massen naherbringen zu lassen, kann bed eu ten: seine gesell- schaftliche Funktion aus dem Blickfeld raumen 2u lassen. Nichts gcwahrleistet, dafi ein heutiger Portraitist, wenn er einen beruhmten Chirurgen am Fruhstuckstisch und im Kreise der Seinen malt* dessen gesellschaftliche Funktion genauer trifft als ein Maler des sechzchnten Jahrhunderts, der seine Arzte feprasentativ, wie zum Beispiel Rembrandt in der »Anatomie«, dem Publikum darstellt. 480 Das Kunstwerk im Zeitalter gnatur einer Wahrnehmung, deren »Sinn fur das Gleichartige in der Welt« so gewachsen ist, dafi sie es mittels der Reproduktion auch dem Einmaligen abgewinnt. So bekundet sich im anschau- lichen Bereich was sich im Bereich der Theorie als die zuneh- mende Bedeutung der Statistik bemerkbar macht. Die Ausrich- tung der Realitat auf die Massen und der Massen auf sie ist ein Vorgang von unbegrenzter Tragweite sowohl fur das Denken wie fiir die Anschauung. IV Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Einge- bettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradi- tion selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas aufier- ordentlich Wandelbares. Eine antike Venusstatue z. B. stand in einem anderen Traditionszusammenhange bei den Griechen, die sie zum Gegenstand des Kultus machten, als bei den mittelalter- lichen Klerikern, die einen unheilvollen Abgott in ihr erblick- ten. Was aber beiden in gleicher Weise entgegentrat, war ihre Einzigkeit, mit einem anderen Wort: ihre Aura. Die urspriing- Hche Art der Einbettung des Kunstwerks in den Traditionszu- sammenhang fand ihren Ausdruck im Kult. Die altesten Kunst- werke sind, wie wir wissen, im Dienst eines Rituals entstanden, zuerst eines magischen, dann eines religiosen. Es ist nun von entscheidender Bedeutung, dafi diese auratische Daseinsweise des Kunstwerks niemals durchaus von seiner Ritual funktion sich lost 7 . Mit anderen Worten: Der einzigartige Wert des »echten« Kunstwerks hat seine Fundierung im RituaU in dem es seinen origindren und ersten Gebrauchswert hatte. Diese mag so vermittelt sein wie sie will, sie ist auch noch in den profansten Formen des Schonheitsdienstes als sakularisiertes Ritual erkenn- 7 Die Definition der Aura als »einmalige Erscheinung einer Feme, so nah sie sein mag«, stellt nichts anderes dar als die Formulierung des Kultwerts des Kunstwerks in Kategorien der raum-zeitlidien Wahrnehmung. Feme ist das Gegenteil von Nahe. Das wesentlich Feme ist das Unnahbare. In der Tat ist Unnahbarkeit eine Haupt- qualitat des Kultbildes. Es bleibt seiner Natur nach »Ferne so nah es sein mag«. Die Nahe, die man seiner Matcrie abzugewinnen vermag, tut der Feme ntcht Abbruch, die es nach seiner Erscheinung bewahrt. seiner tedinisdien Reproduzierbarkeit 481 bar 8 . Der profane Schonheitsdienst, der sich mit der Renais- sance herausbildet, um fur drei Jahrhunderte in Geltung zu bleiben, lafit nach Ablauf dieser Frist bei der ersten schweren Erschiitterung, von der er betroffen wurde, jene Fundamente deutlich erkennen. Als namlich mit dem Aufkommen des ersten wirklich revolutionaren Reproduktionsmitteis, der Photogra- phic (gleichzeitig mit dem Anbruch des Sozialismus) die Kunst das Nahen der Krise spiirt, die nach weiteren hundert Jahren unverkennbar geworden ist, reagierte sie mit der Lehre vom Tart pour Part, die eine Theologie der Kunst ist. Aus ihr ist dann weiterhin geradezu eine negative Theologie in Gestalt der Idee einer »reinen« Kunst hervorgegangen, die nicht nur jede soziale Funktion sondern auch jede Bestimmung durch ei- nen gegenstandlichen Vorwurf ablehnt. (In der Dichtung hat Mallarme* als erster diesen Standort erreicht.) Diese Zusammenhange zu ihrem Recht kommen zu lassen, ist unerlafilich fiir eine Betrachtung, die es mit dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit zu tun hat. Denn sie bereiten die Erkenntnis, die hier entscheidend ist, vor: die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mai in der Weltgeschichte von seinem parasi- taren Dasein am Ritual. Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Mafie die Reproduktion eines auf Reprodu- zierbarkeit angelegten Kunstwerks 9 . Von der photographischen 8 In dem Mafic, in dem der Kultwert des Bildes sich sakularisiert, werden die Vor- stellungen vom Substrat seiner Einmaligkeit unbestimmter. Immer mehr wird die Einmaligkeit der im Kultbilde walcenden Erscheinung von der empirischen Einmalig- keit des Bildners oder seiner bildenden Leistung in der Vorstellung des Aufnehmen- den verdrangt. Freilich niemals ganz ohne Rest; der Begriff der Editheit hort nie- mals auf> iiber den der authentisdien Zuschreibung hinauszutendieren. (Das zeigt sidb besonders deutlich am Sammler, der immer etwas vom Fetischdiener behalt und durch seinen Besitz des Kunstwerks an dessen kultischer Kraft Anteil hat.) Unbeschadet dessen bleibt die Funktion des Begriff s des Authentisdien in der Kunstbetrachtung eindeutig: mit der Sakularisierung der Kunst tritt die Authentizitat an die Stelle des Kultwerts, 9 Bei den Filmwerken ist die technische Reproduzierbarkeit des Produkts nicht wie z. B. bei den Werken der Literatur oder der Malerei eine von aufien her sich einfin- dende Bedingung ihrer massenweisen Verbreitung. Die technische Reproduzierbarkeit der Filmwerke ist unmittelbar in der Technik ihrer Produktion begrundet. Diese ermoglicht nicht nur auf die unmittelbarste Art die massenweise Verbreitung der Filmwerke, sie erzwingt sie vielmehr geradezu, Sie erzwingt sie, weil die Produktion 482 Das Kunstwerk im Zeitalter Platte 2. B. ist eine Vielheit von Abziigen moglich; die Frage nach dem echten Abzug hat keinen Sinn. In dem Augenblick aber, da der Majistab der Ecbtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich aucb die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewalzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual tritt ibre Fundierung auf eine andere Praxis: ndmlicb ihre Fundie- rung auf Politik. Die Rezeption von Kunstwerken erfolgt mit verschiedenen Akzenten, unter denen sich zwei polare herausheben. Der eine dieser Akzente liegt auf dem Kultwert, der andere auf dem Ausstellungswert des Kunstwerkes 10 ' n . Die kunstlerische Pro- eines Films so teuer ist, dafi ein Einzelner, der z. B. ein Gemalde sich leisten konnte, sich den Film nicht mehr leisten kann. 1927 hat man errechnet, dafi ein grofierer Film, um sich zu rentieren, ein Publikum von neun Millionen erreidben miisse. Mit dem Tonfilm ist hier allerdings zunachst eine riicklaufige Bewegung eingetreten; sein Publikum schrankte sich auf Sprachgrenzen ein, und das gesdiah gleichzeitig mit der Betonung nationaler Interessen durch den Faschismus. Wichtiger aber als diesen Riick- schlag zu registrieren, der im iibrigen durch die Synchronisierung abgeschwacht wurde, ist es, seinen Zusammenhang mit dem Faschismus ins Auge zu fassen. Die Gleich- zeitigkeit beider Erscheinungen beruht auf der Wirtschaftskrise. Die gleichen Storun- gen, die im Grofien gesehen zu dem Versuch gefuhrt haben, die bestehenden Eigen- tumsverhaltnisse mit offener Gewalt festzuhalten, haben das von der Krise bedrohte Filmkapital dazu gefuhrt, die Vorarbeiten zum Tonfilm zu forcieren. Die Ein- fiihrung des Tonfilms brachte sodann eine zettweilige Erleichterung. Und zwar nicht nur, weil der Tonfilm von neuem die Massen ins Kino fiihrte, sondern audi weil der Tonfilm neue Kapitalien aus der Elektrizitatsindustrie mit dem Filmkapital soli- darisch machte. So hat er von aufien betrachtet nationale Interessen gefordert, von innen betrachtet aber die Filmproduktion nodi mehr internationalisiert als vordem. 10 Diese Polaritat kann in der Asthetik des Ideatismus, dessen Begriff der Schonheit sie im Grunde als eine ungeschiedene umschlieCt (demgemaG als eine geschiedene aus- schliefit) nicht zu ihrera Rechte gelangen. Immerhin meldet sie sich bci Hegel so deutHch an, wie dies in den Schranken des Idealismus denkbar ist. »Bilder«, so heifit.es in den Vorlesungen zur Philosophic der Geschichte, »hatte man schon lange: die Frommigkeit bedurfte ihrer schon friih fiir ihre Andacht, aber sie brauchte keine schonen Bilder, ja diese waren ihr sogar storend. Im schonen Bilde ist audi ein Aufier- liches vorhanden, aber insofern es schon ist, spricht der Geist desselben den Menschen an; in jener Andacht aber ist das Verhaltnifi zu ein em Dinge wesentlich, denn sie ist selbst nur ein geistloses Verdumpfen der Seele , . . Die schone Kunst ist . . . in der Kirche selbst entstanden, . . . obgleich ... die Kunst schon aus dem Principe der seiner technischen Reproduzierbarkeit 483 duktion beginnt mit Gebilden, die im Dienste des Kults stehen. Von diesen Gebilden ist, wie man annehmen darf, wichtiger, dafi sie vorhanden sind als dafi sie gesehen werden. Das Elen- tier, das der Mensch der Steinzeit an den Wanden seiner Hohle abbildet, ist ein Zauberinstrument. Er stellt es zwar vor seinen Mitmenschen aus; vor allem aber ist es Geistern zugedacht. Der Kultwert als solciier scheint heute geradezu daraufhinzu- drangen, das Kunstwerk im Verborgenen zu halten: gewisse Gotterstatuen sind nur dem Priester in der cella zuganglich, gewisse Madonnenbilder bleiben fast das ganze Jahr iiber ver- Kirche herausgetreten ist.« (Georg Wilhelm Fried rich Hegel: Werke. Vollstandige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Bd. 9: Vorlesungen iiber die Philosophic der Geschichte. Hrsg. von Eduard Gans. Berlin 1837, p. 414.) Auch eine Stelle in den Vorlesungen iiber die Asthetik weist darauf hin, dafi Hegel hier ein Problem gespiirt hat, »...wir sind«, so heifit es in diesen Vorlesungen, »dar- tiber hinaus Werke der Kunst gottlich verehren und sie anbeten zu kdnnen, der Ein- druck, den sie machen, ist besonnenerer Art, und was durch sie in uns erregt wird, bedarf nodi eines hoheren Priifsteins*. (Hegel, 1. c. Bd. 10: Vorlesungen iiber die Aesthetik. Hrsg. von H. G. Hotho. Bd. 1. Berlin 1835, p. 14.) 11 Der Obergang von der ersten Art der kunstlerischen Rezeption zur zweiten be- stimmt den geschichtlichen Verlauf der kunstlerischen Rezeption iiberhaupt. Demun- geachtet lafit sich ein gewisses Oszillieren zwischen jenen beiden polaren Rezeptions- arten prinzipiell fiir jedes einzelne Kunstwerk aufweisen. So zum Beispiel fiir die Sixtinische Madonna. Seit Hubert Grimmes Untersuchung weifi man, dafi die Six- tinische Madonna urspriinglich fiir Ausstellungszwecke gemalt war. Grimme erhielt den Anstofi zu seinen Forschungen durch die Frage: Was soli die Holzleiste im Vor- dergrunde des Bildes, auf die sich die beiden Putten stiitzen? Wie konnte, so fragte Grimme weiter, ein Raffael dazu kommen, den Himmel mit einem Paar Portieren auszustatten? Die Untersuchung ergab, dafi die Sixtinische Madonna anlafilich der offentlichen Aufbahrung des Papstes Sixtus in Auftrag gegeben worden war. Die Aufbahrung der Papste fand in einer bestimmten Seitenkapelle der Peterskirche statt. Auf dem Sarge ruhend war, im nischenartigen Hintergrunde dieser Kapelle, bei der feierlichen Aufbahrung Raffaels Bild angebracht worden. Was Raffael auf diesemBildc darstellt ist, wie aus dem Hintergrunde der mit griinen Portieren abgegrenzten Nische die Madonna sich in Wolken dem papstlichen Sarge nahert. Bei der Totenfeier fiir Sixtus fand ein hervorragender Ausstellungswert von Raffaels Bild seine Verwendung. Einige Zeit danach kam es auf den Hochaltar in der Klosterkirche der Schwarzen Monche zu Piacenza. Der Grund dieses Exils liegt im romischen Ritual. Das rbmische Ritual untersagt, Bilder, die bei Bestattungsfeierlichkeiten ausgestellt worden sind, dem Kult auf dem Hochaltar zuzufiihren. Raffaels Werk war durch diese Vorschrift in gewissen Grenzen entwertet. Um dennoch einen entsprechenden Preis dafiir zu er- zielen, entschlofi sich die Kurie, ihre stillschweigende Duldung des Bilds auf dem Hochaltar in den Kauf zu geben. Um Aufsehen zu vermeiden, Hefi man das Bild an die Bruderschaft der entlegenen Provinzstadt gehen. 484 Das Kunstwerk im Zeitalter hangen, gewisse Skulpturen an mittelalterlichen Domen sind fiir den Betrachter zu ebener Erde nicht sichtbar. Mit der Eman- zipation der einzelnen Kunstiibungen aus dem Schofie des Ri- tuals wachsen die Gelegenheiten zur Ausstellung ihrer Produkte. Die Ausstellbarkeit einer Portraitbiiste, die dahin und dorthin verschickt werden kann, ist grofier als die einer Gotterstatue, die ihren festen Ort im Innern des Tempels hat. Die Ausstell- barkeit des Tafelbildes ist grofier als die des Mosaiks oder Freskos, die ihm vorangingen. Und wenn die Ausstellbarkeit einer Messe von Hause aus vielleicht nicht geringer war als die einer Symphome, so entstand doch die Symphonie in dem Zeitpunkt, als ihre Ausstellbarkeit grofier zu werden versprach als die der Messe. Mit den verschiedenen Methoden technischer Reproduktion des Kunstwerks ist dessen Ausstellbarkeit in so gewaltigem Mafi gewachsen, dafi die quantitative Verschiebung zwischen seinen beiden Polen ahnlich wie in der Urzeit in eine qualitative Ver- anderung seiner Natur umschlagt. Wie namlich in der Urzeit das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Kultwert lag, in erster Linie zu einem Instrument der Magie wurde, das man als Kunstwerk gewissermafien erst spater er- kannte, so wird heute das Kunstwerk durch das absolute Ge- wicht, das auf seinem Ausstellungswert liegt, zu einem Gebilde mit ganz neuen Funktionen, von denen die uns bewufite, die kiinstlerische, als diejenige sich abhebt, die man spater als eine beilaufige erkennen mag 12 . So viel ist sicher, dafi gegenwartig die Photographie und weiter der Film die brauchbarsten Hand- haben zu dieser Erkenntriis geben. 12 Analoge Oberlegungen stellt, auf anderer Ebene, Brecht an: »Ist der Begriff Kunstwerk nidit mehr zu halten fiir das Ding, das entsteht, wenn ein Kunstwerk zur Ware verwandelt ist, dann miissen wir vorsichtig und behutsam, aber unerschrocken diesen BegrirT weglassen, wenn wir nidit die Funktion dieses Dinges selber mit- liquidieren wollen, denn durdi diese Phase mufi es hindurdi, und zwar ohne Hinter- sinn, es ist kein unverbindlicher Abstecber vom rechten Weg, stondern was hier mit ihm geschieht, das wird es von Grund auf andern, seine Vergangenheit auslosdien, so sehr, dafi, wenn. der alte BegrirT wieder aufgenommen werden wurde - und er wird es werden, warum nidit? - keine Erinnerung mehr an das Ding durch ihn ausgelost werden wird, das er einst bezeioSnete.« ([Bertolt] Brecht: Versuche 8-10. [Heft] 3. Berlin 1931* P- 301/302; »Der Dreigrosdbenprozess«.) seiner technischen Reproduzierbarkeit 485 VI In der Photographie beginnt der Ausstellungswert den Kult- wert auf der ganzen Linie zuriickzudr'dngen. Dieser weicht aber nicht widerstandslos. Er bezieht eine letzte Verschanzung, und die ist das Menschenantlitz. Keineswegs zufallig steht das Por- trait im Mittelpunkt der friihen Photographie. Im Kult der Erinnerung an die fernen oder die abgestorbenen Lieben hat der Kultwert des Bildes die letzte Zuflucht. Im fluchtigen Aus- druck eines Menschengesichts winkt aus den friihen Photogra- phien die Aura zum letzten Mai. Das ist es, was deren schwer- mutvolle und mit nichts zu vergleichende Schonheit ausmacht. Wo aber der Mensch aus der Photographie sich zuriickzieht, da tritt erstmals der Ausstellungswert dem Kultwert iiberlegen entgegen. Diesem Vorgang seine Statte gegeben zu haben, ist die unvergleichliche Bedeutung von Atget, der die Pariser Strafien urn neunzehnhundert in menschenleeren Aspekten festhielt. Sehr mit Recht hat man von ihm gesagt, daft er sie aufnahm wie einen Tatort. Audi der Tatort ist menschenleer. Seine Aufnahme erfolgt der Indizien wegen. Die photographischen Aufnahmen beginnen bei Atget, Beweisstiicke im historischen Prozefi zu werden. Das macht ihre verborgene politische Bedeutung aus. Sie fordern schon eine Rezeption in bestimmtem Sinne. Ihnen ist die freisdiwebende Kontemplation nidit mehr angemessen. Sie beunruhigen den Betrachter; er fiihlt: zu ihnen mufi er einen bestimmten Weg suchen. Wegweiser beginnen ihm gleichzeitig die illustrierten Zeitungen aufzustellen. Riditige oder falsche - gleidiviel. In ihnen ist die Beschriftung zum ersten Mai obligat geworden. Und es ist klar, daft sie einen ganz anderen Charak- ter hat als der Titel eines Gemaldes. Die Direktiven, die der BetrachtervonBildern in der illustrierten Zeitschrift durch die Be- schriftung erhalt, werden bald darauf noch praziser und gebiete- rischer im Film, wo die Auffassung von jedem einzelnen Bild durch die Folge aller vorangegangenen vorgeschrieben erscheint. 486 Das Kunstwerk im Zeitalter VII Der Streit, der im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts zwi- schen der Malerei und der Photographie um den Kunstwert ihrer Produkte durchgefochten wurde, wirkt heute abwegig und verworren. Das spricht aber nicht gegen seine Bedeutung, konnte sie vielmehr eher unterstreichen. In der Tat war dieser Streit der Ausdruck einer weltgeschichtlichen Umwalzung, die als solche keinem der beiden Partner bewufit war. Indem das Zeitalter ihrer technisdien Reproduzierbarkeit die Kunst von ihrem kultischen Fundament loste, erloscii auf immer der Schein ihrer Autonomic Die Funktionsveranderung der Kunst aber, die damit gegeben war, fiel aus dem Blickfeld des Jahrhunderts heraus. Und audi dem zwanzigsten, das die Entwicklung des Films erlebte, entging sie lange. Hatte man vordem vielen vergeblichen Scharfsinn an die Ent- scheidung der Frage gewandt, ob die Photographie eine Kunst set - ohne die V or frage sich gestellt zu haben: ob nicht durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst sidy verandert habe - so iibernahmen die Filmtheoretiker bald die entsprechende voreilige Fragestellung. Aber die Schwierig- keiten, welche die Photographie der iiberkommenen Asthetik bereitet hatte, waren ein Kinderspiel gegen die, mit denen der Film sie erwartete. Daher die blinde Gewaltsamkeit, die die Anfange der Filmtheorie kennzeiclinet. So vergleicht Abel Gance z. B. den Film mit den Hieroglyphen: »Da sind wir denn, infolge einer hochst merkwiirdigen Ruckkehr ins Dage- wesene, wieder auf der Ausdrucksebene der Agypter ange- langt . . . Die Bildersprache ist nodi nicht zur Reife gediehen, weil unsere Augen ihr nodi nicht gewachsen sind. Noch gibt es nicht genug Aditung, nicht genug Kult fur das was sich in ihr ausspricht.« 13 Oder Severin-Mars schreibt: »Welcher Kunst war ein Traum beschieden, der . . . poetischer und realer zugleich gewesen ware! Von solchem Standpunkt betrachtet wurde der Film ein ganz unvergleichliches Ausdrucksmittel darstellen, und es diirften in seiner Atmosphare sich nur Personen adligster Denkungsart in den vollendetsten und geheimnisvollsten Augen- 13 Abel Gance, 1. c. (S. 478), p. 100/101. seiner technischen Reproduzierbarkeit 487 blicken ihrer Lebensbahri bewegen.« 14 Alexandre Arnoux sei- nerseits beschliefit eine Phantasie iiber den stummen Film geradezu mit der Frage: »Sollten nicht all die gewagten Beschrei- bungen, deren wir uns hiermit bedient haben, auf die Defini- tion des Gebets hinauslaufen?« 15 Es ist sehr lehrreidi zu sehen, wie das Bestreben, den Film der »Kunst« zuzuschlagen, diese Theoretiker notigt, mit einer Riicksichtslosigkeit ohnegleichen kultische Elemente in ihn hineinzuihterpretieren. Und dodi waren zu der Zeit, da diese Spekulationen veroffentlicht wur- den, schon Werke vorhanden wie »L'Opinion publique« und »La ru£e vers Por«. Das hindert Abel Gance nicht, den Ver- gleich mit den Hieroglyphen heranzuziehen, und SeVerin- Mars spridit vom Film wie man von Bildern des Fra Angelico sprechen konnte. Kennzeidinend ist, dafi audi heute nodi beson- ders reaktionare Autoren die Bedeutung des Films in der glei- chen Richtung suchen und wenn nidit geradezu im Sakralen so doch im Obernatiirlichen. Anlafilich der Reinhardtschen Ver- filmung des Sommernachtstraums stellt Werfel fest, dafi es un- zweifelhaft die sterile Kopie der Aufienwelt mit ihren Strafien, Interieurs, Bahnhofen, Restaurants, Autos und Strandplat- zen sei, die bisher dem Aufschwung des Films in das Reich der Kunst im Wege gestanden hatte. »Der Film hat seinen wahren Sinn, seine wirklichen Moglichkeiten noch nicht erfafit ... Sie bestehen in seinem einzigartigen Vermogen, mit natiirlichen Mitteln und mit unvergleichlicher Uberzeugungskraft das Feen- hafte, Wunderbare, Obernaturliche zum Ausdruck zu brin- gen.« 16 VIII Definitiv wird die Kunstleistung des Biihnenschauspielers dem Publikum durch diesen selbst in eigener Person prasentiert; da- gegen wird die Kunstleistung des Filmdarstellers dem Publikum durch eine Apparatur prasentiert. Das letztere hat zweierlei 14 cit. Abel Gance, 1. c. (S. 478), p. 100. 15 Alexandre Arnoux: Cine'ma. Paris 1929, p. 28. 16 Franz Werfel: Ein Sommernachtstraum. Ein Film von Shakespeare und Reinhardt. »Neues Wiener Journal*, cit. Lu, 15 novcmbre 1935. 488 Das Kunstwerk im Zeitalter zur Folge. Die Apparatur, die die Leistung des Filmdarstellers vor das Publikum bringt, ist nicht gehalten, diese Leistung als Totalitat zu respektieren. Sie nimmt unter Fiihrung des Kame- ramannes laufend zu dieser Leistung Stellung. Die Fqlge von Stellungnahmen, die der Cutter aus dem ihm abgelieferten Material komponiert, bildet den fertig montierten Film. Er umfafit eine gewisse Anzahl von Bewegungsmomenten, die als solche der Kamera erkannt werden miissen -*■ von Spezialein- stellungen wie Grofiaufnahmen zu schweigen. So wird die Lei- stung des Darstellers einer Reihe von optischen Tests unterwor- fen. Dies ist die erste Folge des Umstands, dafi die Leistung des Filmdarstellers durch die Apparatur vorgefuhrt wird. Die zwei- te Folge beruht darauf , dafi der Filmdarsteller, da er nicht selbst seine Leistung dem Publikum prasentiert, die dem Biihnen- schauspieler vorbehaltene Moglichkeit einbiifit, die Leistung wahrend der Darbietung dem Publikum anzupassen. Dieses kommt dadurch in die Haltung eines durch keinerlei personli- chen Kontakt mit dem Darsteller gestorten Begutachters. Das Publikum fuhlt sich in den Darsteller nut ein, indem es sich in den Apparat ein fuhlt. Es Ubernimmt also dessen Haltung: es testet 17 . Das ist keine Haltung, der Kultwerte ausgesetzt wer- den konnen. IX Dem Film kommt es viel weniger darauf an, dafi der Darsteller dem Publikum einen anderen, als dafi er der Apparatur sich 17 »Der Film . . . gibt(oder konnte geben): verwendbareAufschlusse uber mensdiliche Handlungen im Detail . . . Jede Motivierung aus dem Charakter unterblcibt, das Innenleben der Personen gibt niemals die Hauptursadie und ist selten das hauptsach- liche Resultat der Handlung*. (Bredit, 1, c. (S. 484), p. 16S.) Die Erweiterung des Feldes des Testierbaren, die die Apparatur am Filmdarsteller zustandebringt, ent- spricht der aufierordentlichen Erweiterung des Feldes des Testierbaren, die durdi die okonomischen Umstande fiir das Individuum eingetreten ist. So wachst die Bedeutung der Bemfseignungsprufungen dauernd. In der Berufseignungspriifung kommt es auf Ausschnitte aus der Leistung des Individuums an. Filmaufnahme und Berufseignungs- priifung gehen vor einem Gremium von Fachleuten vor sich. Der Aufnahmeleiter im Filmatelier steht genau an der Stelle, an der bei der Eignungspriifung der Versuchs- leiter steht. seiner tedinischen Reproduzierbarkeit 489 selbst darstellt. Einer der ersten, der diese Umanderung des t)arstellers durcii die Testleistung gespiirt hat, ist Pirandello gewesen. Es beeintrachtigt die Bemerkungen, die er in seinem Roman »Es wird gefilmt« dariiber macht, nur wenig, dafi sie sich darauf beschranken, die negative Seite der Sache hervorzu- heben. Nodi weniger, dafi sie an den stummen Film anschliefien. Denn der Tonfilm hat an dieser Sadie nidits Grundsatzliches geandert. Entsdieidend bleibt, dafi fur eine Apparatur - oder, im Fall des Tonfilms, fur zwei - gespielt wird. »Der Filmdar- steller«, schreibt Pirandello, »fiihlt sidi wie im ExiL Exiliert nicht nur von der Biihne, sondernvon seiner eigenen Person. Mit einem dunklen Unbehagen spurt er die unerklarliche Leere, die dadurdi entsteht, dafi sein Korper zur Ausfallserscheinung wird, dafi er sich verfluchtigt und seiner Realitat, seines Lebens, seiner Stimme und der Gerausche, die er verursacht, indem er sidi riihrt, beraubt wird, um sich in ein stummes Bild zu ver- wandeln, das einen Augenblick auf der Leinwand zittert und sodann in der Stille verschwindet . . . Die kleine Apparatur wird mit seinem Schatten vor dem Publikum spielen; und er selbst mufi sich begniigen, vor ihr zu spielen.« 18 Man kann den gleichen Tatbestand folgendermafien kennzeichnen: zum ersten Mai - und das ist das Werk des Films - kommt der Mensch in die Lage, zwar mit seiner gesamten lebendigen Person aber un- ter Verzicht auf deren Aura wirken zu miissen. Denn die Aura ist an sein Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr. Die Aura, die auf der Biihne um Macbeth ist, kann von der nicht abgelost werden, die fur das lebendige Publikum um den Schauspieler ist, welcher ihn spielt. Das Eigentumliche der Auf- nahme im Filmatelier aber besteht darin, dafi sie an die Stelle des Publikums die Apparatur setzt. So mufi die Aura, die um den Darstellenden ist, fortfallen - und damit zugleich die um den Dargestellten. Dafi gerade ein Dramatiker, wie Pirandello, in der Charak- teristik des Films unwillkurlich den Grund der Krise beriihrt, von der wir das Theater befallen sehen, ist nicht erstaunlich. Zu dem restlos von der tedinischen Reproduktion erfafiten, ja - wie der Film - aus ihr hervorgehenden Kunstwerk gibt es in 18 Luigi Pirandello: On tourne, cit. Leon Pierre-Quint: Signification du cinema, in: L'art cinematograph ique II, 1. c. spielt< . . . Die letzte Entwicklung« sieht Arnheim 1932 darin, »den Schauspieler wie ein Requisit zu behandeln, das man charakteristisch auswahlt und ... an der richtigen Stelle einsetzt.« 19 Damit hangt aufs Engste etwas anderes zusammen. Der Schauspieler, der auf der Biihne agiert, versetzt sich in eine Rolle. Dem Filmdarsteller ist das sehr oft versagt. Seine Leistung ist durchaus keine einheitliche, sondern aus vielen einzelnen Leistungen zusammengestellt. Neben zu- falligen Rucksichten auf: Ateliermiete, Verfugbarkeit von Part- nern, Dekor usw., sind es elementare Notwendigkeiten der Maschinerie, die das Spiel des Darstellers in eine Reihe montier- barer Episoden zerfallen. Es handelt sich vor allem um die 19 Rudolf Arnheim: Film als Kunst. Berlin 1932, p. 176/177. - Gewisse scheinbar nebensachliche Einzelheiten, mit denen der Filmregisseur sidi von den Praktiken der Biihne entfernt, gewinnen in diesem Zusammenhang ein erhdhtes Interesse. So der Versuch, den Darsteller ohne Schminke spielen zu lassen, wie unter anderen Dreyer ihn in der Jeanne d'Arc durdifuhrt. Er verwendete Monate darauf, die einigen vierzig Darsteller ausfindig zu machen, aus denen das Ketzergeridit sidi zusammen- setzt. Die Suche nadi diesen Darstellern glidi der nadi schwer beschaffbaren Requisi- ten. Dreyer verwandte die grofite Miihe darauf, Ahnlidikeiten des Alters, der Statur, der Physiognomie zu vermeiden. (cf. Maurice Schultz: Le maquillage, in: L'art cinimatographique VI, Paris 1929, p. 65/66.) Wenn der Schauspieler zum Requisit wird, so fungiert auf der andern Seite das Requisit nicht selten als Schauspieler. Jedenfalls ist es nichts Ungewohnliches, dafi der Film in die Lage kommt, dem Requisit eine Rolle zu leihen. Anstatt beliebige Beispiele aus einer unendlichen Fiille herauszugreifen, halten wir uns an eines von besonderer Beweiskraft. Eine in Gang befindliche Uhr wird auf der Buhne immer nur storend wirken. Ihre Rolle, die Zeit zu messen, kann ihr auf der Biihne nicht eingeraumt werden. Die astronomische Zeit wiirde audi in einem naturalistischen Stiick mit der szenischert kollidieren. Unter diesen Umstanden ist es fiir den Film hochst bezeichnend, dafi er bei Gelegenheit ohne weiteres eine Zeitmessung nach der Uhr verwerten kann. Hieran mag man deutlicher als an manchen anderen Ziigen erkennen, wie unter Umstanden jedes ein- zelne Requisit entscheidende Funktionen in ihm iibernehmen kann. Von hier 1st es nur ein Schritt bis zu Pudowkins Feststellung, dafi »das Spiel des Darstellers, das mit einem Gegenstand verbunden und auf ihm aufgebaut ist, . . . stets eine der starksten Methoden filmischer Gestaltung* ist. (W. Pudowkin: Filmregie und Filmmanuskript. [Biicher der Praxis, Bd. 5] Berlin 1928, p. 126.) So ist der Film das erste Kunstmittel, das in der Lage ist zu zeigen, wie die Materie dem Menschen mitspielt. Er kann daher ein hervorragendes Instrument materialistischer Darstellung sein. seiner technischen Reproduzierbarkeit 491 Beleuchtung, deren Installation die Darstellung eines Vorgangs, der auf der Leinwand als einheitlicher gesdiwinder Ablauf er- scheint, in einer Reihe einzelner Aufnahmen zu bewaltigen zwingt, die sich im Atelier unter Umstanden iiber Stunden ver- teilen. Von handgreiflicheren Montagen zu schweigen. So kann ein Sprung aus dem Fenster im Atelier in Gestalt eines Sprungs vom Geriist gedreht werden, die sich anschliefiende Flucht aber gegebenenfalls wochenlang spater bei einer Aufienaufnahme. Im ubrigen ist es ein Leichtes, noch weit paradoxere Falle zu konstruieren. Es kann, nach einem Klopfen gegen die Tur, vom Darsteller gefordert werden, dafi er zusammenschrickt. Vielleicht ist dieses Zusammenfahren nicht wunschgemafi ausgefallen. Da kann der Regisseur zu der Auskunft greifen, gelegentlich, wenn der Darsteller wieder einmal im Atelier ist, ohne dessen Vor- wissen in seinem Riicken einen Schufi abfeuern zu lassen. Das Erschrecken des Darstellers in diesem Augenblick kann aufge- nommen und in den Film montiert werden. Nichts zeigt drasti- scher, dafi die Kunst aus dem Reich des »sdionen Scheins« ent- wichen ist, das solange als das einzige gait, in dem sie gedeihen konne. Das Befremden des Darstellers vor der Apparatur, wie Piran- dello es schildert, ist von Haus aus von der gleichen Art wie das Befremden des Menschen vor seiner Erscheinung im Spiegel. Nun aber ist das Spiegelbild von ihm ablosbar, es ist transpor- tabel geworden. Und wohin wird es transportiert? Vor das Publikum 20 . Das Bewufitsein davon verlafit den Filmdarsteller 20 Die hier konstatierbare Veranderung der Ausstellungsweise durdi die Reproduk- tionstechnik madit sich audi in der Politik bemerkbar. Die heutige Krise der burgerlichen Demokratien sdiliefit eine Krise der Bedingungen ein, die fur die Ausstellung der Regierenden maflgebend sind. Die Demokratien stellen den Regieren- den unmittelbar in eigener Person und zwar vor Reprasentanten aus. Das Parlament ist sein Publikum! Mit den Neuerungen der Aufnahmeapparatur, die es erlauben, den Redenden w ah rend der Rede unbegrenzt vielen vernehmbar und kurz darauf unbe- grenzt vielen siditbar zu madien, tritt die Ausstellung des politisoSen Menschen vor dieser Aufnahmeapparatur in den Vordergrund. Es veroden die Parlamente gleich- zeitig mit den Theatern. Rundfunk und Film verandern nicht nur die Funktion des 492 Das Kunstwerk im Zeitalter nicht einen Augenblick. Der Filmdars teller weijl, wahrend er vor der Apparatur $teht> hat er es in letzter Instanz mit dem Publikum zh tun: dem Publikum der Abnehmer, die den Markt bilden. Dieser Markt, auf den er sich nicht nur mit seiner Ar- beitskraft, sondern mit Haut und Haaren, mit Herz und Nieren begibt, ist ihm im Augenblick seiner fur ihn bestimmten Lei- stung ebensowenig greifbar, wie irgendeinem Artikel, der in einer Fabrik gemacht wird. Sollte dieser Umstand nicht seinen Anteil an der Beklemmung, der neuen Angst haben, die, nach Pirandello, den Darsteller vor der Apparatur befallt? Der Film antwortet auf das Einschrumpfen der Aura mit einem kiinst- lichen Aufbau der »personality« aufierhalb des Ateliers. Der vom Filmkapital geforderte Starkuhus konserviert jenen Zau- ber der Personlichkeit, der schon langst nur noch im fauligen Zauber ihres Warencharakters besteht. Solange das Filmkapital den Ton angibt, lafit sich dem heutigen Film im allgemeinen kein anderes revolutionares Verdienst zuschreiben, als eine revolutionare Kritik der iiberkommenen Vorstellungen von Kunst zu befordern. Wir bestreiten nicht, dafi der heutige Film in besonderen Fallen dariiber hinaus eine revolutionare Kritik an den gesellschaftlichen Verhaltnissen, ja an der Eigentumsord- nung befordern kann. Aber darauf liegt der Schwerpunkt der gegenwartigen Untersuchung ebenso wenig wie der Schwerpunkt der westeuropaischen Filmproduktion darauf liegt. Es hangt mit der Technik des Films genau wie mit der des Sports zusammen, dafi jeder den Leistungen, die sie ausstellen, als halber Fachmann beiwohnt. Man braucht nur einmal eine Gruppe von Zeitungsjungen, auf ihre Fahrrader gestiitzt, die Ergebnisse eines Radrennens diskutieren gehort zu haben, um sich das Verstandnis dieses Tatbestandes zu eroffnen. Nicht um- sonst veranstalten Zeitungsverleger Wettfahrten ihrer Zeitungs- jungen. Diese erwecken grofies Interesse unter den Teilnehmern. Denn der Sieger in diesen Veranstaltungen hat eine Chance, professionellen Darstellers, sondern genau so die Funktion dessen, der, wie es die Regierenden tun, sich selber vor ihnen darscellt. Die Ricfatung dieser Veranderung isc, unbeschadet ihrer verschiedenen Spezialaufgaben, die gleiche beim Filmdarsteller und beim Regierenden. Sie erstrebt die Aufstellung prtifbarer, ja ubernehmbarer Leistun- gen unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen. Das ergibt eine neue Auslcse, eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Star und der Diktator als Sieger hervor- gehen. seiner technischen Reproduzierbarkeit 493 vom Zeitungsjungen zum Rennfahrer aufzusteigen. So gibt zum Beispiel die Wochenschau jedem eine Chance, vom Passanten zum Filmstatisten aufzusteigen. Er kann sich dergestalt unter Umstanden sogar in ein Kunstwerk - man denke an Wertoffs »Drei Lieder um Lenin « oder Ivens »Borinage« - versetzt sehen. Jeder heutige Mensch kann einen Anspruch vorbringen, gefilmt zu werden. Diesen Anspruch verdeutlicht am besten ein Blick auf die geschichtliche Situation des heutigen Schrifttums. Jahrhunderte lang lagen im Schrifttum die Dinge so, dafi einer geringen Zahl von Schreibenden eine vieltausendfache Zahl von Lesenden gegeniiberstand. Darin trat gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Wandel ein. Mit der wachsenden Ausdehnung der Presse, die immer neue politische, religiose, wissenschaftliche, berufliche, lokale Organe der Leserschaft zur Verfugung stellte, gerieten immer grofiere Teile der Leserschiaft — zunachst fall- weise - unter die Schreibenden. Es begann damit, dafi die Ta- gespresse ihnen ihren »Briefkasten« eroffnete, und es liegt heute so, dafi es kaum einen im Arbeitsprozefi stehenden Europaer gibt, der nicht grundsatzlich irgendwo Gelegenheit zur Publika- tion einer Arbeitserfahrung, einer Beschwerde, einer Reportage oder dergleichen finden konnte. Damit ist die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im BegrifF, ihren grundsatzlichen Charakter zu verlieren. Sie wird eine funktionelle, von Fall zu Fall so oder anders verlaufende. Der Lesende ist jederzeit be- reit, ein Schreibender zu werden. Als Sachverstandiger, der er wohl oder libel in einem aufierst spezialisierten Arbeitsprozefi werden mufite - sei es auch nur als Sachverstandiger einer ge- ringen Verrichtung -, gewinnt er einen Zugang zur Autorschaft. In der Sovjetunion kommt die Arbeit selbst zu Wort. Und ihre Darstellung im Wort macht einen Teil des Konnens, das zu ihrer Ausiibung erforderlich ist. Die literarische Befugnis wird nicht mehr in der spezialisierten, sondern in der polytechnischen Aus- bildung begnindet, und so Gemeingut 21 . 21 Der PrivilegienAarakter der betreffenden TeAniken geht verloren. Aldous Hux- ley schreibt: »Die technisAcn Fortsdiritte haben . . . zur Vulgaritat gefiihrt . . . die tech nische Reproduzierbarkeit und die Rotationspresse haben eine unabsehbare Vervielfaltigung von Sdiriften und Bildern ermoglicht. Die allgemeine Schulbildung und die verhaltnismafiig hohen Gehalter haben ein sehr "grofies Publikum gesdiaffen, das lesen kann und Lesestoff und Bildmaterial sich zu verschaffen vermag. Um diese 494 E* as Kunstwerk im Zeitalter Alles das lafit sich ohne weiteres auf den Film iibertragen, wo Verschiebungen, die im Schrifttum Jahrhunderte in Anspruch genommen haben, sich im Laufe eines Jahrzehnts vollzogen. Denn in der Praxis des Films - vor allem der russischen - ist diese Verschiebung stellenweise bereits verwirklicht worden. Ein Teil der im russischen Film begegnenden Darsteller sind nicht Darsteller in unserem Sinn, sondern Leute, die sich - und zwar in erster Linie in ihrem Arbeitsprozefi - darstellen. In West- europa verbietet die kapitalistische Ausbeutung des Films dem legitimen Anspruch, den der heutige Mensch auf sein Reprodu- ziertwerden hat, die Beriicksichtigung. Unter diesen Umstanden hat die Filmindustrie alles Interesse, die Anteilnahme der Mas- sen durch illusionare Vorstellungen und durch zweideutige Spekulationen zu stacheln. bcreitzustellen, hat sich eine bedeutende Industrie etabliert. Nun aber ist kiinstlerische Begabung etwas sehr Seltenes; daraus folgt . . . , dafi zu jeder Zeit und an alien Orten der uberwiegende Teil der kiinstlerischen Produktion minderwertig gewesen ist. Heute aber ist der Prozentsatz des Abhubs in der kiinstlerischen Gesamtproduk- tion grofier als er es je vorher gewesen ist , . . Wir stehen hier vor einem einfachen arithmetischen Sachverhalt. Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Bevolkerung Westeuropas etwas iiber das Doppelte vermehrt. Der Lese- und Bild- stoff aber ist, wie ich schatzen mochte, mindestens im Verhaltnis von i zu 20, vielleicht aber auch zu 50 oder gar zu 100 gewachsen. Wenn eine Bevolkerung von x Millionen n kiinstlerische Talente hat, so wird eine Bevolkerung von 2x Millionen wahrscheinlich in kiinstlerische Talente haben. Nun lafit sich die Situation folgender- mafien zusammenfassen. Wenn vor 100 Jahren eine Druckseite mit Lese- und Bild- stoff veroffentlicht wurde, so veroffentlicht man dafur heute zwanzig, wenn nicht hundert Seiten. Wenn andererseits vor hundert Jahren ein kiinstlerisches Talent existierte, so existieren heute an dessen Stelle zwei. Ich gebe zu, dafi infolge der allgemeinen Schulbildung heute eine grofie Anzahl virtueller Talente, die ehemals nicht zur Entfaltung ihrer Gaben gekommen waren, produktiv werden konnen. Setzen wir also . . . , dafi heute drei oder selbst vier kiinstlerische Talente auf ein kiinstlerisches Talent von ehedem kommen. Es bleibt nichtsdestoweniger unzweifel- haft, dafi der Konsum von Lese- und Bildstoff die natiirliche Produktion an begabten Schriftstellern und begabten Zeichnern weit iiberholt hat. Mit dem Horstoff steht es nicht anders. Prosperitat, Gramraophon und Radio haben ein Publikum ins Leben gerufen, dessen Konsum an Horstoffen aufier allem Verhaltnis zum Anwachsen der Bevolkerung und demgemaS zum normalen Zuwachs an talentierten Musikern steht. Es ergibt sich also, dafi in alien Kiinsten, sowohl absolut wie verhaltnismafiig gespro- chen, die Produktion von Abhub grofier ist als sie es friiher war; und so mufi es bleiben, so lange die Leute fortfahren so wie derzeit einen un verhaltnismafiig grofien Konsum an Lese-, Bild- und Horstoff zu iiben.« (Aldous Huxley: Croisiere d'hiver. Voyage en Amenque Centrale (1933) [Traduction de Jules Castier]. Paris 1935, p. 273-275.) Diese Betrachtungsweise ist offenkundig nicht fortschrittlich. seiner technischen Reproduzierbarkeit 495 XI Eine Film- und besonders eine Tonfilmaufnahme bietet einen Anblick, wie er vorher nie und nirgends denkbar gewesen ist. Sie stellt einen Vorgang dar, dem kein einziger Standpunkt mehr zuzuordnen ist, von dem aus die zu dem Spielvorgang als sol- chen nicht zugehorige Aufnahmeapparatur, die Beleuchtungs- maschinerie, der Assistentenstab usw. nicht in das Blickf eld des Beschauers fiele. (Es sei derin, die Einstellung seiner Pupille stimme mit der des Aufnahmeapparats iiberein.) Dieser Um- stand, er mehr als jeder andere, macht die etwa bestehenden Ahnlichkeiten zwisdien einer Szene im Filmatelier und auf der Buhne zu oberflachlichen und belanglosen. Das Theater kennt prinzipiell die Stelle, von der aus das Geschehen nicht ohne weiteres als illusionar zu durchschauen ist. Der Aufnahmeszene im Film gegeniiber gibt es diese Stelle nicht. Dessen illusionare Natur ist eine Natur zweiten Grades; sie ist ein Ergebnis des Schnitts. Das heifk: Im Filmatelier ist die Apparatur derart tief in die Wirklichkeit eingedrungen, dap deren reiner, vom Fremdkorper der Apparatur freier Aspekt das Ergebnis einer besonderen Prozedur, namlich der Aufnahme durch den eigens eingestellten photographischen Apparat und ihrer Montierung mit anderen Aufnahmen von der gleichen Art ist. Der apparat- freie Aspekt der Realitat ist hier zu ihrem kunstiichsten gewor- den und der Anblick der unmittelbaren Wirklichkeit zur blauen Blume im Land derTechnik. Der gleiche Sachverhalt, der sich so gegen den des Theaters ab- hebt, lafk sich noch aufschlufireicher mit dem konfrontieren, der in der Malerei vorliegt. Hier haben wir die Frage zu stellen: wie verhalt sich der Operateur zum Maler? Zu ihrer Beantwor- tung sei eine Hilf skonstruktion gestattet, die sich auf den Begriff des Operateurs stiitzt, welcher von der Chirurgie her gelaufig ist. Der Chirurg stellt den einen Pol einer Ordnung dar, an deren anderm der Magier steht. Die Haltung des Magiers, der einen Kranken durch Auflegen der Hand heilt, ist verschieden von der des Chirurgen, der einen Eingriff in den Kranken vor- nimmt. Der Magier erhalt die natiirliche Distanz zwischen sich und dem Behandelten aufrecht; genauer gesagt: er vermindert sie - kraft seiner aufgelegten Hand - nur wenig und steigert 49^ Das Kunstwerk im Zeitalter sie - kraft seiner Autoritat - sehr. Der Chirurg verfahrt umge- kehrt: er vermindert die Distanz zu dem Behandelten sehr - indem er in dessen Inneres dringt - und er vermehrt sie nur wenig - durch die Behutsamkeit, mit der seine Hand sich unter den Organen bewegt. Mit einem Wort: zum Unterschied vom Magier (der auch noch im praktischen Arzt steckt) verzichtet der Chirurg im entscheidenden Augenblick darauf, seinem Kranken von Mensch zu Mensch sich gegeniiber zu stellen; er dringt viel- mehr operativ in ihn ein. - Magier und Chirurg verhalten sich wie Maler und Kameramann. Der Maler beobachtet in seiner Arbeit eine natiirliche Distanz zum Gegebenen, der Kamera- mann dagegen dringt tief ins Gewebe der Gegebenheit ein 22 . Die Bilder, die beide davontragen, sind ungeheuer verschieden. Das des Malers ist ein totales, das des Kameramanns ein viel- faltig zerstlickeltes, dessen Teile sich nach einem neuen Gesetze zusammen finden. So 1st die filmische Darstellung der Realit'dt fur den heutigen Menschen datum die unvergleichlich bedeutungsvol- lere, well sie den apparatfreien Aspekt der Wirklichkeit, den er vom Kunstwerk zu fordern berechtigt ist y gerade aufGrund ihrer intensivsten Durchdringung mit der Apparatur gewahrt. XII Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks ver'dndert das Verhaltnis der Masse zur Kunst. Aus dem ruckstdndigsten y z. B. einem Picasso gegeniiber, schlagt es in das fortschrittlicbste, 22 Die Kuhnheiten des Kameramanns sind in der Tat denen des chirurgischen Operateurs vergleichbar. Luc Durtain fiihrt in einem Verzeichnis spezifisch gestischer Kunststiicke der Technik diejenigen auf, »die in der Chirurgie bei gewissen schwieri- gen Eingriffen erforderlich sind. Ich wahle als Beispiel einen Fall aus der Oto- Rhino-Laryngologie . . .; ich meinc das sogenannte endonasale Perspektiv-Ver- fahren; oder ich welse auf die akrobatischen Kunststiicke hin, die, durch das umgekehrtc Bild im Kehlkopf Spiegel geleitet, die Kehlkopf chirurgie auszufuhren hat; ich konnte audi von der an die Prazisionsarbeit von Uhrmachern erinnernde Ohrenchirurgie sprechen. "Welch reiche Stufenfolge subtilster Muskelakrobatik wird nicht von dem Mann gefordert, der den menschlichen Korper rcparieren oder ihn retten will, man denke nur an die Staroperation, bei der es gleichsam eine Debatte des Stahls mit beinahe flussigen Gewebeteilen gibt, oder an die bedeutungsvollen Eingriffe in die Weichgegend (Laparotomie).« (Luc Durtain: La technique et I'homme, in: Vendredi, 13 mars 1936, No. 19.) seiner technischen Reproduzierbarkeit 497 2. B. angesichts eines Chaplin, urn. Dabei ist das fortschrittliche Verhalten dadurch gekennzeichnet, dafi die Lust am Schauen und am Erleben in ihm eine unmittelbare und innige Verbin- dung mit der Haltung des fachmannischen Beurteilers eingeht. Soldie Verbindung ist ein wichtiges gesellschaftliches Indizium. Je mehr namlich die gesellschaftliche Bedeutung einer Kunst sich vermindert, desto mehr fallen - wie das deutlich angesichts der Malerei sich erweist - die kritische und die geniefiende Haltung im Publikum auseinander. Das Konventionelle wird kritiklos genossen, das wirklich Neue kritisiert man mit Widerwillen. Im Kino fallen kritische und geniefiende Haltung des Publikums zusammen. Und zwar ist der entscheidende Umstand dabei: nirgends mehr als im Kino erweisen sich die Reaktionen der Einzelnen, deren Summe die massive Reaktion des Publikums ausmacht, von vornherein durch ihre unmittelbar bevorstehende Massierung bedingt. Und indem sie sich kundgeben, kontrollie- ren sie sich. Audi weiterhin bleibt der Vergleich mit der Malerei dienlich. Das Gemalde hatte stets ausgezeichneten Anspruch auf die Betrachtung durch Einen oder durch Wenige. Die simultane Betrachtung von Gemalden durch ein grofies Publikum, wie sie im neunzehnten Jahrhundert aufkommt, ist ein friihes Sym- ptom der Krise der Malerei, die keineswegs durch die Photo- graphic allein, sondern relativ unabhangig von dieser durch den Anspruch des Kunstwerks auf die Masse ausgelost wurde. Es liegt eben so, dafi die Malerei nicht imstande ist, den Gegen- stand einer simultanen Kollektivrezeption darzubieten, wie es von jeher fiir die Architektur, wie es einst fiir das Epos zutraf, wie es heute fiir den Film zutrifTt. Und so wenig aus diesem Umstand von Haus aus Schliisse auf die gesellsdiaftliche Rolle der Malerei zu ziehen sind, so fallt er doch in dem Augenblick als eine schwere Beeintrachtigung ins Gewicht, wo die Malerei durch besondere Umstande und gewissermafien wider ihre Na- tur mit den Massen unmittelbar konfrontiert wird. In den Kirchen und Klostern des Mittelalters und an den Furstenhofen bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts fand die Kollek- tivrezeption von Gemalden nicht simultan, sondern vielfach gestufl und hierarchisch vermittelt statt. Wenn das anders ge- worden ist, so kommt darin der besondere Konflikt zum Aus- druck, in welchen die Malerei durch die technische Reproduzier- 498 Das Kunstwerk im Zeitalter barkeit des Bildes verstrickt worden ist. Aber ob man audi unternahm, sie in Galerien und in Salons vor die Massen zu fiihren, so gab es doch keinen Weg, auf welchem die Massen in solche Rezeption sich selbst hatten organisieren und kontrollie- ren konnen 23 . So mufi eben dasselbe Publikum, das vor einem Groteskfilm fortschrittlich reagiert, vor dem Surrealismus zu einem riickstandigen werden. XIII Seine Charakteristika hat der Film nicht nur in der Art, wie der Mensch sich der Aufnahmeapparatur, sondern wie er mit deren Hilfe die Umwelt sich darstellt. Ein Blick auf die Lei- stungspsychologie illustriert die Fahigkeit der Apparatur zu testen. Ein Blick auf die Psychoanalyse illustriert sie von ande- rer Seite. Der Film hat unsere Merkwelt in der Tat mit Metho- den bereichert, die an denen der Freudschen Theorie illustriert werden konnen. Eine Fehlleistung im Gesprach ging vor f unfzig Jahren mehr oder minder unbemerkt voriiber. Dafi sie mit einem Male eine Tiefenperspektive im Gesprach, das vorher vordergriindig zu verlaufen schien, eroffnete, diirfte zu den Ausnahmen gezahlt haben. Seit der »Psychopathologie des Alltagslebens« hat sich das geandert. Sie hat Dinge isoliert und zugleich analysierbar gemacht, die vordem unbemerkt im brei- ten Strom des Wahrgenommenen mitschwammen. Der Film hat in der ganzen Breite der optischen Merkwelt, und nun audi der akustischen, eine ahnliche Vertiefung der Apperzeption zur Folge gehabt. Es ist nur die Kehrseite dieses Sachverhalts, dafl die Leistungen, die der Film vorfiihrt, viel exakter und unter 23 Diese Betrachtungsweise mag plump anmuten; aber wie der grofie Theoretiker Leonardo zeigt, konnen plumpe Betrachtungsweisen zu ihrer Zeit wohl herangezogen werden. Leonardo vergleicht die Malerei und die Musik mit folgenden Worten: »Die Malerei ist der Musik deswegen iiberlegen, weil sie ntdit sterben mufi, sobald sie ins Leben gerufen ist, wie das der Fall der ungliicklkhen Musik ist . . . Die Musik, die sich verfluditigt, sobald sie entstanden ist, steht der Malerei nach, die mit dem Ge- brauch des Fimis ewig geworden ist.* ([Leonardo da Vinci: Frammenti letterarii e filosofici] cit. Fernand Baldensperger: Le raffermissement des techniques dans la litt^rature occidentale de 1840, in: Revue de Literature Compare, XV/I, Paris 1935, p. 79 [Anm. x ].) seiner technischen Reproduzierbarkeu 499 viel zahlreicheren Gesichtspunkten analysierbar sind, als die Leistungen, die auf dem Gemalde oder auf der Szene sich dar- stellen. Der Malerei gegeniiber ist es die unvergleichlich genauere Angabe der Situation, die die grofiere Analysierbarkeit der im Film dargestellten Leistung ausmacht. Der Szene gegeniiber ist die grofiere Analysierbarkeit der filmisch dargestellten Leistung durch eine hohere Isolierbarkeit bedingt. Dieser Umstand hat, und das macht seine Hauptbedeutung aus, die Tendenz, die gegenseitige Durchdringung von Kunst und Wissenschaft zu befordern. In der Tat lafit sich von einem innerhalb einer be- stimmten Situation sauber - wie ein Muskel an einem Korper - herauspraparierten Verhalten kaum mehr angeben, wodurch es starker fesselt: durch seinen artistischen Wert oder durch seine wissenschaftliche Verwertbarkeit. Es wird eine der revolutiona- ren Funktionen des Films sein, die kiinstlerische und die wissen- schaftliche Verwertung der Photographie, die vordem meist auseinander fielen } als identisch erkennhar zu machen 24 . Indem der Film durch Grofiaufnahmen aus ihrem Inventar, durch Betonung versteckter Details an den uns gelaufigen Re- quisite^ durch Erforschung banaler Milieus unter der genialen Fiihrung des Objektivs, auf der einen Seite die Einsicht in die Zwangslaufigkeiten vermehrt, von denen unser Dasein regiert wird, kommt er auf der anderen Seite dazu, eines ungeheuren und ungeahnten Spielraums uns zu versichern! Unsere Kneipen und Grofistadtstrafien, unsere Biiros und moblierten Zimmer, unsere Bahnhofe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzu- schliefien. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daft wir nun zwi- 24 Suchen wir zu dieser Situation cine Analogie, so eroffnet sich eine aufsdilufireiche in der Renaissancemalerei. Auch da begegnen wir einer Kurist, deren unvergleicfalidier Aufschwung und deren Bedeutung nicht zum wenigsten darauf beruht, dafi sie eine Anzahl von neuen Wissenschaften oder doch von neuen Daten der Wissenschaft integriert. Sie beansprucht die Anatomie und die Perspektive, die Mathematik, die Meteorologie und die Farbenlehre. »Was ist uns entlegener*, schreibt Vale'ry, »als der befremdlicbe Anspruch eines Leonardo, dem die Malerei ein oberstes Ziel und eine hochste Demonstration der Erkenntnis war, so zwar, dafi sie, seiner Oberzeugung nach, Allwissenheit forderte und er selbst nicht vor einer theoretischen Analyse zuriickschreckte, vor welcher wir Heutigen ihrer Tiefe und ihrer Prazision wegen fassungslos dastehen.« (Paul Valery: Pieces sur l'art, I. c. (S. 475), p. 191, »Autour de Corot«.) joo Das Kunstwerk im Zeitalter schen ihren weitverstreuten Triimmern gelassen abenteuerllche Reisen unternehmen. Unter der Grofiaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung. Und so wenig es bei der Vergrofierung sich urn eine blofie Verdeutlichung dessen handelt, was man »ohnehin« undeutlich sieht, spndern vielmehr vollig neue Strukturbildungen der Materie zum Vorschein kom- men, so wenig bringt die Zeitlupe nur bekannte Bewegungs- motive zum Vorschein, sondern sie entdeckt in diesen bekannten ganz unbekannte, »die gar nicht als Verlangsamungen schneller Bewegungen sondern als eigentumlich gleitende, schwebende, iiberirdische wirken.« 25 So wird handgreiflich, dafi es eine andere Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht. Anders vor allem dadurch, dafi an die Stelle eines vom Men- schen mit Bewufitsein durchwirkten Raums ein unbewufit durch- wirkter tritt. 1st es schon ublich, dafi einer vom Gang der Leute, sei es auch nur im Groben, sich Rechenschaft ablegt, so weifi er bestimmt nichts von ihrer Haltung im Sekundenbruchteil des Ausschreitens. 1st uns schon im Groben der Griff gelaufig, den wir nach dem Feuerzeug oder dem Loffel tun, so wissen wir doch kaum von dem, was sich zwischen Hand und Metall dabei eigentlich abspielt, geschweige wie das mit den verschiedenen Verfassungen schwankt, in denen wir uns befinden. Hier greift die Kamera mit ihren Hilfsmitteln, ihrem Stiirzen und Steigen, ihrem Unterbrechen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raffen des Ablaufs, ihrem Vergrofiern und ihrem Verkleinern ein. Vom Optisch-Unbewufiten erfahren wir erst durch sie, wie von dem Triebhaft-Unbewufiten durch die Psychoanalyse. XIV Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst ge- wesen, eine Nachfrage zu erzeugen, fur deren voile Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist 26 . Die Geschichte jeder 25 Rudolf Arnheim, I. c. (S. 490)* p. 138. 26 »Das Kunstwerk«, sagt Andr^ Breton, »hat "Wert nur insofern als es von Reflexen der Zukunft durchzittert wird.« In der Tat stent jede ausgebildete Kunstform im Sdinittpunkt dreier Entwidtlungslinien. Es arbeitet namlich einmal die Tedinik auf eine bestimmte Kunstform hin. Ehe der Film auftrat, gab es Photobucfalein, deren seiner technischen Reproduzierbarkeit 501 Kunstform hat kritische Zeiten, in denen diese Form auf Effekte hindrangt, die sich zwanglos erst bei einem veranderten techni- schen Standard, d. h. in einer neuen Kunstform ergeben konnen. Die derart, zumal in den sogenannten Verfallszeiten, sich erge- benden Extravaganzen und Kruditaten der Kunst gehen in Wirklichkeit aus ihrem reichsten historischen Kraftezentrum hervor. Von solchen Barbarismen hat noch zuletzt der Dadais- mus gestrotzt. Sein Impuls wird erst jetzt erkennbar: Der Da- daismus versuchte, die Effekte, die das Publikum heute im Film suchty mit den Mitteln der Malerei (bzw. der Liter atur) zh er~ zeugen. Jede von Grand auf neue, bahnbrechende Erzeugung von Nach- fragen wird iiber ihr Ziel hinausschiefien. Der Dadaismus tut das in dem Grade, dafi er die Marktwerte, die dem Film in so ho- hem Mafie eignen, zugunsten bedeutsamerer Intentionen - die ihm selbstverstandlich in der hier beschriebenen Gestalt nicht bewufk sind - opfert. Auf die merkantile Verwertbarkeit ihrer Kunstwerke legten die Dadaisten viel weniger Gewicht als auf ihre Unverwertbarkeit als Gegenstande kontemplativer Ver- Bilder durch einen Daumendruck sdinell am Besthauer voriiberflitzend, einen Box- kampf oder ein Tennismatch vorfuhrten; es gab die Automaten in den Bazaren, deren Bilderablauf durdi eine Drehung der Kurbel hervorgerufen wurde. - Es arbeiten zweitens die iiber kommenen Kunstformen in gewissen Stadien ihrer Entwicklung angestrengt auf Effekte hin, welche spacer zwanglos von der neuen Kunstform er- zielt werden. Ehe der Film zur Geltung kam, suditen die Dadaisten durdi ihre Veranstaltungen eine Bewegung ins Publikum zu bringen, die ein Chaplin dann auf naturlidiere Weise hervorrief. - Es arbeiten drittens oft unsdieinbare» gesellschaftliche Veranderungen auf - eine Veranderung der Rezeption hin, die erst der neuen Kunst- form zugute kommt. Ehe der Film sein Publikum zu bilden begonnen hatte, wurden im Kaiserpanorama Bilder (die bereits aufgehort hatten, unbeweglich zu sein) von einem versammelten Publikum rezipiert. Dieses Publikum befand sich vor einem Paravant, in dem Stereoskope angebracht waren, deren auf jeden Besucher eines kam. Vor diesen Stereoskopen ersdiiencn automatisch einzelne Bilder, die kurz verharrten und dann anderen Platz machten. Mit ahnliohen Mitteln mufite nodi Edison arbeiten, als er den ersten Fihnstreifen (ehe man eine Filmleinwand und das Verfahren der Projektion kannte) einem kleinen Publikum vorfiihrte, das in den Apparat hinein- starrte, in welchem die Bilderfolge abrollte. - Obrigens kommt in der Einrichtung des Kaiserpanoramas besonders klar eine Dialektik der Entwicklung zum Ausdruck. Kurz ehe der Film die Bildbetrachtung zu einer kollektiven macht, kommt vor den Stereoskopen dteser schnell veralteten Etablissements die Bildbetrachtung durdi einen Einzelnen nodi einmal mit derselben Sdiarfe zur Geltung wie einst in der Betrachtung des Gotterbilds durdi den Priester in der cella. 502 Das Kunstwerk im Zeitalter senkung. Diese Unverwertbarkeit suchten sie nicht zum wenig- sten durch eine grundsatzliche Entwurdigung ihres Materials zu erreichen. Ihre Gedichte sind »Wortsalat«, sie enthalten obszone Wendungen und alien nur vorstellbaren Abfall der Sprache. Nicht anders ihre Gemalde, denen sie Knopfe oder Fahrscheine aufmontierten. Was sie mit solchen Mitteln erreichen, ist eine 1 rucksichtslose Vernichtung der Aura ihrer Hervorbringung, de- nen sie mit den Mitteln der Produktion das Brandmal einer Reproduktion aufdriicken. Es ist unmoglich, vor einem Bild von Arp oder einem Gedicht August Stramms sich wie vor einem Bild Derains oder einem Gedicht von Rilke Zeit zur Sammlung und Stellungnahme zu lassen. Der Versenkung, die in der Ent- artung des Burgertums eine Schule asozialen Verhaltens wurde, tritt die Ablenkung als eine Spielart sozialen Verhaltens gegen- iiber 27 . In der Tat gewahrleisteten die dadaistischen Kundge- bungen eine recht vehemente Ablenkung, indem sie das Kunst- werk zum Mittelpunkt eines Skandals machten. Es hatte vor allem einer Forderung Geniige zu leisten: offentliches Argernis zu erregen. Aus einem lockenden Augenschein oder einem uberredenden Klanggebilde wurde das Kunstwerk bei den Dadaisten zu einem Geschofi. Es stiefi dem Betrachter zu. Es gewann eine taktile Qualitat. Damit hat es die Nachfrage nach dem Film begun- stigt, dessen ablenkendes Element ebenfalls in erster Linie ein taktiles ist, namlich auf dem Wechsel der Schauplatze und Ein- stellungen beruht, welche stofiweise auf den Beschauer eindrin- gen. Man vergleiche die Leinwand, auf der der Film abrollt, mit der Leinwand, auf der sich das Gemalde befindet. Das letztere ladt den Betrachter zur Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsablauf iiberlassen. Vor der Filmaufnahme kann er das nicht. Kaum hat er sie ins Auge gefaftt, so hat sie sich schon verandert. Sie kann nicht fixiert werden. Duhamel, der den Film hafit und von seiner Bedeutung 27 Das theologisdie Urbild dieser Versenkung ist das Bewufitscin, allein mit seinem Gott zu sem. An diesem Bewufitsein ist in den grofien Zeiten des Burgertums die Freiheit erstarkt, die kirchliche Bevormundung abzuschutteln. In den Zeiten seines Niedergangs mufite das gleiche Bewufitsein der verborgenen Tendenz Rechnung tragen, diejenigen Krafte, die der' Einzelne im Umgang mit Gott ins Werk setzt, den Angelegenheiten des Gemeinwesens zu entziehen. seiner technischen Reproduzierbarkeit 503 nichts, aber manches von seiner Struktur begriff en hat, verzeich- net diesen Umstand mit der Notiz: »Ich kann schon nicht mehr denken, was ich denken will. Die beweglichen Bilder haben sich an den Platz meiner Gedanken gesetzt.« 28 In der Tat wird der Assoziationsablauf dessen, der diese Bilder betrachtet, sofort durch ihre Veranderung unterbrochen. Darauf beruht die Chock- wirkung des Films, die wie jede Chockwirkung durch gesteigerte Geistesgegenwart aufgefangen sein will 29 . Kraft seiner techni- schen Struktur hat der Film die physische Chockwirkung, welche der Dadaismus gleichsam in der moralischen noch verpackt hielt, aus dieser Emballage befreit™. XV Die Masse ist eine matrix, aus der gegenwartig alles gewohnte Verhalten Kunstwerken gegeniiber neugeboren hervorgeht. Die Quantitat ist in Qualitat umgeschlagen: Die sehr viel grofieren Massen der Anteilnehmenden haben eine verdnderte Art des Ante Us hervorgebracht. Es darf den Betrachter nicht irre ma- chen, dafi dieser Anteil zunachst in verrufener Gestalt in Er- scheinung tritt. Doch hat es nicht an solchen gefehlt, die sich mit Leidenschaft gerade an diese oberflachliche Seite der Sache ge- halten haben. Unter diesen hat Duhamel sich am radikalsten 28 Georges Duhamel: Scenes de la vie future, it £d„ Paris 1930, p. 52. 29 Der Film ist die der gesteigerten Lebensgefahr, der die Heutigen ins Auge zu sehen haben, entsprechende Kunstform. Das Bediirfnis, sich Chockwirkungen auszu- setzen, ist eine Anpassung der Menschen an die sie bedrohenden Gefahren. Der Film entspricht tiefgrelfenden Veranderungen des Apperzeptionsapparates - Veranderun- gen, wie sie im Mafistab der Privates istenz jeder Passant im Grofistadtverkehr, wie sie im geschichtlichen Mafistab jeder heutige Staatsbiirger erlebt. 30 Wie fur den Dadaismus sind dem Film audi fiir den Kubismus und Futurismus wichtige Aufschliisse abzugewinnen. Beide erscheinen als mangelhafte Versuche der Kunst, ihrerseits der Durchdringung der Wirklichkeit mit der Apparatur Rechnung zu tragen. Diese Schulen unternahmen ihren Versuch, zum Unterschied vom Film, nicht durch Verwertung der Apparatur fiir die kiinstlerische Darstellung der Realitat, sondern durch eine Art von Legierung von dargestellter Wirklichkeit und dargestellter Apparatur. Dabei spielt die vorwiegende Rolle im Kubismus die Vorahnung von der Konstruktion dieser Apparatur, die auf der Optik beruht; im Futurismus die Vor- ahnung der Effekte dieser Apparatur, die im rapiden Ablauf des Filmbands zur Geltung kommen. 504 Das Kunstwerk im Zeitalter geaufiert. Was er dem Film vor allem verdenkt, ist die Art des Anteils, welchen er bei den Massen erweckt. Er nennt den Film »einen Zeitvertreib fiir Heloten, eine Zerstreuung fiir ungebil- dete, elende, abgearbeitete Kreaturen, die von ihren Sorgen verzehrt werden . . . ein Schauspiel, das keinerlei Konzentration verlangt, kein Denkvermogen voraussetzt . . ., kein Licht in den Herzen entziindet und keinerlei andere Hoffnung erweckt als die lacherliche, eines Tages in Los Angeles >Star< zu werden.« 31 Man siehtj es ist im Grunde die alte Klage, dafi die Massen Zerstreuung suchen, die Kunst aber vom Betrachter Sammlung verlangt. Das ist ein Gemeinplatz. Bleibt nur die Frage, ob er einen Standort fiir die Untersuchung des Films abgibt. - Hier heifit es, naher zusehen. Zerstreuung und Sammlung stehen in einem Gegensatz, der folgende Formulierung erlaubt: Der vor dem Kunstwerk sich Sammelnde versenkt sich darein; er geht in dieses Werk ein, wie die Legende es von einem chinesischen Maler beim Anblick seines vollendeten Bildes erzahlt. Dage- gen versenkt die zerstreute Masse ihrerseits das Kunstwerk in sich. Am sinnfalligsten die Bauten. Die Architektur bot von je- her den Prototyp eines Kunstwerks, dessen Rezeption in der Zerstreuung und durch das Kollektivum erfolgt. Die Gesetze ihrer Rezeption sind die lehrreichsten. Bauten begleiten die Menschheit seit ihrer Urgeschichte. Viele Kunstformen sind entstanden und sind vergangen. Die Trago- die entsteht mit den Griechen, um mit ihnen zu verloschen und nach Jahrhunderten nur ihren »Regeln« nach wieder aufzule- ben. Das Epos, dessen Ursprung in der Jugend der Volker liegt, erlischt in Europa mit dem Ausgang der Renaissance. Die Tafel- malerei ist eine Schopfung des Mittelalters, und nichts gewahr- leistet ihr eine ununterbrochene Dauer. Das Bedurfnis des Menschen nach Unterkunft aber ist bestandig. Die Baukunst hat niemals brach gelegen. Ihre Geschichte ist langer als die jeder anderen Kunst und ihre Wirkung sich zu vergegenwartigen von Bedeutung fiir jeden Versuch, vom Verhaltnis der Massen zum Kunstwerk sich Rechenschaft abzulegen. Bauten werden auf doppelte Art rezipiert: durch Gebrauch und durch Wahrneh- mung. Oder besser gesagt: taktil und optisch. Es gibt von solcher 31 Duhamel. 1. c. al, ont abouti & la tentative de maintenir par la force les conditions de propriety ont determine" les capitaux des producteurs a hater Elaboration du film sonore. L'avenement de ce dernier amena une detente passagere, non seulement parce que le film sonore se crea un nouveau public, mais parce qu'il rendit de nouveaux capitaux de 1'industrie llectrique solidaires des capitaux de production cine*mato- graphique. Ainsi, consider de l'extirieur, le film sonore a favorise' les int£ret$ nationaux, mais, vu de Tinterieur, il a contrtbue* a intemationaliser la production du film encore davantage que ses conditions anteneures de production. ?i6 L'ceuvre d'art a Tepoque temple. Le tableau surpasse a cet egard la mosaique ou la fresque qui le pr^cederent. Avec les differentes methodes de reproduction de Pceuvre d'art, son caractere d'exposabilite s'est accru dans de telles proportions que le deplacement quantitatif entre les deux poles se renverse, comme aux ages prehistoriques, en transformation qualitative de son essence. De meme qu'aux ages prehistoriques, Tceuvre d'art, par le poids absolu de sa valeur rituelle, fut en premier lieu un instrument de magie dont on n'admit que plus tard le caractere artistique, de meme de nos jours, par le poids absolu de sa valeur d'exposition, elle devient une creation a fonctions entierement nouvelles - parmi lesquelles la fonction pour nous la plus fami- liere, la fonction artistique, se distingue en ce qu'elle sera sans doute reconnue plus tard accessoire. Du moins est-il patent que le film fournit les elements les plus probants a pareil pronostic. II est en outre certain que la ported historique de cette transforma- tion des fonctions de Part, manifestement d£ja fort avancee dans le film, permet la confrontation avec la pr£histoire de maniere non seulement m£thodologique mais matirielle. VI L'art de la preliistoire met ses notations plastiques au service de certaines pratiques, les pratiques magiques - qu'il s'agisse de tail- ler la figure d'un ancetre (cet acte £tant en soi-meme magique); d'indiquer le mode d'ex&ution de ces pratiques (la statue etant dans une attitude rituelle); ou enfin, de fournir un objet de contemplation magique (la contemplation de la statue renforgant la puissance du contemplateur). Pareilles notations s'effectuaient selon les exigences d'une soci^te* a technique encore conf ondue avec le rituel. Technique naturellement arrive en comparaison de la technique m&anique. Mais ce qui importe a la consideration dialectique, ce n'est pas Pinf eriorite' m^canique de cette technique, mais sa difference de tendance d'avec la notre - la premiere engageant Phomme autant que possible, la seconde le moins possible. L'exploit de la premiere, si Ton ose dire, est le sacrifice humain, celui de la seconde s'annoncerait dans Pavion sans pilote dirige* a distance par ondes hertziennes. Une fois pour toutes - de sa reproduction micznlsie 717 ce fut la devise de la premiere technique (soit la faute irreparable, soit le sacrifice de la vie eternellement exemplaire). Une fois n y est rien - c'est la devise de la seconde technique (dont Pobjet est de reprendre, en Ies variant inlassablement, ses experiences). L'ori- gine de la seconde technique doit etre cherchee dans le moment ou, guide par une ruse inconsciente, Phomme s'appreta pour la premiere fois a se distancer de la nature. En d'autres termes: la seconde technique naquit dans le jeu. Le serieux et le jeu, la rigueur et la desinvolture se melent intime- ment dans Poeuvre d'art, encore qu'a diff^rents degres. Ceci impli- que que Tart est solidaire de la premiere comme de la seconde technique. Sans doute les termes: domination des forces naturel- les n'expriment-ils le but de la technique moderne que de facon fort discutable; ils appartiennent encore au langage de la pre- miere technique. Celle-ci.visait r^ellement a un asservissement de la nature - la seconde bien plus a une harmonie de la nature et de Phumanite. La fonction sociale decisive de Part actuel consiste en Pinitiation de Phumanite' a ce jeu »harmonien«. Cela vaut surtout pour le film. Le film sert a exercer Vhomme a Vaperception et a la reaction determinees par la pratique d'un equipement technique dont le role dans sa vie ne cesse de croitre en importance. Ce role lui enseignera que son asservissement momentane a cet outillage ne f era place a PafTranchissement par ce meme outillage que lors- que la structure economique de Phumanite se sera adaptee aux nouvelles forces productives mises en mouvement par la seconde technique 3 . 3 Le but meme des revolutions est d'accelerer cette adaptation. Les revolutions sont les innervations de I'element collectif ou, plus exactement, les tentatives dener- vation de la collectivity qui pour la premiere fois trouve ses organes dans la seconde technique. Cette technique constitue un systeme qui exige que les forces sociales i\i~ mentaires soient subjuguees pour que puisse s'etablir un jeu »harmonien« entre les forces naturelles et Phomme. Et de meme qu'un enfant qui apprend a saisir tend la main vers la lune comme vers une balle a sa portee - rhumanit£, dans ses tentatives denervation, envisage, a c5te des buts accessibles, d'autres qui ne sont d'abord qu'utopiques. Car ce n'est pas seulement la seconde technique qui, dans les revolu- tions, annonce les revendications qu'elle adressera a la societe. Cest precisement parce que cette technique ne vise qu'a liberer davantage l'homme de ses corvees que I'indi- vidu voit tout d'un coup son champ d'action s'etendre, incommensurable. Dans ce champ, il ne sait encore s'orienter. Mais il y affirme deja ses revendications. Car plus Pelement collectif s'approprie sa seconde technique, plus Tindividu eprouve combien limite, sous l'emprise de la premiere technique, avait £te le domaine de ses possibility. 7 i8 L'ceuvre d'art a l'epoque VII Dans la photographie ,la valeur d* exposition commence a re fouler sur toute la ligne la valeur rituelle. Mais celle-ci ne cede pas le terrain sans r&ister. Elle se retire dans un ultime retranchement: la face humaine. Ce n'est point par hasard que le portrait se trouve etre l'objet principal de la premiere photographic Le culte du souvenir des etres aim&, absents ou d£funts, offre au sens rituel de l'ceuvre d'art un dernier refuge. Dans l'expression fugi- tive d'un visage humain, sur d'anciennes photographies, l'aura semble jeter un dernier eclat. C'est ce qui fait leur incomparable beaute*, toute chargee de melancolie. Mais shot que la figure humaine tend a disparaitre de la photographie, la valeur depo- sition s'y affirme comme supeneure a la valeur rituelle. Le fait d'avoir situe* ce processus dans les rues de Paris 1900, en les photo- graphiant d£sertes, constitue toute 1'importance des cliches d' Atget. Avec raison, on a dit qu'U les photographiait comme le lieu d'un crime. Le lieu du crime est desert. On le photographie pour y relever des indices. Dans le proces de Phistoire, les photographies d' Atget prennent la valeur de pieces a conviction. C'est ce qui leur donne une signification politique cachee. Les premieres, elles exigent une comprehension dans un sens determined Elles ne se pretent plus a un regard d^tache*. Elles inquietent celui qui les contemple: il sent que pour les p£netrer, il lui faut certains chemins; il a d£ja suivi pareils chemins dans les journaux illustr£s. De vrais ou de faux - n'importe. Ce n'est que dans ces illustr^s que les legendes sont devenues obligatoires. Et il est clair qu'elles ont un tout autre caractere que les titres de tableaux. Les direc- tives que donnent a l'amateur d'images les legendes bient6t se feront plus precises et plus imperatives dans le film, ou l'inter- pre*tation de chaque image est d£termine*e par la succession de toutes les pr£c£dentes. Bref, c'est I'individu particulier, emancip£ par la liquidation de la premiere technique, qui rcvendique ses droits. Or, la seconde technique est a peine assuree de ses premieres acquisitions revolutionnaires, que deja les instances vitales de l'individu, reprimees du fait de la premiere technique - P amour et la mort - aspirent a s'imposer avec une nouvelle vigueur. L'ceuvre de Fourier constitue Tun des plus importants documents historiques de cette revendication. de sa reproduction m^canis^e 719 VIII Les Grecs ne connaissaient que deux procedes de reproduction mecanise'e de l'ceuvre d'art: le moulage et la frappe. Les bronzes, les terracottes et les m^dailles £taient les seules ceuvres d'art qu'ils pussent produire en serie. Tout le reste restait unique et techni- quement irreproductible. Aussi ces ceuvres devaient-elles etre faites pour Peternite. Les Grecs se voyaient contraints, de par la situation mime de leur technique, de creer un art de »valeurs iter- nelles«. C'est a cettecirconstance qu'estdue leur position exclusive dans l'histoire de Tart, qui devait servir aux generations suivantes de point de repere. Nul doute que la n6tre ne soit aux antipodes des Grecs. Jamais auparavant les ceuvres d'art ne furent a un tel degre m^caniquement reproductibles. Le film offre l'exemple d'une forme d'art dont le caractere est pour la premiere fois int£- gralement determine par sa reproductibilite. 11 serait oiseux de comparer les particularites de cette forme a celles de Tart grec. Sur un point cependant, cette comparaison est instructive. Par le film est devenue decisive une qualite que les Grecs n'eussent sans doute admise qu'en dernier lieu ou comme la plus n^gligeable de Tart: la perfectibilite de l'ceuvre d'art. Un film acheve* n'est rien moins qu'une creation d'un seul jet; il se compose d'une succes- sion d'images parmi lesquelles le monteur fait son choix - images qui de la premiere a la derniere prise de vue avaient ete a volonti retouchables. Pour monter son Opinion publique, film de 3 000 metres, Chaplin en tourne 125 000. Le film est done l'ceuvre d'art la plus perfectible, et cette perfectibilite procede directement de son renoncement radical a toute »valeur d'eternite*. Ce qui res- sort de la contre-epreuve: les Grecs, dont Tart £tait astreint a la production de »valeurs £ternelles«, avaient place* au sommet de la hi£rarchie des arts la forme d'art la moins susceptible de perfec- tibility, la sculpture, dont les productions sont litteValement tout d'une piece. La decadence de la sculpture a l'epoque des ceuvres d'art montables apparait comme inevitable. IX La dispute qui s'ouvrit, au cours du xix e siecle, entre la peinture et la photographie, quant k la valeur artistique de leurs productions 720 I/ceuvre d'art a Pepoque respectives, apparait de nos jours confuse et depassee. Cela n'en diminue du reste nullement la portee, et pourrait au contraire la souligner. En fait, cette querelle etait le symptome d'un boulever- sement historique de portee universelle dont ni Tune ni Pautre des deux rivales ne jugeait toute la portee. L'ere de la reproductibi- lite mecanisee separant Part de son f ondement rituel, Papparence de son autonomic s'evanouit a jamais. Cependant le changement des fonctions de Part qui en resultait depassait les limites des per- spectives du siecle. Et meme, la signification en echappait encore au xx e siecle - qui vit la naissance du film. SI Von s'etait auparavant defense en vaines subtilites pour re- soudre ce probleme: la photographie est-elle ou n y est-elle pas un art? - sans s'etre prealablement demande si ['invention meme de la photographie rtavait pas, du tout au tout, renverse le caractere fondamental de Vart ~ les theoriciens du cinema a leur tour s'atta- querent a cette question prematuree. Or, les difficult^ que la photographie avait suscitees a l'esth&ique traditionnelle n'etaient que jeux d'enfant au regard de celles que lui preparait le film. D'ou Paveuglement obstine qui caracterise les premieres theories cinematographiques. C'est ainsi qu'Abel Gance, par exemple, pretend: »Nous voila, par un prodigieux retour en arriere, reve- nus sur le plan d'expression des Egyptiens . . . Le langage des images n'est pas encore au point parce que nos yeux ne sont pas encore faits pour elles. II n'y a pas encore assez de respect, de culte pour ce qu'elles expriment.« 4 Severin-Mars £crit: »Quel art eut un reve plus hautain, plus poetique a la fois et plus r£el? Con- sidere ainsi, le cinematographe deviendrait un moyen d'expres- sion tout a fait exceptionnel, et dans son atmosphere ne devraient se mouvoir que des personnages de la pens£e la plus superieure aux moments les plus parfaits et les plus mysterieux de leur course.« 5 Alexandre Arnoux de son cote achevant une fantaisie sur le film muet, va meme jusqu'a demander: »En somme, tous les termes hasardeux que nous venons d'employer ne definissent-ils pas la priere?« 6 11 est significatif de constater combien leur desir de classer le cinema parmi les arts, pousse ces theoriciens a faire 4 Abel Gance, 1. c. (S. 712) p. 100/101. [Hervorhebung von Benjamin]. 5 SeVerin-Mars, cite* par Abel Gance, 1. c. (S. 712) p. 100. 6 Alexandre Arnoux: Cinema. Paris 1929, p. 28. de sa reproduction me'canisee 721 entrer brutalement dans le film des Elements rituels. Et pourtant, a l'ipoque de ces speculations, des ceuvres telles que I'Opinion publique et la Ruee vers I' or se projetaient sur tous les ecrans. Ce qui n'empeche pas Gance de se servir de la comparaison des hi^roglyphes, ni SeVerin-Mars de parler du film comme des pein- tures de Fra Angelico. II est caracteristique qu'aujourd'hui en- core des auteurs conservateurs cherchent ^importance du film, sinon dans le sacral, du moins dans le surnaturel. Commentant la realisation du Songe d'une nuit d'ete, par Reinhardt, Werf el con- state que c'est sans aucun doute la sterile copie du monde exte- rieur avec ses rues, ses interieurs, ses gares, ses restaurants, ses autos et ses plages qui a jusqu'a present entrave l'essor du film vers le domaine del'art. »Le film n'a pas encore saisi son vrai sens, ses veVitables possibility . . . Celles-ci consistent dans sa f aculte* sp^cifique d'exprimer par des moyens naturels et avec une in- comparable force de persuasion tout ce qui est feerique, merveil- leux et surnaturel. « 7 Photographier un tableau est un mode de reproduction; photo- graphier un eV^nement fictif dans un studio en est un autre. Dans le premier cas, la chose reproduite est une ceuvre d'art, sa repro- duction ne l'est point. Car l'actedu photographe reglant l'objectif ne cr£e pas davantage une ceuvre d'art que celui du chef d'or- chestre dirigeant une symphonic Ces actes representent tout au plus des performances artistiques. II en va autrement de la prise de vue au studio. Ici la chose reproduite n'est deja plus ceuvre d'art, et la reproduction Test tout aussi peu que dans le premier cas. L 'ceuvre d'art proprement dite ne s'£labore qu'au fur et a mesure que s'efFectue le decoupage. D^coupage dont chaque partie int£grante est la reproduction d'une scene qui n'est ceuvre d'art ni par elle-meme, ni par la photographic Que sont done ces eV£- nements reproduits dans le film, s'il est clair que ce ne sont point des ceuvres d'art? La response devra tenir compte du travail particulier de l'inter- 7 Franz "Werf el: Ein Sommernachtstraum. Ein Film von Shakespeare und Reinhardt, Neues Wiener Journal, cite* par Lu t ij novembre 1935. 7 11 L'ceuvre d'art a Pepoque prete de film. II se distingue de Pacteur de theitre en ceci que son jeu qui sert de base a la reproduction, s'effectue, non devant un public fortuit, mais devant un comite* de sp^cialistes qui, en qua- lite* de directeur de production, metteur en scene, operateur, in- g^nieur du son ou de P£clairage etc., peuvent a tout instant inter- venir personnellement dans son jeu. II s'agit ici d'un indice social de grande importance. L'intervention d'un comite de sp£cialistes dansune performance donnee estcaractiristiquedu travail sportif et, en g£n£ral, de l'ex£cution d'un test. Pareille intervention deter- mine en fait tout le processus de la production du film. On sait que pour de nombreux passages de la bande, on tourne des varian- tes. Par exemple, un cri peut donner lieu a divers enregistrements. Le monteur procede alors a une selection - £tablissant ainsi une sorte de record. Un eV£nement fictif tourne dans un studio se distingue done de 1'eV^nement reel correspondant comme se dis- tinguerait la projection d'un disque sur une piste, dans un con- cours sportif, de la projection du meme disque au meme endroit, sur la meme trajectoire, si cela avait lieu pour tuer un homme. Le premier acte serait Pex^cution d'un test, mais non le second. II est vrai que Pepreuve de test soutenue par un interprete de l'^cran est d'un ordre tout a fait unique. En quoi consiste-t-elle? A d^passer certaine limite qui restreint etroitement la valeur sociale d'epreuves de test. Nous rappellerons qu'il ne s'agit point ici d'epreuve sportive, mais uniquement d'epreuves de tests m£ca- nis£s.Le sportsman neconnait pour ainsi dire que les tests naturels. II se mesure aux epreuves que la nature lui fixe, non a celles d'un appareil quelconque - a quelques exceptions pres, tel Nurmi qui, dit-on, »courait contre la montre«. Entre temps, le processus du travail, surtout depuis sa normalisation par le systeme de la chaine, soumet tous les jours d'innombrables ouvriers a d'innom- brables epreuves de tests m&anises. Ces epreuves s'etablissent automatiquement: est ^limine' qui ne peut les soutenir. Par ail- leurs, ces Epreuves sont ouvertement pratiques par les instituts d'orientation professionnelle. Or, ces epreuves presentment un inconvenient considerable: a la difference des epreuves sportives, elles ne se pretent pas a Pexpo- sition dans la mesure desirable. C'est la, justement qu'intervient le film. Le film rend V execution d'un test susceptible d'etre exposee en faisant de cette exposabilite meme un test. Car Pinterprete de de sa reproduction mecanisee 723 l'£cran ne joue pas devant un public, mais devant un appareil enregistreur.Le directeur de prise de vue, pourrait-on dire,occupe exactement la meme place que le controleur de test lors de l'exa- men d'aptitude professionnelle. Jouer sous les feux des sunlights tout en satisfaisant aux exigences du microphone, c'est la une per- formance de premier ordre. S'en acquitter, c'est pour l'acteur garder toute son humaniti devant les appareils enregistreurs. Pareille performance pr£sente un immense interet. Car c'est sous le controle d'appareils que le plus grand nombre des habitants des villes, dans les comptoirs comme dans les fabriques, doivent durant la journee de travail abdiquer leur humanite\ Le soir venu, ces memes masses remplissent les salles de cinema pour assister a la revanche que prend pour elles l'interprete de l'ecran, non seule- ment en affirmant son humanite (ou ce qui en tient lieu) face a 1'appareil, mais en mettant ce dernier au service de son propre triomphe. XI Pour le film, il importe bienmoinsque l'interprete repr£sente quel- qu'un d'autre aux yeux du public que lui-meme devant 1'appareil. L'un des premiers a sentir cette metamorphose que l'£preuve de test fait subir a l'interprete fut Pirandello. Les remarques qu'il fait a ce sujet dans son roman On tourne, encore qu'elles f assent uniquement ressortir l'aspect n^gatif de la question, et que Piran- dello ne parle que du film muet, gardent toute leur valeur. Car le film sonore n'y a rien change' d'essentiel. La chose decisive est qu'il s'agit de jouer devant un appareil dans le premier cas, devant deux dans le second. »>Les acteurs de cinema, e'crit Pirandello, se sentent comme en exil. En exil non seulement de la scene, mais encore d'eux-memes. lis remarquent confusement, avec une sen- sation de depit, d'ind£finissable vide et meme de faillite, que leur corps est presque subtilise^ supprime, prive* de sa realiti, de sa vie, de sa voix, du bruit qu'il produit en se remuant, pour devenir une image muette qui tremble un instant sur l'ecran et disparait en silence ... La petite machine jouera devant le public avec leurs ombres; eux, ils doivent se contenter.de jouer devant elle.<« 8 8 Luigi Pirandello: On tourne, cite* par Leon Pierre-Quint: Signification du cinema, Uart cinematographique II, Paris 1927, p. 14/15. 7 2 4 L'ceuvre d'art a Pepoque Le fait pourrait aussi se caracteriser comme suit: pour la premiere fois - et c'est la Pceuvre du film - Phomme se trouve mis en de- meure de vivre et d'agir totalement de sa propre personne, tout en renoncant du meme coup a son aura. Car Paura depend de son hie et nunc. 11 n'en existe nulle reproduction, nulle replique. L'aura qui, sur la scene, emane de Macbeth, le public Peprouve necessairement comme celui de Pacteur jouant ce role. La singu- larite de la prise de vue au studio tient a ce que Pappareil se sub- stitue au public. Avec le public disparait Paura qui environne Pinterprete et avec celui de Pinterprete Paura de son person- nage. Rien d'etonnant a ce qu'un dramaturge tel que Pirandello, en caracterisant Pinterprete de Pecran, touche involontairement au fond meme de la crise dont nous voyons le theatre atteint. A Pceuvre exclusivement concue pour la technique de reproduction - telle que le film - ne saurait en effet s'opposer rien de plus decisif que Pceuvre scenique. Toute consideration plus approfondie le confirme. Les observateurs specialises ont depuis longtemps reconnu que c'est »presque toujours en jouant le moins possible que Pon obrient les plus puissants effets cinegraphiques«. Des 1932, Arnheim considere »comme dernier progres du film de n'y tenir Pacteur que pour un accessoire choisi en raison de ses carac- teristiques ... et que Pon intercale au bon endroit.« 9 A cela se rattache etroitement autre chose. Uacteur de scene s'identifie au caractere de son role. Uinterprete d'ecran n'en a pas toujours la possibilitL Sa creation n'est nullement tout d'une piece; elle se compose de nombreuses creations distinctes. A part certaines cir- constances fortuites telles que la location du studio, le choix et la mobilisation des partenaires, la confection des decors et autres accessoires, ce sont d'elementaires n^cessites de machinerie qui deVomposent le jeu de Pacteur en une serie de creations montables. II s'agit avant tout de Peclairage dont Pinstallation oblige k filmer un evenement qui, sur Pecran, se deroulera en une scene rapide et unique, en une suite de prises de vues distinctes qui peuvent parfois se prolonger des heures durant au studio. Sans meme parler de truquages plus frappants. Si un saut, du haut d'une f enetre a Pecran, peut fort bien s'effectuer au studio du haut 9 Rudolf Arnheim: Film als Kunst. Berlin 1932, p. 176/177. de sa reproduction m£canis£e 72 j d'un echafaudage, la scene de la fuite qui succede au saut ne se tournera, au besoin, que plusieurs semaines plus tard au cours des prises d'extirieurs. Au reste, Pon reconstitue aisement des cas encore plus paradoxaux. Admettons que Pinterprete doive sur- sauter apres des coups frappes a une porte. Ce sursaut n'est-il pas realise a souhait, le metteur en scene peut recourir a quelque ex- pedient: profiter d'une presence occasionnelle de Pinterprete au studio pour faire eclater un coup de feu. L'effroi v£cu, spontane de Pinterprete, enregistre a son insu, pourra s'intercaler dans la bande. Rien ne montre avec tant de plasticite* que Part s*est echappe du domaine de la »belle apparence«, qui longtemps passa pour le seul ou il put prosperer. XII Dans la representation de Vintage de Vhomme par Vappareil, V alienation de Vhomme par lui-meme trouve une utilisation haute- ment productive. On en mesurera toute l'etendue au fait que le sentiment d'^trangete de l'interprete devant l'objectif, d£crit par Pirandello, est de meme origine que le sentiment d'&rangete* de l'homme devant son image dans le miroir - sentiment que les Romantiques aimaient a penetrer. Or, desormais cette image r£flechie de l'homme devient separable de lui, transportable - et ou? Devant la masse. Evidemment, Pinterprete de P£cran ne cesse pas un instant d'en avoir conscience. Durant qu'il se tient devant Pobjectif , il sait qu'il aura a faire en derniere instance a. la masse des spectateurs, Ce marche* que constitue la masse, ou il viendra offrir non seulement sa puissance de travail, mais encore son physique, il lui est aussi impossible de se le representer que pour un article d'usine. Cette circonstance ne contribuerait-elle pas, comme Pa remarque* Pirandello, a cette oppression, a cette an- goisse nouvelle qui Petreint devant Pobjectif? A cette nouvelle angoisse correspond, comme de juste, un triomphe nouveau: celui de la star. Favoris^ par le capital du film, le culte de la vedette conserve ce charme de la personnalite qui depuis longtemps n'est que le faux rayonnement de son essence mercantile. Ce culte trouve son complement dans le culte du public, culte qui favorise la mentalite* corrompue de masse que les regimes autoritaires cher- 7 2 ^ L'ceuvre d'art a Pepoque client a substituer a sa conscience de classe. Si tout se conformait au capital cinematographique, le processus s'arreterait a Palie- nation de soi-meme, chez Partiste de Pecran comme chez les spec- tateurs. Mais la technique du film previent cet arret: elle prepare le renversement dialectique. XIII II appartient a la technique du film comme a celle du sport que tout homme assiste plus ou moins en connaisseur a leurs exhibi- tions. Pour s'en rendre compte, il suffit d'entendre un groupe de jeunes porteurs de journaux appuyes sur leurs bicyclettes, com- menter les resultats de quelque course cycliste; en ce qui concerne le film, les actualit^s prouvent assez nettement qu'un chacun peut se trouver filme. Mais la question n'est pas la. Chaque homme aujottrd'hui a le droit d'etre filme. Ce droit, la situation histori- que de la vie litteraire actuelle permettrait de le comprendre. Durant des siecles, les conditions determinantes de la vie litte- raire affrontaient un petit nombre d'ecrivains a des milliers de lecteurs. La fin du sickle dernier vit se produire un changement. Avec Pextension croissante de la presse, qui ne cessait de mettre de nouveaux organes politiques, religieux, scientifiques, profes- sionals et locaux a la disposition des lecteurs, un nombre tou- jours plus grand de ceux-ci se trouverent engages occasionnelle- ment dans la Iitterature. Cela debuta avec les »Boites aux lettres« que la presse quotidienne ouvrit a ses lecteurs - si bien que, de nos jours, il n'ya gueredetravailleureuropeenquine setrouve a meme de publier quelque part ses observations personnelles sur le travail sous forme de reportage ou n'importe quoi de cet ordre. La diffe- rence entre auteur et public tend ainsi a perdre son caractere fon- damental. Elle n'est plus que fonctionnelle, elle peut varier d'un cas a Pautre. Le lecteur est a tout moment pret a passer ^crivain. En qualite de specialiste qu'il a du tant bien que mal devenir dans un processus de travail diff eVencie a Pextreme - et le fut-il d'un infime emploi - il peut a tout moment acqudrir laqualited'auteur. Le travail lui-meme prend la parole. Et sa representation par. le mot fait partie integrante du pouvoir n^cessaire a son execution. Les competences littifaires ne se fondent plus sur une formation de sa reproduction me'canis^e 727 specialist, mais sur une polytechnique - et deviennent par la bien commun. Tout cela vaut egalement pour le film, ou les d£calages qui avaient mis des siecles a se produire dans la vie litteVaire se sont effectu^s au cours d'une dizaine d'annees. Car dans la pratique cinematographique - et surtout dans la pratique russe - ce d^calage s'est en partie deja realist. Un certain nombre d'inter- pretes des films sovietiques ne sont point des acteurs au sens occidental du mot, mais des hommes jouant leur propre role - tout premierement leur role dans le processus du travail. En Europe Occidentale, Sexploitation du film par le capital cine- matographique interdit a l'homme de faire valoir son droit a se montrer dans ce role. Au reste, le chomage I'interdit egalement, qui exclut de grandes masses de la production dans le processus de laquelle ellestrouveraient surtout un droit a se voir reproduces. Dans ces conditions, Tindustrie cinematographique a tout inteVet a stimuler la masse par des representations illusoires et des spe- culations Equivoques. A cette fin, elle a mis en branle un puissant appareil publicitaire: elle a tire parti de la carriere et de la vie amoureuse des stars, elle a organise des plebiscites et des concours de beauti. Elle exploite ainsi un element dialectique de formation de la masse. Inspiration de Tindividu isoie a se mettre a la place de la star, c'est-a-dire a se degager de la masse, est predsement ce qui agglomere les masses spectatrices des projections. C'est de cet interet tout prive que joue l'industrie cinematographique pour corrompre Tinteret originel justifie des masses pour le film. XIV La prise de vue et surtout l'enregistrement d'un film offre une sorte de spectacle telle qu'on n'en avait jamais vue auparavant. Spectacle qu'on ne saurait regarder d'un point quelconque sans que tous les auxiliaires etrangers a la mise en scene meme - appa- reils d'enregistrement, d'edairage, etat-major d'assistants - ne tombent dans le champ visuel (a moins que la pupille du specta- teur fortuit ne coincide avec Pobjectif). Ce simple fait suffit seul a rendre superficielle et vaine toute comparaison entre enregistre- ment au studio et repetition theitrale. De par son principe, le 728 L'ceuvre d'art a Pepoque theatre connait le point d'ou l'illusion de Taction ne peut etre d&ruite. Ce point n'existe pas vis-a-vis de la scene de film qu'on enregistre. La nature illusionniste du film est une nature au second degre* - r&ultat du d£coupage. Ce qui veut dire : au studio I'equipe- ment technique a si profondement penetre la realite que celle-ci n'apparait dans le film depouillee de Voutillage que grace a une procedure particuliere - a savoir Y angle de prise de vue par la camera et le montage de cette prise avec d'autres de meme ordre* Dans le monde du film la realite 1 n'apparait depouillee des appa- reils que par le plus grand des artifices et la realite* immediate s'y pr&ente comme la fleur bleue au pays de la Technique. Ces donnees, ainsi bien distinctes de celles du theatre, peuvent £tre confrontees de maniere encore plus reV&atrice avec celles de la peinture. II nous faut ici poser cette question: quelle est la situa- tion de PopeVateur par rapport au peintre? Pour y r^pondre, nous nous permettrons de tirer parti de la notion d'op^rateur, usuelle en chirurgie. Or, le chirurgien se tient a Pun des p61es d'un univers dont Pautre est occupy par le magicien. Le comportement du magicien qui gueVit un malade par imposition des mains differe de celui du chirurgien qui procede a une intervention dans le corps du malade. Le magicien maintient la distance naturelle entre le patient et lui ou, plus exactement, s'il ne la diminue - par Pimpo- sition des mains - que tres peu, il Paugmente - par son auto- rite' - de beaucoup. Le chirurgien fait exactement Pin verse: il diminue de beaucoup la distance entre lui et le patient — en p£n£- trant a PinteVieur du corps de celui-ci - et ne Paugmente que de peu - par la circonspection avec laquelle se meut sa main parmi les organes. Bref, a la difference du mage (dont le caractere est encore inherent au praticien), le chirurgien s'abstient au moment d£cisif d'adopter le comportement d'homme a homme vis-a-vis du malade: c'est op£ratoirement qu'il le penetre plutot. Le peintre est a PopeVateur ce qu'est le mage au chirurgien. Le peintre conserve dans son travail une distance normale vis-a-vis de la realite* de son sujet - par contre le cameraman penetre pro- fondement les tissus de la realite' donn£e. Les images obtenues par Pun et par Pautre r&ultent de proems absolument diffeVents. L'image du peintre est totale, celle du cameraman faite de frag- ments multiples coordonn^s selon une loi nouvelle. C'est ainsi que, de ces deux modes de representation de la realite - la peinture et de sa reproduction m£canis£e 729 le film - le dernier est pour I'homme actuel incomparablement le plus significatif, parce qu'il obtient de la realite un aspect de- pouille de tout apparetl - aspect que I'homme est en droit d'at- tendre de I'ceuvre d'art - precisement grace a une penetration intensive du reel par les appareils. XV La reproduction mecanisee de Voeuvre d y art modifie la faqon de reagir de la masse vis-a-vis de I'art. De retrograde qu'elle se montre devant un Picasso par exemple, elle se fait le public le plus progressiste en face d y un Chaplin, Ajoutons que, dans tout com- portement progressiste, le plaisir emotionnel et spectaculaire se conf ond imm£diatement et intimement avec Tattitude de Pexpert. C'est la un indice social important. Car plus l'importance sociale d'un art diminue, plus s'affirme dans le public le divorce entre l'attitude critique et le plaisir pur et simple. On goute sans criti- quer le conventionnel - on critique avec dugout le veVitablement nouveau. II n'en est pas de meme au cinema. La circonstance deci- sive y est en effet celle-ci: les reactions des individues isoles, dont la somme constitue la reaction massive du public, ne se montrent nulle part ailleurs plus qu'au cinema determinees par leur multi- plication immmente. Tout en se manifestant, ces reactions se con- tr61ent. Ici, la comparaison a la peinture s'impose une fois de plus. Jadis, le tableau n'avait pu s'offrir qu'a la contemplation d'un seul ou de quelques-uns. La contemplation simultan^e de tableaux par un grand public, telle qu'elle s'annonce au xix e siecle, est un sympt6me pr^coce de la crise de la peinture, qui ne fut point exclusivement provoqu^e par la photographie mais, d'une maniere relativement independante de celle-ci, par la tendance de 1'ceuvre d'art a rallier les masses. En fait, le tableau n'a jamais pu devenir 1'objet d'une reception collective, ainsi que ce fut le cas de tout temps pour l'architecture, jadis pour le poeme £pique, aujourd'hui pour le film.Et, si peu que cette circonstance puisse se preter a des conclusions quant au role social de la peinture, elle n'en repr&ente pas moins une lourde entrave a un moment ou le tableau, dans des conditions en quel- que sorte contraires a sa nature, se voit directement confront^ 730 L'ceuvre d'art a l'epoque avec les masses. Dans les £glises et Ies monasteres du moyen age, ainsi que dans les cours des princes jusqu'a la fin du xvm e siecle, la reception collective des ceuvres picturales ne s'effectuait pas simultandment sur une e'chelle £gale, mais par une entremise infini- ment graduee et hierarchisee. Le changement qui s'est produit depuis n'exprime que le conflit particulier dans lequel la peinture s*est vue impliqu^e par la reproduction mecanisee du tableau. Encore qu'on entreprit de Pexposer dans les galeries et les salons, la masse ne pouvait guere s'y controler et s'orgamser comme le fait, a la faveur de ses reactions, le public du cinema. Aussi le meme public qui r£agit dans un esprit progressiste devant un film burlesque, doit-il n£cessairement reagir dans un esprit retrograde en face de n'importe quelle production du surrealisme. XVI Parmi les fonctions sociales du film, la plus importante consiste a e^ablir T^quilibre entre I'homme et Pequipement technique. Cette tache, le film ne Taccomplit pas seulement par la maniere dont l'homme peut s'offrir aux appareils, mais aussi par la maniere dont il peut a Paide de ces appareils se repr&enter le monde environnant. Si le film, en relevant par ses gros plans dans I'inventaire du monde exteVieur des details generalement caches d*accessoires familiers, en explorant des milieux banals sous la direction g£niale de l'objectif, hend d'une part notre comprehen- sion aux mille determinations dont depend notre existence, il parvient d'autre part a nous ouvrir un champ d'action immense et insoup9onne\ Nos bistros et nos avenues de mettopoles, nos bureaux et chambres meubiees, nos gares et nos usines paraissaient devoir nous enfer- mer sans espoir d'y £chapper jamais. Vint le film, qui fit sauter ce monde-prison par la dynamite des dixiemes de seconde, si bien que d&ormais, au milieu de ses mines et debris au loin projetes, nous faisons insoucieusement d'aventureux voyages. Sous la prise de vue a gros plan s'^tend l'espace, sous le temps de pose se deVeloppe le mouvement. De meme que dans I'agrandissement il s'agit bien moins de rendre simplement precis ce qui sans cela garderait un aspect vague que de mettre en Evidence des forma- de sa reproduction m&ranise'e 731 tions structurelles entierement nouvelles de la matiere, il s'aglt moins de rendre par le temps de pose des motifs de mouvement que de deceler plutot dans ces mouvements connus, au moyen du ralenti, des mouvements inconnus »qui, loin de repr£senter des ralentissements de mouvements rapides, font PefTet de mouve- ments singulierement glissants, aeriens, surnaturels« 10 . Il devient ainsi tangible que la nature qui parle a la camera, est autre que celle qui parle aux yeux. Autre surtout en ce sens qu'a un espace consciemment explore* par Phomme se substitue un espace qu'il a inconsciemment pen£tre. S'il n*y a rien que d'ordi- naire au fait de se rendre compte, d'une maniere plus ou moins sommaire, de la demarche d'un homme, on ne salt encore rien de son maintien dans la fraction de seconde d'une enjamMe. Le geste de saisir le briquet ou la cuiller nous est-il aussi conscient que familier, nous ne savons neanmoins rien de ce qui se passe alors entre la main et le metal, sans parler meme des fluctuations dont ce processus inconnu peut etre susceptible en raison de nos diver- ses dispositions psychiques. C'est ici qu'intervient la camera avec tous ses moyens auxiliaires, ses chutes et ses ascensions, ses inter- ruptions et ses isolements, ses extensions et ses accelerations, ses agrandissements et ses rapetissements. C'est elle qui nous initie a Pinconscient optique comme la psychanalyse a Pinconscient pulsionnel. Au reste, les rapports les plus droits existent entre ces deux formes de Pinconscient, car les multiples aspects que Pappareil enregistreur peut derober a la realite" se trouvent pour une grande part exclusivement en dehors du spectre normal de la per- ception sensorielle. Nombre des alterations et stereotypes, des transformations et des catastrophes que le monde visible peut subir dans le film Paffectent reellement dans les psychoses, les hallucinations et les reves. Les deformations de la camera sont autant de proced^s grace auxquels la perception collective s'ap- proprie les modes de perception du psychopathe et du r&veur. Ainsi, dans Pantique verite" h£raclitienne - les hommes a P£tat de veille ont un seul monde commun a tous, mais pendant le sommeil chacun retourne a son propre monde - le film a fait une breche, et notamment moins par des representations du monde onirique que 10 Rudolf Arnheim, I. c. (S. 724) p. 138. 73* L'ceuvre d'art a Pe*poque par la creation de figures puisees dans le reve collectif, telles que Mickey Mouse, faisant vertigineusement le tour du globe. Si Von se rend compte des dangereuses tensions que la technique rationnelle a engendrees an sein de Veconomie capitaliste devenue depuis longtemps ir rationnelle, on reconnaitra par ailleurs que cette meme technique a cree y contre certaines psychoses collectives, des moyens d* immunisation a savoir certains films. Ceux-ci, parce qu'ils presentent des phantasmes sadiques et des images delirantes masochistes de maniere artificiellement forcee, previennent la maturation naturelle de ces troubles dans les masses, particuliere- ment exposees en raison des formes actuelles de I'economie. L'hila- rite collective repr&ente l'explosion prematuree et salutaire de pareilles psychoses collectives. Les £normes quantit.es d'incidents grotesques qui sont consommees dans le film sont un indice frap- pant des dangers qui menacent l'humanite du fond des pulsions refoulees par la civilisation actuelle. Les films burlesques ameri- cains et les bandes de Disney declenchent un dynamitage de l'inconscient 11 . Leur precurseur avait ete Texcentrique. Dans les nouveaux champs ouverts par le film, il avait hi le premier a s'installer. C'est ici que se situe la figure historique de Chaplin. XVII L'une des t&ches les plus importantes de Tart a he de tout temps d'engendrer une demande dont l'entiere satisfaction devait se produire a plus ou moins longue e*cheance. L'histoire de toute forme d'art connait des epoques critiques ou cette forme aspire a des effets qui ne peuvent s'obtenir sans contrainte qu'a base d'un standard technique transform^, c'est-a-dire dans une forme d'art 11 II est vrai qu'une analyse integrate de ces films ne devrait pas taire leur sens antithltique. Elle devrait partir du sens antith^tique de ces Elements qui donnent une sensation de comique et d'horreur a la fois. Le comique et l'horreur, ainsi que le prou- vent les reactions des enfants, voisinent itroitement. Et pourquoi n'aurait-on pas le droit de se demander, en face de certains faits, laquelle de ces deux reactions, dans un cas donnl, est la plus humaine? Quelques-unes des plus rkentes bandes de Mickey Mouse justifient pareille question. Ce qui, a la lumiere de nouvelles bandes de Disney, apparait nettement, se trouvait dija annonce" dans maintes bandes plus anciennes: faire accepter de galti de cceur la brutalit£ et la violence comme des »caprices du sort«. de sa reproduction me*canis£e 733 nouvelle. Les extravagances et les crudites de Tart, qui se produi- sent ainsi particulierementdans les soi-disant epoques d6cadentes, surgissent en realite* de son foyer cr^ateur le plus riche. De pareils barbarism es ont en de pareilles heures fait la joie du DadaYsme. Ce n'est qu'a present que son impulsion devient determinable: le Dada'isme essaya d'engendrer, par des moyens picturaux et lit- teraireSyles effets que le public chercbe aujourd'hui dans le film. Toute creation de demande foncierement nouvelle, grosse de con- sequences, portera au dela de son but. C'est ce qui se produisait pour les DadaTstes, au point qu'ils sacrifiaient les valeurs n£gocia- bles, exploiters avec tant de succes par le cinema, en ob&ssant a des instances dont, bien entendu, ils ne se rendaient pas compte. Les Dadai'stes s'appuyerent beaucoup moins sur Putilit^ mercan- tile de leurs ceuvres que sur Pimpropri£te' de celles-ci au recueille- ment contemplatif. Pour atteindre a cette impropriate, la degra- dation premeditee de leur materiel ne fut pas leur moindre moyen. Leurs poemes sont, comme disent les psychiatres allemands, des »salades de mots«, faites de tournures obscenes et de tous les de- chets imaginables du langage. II en est de meme de leurs tableaux, sur lesquels ils ajustaient des boutons et des tickets. Ce qu'ils obtinrent par de pareils moyens, fut une impitoyable destruction de Taura meme de leurs creations, auxquelles ils appliquaient, avec les moyens de la production, la marque infamante de la reproduction. II est impossible, devant un tableau d'Arp ou un poeme d* August Stramm, de prendre le temps de se recueillir et d'appreder comme en face d'une toile de Derain ou d'un poeme de Rilke. Au recueillement qui, dans la dedheance de la bourgeoi- sie, devint un exercice de comportement asocial 12 , s'oppose la distraction en tant qu'initiation a de nouveaux modes d'attitude sociale. Aussi, les manifestations dadai'stes assurerent-elles une distraction fort vehemente en faisant de l'ceuvre d'art le centre d'un scandale. 11 s'agissait avant tout de satisfaire a cette exi- gence: provoquer un outrage public. 12 L'arche'type th£ologique de ce recueillement est la conscience d'etre seul a seul avec son Dieu. Par cette conscience, a l'£poque de splendeur de la bourgeoisie, s'est fortifiee la liberie" de secouer la tutelle clericale. A Tepoque de sa d£ch£ance, ce com- portement pouvait favoriser la tendance latente a soustrairc aux affaires de la communaute* les forces puissantes que l'individu isoU mobilise dans sa frlquentation de Dieu. 734 L'ceuvre d'art a Pepoque De tentation pour Pceil ou de seduction pour Poreille que Pceuvre £tait auparavant, elle devint projectile chez les DadaTstes. Spectateur ou lecteur, on en etait atteint. L'ceuvre d'art acquit une qualite traumatique. Elle a ainsi favorise* la demande de films, dont Pelement distrayant est egalement en premiere ligne traumatisant, base* qu'il est sur les changements de lieu et de plan qui assaillent le spectateur par a-coups. Que Pon compare la toile sur laquelle se deroule le film a la toile du tableau; Pimage sur la premiere se transforme, mais non Pimage sur la seconde. Cette derni&re invite le spectateur a la contemplation. Devant elle, il peut s'abandonner a ses associations. II ne le peut devant une image cinematographique. A peine son ceil Pa-t-il saisie que d£ja elle s'est metamorphosed. Elle ne saurait etre fixee. Duhamel, qui deteste le film, mais non sans avoir saisi quelques Elements de sa structure, commente ainsi cette circonstance: »Je ne peux deja plus penser ce que je veux. Les images mouvantes se substituent a mes propres pens£es.« u En fait, le processus dissociation de celui qui contemple ces images est aussitot interrompu par leurs transformations. C'est ce qui constitue le choc traumatisant du film qui, comme tout trau- matisme, demande a etre amorti par une attention soutenue 14 . Par son mecanisme mime, le film a rendu leur caractere physique aux traumatismes moraux pratiques par le Dadaisme. XVIII La masse est la matrice ou, a Pheure actuelle, s'engendre Patti- tude nouvelle vis-a-vis de Pceuvre d'art. La quantity se transmue en qualit£: les masses beaucoup plus grandes de participants ont produit un mode transforme de participation. Le fait que ce mode se pr£sente d'abord sous une forme decriee ne doit pas induire en erreur et, cependant, il n'en a pas manque pour s'en prendre avec 13 Georges Duhamel: Scenes de la vie future. 2e £d., Paris 1930, p. 52. 14 Le film reprisente la forme d'art correspondant au danger de mort accentue dans lequel vivent les hommes d'aujourd'hui. II correspond a des transformations profondes dans les modes de perception - transformations telles qu'eprouve, sur le plan de l'existence priv£e, tout piston des grandes villes et, sur le plan historique universe!, tout homme r^solu a lutter pour un ordre vraiment humain. de sa reproduction m6canis£e 73 5 passion a cet aspect superficiel du probleme. Parmi ceux-ci, Duha- mel s'est exprime' de la maniere la plus radicale. Le principal grief qu'il fait au film est le mode de participation qu'il suscite chez les masses. Duhamel voit dans le film »un divertissement d'ilotes, un passetemps d'illettres, de creatures miserables, ahuries par leur besogne et leurs soucis . . . Un spectacle qui ne demande aucun effort, qui ne suppose aucune suite dans les idees, . . . n'eveille au fond des cceurs aucune lumiere, n 'excite aucune esperance, sinon celle, ridicule, d'etre un jour >star< a Los Angeles« 15 . On le voit, c'est au fond toujours la vieille plainte que les masses ne cherchent qu'a se distraire, alors que Tart exige le recueille- ment. C'est la un lieu commun. Reste a savoir sMl est apte a r&oudre le probleme. Celui qui se recueille devant l'ceuvre d'art s'y plonge: il y penetre comme ce peintre chinois qui disparut dans le pavilion peint sur le fond de son paysage. Par contre, la masse, de par sa distraction meme, recueille l'ceuvre d'art dans son sein, elle lui transmet son rythme de vie, elle l'embrasse de ses flots. L'architecture en est un exemple des plus saisissants. De tout temps elle ofTrit le prototype d'un art dont la reception reservee a la collectivite s'effectuait dans la distraction. Les lois de cette reception sont des plus reVelatrices. Les architectures ont accompagne l'humanite' depuis ses origines. Nombre de genres d'art se sont eUabores pour s'£vanouir. La tragedie nait avec les Grecs pour s'^teindre avec eux; seules les regies en ressusciterent, des siecles plus tard. Le poeme ^pique, dont l'origine remonte a Tenfance des peuples, s'^vanouit en Eu- rope au sortir de la Renaissance. Le tableau est une creation du moyen age, et rien ne semble garantir a ce mode de peinture une duree illimitee. Par contre, le besoin humain de se loger demeure constant. L'architecture n'a jamais chome. Son histoire est plus ancienne que celle de n'importe quel art, et il est utile de tenir compte toujours de son genre d'influence quand on veut com- prendre le rapport des masses avec l'art. Les constructions archi- tecturales sont 1'objet d'un double mode de reception: l'usage et la perception, ou mieux encore: le toucher et la vue. On ne saurait juger exactement la reception de l'architecture en songeant au recueillement des voyageurs devant les Edifices c&ebres. Car il 15 Duhamel, 1. c. (S, 734) p. 58. 73*> L'ceuvre d'art a l'epoque n'existe rien dans la perception tactile qui corresponde a ce qu'est la contemplation dans la perception optique. La reception tactile s'effectue moins par la voie de Tattention que par celle de l'habi- tude. En ce qui concerne ^architecture, l'habitude determine dans une large mesure meme la reception optique. Elle aussi, de par son essence, se produit bien moins dans une attention soutenue que dans une impression fortuite. Or, ce mode de reception, elabore" au contact de ^architecture, a dans certaines circonstances acquis une valeur canonique. Car: les tdcbes qui, aux tournants de Vhistoire, ont ete imposees a la perception humaine ne sauraient guere etre resolues par la simple optique, c'est-a-dire la con- templation, Elles ne sont que progressivement surmontees par l'habitude d'une optique approximativement tactile. S'habituer, le distrait le peut aussi. Bien plus: ce n'est que lorsque nous surmontons certaines taches dans la distraction que nous sommes surs de les resoudre par l'habitude. Au moyen de la distraction qu'il est a meme de nous offrir, l'art e'tablit a. notre insu jusqu'a quel point de nouvelles taches de la perception sont devenues solubles. Et comme, pour l'individu isole, la tentation subsiste toujours de se soustraire a de pareilles taches, Tart saura s'attaquer aux plus difficiles et aux plus importantes toutes les fois qu'il pourra mobiliser des masses. II le fait actuellement par le film. La reception dans la distraction, qui s'affirme avec une crois- sante intensite dans tous les domaines de Part et represente le symptome de profondes transformations de la perception, a trouve dans le film son propre champ d'experience. Le film s'avere ainsi l'objet actuellement le plus important de cette science de la perception que les Grecs avaient nommfc 1'estW- tique. XIX La proletarisation croissante de Phomme d'aujourd'hui, ainsi que la formation croissante de masses, ne sont que les deux aspects du meme ph£nomene. L'etat totalitaire essaye d'organiser les masses proletarisees nouvellement constitutes, sans toucher aux conditions de propri^ti, a l'abolition desquelles tendent ces masses. 11 voit son salut dans le fait de permettre a ces masses de sa reproduction mecanisee 737 Pexpression de leur »nature«, non pas certes celle de leurs droits 16 . Les masses tendent a la transformation des conditions de pro- prie'ti. L'£tat totalitaire cherche a donner une expression a cette tendance tout en maintenant les conditions de propriete. En d'autres termes: I'etat totalitaire aboutit necessairement a une esthetisation de la vie politique. Tous les efforts d 3 esthetisation politique culminent en un point. Ce pointy c'est la guerre moderne. La guerre, et rien que la guerre permet de fixer un but aux mouvements de masses les plus vastes, en conservant les conditions de propri£te\ Voila comment se pre*sente Yhzt de choses du point de vue politique. Du point de vue technique, il se presenterait ainsi: seule la guerre permet de mobiliser la totalite des moyens techniques de l'epoque actuelle en maintenant les conditions de propriety. Il est evident que l'apo- thfose de la guerre par Tetat totalitaire ne se sert pas de pareils arguments, et cependant il sera profitable d'y jeter un coup d'ceil. Dans le manifeste de Marinetti sur la guerre italo-e*thiopienne, il est dit: »Depuis vingt-sept ans, nous autres Futuristes nous nous £levons contre Taffirmation que la guerre n'est pas esthetique . . : Aussi sommes-nous amends a constater ... La guerre est belle, parce que grace aux masques a gaz, aux terrifiants megaphones, aux lance-flammes et aux petits tanks, elle fonde la supr^matie de Thomme sur la machine subjugu£e. La guerre est belle, parce qu'elle inaugure la metallisation revee du corps humain. La guerre est belle, parce qu'elle enrichit un pre* fleuri des flamboyantes orchid£es des mitrailleuses. La guerre est belle, parce qu'elle unit 16 II s'agit ici de souligner une circonstance technique significative, surtout en ce qui concerne les actua litis cin£matographiques. A une reproduction massive r£pond particulierement une reproduction des masses. Dans les grands corteges de fete, les assemblies monstres, les organisations de masse du sport et de la guerre, qui tous sont aujourd'hui offerts aux appareils enregistreurs, la masse se regarde elle-meme dans ses propres yeux. Ce processus, dont Pimportance ne saurait Stre surestim£e, depend Itroitement du deVeloppement de la technique de reproduction, et particulierement d'cnregistrement. Les mouvements de masse se pr£sentent plus nettement aux appa- reils enregistreurs qu'a l'ceil nu. Des rassemblements de centaines de mille hommes se laissent le mieux embrasser a vol d'oiseau et, encore que cette perspective soit aussi accessible a l'ceil nu qu'A l'appareil enregistreur, 1' image qu'en retient l'ceil n'est pas susceptible de l'agrandissement que peut subir la prise de vue. Ce qui veut dire que des mouvements de masse, et en premier lieu la guerre moderne, repr£sentent une forme de comportement humain particulierement accessible aux appareils enregistreurs. 73 8 I/ceuvre d'art a Pepoque les coups de fusils, les canonnades, les pauses du feu, les parfums et les odeurs de la decomposition dans une symphonic La guerre est belle, parce qu'elle cree de nouvelles architectures telle celle des grands tanks, des escadres geometriques d'avions, des spirales de fumee s'elevant des villages en flammes, et beaucoup d'autres choses encore . . . Poetes et artistes du Futurisme . . . souvenez- vous de ces principes d'une esthetique de la guerre, afin que votre lutte pour une poesie et une plastique nouvelle ... en soit eclairee!« Ce manifeste a Pavantage de la nettete. Sa facon de poser la question merite d'etre adoptee par le dialecticien. A ses yeux, Pesth£tique de la guerre contemporaine se pr&ente de la maniere suivante. Lorsque Putilisation naturelle des forces de production est retarded et refoulee par Pordrede la propriete, ['intensification de la technique, des rythmes de la vie, des g^nerateurs d^nergie tend a une utilisation contre-nature. Elle la trouve dans la guerre, qui par ses destructions vient prouver que la societe* n'etait pas mure pour faire de la technique son organe, que la technique n'etait pas assez developpee pour juguler les forces sociales £1£- mentaires. La guerre moderne, dans ses traits les plus immondes, est determined par le decalage entre les puissants moyens de pro- duction et leur utilisation insuffisante dans le processus de la pro- duction (en d'autres termes, pas le chomage et le manque de debouched). Dans cette guerre la technique insurgee pour avoir ete frustree par la societe de son materiel naturel extorque des dom- mages-interets au materiel bumain. Au lieu de canaliser des cours d'eau, elle remplit ses tranches de flots humains. Au lieu d'ense- mencer la terre du haut de ses avions, elle y seme l'incendie. Et dans ses laboratoires chimiques elle a trouve' un proc^de nouveau et imm^diat pour supprimer Paura. »Fiat ars, pereat mundus«, dit la th^orie totalitaire de P£tat qui, de Paveu de Marinetti, attend de la guerre la saturation artisti- que de la perception transformed par la technique. C'est appa- remment la le parachevement de Part pour Part. L'humanite\ qui jadis avec Homere avait ite* objet de contemplation pour les Dieux Olympiens, Pest maintenant devenue pour elle-meme. Son alienation d'elle-meme par elle-meme a atteint ce degre* qui lui fait vivre sa propre destruction comme une sensation estheYique »de tout premier ordre«. Voila ou en est Pesth&isation de la de sa reproduction m&anise'e 739 politique perpetree par les doctrines totalitaires. Les forces con- structives de Phumanite y repondent par la politisation de Part. Traduit par Pierre Klossowski 43i-$o8 Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Repro- duzierbarkeit 709-739 L'ceuvre d'art a Tepoque de sa reproduction me- canisee Erste Aufzeichnungen, erste Fassung und Beginn der Arbeit an der franzosi- scben Fassung Lieber Herr Horkheimer, ich danke Ihnen vielmals fiir Ihren Brief vom 18. September [1935]. NatUrlich war er fiir mich eine grofle Freude. Die Anzahl derer y vor denen meine Arbeit mich ausweisen kann> ist seit der Emigration klein geworden, Jahre und Lebenslage bewirken es andererseits y dafi diese Arbeit im Haushalt des Lebens einen immer grofieren Raum einnimmt. Daher die besondere Freude durch Ihren Brief. Gerade we'd Ihre Stellungnahme zum Expose [scil. des »Passagenwerks«] von so grofier Wichtigkeit ist und mir eine Hoffnung eroffnet, h'dtte ich diesem Brief gem jedes Eingehen auf meine Verhdltnisse ferngehalten. [. . .] Meine Situation ist so schwierig, wie eine Lage ohne Schulden es uberhaupt sein kann. Ich will mir damit nicht etwa das geringste Verdienst zuschreiben, son- dern nur sagen, dafi jede Hilfe, die Sie mir gewahren, eine unmit- telbare Entlastung fur mich bewirkt. Ich babe, verglichen mit mei- nen Lebenskosten im April, als ich nach Paris zuriickkam, mein Bud- get auflerordentlich beschrdnkt. So wohne ich jetzt bei Emigranten als Untermieter. Es ist mir aufierdem gelungen, Anrecht auf einen Mittagstisch zu bekommen y der fiir franzosische Intellektuelle veran- staltet wird. Aber erstens ist diese Zulassung provisorisch y zweitens kann ich von ihr nur an Tagen, die ich nicht auf der Bibliothek ver- bringe s Gebrauch machen; denn das Lokal liegt weit von ihr ah. Nur im Vorbeigehen erwdhne ich, daft ich meine Carte d'Identite emeu- em miifite, ohne die da fur notigen 100 Francs zu haben. Auch den Beitritt zur Presse Etrangere, den man mir aus administrativen Grunden nahegelegt hat y habe ich y da die Gebiihr $0 Francs betrdgt, noch nicht vollziehen konnen. Es ist an dieser Lage das Paradoxe, daft meine Arbeit wahrscheinlich nie einer offentlichen Nutzlichkeit n'dher gewesen ist als eben jetzt. Durch nichts ist Ihr letzter Brief mir so ermutigend gewesen als durch die Andeutungen t die er in diesem Sinn macht. Der Wert Ihrer Anerkennung ist mir proportional der Beharrlichkeit, mit der ich in guten und bbsen Tagen an dieser Arbeit festhielt, die nun die Ziige des Plans annimmt. Und zwar neuerdings in besonders entschiedener Gestalt. (Briefe, 688 ff.) Dieser Mitte Ok- tober 1935 geschriebene Brief beleuchtet die desolate Situation, in welcher Benjamin in Paris sich befand - es war im dritten Jahr seiner Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 983 Emigration - und in der er, das historische Bild der Sache, das nun provisorisch fixiert war (scil. im Expose des Passagenwerkes; s. Bd. 5), zugunsten konstruktiver Vberlegungen beiseite setzend (Briefe, 690), diese in der Gestalt eines ersten Entwurfes zur Reproduktions- arbeit niedergeschrieben hatte. So vorlaufig nun ibrerseits diese kon- struktiven Vberlegungen in der Gestalt sein mogen, in der ich sie fixiert babe, so darf ich doch sagen, dafi sie in der Richtung einer materialistischen Kunsttheorie einen Vorstofi macben, der seinerseits weit uber den Ihnen bekannten Entwurf (scil. das Expose) hinaus- fiibrt. Diesmal handelt es sich darum, den genauen Ort in der Ge- genwart anzugeben, auf den sich meine historische Konstruktion als auf ihren Fluchtpunkt bezieben wird. Wenn der Vorwurf des Bucbes das Scbicksal der Kunst im neunzehnten Jahrhundert ist, so hat uns dieses Scbicksal nur deswegen etwas zu sagen y weil es im Ticken eines Ubrwerks entbalten ist, dessen Stundenschlag erst in uns er e Ohren gedrungen ist. Uns, so will ich damit sagen, hat die Schicksals- stunde der Kunst geschlagen, und deren Signatur habe ich in einer Reihe vorlaufiger Vberlegungen festgehalten, die den Titel tragen »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit*. Diese Vberlegungen machen den Versuch, den Fragen der Kunsttheo- rie eine wahrhafi gegenwartige Gestalt zu geben: und zwar von innen her, unter Vermeidung aller unvermittelten Beziebungen auf Politik. - Diese Aufzeichnungen, die fast nirgends auf histori- sches Material Bezug nehmen, sind nicbt umfangreich. (Das Manu- skript dieser ersten Niederschrift findet sich weiter unten, 1037, charak- terisiert.) Sie baben einen lediglich grundsatzlichen Cbarakter. Ich konnte mir denken, dafl sie in der Zeitschrift (scil. der unter der Lei- tung von Max Horkheimer vom Institut fur Sozialforschung seit 1932 herausgegebenen »2eitschrift fur Sozialforschung«) an ihrem Platze war en. Was mich betrifft, so ist es selbstverstandlick, dafl ich diesen Ertrag meiner Arbeit von Ihnen am liebsten publiziert sahe. Keines- falls will ich ihn drucken lassen, ohne Ihre Stimme daruber gehort zu baben. (Briefe, 690 f.) Ahnlich resumierte Benjamin, gegen Ende Oktober 1935, in einem Brief an Scholem seine ihn okkupierende eigentliche Arbeit. - Diese ist in der letzten Zeit durch einige grund- legende Feststellungen kunsttheoretischer Art in entscheidender Weise gefordert worden. Zusammen mit dem historischen Schematismus, den ich vor ungef'dhr vier Monaten entworfen babe, werden sie - als systematische Grundlinien — eine Art Gradnetz bilden, in das alles einzelne einzutragen sein wird. Diese Vberlegungen verankern die Geschichte der Kunst im neunzehnten Jahrhundert in der Erkenntnis ibrer gegenwiirtigen von uns erlebten Situation. Ich halte sie sebr geheim, weil sie zum Diebstahl unvergleichlich besser als die meisten 984 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 meiner Gedanken geeignet slnd. Ibre vorlaufige Aufzeichnung heifit »das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Keproduzierbarkeiu . (Briefe, 695) Der maieutischen Umstande, deren es offenbar bedurft hatte, diese ersten Aufzeichnungen fixieren zu helfen, gedachte Benja- min in einem zur selben Zeit geschriebenen Brief an Kitty Marx- Steinschneider. Ich bin in den letzten Wochen mit den Fixierungen einiger eingreifender Vberlegungen zur Kunsttheorie beschaftigt t deren Ausgangspunkt )enes vormittdgliche Gespracb mit Ihrem Mann (scil. Karl Steinschneider) in der Bar gewesen ist. Es ist als ob diese Vberlegungen, die sich immer in den Fruhen des abnehmenden Tages verborgen gehalten batten, mir erst greifbar geworden waren } als sie einmal ins Mittagslicht berausgelockt worden sind. (Briefe, 697) Der Passus in den letzten Wocben erlaubt die genauere Datierung des ersten Entwurfs der Reproduktionsarbeit: sie ist September/Oktober 1935 anzusetzen. In einem gleichfalls gegen Ende Oktober geschrie- benen Brief - er ist an Werner Kraft gerichtet - bezeichnet Benja- min, in sehr grofiartiger Formulierung, den geschichtsphilosophischen Ort, auf dem er seine Betrachtungen anstellt, und, wie er sie festzu- halten vorhat. Was mid) betrifft y so bemube icb micb, meln Teleskop durch den Blutnebel hindurch auf eine Luftspiegelung des neunzebnten Jabrbunderts zu richten, welches ich nacb den Ziigen micb abzumalen bemiibe, die es in einem kiinftigen, von Magie befreiten Weltzustand zeigen wird. Naturlicb mujl icb mir zunachst einmal dieses Teleskop selber bauen und bet dieser Bemiibung babe icb nun als Erster einige Fundamentalsatze der materialistiscben Kunsttbeorie gefunden. Icb bin augenblicklich dabei, sie in einer kurzen programmatiscben Scbrift auseinanderzusetzen. (Briefe, 698 f.) Mit grofker Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei dieser in Angriff genommenen programmatiscben Scbrift um die erste definitive Fassung der Reproduktionsarbeit (s. 431-469). Dafiir sprechen, neben den Daten, Art und Weise der nachsten brieflichen Erwahnungen. Acht Wochen spater, am 27. De- zember 1935, schrieb er an Kraft: Zum Schluf! mocbte icb nocb an- merken, dap icb eine programmatische Arbeit zur Kunsttheorie abge- scblossen babe. Sie heifit »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techni- schen Keproduzierbarkeiu. Sie stebt stojflich in keinem Zusammen- hang mit dem groften Bucb (scil. dem Passagenwerk), dessen Plan ich erw'dhnt babe, metbodiscb aber im engsten, da jeder geschicbtlicben Arbeit, besonders wenn sie beansprucbt, vom historischen Materialis- ms sich herzuschreiben, eine genaue Fixierung des Standorts der Gegenwart in den Dingen vorhergehen mufi, deren Gescbichte dargestellt werden soil: . . . das Scbicksal der Kunst im neunzebnten Jabrhundert. (Briefe, 700) Hier findet der methodologische Zusam- menhang, in den Benjamin die Reproduktionsarbeit mit dem Passa- Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 985 genwerk damals geriickt wissen wollte, sich deutlich markiert. Die Entstehungszeit ihrer ersten Fassung liegt zwischen Mitte/Ende Ok- tober und Ende Dezember 1935. Gegen Ende Januar 1936 bereits waren, wie aus eincm Brief an Alfred Cohn hervorgeht, die ersten Schritte zur Publikation der Arbeit getan: sie soil in der Zeitschrifi des Instituts (scil. des »Instituts fiir Sozialforschung«, das, nach seiner Schlieftung durcb die Nationalsozialisten 1933, von Horkheimer in New York 1934 neuetabliert worden war) und zwar auf franzo- sisch erscheinen. Die \ Arbeit an dieser Ubersetzung wird in den Han- den eines besonders befahigten Mannes liegen (scil. Pierre Klos- sowskis); trotzdem wird es ohne Beeintrachtigung des Textes bei der Sacbe wohl schwerlich abgehen. Auf der andern Seite ist das Erschei- nen des franzosischen Textes mir aber mit Riicksicht auf meine hiesige Position sehr erwilnscht. (Briefe, 702 f.) Diese - wie auch die folgen- de - Briefstelle indiziert, dafi Benjamin in der Zeit zwischen Ende Dezember 1935 und Ende Januar 1936 Typoskripte von der ersten definitiven Fassung der Arbeit hat herstellen lassen, wovon eines Horkheimer iibergeben worden war (s. den . Brief Benjamins an Adorno vom 7. 2. 1936) - das erklart den Entscheid iiber die franzosische Form der Publikation in der »Zeitschrift fiir Sozialfor- schung« - und ein weiteres, schon damals, nach Moskau ging: Ich babe ubrigens zur Zeit den erw'dhnten Programmaufsatz in Moskau liegen (bei Bernhard Reich, von dem Benjamin zunachst etwas fiir die Forderung der Publikation auch dort sich versprach; s. 1025 f.) und bin auflerst gespannt, ob man ihn in Rutland publizieren wird. Es ist moglich. Immerhin wurde mich eine positive Entscbeidung mehr wundern als eine negative. (Briefe, 704) Der positive Anlafl zur Ver- wunderung trat, wie der weitere Fortgang dieser Publikationsbe- muhung (s. 1026 f.) zeigt,nicht ein. -Beidehier implizierten Typoskrip- te sind verloren. So muE es unausgemacht bleiben, ob sie Abschriften der im Dezember 1935 abgeschlossenen ersten Fassung waren, von der dasManuskriptvollstandig erhalten blieb (s. »Oberlieferung«, i05iff.). Die nicht unbetrachtlichen Abweichungen, die es gegeniiber der publi- zierten franzosischen Fassung aufweist - und vollends gegeniiber der spateren, zum erstenmal 1955 in den »Schriften« publizierten zweiten deutschen Fassung -, legen den Schlu£ nahe, dafl zwischen dem Manuskript der ersten Fassung und dem Druck der franzosischen Fassung eine - weitere, difTerente - Typoskriptfassung existierte: die, die aus ersten Besprechungen mit Horkheimer resultierte, und die der - diese Fassung noch weiter modifizierenden - Arbeit an der franzosischen Fassung zugrunde gelegt wurde. Diesen Schlufi stiitzen mehrere briefliche Zeugnisse der folgenden Tage und Wochen. Am 29. Januar 1936 - drei Tage nach Abfassung des zuletzt zitierten 9$6 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-73 9 Briefes an Kraft - schrieb Adorno auf einer Karte aus London an Benjamin: »Sie« (scil. diese Karte) »bezweckt im iibrigen eine Bitte: mir doch bald moglichst einen Durchschlag Ihrer technologischen Ar- beh« (sell, der Reproduktionsarbeit) »zuganglich zu machen. Diese Bitte ist umso dringlicher, als die Stellen, die Max [Horkheimer] mir vorlegte, in mir Bedenken (zunachst der Formulierung gegeniiber) auslosten, die ich verantworten oder liquidieren kann erst nach Kennt- nis des Ganzen. Darum ware ich Ihnen besonders dankbar.« (29. 1. 1936, Th. W. Adorno an Benjamin) Noch ehe diese Nachricht in Paris eingetrorTen war, schrieb Benjamin - am 30. Januar - an Kraft: Die Reproduktionsarbeit wird zunachst franzosisch erscheinen. Die Arbeit liegt in der Hand eines fiir sehr gut geltenden Obersetzers; obex auch fUr ihn werden die Schwierigkeiten aujiergewohnliche sein. Wo ich den deutschen Text publizieren kann, steht noch dahin. Augenblicklich bin ich beschafligt, zu dieser Arbeit eine Anzahl von Anmerkungen zu schreiben. (Briefe, 705) Mit diesen Anmerkungen diirften die sechs Textnoten gemeint sein, die in der franzosischen Fas- sung jeweils am Fufi der betreffenden Seiten stehen und die im Manuskript der ersten (deutschen) Fassung insoweit keine Entspre- chung haben, als es in dieser keine Fufinoten gibt; ein Teil dieser Noten ist jedoch Text der ersten Fassung (bei dem andern Teil diirfte es um einige der weitaus zahlreicheren Textnoten der zweiten [deutschen] Fassung sich gehandelt haben, deren Gros, wie diese Fas- sung selber, spater, jedenfalls kaum fruher als ab Marz, geschrieben worden sein mufi). Dies wird durch den Brief Benjamins an Adorno vom 7. Februar erhellt, der die Antwort auf dessen Karte ist. Mir war es naturlich von An fang an dringlich ) heifk es dort, Ihnen meine neue Arbeit zu schicken. Als sie - zum ersten Mai, sozusagen - fer- tig wurde, waxen Sie in Frankfurt. Dann gab ich sie Max mit 3 in der Hoffnung, Ihre Begegnung werde zeitlich geraumig genug ausfallen, um Ihnen moglich zu machen, sie zu lesen. Als ich von Max erfuhr, das sei nicht der Fall gewesen, waren meine paar Exemplare schon festgelegt. Nun aber werden Sie in wenigen Tagen vermutlich nicht nur das Original sondern auch die Vbersetzung bekommen y die auf Veranlassung von Max Pierre Klossowski ubernommen hat. Wir hoffen sie bei ihm in guten Hdnden; er bringt nicht nur alle Bedin- gungen von der sprachlichen Seite sondern auch wicht'tge wissenschaft- liche Voraussetzungen fur die Arbeit mit. Ich freue micb, Ihnen berichten zu konnen, dafi die Aussprache zwischen Max und mir uber diese Arbeit sich auf die fruchtbarste Art und in der freundschafl- lichsten Atmosph'dre bewegt hat. Und zwar sind gerade einige Fragen, zu denen Sie den Anstofi gegeben haben, fiir uns wichtig geworden. Das Ergebnis unserer Gesprache, in denen Sie, denke ich, einiges von Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 9^7 dem Ibrigen erkennen werden, sind, soweit sie nicht zu Umformulie- rungen des Textes (an einigen wenigen Stellen) gefUhrt baben, in einer Anzahl von Anmerkungen niedergelegt worden, die Schnitte durch den politiscb-philosophischen Unterbau der im Text gegebenen Konstruktionen darstellen. Abet Uber diese Arbeit binaus bat sicb diesmal in den Gespracben und in den Abmachungen mit Max das realisiert, worauf meine dringendsten Wunscbe und Ibre t'dtige Freund- scbafl so lange binzielten. Ich braucbe Ibnen nacb den letzten Worten, die wir bier (scil. in Paris) im Hotel Lutetia bei Ibrem kurzen Er- scbeinen gewecbselt baben, nicht zu sagen, was es fur micb bedeu- tet, endlicb obne die brutalsten Existenzsorgen arbeiten zu konnen. Da aucb Sie nun naber in die Arbeit des Instituts hineinrilcken, so kann ich mix davon sowobl was unsere tbeoretiscben Perspektiven wie was unsere praktische Position betrifft, wie ich boffe obne fahrldssi- gen OptimismuSy Gutes versprecben. [. . .] Ich boffe, Sie lesen zwischen diesen Zeilen den Dank, den unser Verhdltnis Ibnen unmittelbar zu sagen verwehrt. (7. 2. 1936, an Th. W. Adorno) Die Rede ist hier vom zweimaligen Fertigwerden der Arbeit, was sehr wohl der Version entsprechen konnte, daft es beim erstenmal urn die Abschrift des Manuskripts, beim zweitenmal um die nach der Besprechung mit Horkheimer modifizierte und um die sechs Textnoten bereicherte Typoskriptfassung sich handelte. Was Benjamin Original nennt, diirfte diese zweite (deutsche) Fassung gewesen sein, nach der Klossowski - in Zusammenarbeit mit Benjamin - die franzosische Fassung her- stellte. Diese aber wurde weiteren Modifikationen unterworfen, deren Ergebnis die schliefilich in der »2eitschrift fiir Sozialforschung« ge- druckte Fassung war. Obersetzungsarbeit und redaktionelle Anderungen an der framosischen Fassung Die Geschichte dieser weiteren Modifikationsarbeit ist kompliziert, die Komplikation durch zahlreiche Zeugnisse im einzelnen belegt. Am 25. Februar 1936 schrieb Raymond Aron, der Leiter der Pariser D^pendance des New Yorker Instituts, in seinem brieflichen Bericht uber die Arbeitsatmosphare in der D^pendance, an Horkheimer: »Dans l'ensemble, je crois la situation actuelle excellente. [. . .] Tout va bien si longtemps que Tactivit^ de chacun reste ind£pendante.« Jedoch: »Des qu'une question se pose, des discussions interminables s'&event qu'il serait souhaitable d'eviter. Exemple: Iundi, a mon arrivee au bureau, on me montre la premiere page de 1'article traduit en francais de M. Benjamin. Je remarque deux phrases obscures que je propose de corriger. M. Benjamin lui-meme desire vivement que je 988 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739. revoie Tensemble du texte. Cest alors que M. Brill intervient: pene- tre de ses responsabilites, convaincu de la n^cessite de remettre Ie manuscrit le plus tot possible a Alcan [scil. den Verlag der »Zeit- schrift fiir Sozialforschung«], il commence par nous accorder deux heures seulement pour la revision de Particle. II fallut une p£nible discussion pour obtenir le delai de 24b. necessaire. Tout s'est done bien termine et, encore une fois, je n'adresse aucun reproche a M. Brill dont les preoccupations etaient louables. Simplement je poserai la question suivante: ne convient-il pas que, dans les cas douteux, une personne et une seule ait le droit de prendre une decision, sous sa propre responsabilit£? Je n'ai aucun gout parti- culier pour I'autorite et si je ne cherchais que ma tranquilliti, je laisserais les choses en Tetat, mais je crois qu'un >pouvoir d'arbi- trage< est indispensable. Nous avons passe Tapres-midi a corriger Particle avec M. Benjamin. Cest la sans doute un travail remar- quable et je n'ai aucune reserve a formuler, (je reponds ainsi a la question que vous m'aviez posee avant votre depart). II serait bon pourtant d'indiquer en tete de Particle qu'il s'agit d'une traduc- tion, de maniere que le lecteur n'attribue pas a l'auteur lui-meme les inevitables singularity d'un texte aussi difficile.« (25.2.1936, Raymond Aron an Horkheimer) Um die gleiche 2eit berichtete Brill, der Sekretar und eigentliche Vertrauensmann Horkheimers im Pari- ser Bureau, iiber den Stand derObersetzungsarbeit und der Publikauon der Benjaminschen Abhandlung: »Das Manuskript ist heute friih bei Alcan abgegeben worden. Das Ganze war eine Schwerstgeburt. Klossowski hat sich bei seiner Besprechung mit Ihnen und bei Fest- legung des Ablieferungstermins ofTenbar weder von der Schwierigkeit des Textes noch von den Schwierigkeiten, die sich aus der Zusammen- arbeit mit Dr. B[enjamin] ergaben, die geringste Vorstellung ge- macht. Ich hatte also die wenig angenehme Aufgabe, die letzten 10 Tage sozusagen Tag und Nacht dahinter her zu sein, daft die Sadie fertig wird. Sie ist nun fertig, und ich habe gestern Abend noch einige Streichungen vorgenommen, mit denen Bfenjamin] nicht einverstan- den ist. Eine Kopie kann ich Ihnen nicht mitschicken, da sie erst angefertigt wird und Freitag (ausnahmsweise mit einem deutschen Dampfer, da die >Ile de France< erst am 4. Marz abgeht) an Sie expe- diert wird. Fiir das letzte Kapitel der Arbeit behauptet Herr Benja- min eine Spezialerlaubnis von Ihnen zu haben, so daft ich an diesem Kapitel inhaltlich nichts geandert habe. Ich bemerke, daft S i e mir von dieser Spezialerlaubnis nichts gesagt haben; ich begreife sie audi nicht ganz, denn dieses letzte Kapitel laftt an Eindeutigkeit nichts zu wiinschen ubrig. Ich nehme an, daft Herr Bfenjamin] iiber meine Striche recht ungehalten sein wird und mochte Sie bitten, in diesem Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 989 Falle ihn wissen zu lassen, dafl ich diese Stridie auf Ihre - wenn auch nur als Provisorium gedachte - ausdriickliche Anweisung gemacht habe. Es 1st iibrigens eine sehr feine Arbeit, die B[enjamin] da ge- leistet hat.« (26. 2. 1936, Hans Klaus Brill an Horkheimer) Von Benjamin selbst liegt folgender, diese Phase der Obersetzungs- und Redaktionsarbeit kommentierender, abschliefiender Bericht an Hork- heimer vor; er ist einen Tag spater als der Brillsche geschrieben: In einem, spatestens in zwei Tagen wird das franzosische Manuskript meines Aufsatzes an Sie abgehen. Seine Fertigstellung bat sicb also, wie Ihnen dies Herr Brill inzwischen gewifi scbon mitgeteilt bat, aufierordentUch verzogert. Ich wiirde mix uberlegen, ob icb Ibre Aufmerksamkeit mit einem kurzen Ruckblick auf die Gescbicbte der Herstellung dieser Vbersetzung in Ansprucb nebmen soil, wenn die Erfabrungen, die sie entbalt nicbt von gewissem Belang fUr die be- vorstebende Vbersetzung Ibres Buches w'dren. [. . .] Die Erfabrungen mit Klossowski [stellen] nur die Halfte des Tatbestands dar [...], der der Entscheidung daruber zu Grunde zu legen ist, in wessen Hande die Vbersetzung Ibres Buches zu legen sein wird, Im ubrigen ist aber auch die erste Hal fie dieses Tatbestands im Moment noch nicht vollstandig Ubersebbar. Icb weifl, wie sicb die Arbeit mit Klos- sowski gestaltet hat; ich weifi aber noch nichts Endgultiges uber ibren Erfolg. Daruber wird die Aujnahme durch franzosische Leser ent- scbeiden, von denen mir mehrere so nahe stehen, daft ich ihre Auf- merksamkeit auf die sprachlicbe Seite der Sache hinlenken kann. In jedem Fall durfie, was das Ergebnis betrifft, zweierlei jetzt scbon feststellbar sein. Erstens, dafi die Vbersetzung von grojlter Genauig- keit ist und den Sinn der Vorlage durchgehend ricbtig wiedergibt. Zweitens, dafi der franzosische Text vielfach eine doktrinare Haltung hat, die sicb, wie ich meine, im deutschen nur selten findet. Aron, der das Manuskript kurz vor der Ablieferung durcbsah und eine Anzahl von Verbesserungen daran vornabm sagte sehr treffend, es sei eine Vbersetzung, der man die Mitwirkung des Autors gelegentlich zu ihrem Nacbteil anmerke. Auf der anderen Seite steht aufler Zweifel, daft meine Mitwirkung nicbt zu entbehren war. Die ersten Kapitel, die Klossowski obne Vorbesprechung mit mir ubersetzt hatte, entbiel- ten zablreiche Mifiverstandnisse und Entstellungen. Ich bin sicher, dafi es grundsatzlich wiinschenswert und moglich gewesen ware, die Spuren meiner, zunachst durchaus unentbehrlichen Mitarbeit spater- hin zu verwiscben. Das hatte aber nur in einem Umschmelzungsprozefl gescbeben konnen, der Wochen, wenn nicht Monate in Ansprucb ge- nommen hatte. Klossowskis Irrtum bestand darin, dafi er annahm den Text im Groflen und Ganzen fortlaufend, vielleicbt unterstutzt durch gelegentlicbe Ruckfragen bei mir, im Tempo einer ublichen Vbertra- 99° Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 gung herstellen zu konnen. Die erste fluchtige Durchsicbt des dent- schen Textes hatte diesen Irrtum berichtigt. Das Ungluck ist, daft er dazu erst nach Ihrer Abreise kam oder vielleicht seine Arbeit zun'dchst einmal ohne diese Durcbsicht beglnnen zu konnen glaubte. So hatte er sich auf Fristen verpflichtet, die dann beim besten Willen trotz ange- strengtester Arbeit nicht einzuhalten waren, Ich selbst war, wie Sie bemerkt haben werden, durch die Verzogerung, mit der er seine Arbeit begann, von vornherein etwas beunruhigt; aber mir blieb t wie Ihnen, zun'dchst nichts Ubrig als mid) auf seine Zusage zu verlassen. Als Klossowski einmal mit dem Text und den ungewohnlichcn Schwierigkeiten der Obersetzung vertraut war, hat er sich die grofite Muhe gegeben, das grofite Verstandnis an den Tag gelegt und so ist die Zusammenarbeit mit ihm unbeschadet der ungunstigen zeitlichen Umstdnde im Ganzen nicht nur fruchtbar sondern auch angenehm gewesen. Einige der Anmerkungen hat er beim besten Willen nicht mehr bewaltigen konnen. Brill meinte, zwei oder drei wilrden sich immerhin in den placards noch unterbringen lassen; ich hoffe sebr, dap er recht hat. Das Gegenteil ware in der Tat bedauerlich. Mit Brill bin ich dann auch die von Ihnen bezeichneten politischen Formu- lierungen noch einmal durchgegangen und habe an einigen Stellen die Terminologie an anderen besonders im Schlufi des ersten Kapitels den Wortlaut gedndert, gelegentlich auch einen Satz gestrichen. Der Be- grifi des Faschismus findet sich aufier im letzten Kaphel, uber das wir ja miteinander gesprochen haben, hbchstens an ein oder zwei Stellen, Mit Axon habe ich die Moglichkeit ins Auge gefafit, in einer kurzen redaktionellen Vorbemerkung darauf hinzuweisen, dafi der Auf satz aus dem deutschen uber set zt ist. Sie werden besser beurteilen konnen als wir, ob das zweckmaflig ist. (27. 2. 1936, an Horkheimer) In einem Brief an Adorno unter dem gleichen Datum heifk es: Ich hatte ge- dacht, diese Begleitzeilen zu meiner Arbeit eher an Sie abgehen lassen zu konnen. Es war aber vor Abschlufi der franzosischen Obersetzung kein deutsches Exemplar frei zu machen. Wenn nun das Ihnen zu- gehende die Spuren der Ubersetzungsarbeit tragt, so bitte ich Sie das zu entschuldigen. - Ware im ubrigen diese Ubersetzungsarbeit eine in jeder Hinsicht endgultig abgeschlossene, so wilrden Sie gleichzeitig mit dem deutschen den franzosischen Text erhalten. Wie aber die Sache liegt y mufi ich den letzteren, trotzdem er schon in Druck gegangen ist, noch kurze Zeit hier behalten um ihn ein letztes Mai mit dem Obersetzer durchzugehen. [. . .J Die zweiwochentliche uberaus in- tensive Arbeit mit meinem Obersetzer hat mir dem deutschen Text gegenuber eine Distanz gegeben, die ich gewohnlich nur in Vdngeren Fristen gewinne. Ich sage das nicht um im Geringsten von ihm abzu- riicken, vielmehr we'd ich erst aus dieser Distanz ein Element in Anmerkungen zu Sehe 43 1-508 und 709-739 99 1 ihm entdeckt babe, das ich gerade bei Ihnen ah Leser gem zu einiger Ehre gelangen sehen wiirde: eben die menscbenfresserische Urbanitdt, eine Umsicht und Bebutsamkeit in der Destruktion, die wie icb kojfe etwas von der Liebe zu den, Ibnen vertrautesten, Dingen verrat, die sie jreilegt. (Brief e, 708 f.) Dem Horkheimer gesandten Brief schickte Benjamin - zwei Tage spater - einen weiteren nach, als er . durch Zufall darauf gestofien war, daft weitergehende als die in Zusammenarbeit mit Brill gemachten Streichungen am bereits im Satz befindlichen Text vorgenommen worden sein mufken. In mei- nem [vorjgestrigen Brief bericbtete icb Ibnen, daft ich die Ober- setzung auf politiscbe jragliche Stellen bin mit Brill durcbgeseben hatte. Aus dem kurzen Bericbt konnten Sie seben, dap icb die Durch- sicht fiir zweckentsprecbend hielt und dafi icb sie im Einvernehmen mit Brill erfolgt glaubte. Zu meinem sebr grofien Bedauern bat sicb das als ein Irrtum erwiesen. Gelegentlicb einer telepboniscben Nach- frage Tecbniscbes (Paginierung) betreffend, stellte sicb beraus, daft Brill unmittelbar nacb der gemeinsam erfolgten Durscbsicht und an Stellen, die Gegenstand dieser Durchsicht gewesen wa- xen, in der Druckvorlage binter meinem Ruck en Streichun- gen vorgenommen hat. Da Sie den franzosischen Text meiner Arbeit hier nicht mebr durcbseben konnten, so ergab sicb fur mich Ibr Wunscb, ihn von einem unbeteiligten Dritten auf gewisse Formeln bin lesen zu lassen, von selbst. Brills Eingriff scbeint mir nun nicbt nur seiner Form nacb aus den redaktionellen Gepflogenbeiten der Zeitscbrifl herauszufallen, sondern geht in Wirklichkeit auf Abschnitte des Ur~ textes, iiber die Sie und ich miteinander eins war en. Es bandelt sich bei die sen Eingriff en zunachst um das erste Kapitel. Ober dieses Kapitel haben Sie mit mir ausfiihrlicb gesprochen, und wir sind uber- ein gekommen, dessen Schlufi zu andern. Das babe icb selbstverstdnd- lich get an. Brill hatte es aber nicbt darauf sondern in erster Linie offenbar auf den dritten Satz der Arbeit abgeseben, der nichts entbalt als die Wiedergabe der These des »Kapitals«. Die Vorstellungen, die diesem Eingriff zugrunde liegen, kamen in seiner Besprecbung mit mir besonders charakteristisch bei Gelegenheit des 5. Kapitels zur Geltung. »Als n'dmlich*, bei fit es dort im erst en Abscbnitt, »mit dem Aufkommen des ersten wirklich revolutionaren Reproduktionsmittels, der Photograpbie (gleicbzeitig mit dem Anbruch des Sozialismus) die Kunst das Nahen der Krise spurt, . . . reagierte sie mit der Lebre vom Vart pour ¥art.« In diesem Satz wollte Brill unter alien Urns tan- den den Inhalt der Klammer beseitigt sehen. Die Betracbtungsweise der Arbeit, welcbe die Geschichte der Reproduktionstechnik im engsten Zusammenhang mit der der Masse betrachtet, machte es mir nicht moglicb, auf diesen Satz zu verzichten. Auf der anderen Seite scbeint 992 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 mir gerade der Utile Einwand eine Sachfremdheit zu bekunden, die eine r e d a ktione 1 1 e Arbeit mit ibm eben so sehr erschwert wie das Verfabreriy nach gutlicher Verstandigung mit einem Autor durch ein fait accompli Anderungen durchsetzen.zu wollen, auf der en Ver- tretung vor dem Verfasser man verzichtet hat. Dies Vorgeben mocbte ich umso weniger hinnehmen als die letzte Stellungnahme zu Formu- lierungen ohnehin natUrlich Ihnen selbst vorbehalten ist. Alle Um- stande und alle Erfabrungen beweisen, dafi zwiscben Ibnen und mir Unstimmigkeiten in diesen Dingen nicht aufkommen konnen, ware es aucb nur we'd Sie jederzeit Uber Gegenvorschldge verfugen und we'd wiederum ich jederzeit voiles Verstandnis fiir die Bedingungen babe, denen die Arbeit des Instituts beutzutage Recbnung zu tragen bat. Ahnliche Probleme wie der gegenwdrtige Aufsatz sie an einigen Stellen aufwirfi haben sich seinerzeit bet der Arbeit uber den »Gesellscbaft- lichen Standort des franzosiscben Schriftstellers* [s. Bd. 2] ergeben, und sie sind ebenso miibelos und beilaufig erledigt worden wie sich das fiir mehrere Stellen der neuen Arbeit in Ihren Pariser Gespr'dchen mit mir ergeben hat. Ich weifl, lieber Herr Horkheimer, wie sehr Sie von wichtigen Arbeit en in Ansprucb genommen werden. Gem h'dtte ich alles was an mir ist getan, um Sie, was meine Sacben betrifft, von der Befassung mit redaktionellen Details zu entlasten. In diesem besonde- ren Falle mocbte ich dennoch die Bitte an Sie ricbten, Ihre Stellung- nahme zu einzelnen fraglichen Punkten mir unmittelbar zukommen zu lassen. Brill weifl nicht und kann nicht ermessen, welche besonderen Absichten Sie gerade mit der franzosiscben Publikation dieser Arbeit verbinden. Ich kenne nicht sdmtliche Stellen y die von Brills Eingriffen obne mein Vorwissen betroffen wurden. Sicher scheint mir y dafi ge- rade wenn diese Arbeit informatorischen Wert fiir die Avantgarde der franzosiscben Intelligenz haben soil, ihr politischer G r un d - r i fl nicht verwischt werden darf. Zu diesem Grundrifi gehoren das erste sowohl wie das letzte Kapitel, die einander im Gesamtaufbau entsprechen. Ein Zufall bestdrkt mich in meiner, den franzosiscben Leser betreffenden Ansicbt. Es ergab sich ndmlicb, dajl Aron anwesend war, als Brill seine Einwande gegen den dritten Satz des ersten Kapi- tels vorbracbte. (s. 987 f.) Aron, der kaum zum radikalen Flugel der hiesigen Intelligenz gehoren wird, trat ihm lebhafl entgegen. Darauf, vielleicht noch mehr als auf meinen eigenen Einwand, zog dann Brill den Einsprucb zuruck, den er nachher auf andere Weise zur Geltung brachte. Ich bitte Sie sehr, mir sobald Sie es konnen Ihren eigenen Standpunkt zu den strittigen Manuskriplstellen mitzuteilen. Die etwa notwendigen Anderungen im Satz (Wiederherstellung des ersten Kapitels) werden sich dann gewifi noch bewerkstelligen lassen. (29. 2. 1936, an Horkheimer) Ehe Horkheimer Benjamin antwortete, Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 993 war er bestrebt, die eingetretene Situation zunadist mit Brill und Aron prinzipiell abzuklaren. An Brill schrieb er, nach Erhalt des Brillschen Schreibens vom 26, Februar, am 6. Marz aus New York: »Die Erledigung der durch den Benjamin schen Aufsatz entstandenen Probleme wird hier von seiten der Redaktion aus bei der Lekture der Korrektur erfolgen. Jedenfalls haben Sie ganz nach Obereinkunft gehandelt, indem Sie die bedenklich erscheinenden Stellen gestrichen haben. Es wird nun an uns sein zu entscheiden, ob und wieweit wir Herrn Benjamins Protest Rechnung tragen konnen. An eine spezielle Erlaubnis erinnere ich mich nicht im geringsten. Ahnliches gilt fur Ihr Bestreben, das Gesamtmanuskript der Nummer nach dem verspate- ten EintrefTen der Klossowskischen Ubersetzung wenigstens so rasch wie moglich der Druckerei zu ubergeben. Herr Aron hat mir ge- schrieben, daft Sie aus diesem Grunde fur die Durchsicht des Aufsatzes zunachst nur zwei Stunden Zeit gewahren wollten, und bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, dafl die Frage, wem in solchen Fallen die Verantwortung zufalle, noch nicht gelost sei. In dem Be- streben, alles zu tun, um den Ablauf des dortigen Betriebes reibungs- los zu gestalten, habe ich geantwortet, dafi bei Meinungsverschieden- heiten, welche die Gestaltung des franzosischen Teiles der Zeitschrift und den Verkehr mit franzosischen Gelehrten betreffen, er selbst die Verantwortung ubernehmen solle. Aufierdem verwies ich darauf, dafi Herr Pollock im Laufe des April iiber Paris kommt. Selbstver- standlich habe ich Herrn Aron auch gesagt, daft ich mit Ihnen verein- bart hatte, etwaige Anderungen, die er vornahme, konnten .in der Korrektur beriicksichtigt werden. [. . .] Bitte teilen Sie mir mit, ob Aron von den Anderungen, welche Sie unter Protest Benjamins an seinem Artikel noch vorgenommen haben, Kenntnis hat oder ob er dariiber im unklaren ist. Sollte dieses Ietztere der Fall sein, so mtifken wir einen diplomatischen Weg der Mitteilung an ihn finden. Er konn- te sich namlich darauf berufen, daft ich ihm bei meinem Dortsein gesagt habe, er selbst solle fur franzosische Artikel und Besprechun- gen verantwortlich sein. Nun besitze ich zwar sein agrement zu dem Benjamin'schen Aufsatz, weifi aber nicht, welche exakte Fassung diesem agrement zugrundeliegt.« (6. 3. 1936, Horkheimer an Brill) Mit gleicher Post ging ein Brief Horkheimers an Aron: »Fiir Ihre Zeilen vom 25.2. danke ich Ihnen bestens. Ihr Eindruck, dafi die gegenwartige Situation des dortigen Buros im grofien und ganzen gut ist, freut mich und ist mir besonders wertvoll. Selbstverstandlich miis- sen Einzelheiten noch geregelt werden, und ich hoffe, daft dies bei dem kurzen Besuch Herrn Pollocks im April bereits zum Teil ge- schehen kann. Heute schon mochte ich freilich auf den besonderen von Ihnen erwahnten Obelstand eingehen. Ich schlage vor, daft in 994 Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 alien Meinungsverschiedenheiten, bei denen die Gestaltung des fran- zosischen Teils der Zeitschrift oder der Verkehr mit franzosischen Ge- lehrten infrage stent, die Verantwortung von Ihnen getragen werden soil, da Sie ja fiir diese Abteilung unserer Arbeit zustandig sind. Ich glaube Ihnen gern, que vous n'avez >aucun gout particulier pour Tautorite<, wir haben jedoch in unserem Sammelband [scil. »Studien liber Autoritat und Familie, Forschungsberichte aus dem Institut fiir Sozialforschung«, Paris 1936] mehrfach darauf hingewiesen, daft sachlich begriindete Autoritat eine Bedingung jeder Art gesellschaftlicher Zusammenarbeit ist. In der Oberzeugung, daft Sie diese Sachautoritat in volligem Mafie besitzen, bitte ich Sie, meinem Vorschlag wenigstens vorlaufig beizustimmen. An Herrn Brill schreibe ich gleichzeitig in diesem Sinne. Was den spe- ziellen Fall betrifft, uber den Sie mir Mitteilung machen, so mufi ich betonen, daft wohl die Schuld wesentlich in einer Aufterung von mir zu suchen ist. Ich hatte namlich Herrn Brill in Paris gesagt, daft - falls Sie mit der Verbffentlichung der Benjamin' schen Arbeit im groften ganzen einverstahden seien - die von Ihnen vorzuschlagen- den Anderungen an diesem Aufsatz unter Umstanden bei der Korrek- tur eingefiigt werden konnten. Da nun durch die spatere Ablieferung der Dbersetzung die Fertigstellung des Manuskripts dieses ohnehin schon reichlich verspateten Heftes [sich] noch weiter verzogert hatte, erinnerte sich Herr Brill orrenbar an meine Anweisung und wandte alien Eifer auf, um keinen weiteren Aufschub eintreten zu lassen. Ich zweifle nicht daran, daft sich die Zusammenarbeit in der Zukunft produktiv gestalten wird, umsomehr, als von nun an die Kompetenz- frage geregelt ist.« (6. 3. 1936, Horkheimer an Aron) Noch ehe beide Briefe Horkheimers in Paris eintrafen und die Situation zu bereini- gen vermochten, waren die anlaftlich der Drucklegung von Benjamins Reproduktionsarbeit entstandenen redaktionellen Kompetenzstrei- tigkeiten auf einen Punkt gelangt, wo die unmittelbar Beteiligten - Aron und Brill - keinen anderen Weg mehr sahen als - jeder im vollen Gefiihl seiner Befugnis - die momentane Unvereinbarkeit der Befugnisse und Griinde Horkheimer in aller Deutlichkeit vorzutragen. Unter gleichem Datum gingen zwei Briefe an ihn ab, einer von Brill, der andre von Aron. Brill schrieb: »Wie ich gleich befiirchtete, habe ich durdh die Korrektur des Aufsatzes Benjamin den Autor aufs tief- ste verletzt, was mir darum doppelt und dreifach unangenehm ist, weil ich Autor und Werk hochschatze. Ich wende mich also an Sie mit der Bitte, Herrn Benjamin dariiber aufzuklaren, daft mir, indem ich strich, irgendweiche Kritik an seiner Arbeit - und gar eine herab- setzende - vollig fern lag. Der Brief an Sie, den mir Herr Aron heute diktierte und der Sie mit gleicher Post erreichen wird, gibt mir Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 995 Veranlassung, Ihnen zu erklaren, daft mir audi Herrn Aron gegen- uber nichts ferner liegt, als etwa seine Autoritat, die ja im Rahmen der Zeitschrift vollig unzweifelhaft und mir durdiaus klar ist, zu umgehen oder auszuschalten. Wenn ich in dem speziellen Fall ihn von meinen Streichungen nidit in Kenntnis setzte, so einmal deshalb, weil ich der Meinung war, daft seine Durchsicht der Benjaminschen Arbeit sich auf das Formale beschranke. Diese formale Arbeit hatte statt- gefunden und war etwa um 7 Uhr abends am Tag vor Abgabe des Manusknptes beendet. M e i n ganzes Bestreben war von vorne- herein darauf gerichtet, das Manuskript (das ohnehin schon allzulange hier lag), so rasch wie moglich in die Druckerei gelangen zu lassen. Hierin allein sah ich das Interesse der Zeitschrift, hierin also das Interesse des Instituts, das ich mit aller Intensitat wahrgenommen habe. Nichts anderes, vor allem kein fal- scher Autoritatsrausch, den Herr Aron in meinem Tun offenbar ver- mutet. M e i n Wunsch ist, m e i n e Pflicht zu erfullen, und ich habe mit meiner Arbeit so hinreichend zu tun, daft ich garnicht auf den Gedanken kame, irgendwie in den Arbeitskreis von Herrn Aron einzugreifen, ganz abgesehen davon, daft mir bis jetzt audi die Be- fahigung dazu fehlt. Wenn ich also irgendeinen Fehler gemacht habe - und ich habe nichts getan, wozu ich nicht Ihre Genehmigung zu haben glaubte - so geschah es allein aus der Absicht, die Arbeit des instituts zu fordern. Die Art und Weise, wie ich meine, d. h. die Arbeiten des Instituts sonst erledige, wird das bestatigen. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, so nehme ich selbstverstandlich jeden Tadel an; ich mochte Sie aber bitten, Herrn Benjamin und Herrn Aron, dem ich Durchschlage dieses Schreiberis gebe, zu verstandigen, daft mir bei meinem Handeln jede Besserwisserei und vor allem jede krankende Absicht, jedes irgendwie unsachliche Moment vollig fern lag.« (12. 3. 1936, Brill an Horkheimer) Und in Arons Schreiben heifk es:,»Je viens d'apprendre avec surprise et meme, permettez-moi de vous le dire franchement, avec indignation ce qui s'est pass^ au bureau en ce qui concerne Particle de M. Benjamin. J'ignorais en effet que M. Brill avait cru devoir supprimer des passages entiers de cet article: II avait oublie ou juge inutile de m'en avertir. Sans doute, avait-il recu de vous la mission de revoir le texte avec l'au- teur. Mais, en tout e*tat de cause, il eut hk pour le moins correct de me demander mon avis qukte a ne pas le suivre, s'il avait consider^ sa responsabilite comme engag^e. Le plus press£ pour Tinstant est de reparer le mal II importe que le texte primitif soit retabli, il est n^cessaire que la division en paragraphes, partiellement supprim^e du fait que les numeVos ne correspondaient plus & la realite, cette division doit etre r^tablie. Je suis pret a me mettre imm^diatement en 996 Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 relation avec Alcan, de maniere que ce travail, peut-etre technique- ment difficile, n'amene pas de trop long retard. Si deplorable au reste que put etre un retard, tout vaut mieux que de ddfigurer un travail aussi remarquable que celui de M. Benjamin. Je voudrais en- core ajouter quelques mots. Cet incident donne plus de force encore aux reflexions que je vous soumettais dans ma lettre personnelle. Je crois avoir, plus que M. Brill, les moyens de juger la reaction du public francais a un article icrk en francais. Et pourtant, je n'ai pas ete' consulted sous pr^texte que la lettre des ordres refus n'exigeait pas cette consultation. La situation actuelle m'apparait done a nouveau comme impossible. Le melange de d£sir d'autoriti et de craindre des responsabiIit.es ne saurait donner que des resultats facheux. Au moins est-il n^cessaire que toutes les initiatives, surtout d'ordre intellectuel, soient rigoureusement controlees. Encore une fois, je vous £cris en toute franchise et dans la seule intention de ren- dre service a l'Institut. Je vous connais assez pour savoir que vous n'avez jamais admis et que vous n'admettrez jamais qu'on corrige le texte d'un auteur sans d'etre mis d'accord avec lui. Lorsqu'il s'agit d'un auteur du rang de M. Benjamin, une telle intervention a quel- que chose d'a la fois lamentable et ridicule. Je suis convaincu que vous deplorez comme moi un accident qui n'est pas tout a faire excusable, meme si on doit l'imputer a un exces de conscience. Ex- cusez-moi de prendre parti aussi vivement dans une affaire qui ne releve pas de mes fonctions officielles. J'ai pense* que ma presence au bureau m'autorisait a prendre parti et a exprimer totalement mon opinion. « (12. 3. 1936, Aron an Horkheimer) Wahrend der glei- chen Zeit hatte Benjamin genauere Kenntnis von den Anderungen er- , langt, die uber die gemeinsam mit Brill gemachten hinaus von diesem an der Druckvorlage vorgenommen worden waren. Seine Bestiirzung hieriiber driickt er in einem Brief an Horkheimer, geschrieben am 14. Marz, aus: Gleichzeitig mit der New Yorker Sendung erbielt ich die placards von Alcan. Ich babe nun das Ausmajl der Eingriffe Brills vor Augen und ebenso das Majl seiner Illoyalitat. Er bat sdmtlicbe Stellen, der en Konservierung er in der »V erhandlung« mit mir einge- r'dumt batte, hinter meinem RUcken gestrichen. (Unter anderem - um in der »Zeitscbrifi fur Sozialforschung« dem Begrifi »Sozialismus« aus dem Wege zu geben - die Klammer auf Seite 10 des franzosi- scben Textes.) Wenn dieses Verhalten seiner privaten Seite nach noch einer Illustration bedurfte, so gab Brill sie mir mit der Bemerkung, er seiy indem er mich zu einer Durcbsicht des Manuskripts berangezogen babe, scbon Uber die von Ibnen ibm erteilten Instruktionen berausge- gangen. Die vollst'dndige Streicbung des ersten Kapitels bat die ge- samte Arbeit um ihre Ausrichtung gebracbt, Ich bin uberzeugt } dajl es Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 ^y in Ihrem Sinn ist, daft dieses Kapitel - sei es mit den von mir auf Ihren Wunscb vorgesehenen Varianten, sei es mit anderen - wieder hergestellt wird. Eine Folge der Streichung des ersten Kapitels ist, dafi Alcan sich in der - von Brill nicht e'tnmal sinngemafl ge'dnder- ten! - Kapitelzdhlung nicht mehr auskennen konnte und die Kapitel- einteilung in den placards fortgelassen hat. Der gesamte Text ist auf diese Weise v 11 ko mm en unv e r s t an d lie h geworden. Sollten die technischen Schwierigkeiten einer Remedur, einschliejllicb Wiederherstellung des ersten Kapitels, zu grojl sein, so wiirde ich Sie auf das D r ingend st e bitten, den Satz bis zum uberndchsten Heft zuriickzustellen. Sie konnen sich denken, wie unglucklich ich daruber ware. Aber vielleicht ware es nicht umsonst, wenn Brill darin einen Hinweis erblicken wiirde, seine Tatigkeit fortan in denjenigen Grenzen zu halten, die Sie selbst ihm, wie Sie es mir bei Gelegenheit sagten, vorgesteckt haben. (14.3. 1936, an Horkheimer) Brill hatte unterdessen Horkheimers Brief erhalten und konnte in seiner Antwort die bereits erfolgte Wiederverstandigung mit Aron vermelden: »Ich danke Ihnen fur Ihren Brief vom 6. Marz. Inzwi- schen haben Sie meinen und Arons Brief v. 12. in. Der Durchschlag meines besagten Briefes hat bei Aron die gewunsdne Wirkung hervor- gerufen, d. h. wir haben uns ausgiebig und in aller Freundschaft ausgesprochen. Er hat mir zugegeben, dafi er den bewufken Brief im ersten Zorn geschrieben hat und hat mir (unaufgefordert) verspro- chen, Ihnen diese Tatsache mitzuteilen. Ich kann Ihnen daher heute schreiben, dafi im hiesigen Biiro alles in bestem Einvernehmen vor sich geht.« Nicht so »die Sadie Benjamin. B. ist mir personlich gram liber die bewufken Streichungen, und mir tut das aus zwei Griinden leid: Einmal schatze ich ihn sehr und halte auch seine Arbeiten, soweit ich sie kenne, fiir sehr gut; zum andern ist es mir unangenehm, mit einem Mitarbeiter des Instituts uneinig zu sein. Ich glaube, daft diese Geschichte durch einen Brief von Ihnen eingerenkt werden kann. Wurden Sie mir bitte Ihre Meinung hierzu schreiben. « (16. 3. 1936, Brill an Horkheimer) Die Notwendigkeit eines solchen Briefes mufke Horkheimer nicht erst vorgestellt werden: noch ehe die diesbezugHche Bitte Brills an ihn gelangt sein konnte - am 18. Marz -, schrieb er aus New York an Benjamin: »Ihre Brief e vom 27. und 29. [Februar] habe ich erhalten und danke Ihnen fiir Ihre eingehenden Berichte. [. . .] Was Ihre Klage iiber Herrn Brill betrifft, so kann ich Ihren Standpunkt wohl verstehen; andererseits kennen Sie jedoch, wie Sie selbst betonen, auch unsere eigene Situation. Wir miissen alles tun, was in unseren Kraften steht, um die Zeitschrift als wissenschaft- liches Organ davor zu bewahren, in politische Pressediskussionen hin- eingezogen zu werden. Dies bedeutete eine ernsthafte Bedrohung 998 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 unserer Arbeit in dieser und vielleicht nodi in mancher anderen Rich- tung. Ich habe Herrn Brill alle diese Dinge auseinandergesetzt und bin sehr froh, in ihm jemanden gefunden zu haben, der diesen Posten mit Verantwortungsbewufksein und grower Arbeitskraft versehen kann. Es ist mbglich, dafl er im Bestreben, recht peinlich vorzugehen, eher etwas zu genau ist als zu leichtfertig. Sie werden dies gewifl ebenso- wenig tadeln wie ich. Im vorliegenden Falle kommt die ganze Sdiwierigkeit dadurdi zustande, daft ich in der Zwangslage war, Herrn Brill mit der Durchsicht Ihres Aufsatzes zu beauftragen, die sonst der Redaktion zugefallen ware. Der Grund dafiir ist Ihnen ja bekannt: die Arbeit sollte, wenn irgend moglich, im nachsten Heft erscheinen. Ich hielt und hake Ihren Aufsatz fur eine grundsatzliche Auflerung und stimme mit Ihnen darin uberein, daft eine Reihe von Grunden fur moglichst rasche Veroffentlichung sprechen. Gerade bei so exponierten Aufterungen miissen wir uns jedoch aus den angedeu- teten Motiven das Recht zu Anderungen vorbehalten. Wenn die Ver- offentlichung nicht so eilig ist, konnen in der Regel gestrichene Stellen durch Neubearbeitungen des Autors ersetzt werden. Ein Beispiel bietet Ihr 1. Abschnitt. Nach wiederholter Riicksprache mit alien hiesigen Mitarbekern sind wir zur Uberzeugung gelangt, daft dieser Abschnitt nicht erscheinen kann. Dafi ihn Brill gestrichen hat, geht nicht auf eine Eigenmachtigkeit zurtick, sondern beruht auf einer Aufterung, die ich ihm gegeniiber bereits nach der ersten Lektiire ge- macht hatte. Habe ich denn nicht Ihnen selbst die Absicht der Streichung mitgeteilt? Dafi ich Klossowski davon gesprochen habe, weift ich bestimmt. Ihr Hinweis auf das zeitliche ZusammentrefTen von Fotografie und Sozialismus bleibt erhalten. Dagegen haben wir noch eine Reihe von Einzelheiten verandert, insbesondere am 20. Ab- schnitt, an dessen Erhaltung uns wie Ihnen gelegen war. Die Liste der Anderungen lege ich Ihnen hier bei. Die Korrektur des R£sum£s, das jetzt auf die 19 Abschnitte zu beziehen ist, bitte ich Sie, selbst vorzunehmen. Ein Wort mbchte ich noch wegen der >Ewigkeitswerte< sagen. Diese Stelle (S. 18. 2. 9), iiber die wir dort gesprochen hatten, ist audi im Franzosisdien mifiverstandlich. Um den Irrtum auszu- schlieften, dafi Sie selbst an Ewigkeitswerte glauben, ein Irrtum, der selbst durch den Schluft des Aufsatzes nicht vollig behoben werden konnte, schlagen wir vor, das Wort >valeurs £ternelles< in An- fiihrungsstriche zu setzen. Sollten Sie damit nicht einverstanden sein, so sind wir audi damit einig, es zu unterlassen, halten jedoch die Stelle dann fiir au£erst schwierig. Dafi eine Vorbemerkung wegen der Ubersetzung opportun ist, glaube ich zwar nicht, denn wir fordern allerlei Kombinationen heraus, warum der Aufsatz nicht auf Deutsch gebracht wird. Alle unsere Erklarungen werden andersartige Konjek- Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 999 turen nicht ausschlieften konnen. Wenn Sie jedoch glauben, auf dieser Vorbemerkung bestehen zu miissen, so wird es am besten sein, dafi wir den richtigen Grund angeben, namlich, dafi die Arbeit der fran- zosischen Problematik mehr entspricht als der deutschen. Ich bitte Sie, mir recht bald dariiber Ihre Nachricht zukommen zu lassen.« (18. 3. 1936, Horkheimer an Benjamin*) Die Liste der Streichungen und Anderungen, wie sie aus den Mitarbeiterdiskussionen in New York resultierte, ist dem Brief beigefiigt und lautet folgendermaften (Sei- ten- und Zeilenangaben beziehen sich auf das - verlorene - Typo- skript der franzosischen Fassung): Seite 1/2 (Absclinitt I): soil ganz in Wegfall kommen, da die Ausfiihrungen als ein politisches Bekenntnis verstanden werden konnten. Seite 10 (Abschnitt V): Zeile 8, 7 v. u. sollen die in Klam- mern stehenden Worte »simultane- ment avec la montee du socialisme« erhalten bleiben. Seite 21 (Abschnkt X) : Zeile 4 v. u. soil das Wort »reac- tionnaires« durch »conservateurs« ersetzt werden. Seite 32/33 (Abschnitt XIV): ab Zeile 2 v. u. auf Seite 32: soil wegen seiner polidsch aktuellen Formulierung gestrichen werden. AufSerdem wird ja das Thema des totalitaren Staats, das bereits auf S. 29 f. angeschlagen ist, im Schlufi- kapitel des Aufsatzes weiter durch- gefiihrt. Seite 41 (Abschnitt XVII): Zeile n bis 13 sollen die in Bmde- strichen eingeschlossenen Worte von »tensions« bis »critique« gestrichen werden. * Die Originale der Briefe Horkheimers an Benjamin befinden sidi in der Deutschen Akademie der KUnste; die Herausgeber waren teils auf Durchschlage im Besitz Max Horkheimers, zum Teil auf Abschriften soldier Durchschlage angewiesen, die vor einigen Jahren angefenigt werden mufiten, weil das in den dreifiiger Jahren benutzte Durchschlagpapier von sehr schlechter Qualitat war und zu zerfallen drohte. Es ist moglich, daU Horkheimer - wie er es oft tat - in den Originalen handschriftliche Erganzungen und Veranderungen anbrachte, welche nicht alle in die Durchschlage iibcrtragen wurden. Ebenso konnten - wenn audi nur seltene und geringfugige - Irr- tiimer bei den Abschriften unterlaufen sein. Solange die Originale in Berlin unzugang- lich sind (s. 764), lassen vollig verbindliche Texte der Briefe Horkheimers sich leider nicht erstellen. iooo Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 Seite 45 (Abschnitt XVIII): Anmerkung 2, letzte Zeile sollen die Worte »contre l'ordre social actuel« ersetzt werden durch die Worte »pour un ordre vraiment hu- main«. Seite 49 (Abschnitt XX): Zeile 3 sollen die Worte »Le fascis- me« ersetzt werden durch »L'£tat totalitaire«. Zeiie 7 sollen die Worte »ont un droit« ersetzt werden durch »ten- dent«. Zeile 8 soil wiederum »Le fascisme« durch »L'etat totalkaire« ersetzt werden. Zeile 10, dasselbe. Zeile 12-14, der ganze Satz, eben- so wie die dazugehorige Anmer- kung, soil gestrichen werden. Anmerkung 1, Zeile 3V.U. soil nach dem Wort »guerre« das Wort »mo- derne« eingefiigt werden. Seite 50, Zeile 3, dasselbe Zeile 10, soil wiederum »le fascisme« durch »Fetat totalitaire« ersetzt werden. Seite 51, Zeile 10 soil das Wort »imperialiste« durch das Wort »moderne« ersetzt werden. Zeile 14 sollen die Worte »la guerre imperialiste« er- setzt werden durch »cette guerre «. Zeile 6 v. u. sollen die Worte »le fascisme« ersetzt wer- den durch »la th^orie totalitaire de l'etat«. Seite 52, Zeile 3/4 sollen die Worte »le fascisme« ersetzt werden durch »les doctrines totalitaires«. Zeile 4 sollen die Worte »Le communisme« ersetzt wer- den durch »Les forces constructives de Fhumanite«. Adornos Beitrag zur inhaltlichen Diskussion Unter dem Datum des 18. 3. 1936 schrieb Adorno aus London einen umfangreichen Brief, der die Stellungnahme zur Reproduktionsarbeit in ihrer der franzosischen zugrundeliegenden Fassung enthalt, deren Typoskript ihm unterdessen - wohl durch Benjamin selber - zuge- gangen war. Als bedeutendes Zeugnis der eigentlich inhaltlich-theore- tischen Diskussion, die Benjamin mit Adorno und Horkheimer fiihrte Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 1001 und die namentlich im Falle Horkheimers brieflich nur unzureichend belegt ist (hier erwecken die zahlreichen Briefe redaktionellen und organisatorischen Inhalts den Eindruck, als ob es inhaltliche Diskus- sion - die in Wahrheit direkt, bei personlichen Treffen gefiihrt wur- de - nicht gegeben hatte), sei er nachstehend in extenso abgedruckt: »Lieber Herr Benjamin, wenn ich mich heute anschicke, Ihnen einige Notizen zu Ihrer aufterordentlichen Arbeit mitzuteilen, so gescliieht das am letzten in der Absicht, eine Kritik oder auch nur eine ange- messene Antwort zu bieten. Der furchtbare Arbeitsdruck, unter dem ich stehe - das grofte logische Buch, der Abschluft meines bis auf 2 Analysen fertiggestellten Anteils an der Bergmonographie und die Jazzuntersuchung - machen jedes solche Beginnen aussichts- los. Vollends gegeniiber einer Produktion, in deren Angesicht ich mir der Unzulanglichkeit der schriftlichen Kommunikation sehr ernstlich bewufk werde - denn da ist kein Satz, den ich nicht eingehend mit Ihnen durchzusprechen wunschte, Ich halte an der HofTnung fest, daft das sehr bald geschehen wird, mochte aber andererseits doch nicht so lange warten, Ihnen iiberhaupt, wie unzulanglich auch immer, zu antworten. [Absatz] Lassen Sie darum auf eine Hauptlinie mich beschranken. Mein leidenschaftlicher Anteil und meine voile Bejahung gilt dem an der Arbeit, was mir eine Durchsetzung Ihrer Ursprungs- intentionen - der dialektischen Konstruktion des Verhaltnisses von Mythos und Geschichte - in den Denkschichten der materialistischen Dialektik scheint: der dialektischen Selbstauflosung des Mythos, die hier als Entzauberung der Kunst visiert wird. Sie wissen, daft der Gegenstand liquidation der Kunst< seit vielen Jahren hinter mei- nen asthetischen Versuchen steht und daft die Emphase, mit der ich vor allem musikalisch den Primat der Technologie vertrete, strikt in diesem Sinne und dem Ihrer Zweken Technik zu verstehen ist. Und es erstaunt mich nicht, wenn wir hier nun ausdriicklich eine gemein- same Basis vorfinden; erstaunt mich nicht, nachdem das Barockbuch die Scheidung der Allegorie vom (in der neuen Terminologie: >aura- tischen<) Symbol, die Einbahnstrafte die des Kunstwerks von der magischen Dokumentation vollzogen hat. Es ist - horrentlich klingt es nicht unbescheiden, wenn ich sage: fur uns beide - eine schone Bestatigung, daft ich in einem Ihnen nicht bekannten, vor 2 Jahren in der Schonbergfestschrift pubhzierten Aufsatz iiber diesen, Formu- lierungen iiber Technologie und Dialektik und iiber das veranderte Verhaltnis zur Technik unternommen habe, die mit den Ihren aufs vollkommenste kommunizieren. [Absatz] Diese Kommunikation ist es nun auch, die fur mich das Kriterium der DifTerenzen abgibt, die ich konstatieren mull, mit keinem anderen Ziel als jener unserer >Generallinie<, die so scharf nun sich abzeichnet, zu dienen. Ich 1002 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 darf vielleicht dabei unsere alte Methode der immanenten Kritik zunachst befolgen. Sie haben in jenen Ihrer Schriften, deren grofte Kontinuitat die jiingste mir aufzunehmen scheint, den Begriff des Kunstwerks als Gebildes vom Symbol der Theologie so gut wie vom magischen Tabu abgeschieden. Es ist mir nun bedenklich, und hier sehe ich einen sehr sublimierten Rest gewisser Brechtischer Motive, daft Sie jetzt den Begriff der magischen Aura auf das >autonome Kunstwerk< umstandslos ubertragen und dieses in blanker Weise der gegenrevolutionaren Funktion zuweisen. Ich mufi Sie nicht dessen versichern, daft ich des magischen Elements am burgerlichen Kunstwerk durchaus mir bewuftt bin (um so weniger, als ich ja immer wieder versuche, die burgerliche Philosophic des Idealismus, die dem Begriff der asthetischen Autonomic zugeordnet ist, als im vollsten Sinne mythisch zu enthiillen). Es scheint mir aber, daft die Mitte des autonomen Kunstwerks nicht selber auf die mythische Seite gehort - verzeihen Sie die topische Redeweise - sondern in sich dialektisch ist: daft sie in sich das Magische verschrankt mit dem Zeichen der Freiheit. Erinnere ich mich recht, haben Sie einmal Ahnliches bei Gelegenheit von Mallarm^ ausgesprochen und ich kann Ihnen mein Gefuhl der ganzen Arbeit gegeniiber nicht deutlicher bezeichnen, als indem ich Ihnen sage, daft ich immerzu, als ihren Kontrapunkt, eine iiber Mallarmi mir wunschte, die Sie meines Erachtens uns als einen der wichtigsten Beitrage schulden. So dialektisch Ihre Arbeit auch ist, sie ist es nicht beim autonomen Kunstwerk selber; sie sieht vorbei an der elementaren und mir in der eigenen musikalischen Erfahrung tag- lich evidenteren Erfahrung, daft gerade die aufterste JConsequenz in der Befolgung des technologischen Gesetzes von autonomer Kunst diese verandert und sie anstelle der Tabuierung und Fetischisierung dem Stand der Freiheit, des bewuftt Herstellbaren, zu Machenden annahert. Ich wiiftte kein besseres materialistisches Programm als jenen Satz Mallarmes in dem er die Dichtungen als nicht inspiriert sondern aus Worten gemacht defmiert; und die groftten Erschemungen der Reaktion, wie Valery und Borchardt (der Ietztere mit der Arbeit iiber die Villa, die trotz eines unsaglichen Satzes gegen die Arbeker in extenso materialistisch zu ubernehmen ware) haben in ihren inner- sten Zellen diesen Sprengstoff bereit. Wenn Sie den Kitschfilm gegen den mit >Niveau< retten, so kann keiner mehr mit Ihnen d'accord sein als ich; das l'art pour Part aber ware der Rettung ebenso bediirf- tig, und die Einheitsfront, die dagegen besteht und die nach meiner Kenntnis von Brecht bis zur Jugendbewegung reicht, konnte allein einen dazu animieren. Sie reden von Spiel und Schein als den Ele- menten der Kunst; nichts aber sagt mir, warum das Spiel dialektisch sein soil, der Schein aber - der Schein, den Sie an Ottilie gerettet Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 1003 haben, der es nun nut Mignon und Helena nicht gnadig ergeht - nicht ebensowohl. Und hier freilich schlagt die Debatte rasch genug in die politische um. Denn wenn Sie die Technisierung und Entfremdung dialektisieren (mit allem Recht), die Welt der objektivierten Subjek- tivitat aber nicht ebenso, so heiftt das politisch nichts anderes, als dem Proletariat (als dem Kinosubjekt) unvermittelt eine Leistung zutrau- en, die es nach Lenins Satz anders gar nicht zustande bringen kann als durch die Theorie der Intellektuellen als der dialektisdien Subjekte, die der von Ihnen in die Holle verwiesenen Sphare der Kunstwerke zugehoren. Verstehen Sie mich recht. Ich mochte nicht die Autonomic des Kunstwerks als Reservat sicherstellen und ich glaube mit Ihnen, daft das Auratische am Kunstwerk im Schwinden begrifTen ist; nicht nur durch die technische Reproduzierbarkeit, beilaufig gesagt, sondern vor allem durch die Erfullung des eigenen >autonomen< Formgesetzes (die von Kolisch und mir seit Jahren geplante Theorie der musika- lischen Reproduktion hat eben dies zum Gegenstand). Aber die Autonomic, also Dingform des Kunstwerks ist nicht identisch mit dem Magischen an ihm: so wenig die Verdinglichung des Kinos ganz verloren ist, so wenig ist es die des groften Kunstwerks; und ware es burgerlich reaktionar, jene vom Ego her zu negieren, so ist es an der Grenze des Anarchismus, diese im Sinne der unmittelbaren Gebrauchs- wertigkeit zu widerrufen. Les extremes me touchent, so gut wie Sie: aber nur wenn der Dialektik des Untersten die des Obersten aquiva- lent ist, nicht dieses einfach verfallt, Beide tragen die Wundmale des Kapitalismus, beide enthalten Elemente der Veranderung (freilich me und nimmer das Mittlere zwischen Schonberg und dem amerikani- schen Film); beide sind die auseinandergerissenen Halften der ganzen Freiheit, die doch aus ihnen nicht sich zusammenaddieren laftt: eine der anderen zu opfern ware romantisch, entweder als biirgerliche Romantik der Konservierung von Personlichkeit und all dem Zauber, oder als anarchistische im blinden Vertrauen auf die Selbstmachtigkeit des Proletariats im geschichtlichen Vorgang - des Proletariats, das doch selber biirgerlich produziert ist. Der zweiten Romantik mull ich in gewissem Umfang die Arbeit bezichtigen. Sie haben die Kunst aus den Winkeln ihrer Tabus aufgescheucht - aber es ist, als fiirchte- ten Sie die damit hereinbrechende Barbarei (wer konnte sie mehr mit Ihnen fiirchten als ich) und hiilfen sich damit, daft Sie das Gefurch- tete zu einer Art inversen Tabuierung erhoben. Das Lachen der Kinobesucher ist - dariiber sprach ich schon mit Max und er wird es Ihnen gewift gesagt haben - nichts weniger als gut und revolutionar sondern des schlechtesten burgerlichen Sadismus voll; das Sachver- standnis der Sport diskutierenden Zeitungsjungen ist mir im hoch- sten Maft zweifelhaft; und vollends die Theorie der Zerstreuung will 1004 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 mich, trotz ihrer chokhaften Verfiihrung, nicht iiberzeugen. Ware es auch nur aus dem simplen Grunde, dafi in der kommunistischen Ge- sellschaft die Arbeit so organisiert sein wird, dafi die Menschen nicht mehr so miide und nicht mehr so verdummt sein werden, um der Zer- streuung zu bediirfen. Andererseits scheinen mir bestimmte BegrifTe der kapitalistischen Praxis wie etwa der des Tests selber fast ontolo- gisch geronnen und tabuistisch fungierend - wahrend doch, wenn es einen auratischen Charakter gibt, dieser den Filmen im hochsten und freilich gerade bedenklichsten Mafie eignet. Und dafi, um nur noch eine Kleinigkeit herauszugreifen, der Reaktionar durch Sachverstand- nis vorm Chaplinfilm zum Avantgardisten werde - das scheint mir ebenfalls eine Romantisierung durchausr^denn weder kann ich Kra- cauers Liebling, auch jetzt nach Modern Times, zur Avantgarde rechnen (warum, wird wohl aus der Jazzarbeit vollig klar hervor- gehen), noch glaube ich, dafi von den anstandigen Elementen daran irgendeines apperzipiert wird. Man muE nur in diesem Film das Publikum haben lachen hbren, um zu wissen, woran man ist. Der Schlag gegen Werfel hat mir helle Freude gemacht; aber nimmt man an seiner Statt die Mickey Mouse, so sind die Dinge schon wesentlich komplizierter und es erhebt sich sehr ernstlich die Frage, ob die Repro- duktion jedes Menschen in der Tat jenes Apriori des Films abgibt, als das Sie sie in Anspruch nehmen, und ob sie nicht vielmehr genau zu jenem >naiven Realismus< gehort, uber dessen burgerlichen Charakter wir in Paris so grundlich einig uns waren. Es ist schlieftlich kaum . Zufall, wenn d i e moderne Kunst, die Sie als auratisch der techni- schen gegeniiberstellen, solche von immanent so fraglicher Qualitat ist wie Vlaminck und Rilke. Mit ihm hat freilich die untere Sphare leichtes Spiel; aber gabe es die Namen, sagen wir, Kafka und Schon- berg stattdessen, so ware das Problem schon anders gestellt. Gewift ist Schonbergs Musik nicht auratisch. [Absatz] Was ich postu- lieren wiirde, ware demnach ein Mehr an Dialektik. Auf der einen Seite Durchdialektisierung des >autonomen< Kunstwerks, das durch seine eigene Technologie zum geplanten transzendiert; auf der anderen noch starkere Dialektisierung der Gebrauchskunst in ihrer Negativitat, die zwar von Ihnen gewift nicht verkannt aber doch durch relativ abstrakte Kategorien wie das >Filmkapital< be- zeichnet wird, ohne in sich selber, namlich als immanente Irrationali- tat, zuende verfolgt zu werden. Als ich vor 2 Jahren einen Tag in den Ateliers yon Neubabelsberg zubrachte, hat mich am mei- sten beeindruckt, wie w e n i g von Montage und all dem Fort- geschrittenen wirklich durchgesetzt ist, das Sie herausholen; vielmehr wird iiberall mimetisch die Wirklichkeit infantil aufgebaut und dann >abphotographiert<. Sie unterschatzen die Technizitat der auto- Anmerkungen zu Seke 43 1-508 und 709-739 1005 nomen Kunst und uberschatzen die der abhangigen; das ware viel- leicht in runden Worten mein Haupteinwand. Er ware aber zu reali- sieren nur als eine Dialektik zwischen den Extremen, die Sie von ein- ander reiflen. Das wiirde nach meinem Dafurhalten nichts anderes bedeuten als die vollige Liquidierung der Brechtischen Motive, die hier bereits in einer sehr weitgehenden Transformation begriffen sind; vor allem jeden Appells an die Unmittelbarkeit eines wie immer gearteten Wirkungszusammenhanges und an das tatsachliche Bewufk- sein der tatsachlichen Proletaries die vor den Biirgern nichts aber audi gar nichts voraushaben aufter dem Interesse an der Revolution, sonst aber alle Spuren der Verstiimmelung des biirgerlichen Charak- ters tragen. Das schreibt uns unsere Funktion eindeutig genug vor - daft ich sie nicht im Sinne einer aktivistischen Konzeption der >Gei- stigen< meine, davor weift ich mich sicher. Aber sie kann auch nicht bedeuten, daft wir den alten Tabuierungen entrinnen konnen nur, indem wir in neue - in >Tests<, sozusagen - uns hineinbegeben. Der Zweck der Revolution ist die AbschafTung der Angst. Darum brau- chen wir keine Angst vor ihr zu haben und darum auch nicht unsere Angst zu ontologisieren. Es ist kein burgerlicher Idealismus, wenn man erkennend oder ohne Erkenntnisverbote dem Proletariat die Solidaritat halt, anstatt daft man, wie es immer wieder unsere Ver- suchung ist, aus der eigenen Not eine Tugend des Proletariats macht, das selber die gleiche Not hat und unser zur Erkenntnis so gut be- darf wie wir des Proletariats bediirfen, damit die Revolution gemacht werden kann. Von dieser Rechenschaft iiber das Verhaltnis der Intel- lektuellen zum Proletariat hangt nach meiner Oberzeugung wesentlich die weitere Formulierung der asthetischen Debatte ab, fiir die Sie eine so groflartige Inauguraladresse geliefert haben. [Absatz] Ver- zeihen Sie die Hast dieser Notizen. All das konnte ernstlich allein an den Details ausgemacht werden, in denen der, am Ende doch nicht magische, liebe Gott wohnt - nur die Knappheit der Zeit verfiihrt mich zu einer .Grofie der Kategorien, die strikt zu vermeiden ich von Ihnen gelernt habe. Um Ihnen wenigstens die konkreten Stellen zu bezeichnen, an denen ich einsetze, habe ich meine spontanen Bleistift- notizen in dem Manuskript stehen lassen, obwohl manche spontaner sein mogen, als dafi sie eigentlich eine Mitteilung erlaubten. Das bitte ich denn ebensowohl zu verzeihen wie den umrifihaften Charakter meines Briefes. [Absatz] Ich fahre am Sonntag nach Deutschland. Es ist mdglich, dafi ich dort die Jazzarbeit abschliefien kann, wozu ich leider in den Londoner Tagen nicht mehr kam. Ich wiirde sie dann, ohne Begleitbrief, an Sie senden und Sie bitten, sofort nach der Lek- tiire (es diirfte sich um nicht mehr als 25 Druckseiten handeln) an Max weiterzusenden. Sicher ist das nicht, da ich weder weifi, ob ich 1006 Anmerkungen zu Seke 431-508 und 709-739 die Zeit finde nodi vor allem ob der Charakter der Arbeit eine Sendung aus Deutschland iiberhaupt ohne die grofke Gefahr erlaubt. Daft der BegrifT des Excentrics in ihrem Zentrum stent, hat Ihnen Max wohl gesagt. Ich ware sehr froh, wenn sie zugleich mit der Ihren ersdiiene. Obgleich ganz bescheidener Thematik, diirfte sie im Ent- scheidenden mit der Ihren konvergieren, freilich audi versudien, posi- tiv einiges von dem auszudriicken, was ich heute negativ formuliert habe. Es kommt zu einem vollen Verdikt iiber den Jazz, indem zu- mal dessen >fortschrittliche< Elemente (Schein der Montage, Kollektiv- arbeit, Primat der Reproduktion vor der Produktion) als Fassaden eines in Wahrheit ganz Reaktionaren aufgewiesen werden. Ich glaube, daft es mir gelungen ist, den Jazz wirklich zu dechifTrieren und seine gesellschaftliche Funktion zu bezeichnen. Max war uberaus da- von angetan und idi konnte mir wohl denken, dafl Sie es auch sein werden. Wie ich denn iiberhaupt bei unserer theoretischen DifTerenz das Gefiihl habe, dafi sie gar nicht zwischen uns spielt sondern daft es vielmehr meine Aufgabe ist Ihren Arm steifzuhalten bis die Sonne Brechts einmal wieder in exotische Gewasser untergetaucht ist. Nur so bitte ich Sie denn auch meine Ausstellungen zu verstehen. [Absatz] Idi kann aber nicht schlieften, ohne Ihnen zu sagen, daft die wenigen Satze iiber die Desintegration des Proletariats als >Masse< durch die Revolution zu dem tiefsten und machtigsten an politischer Theorie zahlen, das mir begegnet ist, seit ich Staat und Revolu- tion las. [Absatz] In alter Freundschaft Ihr Teddie Wiesengrund. [Absatz] Nodi mochte ich meine besondere Zustimmung zur Theorie des Dadaismus aussprechen. Das fallt der Arbeit so reif und schon zu wie vordem dem Barockbudi der >Schwulst< und die >Greuel Sie selbst mochten sich inzwischen iiberzeugt haben y dafl es sich in der Tat um ein solches einzig und allein handelt. In diesem Sinne habe ich mich, wie Sie es mir nahelegen, nod? heute mit Brill verstdndigt, und ich darf aussprechen, dafl mit dieser Verstdndigung alle Garantien fur die Zukunft gegeben sind. Lassen Sie mich mit der Hoffnung schlie- fien, das treue Bild, das Sie von meiner Beziehung zu Ihnen und von meinem Verhdltnis zum Ins tit ut bis her hat ten, mochte aus die sen Vorgangen ohne Triibung wieder zu Tage treten. (30. 3. 1936, an Horkheimer) Am selben Tage hatte Brill berichtet: »Ich danke Ihnen fiir Ihre beiden personlichen Briefe vom 19. ct., deren Einla- gen ich nach Kenntnisnahme wunschgemafl vernichtet habe. Nachdem sich nun auch gestern Benjamin entschuldigt hat (es ist mir fast schwerer gefallen, diese Entschuldigung anzunehmen als den unver- dienten Vorwurf).« (- Bemerkungen wie diese beweisen Brills Inte- gritat und jedenfalls soviel, dafl er alles andere als ein unbeteiligt funktionierender Mittelsmann war -) »ist der Zwischenfall rest- los erledigt, was Ihnen auch Arons Brief von neuem beweist« (s. 1 014 f.). »Ich kann Ihnen garnicht sagen, wie froh ich dariiber bin; nicht nur wegen der beteiligten Personen, sondern auch im Inter- esse einer gedeihlichen Arbeit. Deshalb als Epilog nur ganz kurz das Folgende: 1) Herzlichen Dank fiir Ihre Vermittlung in dieser Sache, ohne die eine Beilegung - obgleich ich im Redit war - schwierig gewesen ware. 2) Mein aufriditiges Kompliment, dafi Sie, ohne dafl ich Sie darauf hingewiesen habe, gemerkt haben, wie entsetzlich meine Situation war, daft A[ron] mir diesen >Anklagesadistische Qualerei< dafiir nicht zu stark ist. Dagegen mochte ich Ihren Vorschlag«, (im Brief Hork- heimers vom 19. 3. 1936) »dafl A. sich fiir seine Korrespondenz eine Schreibkrafl; engagiere, nicht annehmen. Ich nehme diese Mehrbelastung gern auf mich, da ich nur auf diese Weise im Bilde bleiben kann, was sich hier abspielt. Auch mit Herrn Schroder mochte ich, entgegen Ihrem Vorschlag, uber den Fall Benjamin nicht mehr sprechen, da die Sache ja erledigt ist und ich jede Moglichkeit von Zwischentragereien - selbst in der besten Absicht - ausschlieflen mochte. Schroder hat sich gut erholt, scheint sich gut einzuarbeiten und wird Ihnen wohl selbst in diesen Tagen einige Zeilen schreiben. 3) Ihr >Benjamin<-Brief : An dem Zustand des Manuskriptes, der abscheulich und unter aller Kritik war, trifft mich keine Schuld. B[enjamin] hatte mir verspro- chen, einen Teil der ihm bewilligten Fristverlangerung dazu zu ver- wenden, das Manuskript t a d e 1 1 o s in Ordnung zu bringen und hat mich dann am letzten Tag mit einem Manuskript in dem Ihnen 1 014 Anmerkungen zu Seite 431—508 und 709-739 bekannten Zustand uberrascht. Audi hinsichtlich grammatischer und orthographischer Fehler trifft mich kein Vorwurf: Die Herren Benjamin, Aron, Honigsheim und Schroder ha- ben das Manuskript (zuerst jeder fur sich und dann alle gemeinsam) durchgesehen und corrigiert, sodafl ich mich mit diesen Dingen nicht beschaftigt habe. Dafi ich bei ahnlichen Fallen in Zukunft dafiir sor- gen werde, dafl solche Dinge nicht mehr vorkommen werden, ver- steht sich von selbst. Schlieftlich noch eine kurze Bemerkung zum Aron'schen Brief von heute: Es war naturlich vollig ausgeschlossen, daft ich Benjamin um Genehmigung der Striche fragte. Er hatte nie- mals eingewilligt, die Indruckgabe evtl. verweigert, und es hatte Scherereien und unverantwortliche Verspatungen gegeben. Das kann ich naturlich weder Aron noch Benjamin sagen und habe Aron des- halb (des Friedens wegen) zugegeben, daft durch vorherige Benach- richtigung B[enjamin]s der Zwischenfall vielleicht vermieden worden ware.« (31. 3. 1936, Brill an Horkheimer) Die auf die Angelegenheit Benjamins bezuglichen Passagen im Schreiben Arons lauten: »JHai bien recu votre lettre du 19 ct. et je vous en remercie. Comme vous me le dites, vos explications changent beaucoup Paspect de la question, et je jugerais aujourd'hui Paffaire autrement. J'ai pris Pinitiative de ma lettre du 12 a la suite d'une conversation avec M. Benjamin qui m'avait paru tres affecte* par les changements apportes a son ar- ticle. J'ajoute qu'il ne m'avait pas demande* d'intervenir. J'ai cru de- voir le faire puisque aussi bien vous m'aviez engage* a m'adresser directement a vous, s'il venait a se produire un incident quelconque. Mon irritation tenait a un fait et a plusieurs malentendus: Un fait, M. Brill ayant recu directement vos instructions ne m'avait pas tenu au courant. Nous sommes tombes d'accord Pun et Pautre que, en pareil cas, il est preferable de se renseigner mutuellement, meme lorsqu'il n'y a pas lieu a deliberation. Malentendus: J'avais cru comme M. Benjamin que vos instructions avaient eu un caractere vague et general et que M. Brill les avait depass£es ou du moins ^troitement interpreters. En ce cas, en effet, il aurait convenu puisque Paccord n'avait pu se faire avec Pauteur d'en discuter en commun. Je crois comprendre d'apres votre lettre que la suppression du pre- mier chapitre avait hi expressement indiquee par vous. Vous pensez bien que, si je Pavais su, je me serais garde d'intervenir. Il en va de meme pour le reste: Je croyais que les changements ^taient faits en tenant compte des susceptibilites du public francais. Et c'est pourquoi j'ai exprime" Popinion que ces changements n'euient pas indispensables. Je ne connais pas assez les conditions ameYicaines ou meme plus g£n£ralement etrangeres pour porter un jugement valable de maniere generale. Le droit d'une redaction a reviser un manu- Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 1015 scrit ne saurait etre mis en question. Ma protestation visait la forme (la decision avait hi prise apres le depart de M. Benjamin) et, d'autre part, elle visait la personne qui avait hi charged de cette tache deli- cate. Et sur ce dernier point, j'avais tort puisque M. Brill avait hi charge uniquement d'une revision provisoire. Je pense done qu'il ne reste plus rien de ce regrettable incident, dont ma lettre du 16 vous avait d£ja montre* qu'il n'etait pas aussi grave que vous aviez pu le craindre d'apres les termes excessifs de ma premiere lettre. [. . .] En ce qui concerne le travail de l'Institut, il n'y a pas de difficult^. Je relirai Particle de Benjamin avant de partir et on peut emporter meme dans le Midi des livres a critiquer.« (31. 3. 1936, Aron an Horkheimer) Damit und mit der Erwiderung Horkheimers auf Ben- jamins Telegramm schien die Angelegenheit bereinigt; Horkheimer hatte geschrieben: »Mit Ihrem Telegramm haben Sie mir eine grofte Freude bereitet. Ich horTe, daft Sie sick inzwischen auch mit Herrn Brill verstandigt haben und kann Ihnen meinerseits versprechen, dafl ich alles tun werde, damit solche Mifiverstandnisse sich nicht wieder- holen.« (2. 4. 1936, Horkheimer an Benjamin) Alles weitere schien wie von selbst sich zu machen: »Die >Strich<-Angelegenheit ist nun vollig beigelegt, was ich Ihnen bereits geschrieben habe. Die Placards sind heute morgen eingelaufen, Benjamin ist bereits verstandigt; ich horTe, daft wir seine speziellen Korrekturen am Montag (es ist Sams- tag Abend) morgen lesen, Aron wird dann am Montag Nachmittag das Franzosische revidieren, sodafi die Placards am Dienstag abgege- ben werden.* (4. 4. 1936, Brill an Horkheimer) Am Dienstag jedoch sah die Situation wieder anders aus. Brill tele- graphierte an Horkheimer: »Benjamin verlangt unzahlige Anderun- gen. Hierunter Italiques statt Sperrungen. Wunscht weitere Anmer- kungen insgesamt 66 Zeilen teils inhaltsfraglich. Geplante Anmer- kung Seite 46* (wohl 47 f. in J 1 [s. 1268] = 717 f.) ^Exposition auf Horkheimers Anregung kabelt.« (Telegramm vom 7. 4. 1936, Brill an Horkheimer) Tags darauf telegraphierte Horkheimer zuriick: •Benjamin Italic statt Sperrungen einverstanden weil platzsparend. Genehmiget weitere Anderungen insofern Aufsatz trotzdem Seite neunundsechzig« (wohl 68 in J 1 ) »abschliefk. Einholet wegen frag- wiirdiger Stellen Pollocks Zensur. Sendet sofort hierher Verzeichnis samtlicher vorgenommenen Anderungen. « (Telegramm vom 8. 4. 1936, Horkheimer an Brill) Eine Besprechung wurde einberufen, die, in Anwesenheit Friedrich Pollocks (der inzwischen aus New York in Paris eingetrorTen war), Benjamins, Schroders und Brills, am 1 1. April stattfand. Ergebnis dieser Besprechung, die offenkundig sachlich und befriedigend fiir die Beteiligten, namentlidh fiir Benjamin, verlief, war die Einigung auf die definitive Druckgestalt, die die franzosische ioi6 Anmerkungen zu Seite 431—508 und 709-739 Fassung der Reproduktionsarbeit im 1. Heft des Jahrgangs 1936 der »Zeitschrift fiir Sozialforschung« erhalten sollte und dann in der Tat audi erhielt. Die diesbeziiglichen Vereinbarungen sind durch ein Protokoll belegt, das Brill sdion am Tage der Besprechung Horkhei- mer nach New York sandte: »In der Anlage iibersende ich Ihnen fden] Durchschlag einer Aktennotiz, aus der Sie das Ergebnis der heute Nachmittag gehabten Unterredung mit Benjamin ersehen. Ich darf bei dieser Gelegenheit Sie nochmals bitten, die Korrektur des betr. Prospektes mdglichst umgehend vornehmen zu wollen, da wir ihn sowohl fiir die Propaganda der Zeitschrift als audi fiir die B[enjamin]schen Separata benotigen.« (11. 4. 1936, Brill B[ureau] d[e] P[aris] an das Institut New York) Das beigeschlossene Proto- koll hat folgenden Wortlaut: »Besprechung am 11. April 1936 im Bureau de Paris. - Anwesend Herr Pollock, Herr Benjamin, Herr Schroder, Herr Brill - Beziiglich des Benjaminschen Artikels fiir 1936/1 wurde Folgendes festgelegt: 1. Auf Wunsch von Herrn Ben- jamin werden die Sperrungen durch italiques« (i. e. Kursive) »er- setzt; Einverstandnis von Herrn Pollock hierzu wurde trotz der da- durdi entstehenden Mehrarbeit und Mehrkosten erteilt im Hinblick auf die grofte propagandistische Bedeutung des Artikels fiir die Zeit- schrift, 2. Es wurde ferner festgelegt, dafi der Zwischenraum zwischen Kapiteln zwei Zeilen betragen soil, derjenige zwischen anderen Absatzen eine Zeile. Es entsteht dadurch ein Zeilenmehrbedarf von 17 x 2 = 34 Zeilen fiir die Kapitelabsatze und 28 x 1 = 28 Zeilen fiir die anderen Absatze, zusammen also rund 6z Zeilen. Der durch den italiques-Satz eingesparte Raum betragt 35 Zeilen. Wegen der restlichen DirTerenz soil versucht werden: Entweder den Satzspiegel um eine Zeile pro Seite zu vergrofiern, oder den Durchschuft inner- halb des B.schen Artikels zu verringern; falls dies nicht ausreicht, wer- den einige Besprediungen herausgenommen, und zwar zuerst die von NY mit Brief vom 27. Marz bezeichneten, und wenn audi dies nicht ausreicht, andere, von Herrn Pollock zu bezeichnende. Diese letzteren werden aus dem okonomischen Teil genommen, der eine Note erhalt, dafi in Anbetracht der Mandelbaum'schen umfangrei- chen Besprechung [s. Zeitschrift fiir Sozialforschung 5 (1936), 99-103] der okonomische Teil diesmal erheblich gekiirzt werden muftte. 3, In Anbetracht des Raummangels wurde von einer Aufnah- me der von Benjamin nachtraglidi gewunschten Anmerkungen« (ver- mutlidi einer Anzahl der in die »Zweite Fassung« eingegangenen) »Ab- stand genommen; von einer urspriinglich inErwagung gezogenen Strei- chung einer bereits vorhandenen Anmerkung wurde abgesehen« (wohl der umfangreicheren im Abschnitt VI des franzosischen Texts; s. Zeitsdir. f. Sozialforsdi., 193 6/1, 47 f.; entsprechend Anhang, 717 f., Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 1017 Anm. 3). »4. Damn jegHches Miftverstandnis bei Indruckgabe ausge- schlossen ist, wird Herr Benjamin zusammen mit Herrn Brill die vorzunehmenden Anderungen mit Mandel besprechen. Herr B. lehnt ausdrucklich irgendwelche Verantwortung fiir evtl. trotz Rucksprache vorkommenden Fehler ab. 5. Im Hinblick auf die grofte propagan- distische Bedeutung dieses Artikels fiir die Zeitschrift soil ausnahms- weise eine Sonderdruck-Auflage von 200 Snick angefertigt werden. Aus den gleichen Griinden wird ein Spezialumschlag angefertigt. Alcan soil nach den unter 6) gegebenen Richtlinien Einbandmuster herstellen, die aufter NY und Herrn Pollock audi Herrn Benjamin vorzulegen sind, dessen evtl. Wiinsche nach Moglichkeit beriicksichtigt werden sollen. 6. DerEinbanddesSonderdruckes« (= J 2 ;s. 1268) »wird wie folgt aussehen: Seite 1 : Autor und Titel des Aufsatzes, nebst einem Zusatz, der ungefahr lautet: Extrait de la Zeitschrift fiir Sozialfor- schungjpublie'e parMaxHorkheimer au nom de l'Institut deRecherches Sociales. Seite 2: Entspricht der ersten Seite des an Herrn Horkheimer geschickten Dreisprachen-Prospektes von Alcan. Seite 3: Entspricht der zweiten Seite des vorerwahnten Prospektes. Der freibleibende Raum soil durch die Erscheinungsdaten (genau wie in den grunen Blattern, zweite Seite, a. E., der zuletzt angefertigten Sonderdrucke Horkheimer) ausgefiillt werden. Seite 4: Entspricht der vierten Seite des vorerwahnten Prospektes, aber ohne Bulletin de commanded Diesen Vereinbarungen gemaft ging die Reproduktionsarbek unter dem Titel Vceuvre d y art a Vepoque de sa reproduction mecanisee bei Alcan endgiiltig in Satz. Wenige Tage spater schrieb Benjamin an Kitty Marx-Steinschneider: Es wird Sie nicht verwundern, wenn ich winds title St und en wdhle, um Ihnen von mir zu erzablen. Die sind nicht haufig und brauchen es nicht zu sein. - Es ist inzwischen Fruhling geworden; das Lebensbaumchen indessen kiimmert sich garnicht um die Jahreszeit y weigert sich y die geringsten Bluten zu tra- gen und bildet alien falls kleine Fruchte. Einige wenige Naturfreunde schauen zu deren letzter hinauf [scil. der Reproduktionsarbeit], die Ihnen ja bereits angesagt worden ist. Sie wird Ihnen in franzo- sischer Textverpackung in ungefahr einem Monat ins Haus kommen. Was die Naturfreunde angeht, so ist es ein zusammengewiirfeltes Griippchen - bestehend aus einigen Emigranten, ein oder zwei fran- zosischen Amateuren, einem Russen, der den Kopf zu der Sache schuttelt und einigen Personen verschiedenen Herkommens und Ge~ schlechtSy die weniger der Frucht als dem Bdumchen Neugier bezeigen. - In diesem Sinnbildchen erhalten Sie einen ziemlich genauen Begriff von den derzeitigen Produktionsbedingungen. Eigentlich gesprochen hat erst die Leitung der ungemein schwierigen Vbersetzungsarbeit y dann die Bereinigung redaktioneller und technischer Verwicklungen I0I 8 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 in den letzten zwei Monaten den Hauptteil metner Kraft (wenn schon nicht meiner Zeit) beansprucht. Fiir vielen Verdruft, der mit solchen Interventionen fast immer verbunden ist, bin ich durch den Reiz entschadigt, der mit der Beobachtung der jruhesten, an charak- teristiscber Pragung oft der spatern gleichsam offiziell Uberlegenen y Reaktionen auf eine derartige Arbeit verbunden ist. Ich hatte fast Grund, aus ibnen zu scbliefien, daft sie dort y wohin sie zustandig ist y in Rutland ', am wenigsten ausrichten wird. Dagegen wird bier einiges in die Wege geleitet, um die Arbeit Gide y Paul Valery und andern unter den wichtigsten Schriftstellern Frankreicbs auf eine ihr ent- sprecbende Weise zu prasentieren. Sie wird ein programmatisches Begleitscbreiben erbalten, an dem ich eben jetzt arbeite [dazu s. »Paralipomena und Varia zur zweiten Fassung von Das Kunstwerk . . .«, 1049 fT.]. (Briefe, 709 f.) Zwischen Mitte und Ende April hatte Benjamin die letzten Korrekturbogen gelesen. Seine Zufriedenheit mit der Druckgestalt der Reproduktionsarbeit, aber vor allem audi mit der anlaftlich von Pollocks Anwesenheit in Paris erfolgten Regulierung seiner personlichen Verhaltnisse, driickte er in einem Dankschreiben an Horkheimer aus: Ich habe Ihnen noch vielmals fur Ihr en Brief vom 2 ten April zu danken und freue mich, dafi Sie seit meinem Tele- gramm alles bereinigt wufiten. Inzwischen sind die erganzenden Briefe langst in Ihrer Hand. Nun habe ich seit kurzem die neuen Korrekturen erhalten, Sie stellen ein ausgezeichnetes Satzbild - je- d en falls genau dasjenige dar, das mir von An fang an fiir diese Arbeit vorgeschwebt hat, Ich bin sehr froh, daft unsere gemeinsame Sorg- falt - noch zuletzt hat sich Herr Pollock der Sache sehr angenom- men - zu diesem Ergebnis gefiihrt hat y das auch in Ihren Augen, hoffe ich, die Muhe vergessen macht. Mit Herrn Pollock habe ich bei seinem zweiten Aufenthalt neben meinen Arbeiten meine personlichen Verhaltnisse noch einmal ausfiihrlich beruhren diirfen. Ich habe alien Grund, ihm - und Ihnen, denn es gescbah gewift mit Ihr em Ein- verst'dndnis - fur die Form dank bar zu sein } in der er mir das ermog- licht hat. Er bat mich, Sie nur kurz von der Tatsache dieser Aus- sprache zu unterrichten und will Ihnen den Inhalt des Gesprachs selbst mitteilen. (28. 4. 1936, an Horkheimer) Diese Dankbarkeit zur Maske zu verzerren, hinter der Gefugigkeit sich versteckte, der schlieftlich ihr Lohn ward, konnte nur solchen ein- fallen, die iiber die prinzipiellen, aber auch die besonderen historischen und geographischen Schwierigkeiten sei's geflissentlich, sei's ahnungs- los hinwegsahen, unter denen wissenschaftliche und redaktionelle Kooperation in »neuen organisatorischen Formen« (1007 f.) wie denen des Instituts und der Zeitschrift fiir Sozialforschung sich vollzog - Formen, die bei aller Differenz und Empfindlichkeit von Individuen Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 1019 dennoch die »grundsatzliche Solidaritat« (1008) des um kritische Theo- rie der Gesellschaft bemiihten Kollektivs selber bewahrten. An dieser von Horkheimer wie von Benjamin stets wieder bekundeten Solidari- ty konnen audi die Differenzen nicht zweifeln machen, die bei der Bemuhung um eine publikable Gestalt der Reproduktionsarbeit auf- getreten waren - so sehr sie in diesem Fall durch die besonderen Umstande verscharft erscheinen. War die redaktionelle Kooperation mit dem Institutsmitglied Benjamin (zur Redaktion der Zeitschrift des Instituts zahlten, neben Horkheimer, Erich Fromm, Leo Lowenthal, Herbert Marcuse, Friedrich Pollock u. a. - Adorno erst seit 1938 -) bei der Herstellung des Kunstwerk-Textes durch Komplikationen erschwert, dann deshalb, weil die Intervention gleidi zweier nicht unmittelbar zustandiger Mitarbeiter des Pariser Bureaus Benjamin, den Autor und den Mitarbeiter der engeren Gruppe des Instituts, mit Grund irritieren rrfufke - solange jedenfalls, wie diese Intervention nicht doch, so bei der anscheinend »il!oyalen« Brills (s. 996), sich nachtraglich als von Horkheimer - und der ubrigen Redaktion - autorisiert (s. 993 und 998 ff.), und, so bei der »apologetischen« Arons (s. 992 und 995 f.), als deplaciert herausstellte. Im gleichen Augenblick konnte denn audi, was Benjamin als demiitigender und nach Verteidi- gung formlich rufender EingrifF vorkam, ihm auf das minder drama- tische Ausmafi diskutabler und einsehbarer und deshalb audi explicite von ihm gebilligterKorrekturen (s. ion und 1012) sich reduzieren. Of- fenkundig hatten die »politischen fraglichen Stellen« (991), die in der damals vorgezeichneten Situation eher als politische Reizworte denn als theoretische BegrifFe sich auswirkenden Termini »Faschismus«, »Kommunismus«, ja noch »Sozialismus« (der denn freilich erhalten blieb; s. 998); hatten die »politisch exponierten Satze« (1007) und namentlidi der erste Abschnitt der Arbeit, der in einem »wissenschaft- Iichen Organ« (997) nur zu leicht als »poIitisches Bekenntnis verstan- den werden« (999) und »Pressediskussionen« (99J) provozieren konn- te, mit der weiteren Folge »ernsthafter Bedrohung« (a. a. O.) der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts und seiner einer grofien Zahl •von Verfolgten und Emigranten gewidmeten Hilfsaktionen; ofTen- kundig hatten die mit alledem verkniipften und nicht leichtsinnig zu erprobenden Risiken langst den Gegenstand miindlicher Unterredun- gen gebildet. Daher hatte sich, wann immer dann bei den brieflichen Auseinandersetzungen die Rede wieder darauf kam, sehr bald audi das Einverstandnis hergestellt, wenn namlich nur einmal die in der raumlidien wie in der arbeitsteiligen Trennung begriindeten »Mifi- verstandnisse« (1012, 1013,101 4) ausgeraumt waren. Davon, dafi dieses Einverstandnis von etwas anderem als von den gemeinsam auszutragen- den, den schwierigen gesamtgesellschaftlichen Arbeitsbedingungen der 1020 Anmerkungen zu Seite 431—508 und 709-739 Beteiligten erzwungen gewesen ware, kann schlechterdings nicht die Rede sein. Die Oberreprasentadon der Vorgange bei Herstellung des Kunst- werkaufsatzes durch Briefzeugnisse arbeitsorganisatorischen und re- daktionellen Charakters und das Manko an Belegen inhaltlicher Dis- kussion verfalschen nur zu rasch den Eindruck zuungunsten jenes treu- eren »Bi!des« von Benjamins »Beziehung zu Horkheimer« und seinem »Verhaltnis zum Institute, von dem er selber schon Ende Marz 1936 sich erhoffte - und wahrlidi sich versprechen konnte -, daft es »aus diesen Vorgangen ohne Triibung wieder zu Tage treten« mochte (1013). Aujnahme der Arbeit, zweite deutsche Fassung und Bemiihungen urn Pttblikation in Rutland sowie urn weitere Ubersetzungen Auf Adornos grofien Brief vom 18. 3. 1936, mit dem dieser in die in- haltliche Diskussion der Reproduktionstheorie eingetreten war, hatte Benjamin noch im Laufe des Marz geantwortet: Haben Sie den herz- lichsten Dank fur Ihren langen und aufschlufireichen Brief vom iS un . Er erbfjnet eine Fiille von Perspektiven, deren gemeinsame Erfor- schung zum Gesprach e ben so sehr einlddt, wie sie sich dem brief lichen Gedankenaustausch gegeniiber sprode erweist. Darum soli fur den Augenblick nur Eines ausgesprochen sein: Die Bitte, dock eingehend zu uberle gen, ob Sie es nicht wurden ermoglichen konnen, Ihre Riick- reise iiber Paris zu legend Ich halte unsere Begegnung gerade jetzt fur erwiinschter und fruchtbarer als )e. Sie wiirde mir zudem aus per- sonlichen Grunden jetzt besonders am Herzen liegen. Wenn wir auch nur zwei Tage zu unserer Verfugung batten, so konnte das der Arbeit von Monaten forderlich sein. Schreiben Sie mir ein Wort! Und neb- men Sie auch zum Schlufl noch einmal den vorlaufigsten Dank fiir Ihre Zeilen. (o,D. [Ende Marz 1936], an Th. W. Adorno) Eine Be- gegnung zwischen Benjamin und Adorno ist anscheinend nicht zu- stande gekommen, denn dieser schrieb am 28. Mai aus London: »Es ist eine recht geraume Zeit vergangen, seit wir zuletzt von einander gehort haben. Mein Anteil an dem Schweigen jedenfalls ist einzig der furchtbaren Last an Arbeit zuzuschreiben, die immer noch auf mir liegt. Sehr begierig ware ich, Ihre Erwiderung auf meinen Brief zur Filmarbeit zu wissen. Es liegt ja unterdes zur De- batte ein anderes Dokument vor, meine Jazzarbek, deren enge Be- ziehung zur Ihren ja evident ist - so eng, daft mir daran liegt, festzu- halten, dafi die gesamte Konzeption der Arbeit, insbesondere auch die Stelle iiber den Excentric und die Kritik der vergeblichen Kollek- tivarbeit im Jazz, friiher liegt als meine Kenntnis Ihrer Arbeit. Sie haben unterdessen das R&ume' kennengelernt und bei der franzo- Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 1021 sischen Fassung des Re*sum£s mitgewirkt: dafiir mochte idi Ihnen besonders danken. Es ware mir aber sehr daran gelegen, dafi Sie den Text selber, von dem selbstverstandlich das R&ume' keinerlei Vor- stellung gibt, recht bald kennen lernten. Er ist derzeit in Paris in Druck, jetzt wahrscheinlich schon ausgedruckt.« [Er erschien, unter dem Pseudonym Hektor Rottweiler, in der »Zeitschrift fiir Sozial- forschung« 5 (1936), 235-259] »Lassen Sie sich dooh bitte unter Be- ziehung auf mich einen Abzug geben oder, wenn das nicht tunlich ist, das Schreibmaschinenmanuskript.« (Am Rande dieses ersten Abschnit- tes des Briefs finden sich folgende drei Notizen von Benjamins Hand: Filmbriefantwort mit der Stellung zur Jazzarbeit kombinieren. Film- brief (scil. vom 18. 3. 1936, s. 1 000- 1 006) nochmals heranziehen (bei den Arbeitspapieren?); auf die Liicken meiner eigenen Arbeit hinweisen: mangelnde Kritik der kapitalistischen Basis der Filmpro- duktion und Jazztext) Gegen Ende des - langeren - Brief es heifk es: »Gestern erhielt ich die Zfeitschrift] f[ur] S[ozialforschung]: zur franzdsischen Fassung Ihrer Arbeit mochte ich mich erst nach genaue- ster Lekture aufiern. Prima vista macht die Obersetzung einen ganz vortrefflichen Eindruck.« (Am Rande die vermutlich auf die unbear- beitet gebliebenen Aufzeichnungen zur ersten und zweiten Fassung desKunstwerkaufsatzes, 1039-105 1, zu beziehende BenjaminscheNotiz Paralipomena) Im letzten Absatz des Brief es schreibt Adorno: »Ge- stern sah ich Reinhardts Sommernachtstraum-Film, ein Greuelmar- chen, das einen Beweis e cdntrario fiir Ihre Theorie und besonders dieWerfelstelle darin liefert.« (s. 448, 487 und 721) »Freilich einen sehr dialektischen Beweis: denn die Ambition des Films aufs >Auratische< fiihrt selber unaufhaltsam zur Vernichtung der aura. Ahnlich etwa wie der gefilmte Manet in Anna Karenina. Man mufi gestahlte Ner- ven haben, um diese Art der Liquidation zu ertragen.« (Am Rande die Benjaminsche Notiz Sommernachtstraum) (28. 5. 1936, Adorno an Benjamin) Benjamin antwortete Anfang Juni: Diese Antwort auf Ihren Brief vom z8 ten Mai, fiir den ich Ihnen herzlich danke> hat nidhts Definitives. Sie werden sehen, dafl die sachlich bedeutungsvoll- sten Probleme in ihr verbaltnismafiig am kurzesten kommen. Das hat mehrere Griinde. An erster S telle steht dabei die Aussicht, welch e Sie mir auf eine Begegnung am Monatsende eroffnen. [. . .] Nachdem der Druck, der so lange infolge meiner okonomischen Situation auf mir gelegen hatte, sich gelost hatte, trat das in solchen Fallen nicbt Ungewohnliche ein: die N erven gab en, im Zustande der Entspannung, nach. Ich fiihlte, dafl meine Reserven erschopfl waren. [. . ./ Aber brauchen Sie eine Versidoerung, dafi ich an der Solidaritat festhalte, die Sie mir gerade in der letzten Zeit so tief bewahrt haben? Ich hatte gehofjt, Ihnen heute eine kleine Beilage in Gestalt mehrerer Parali- 1022 Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 pomena zu der Filmarbeit anvertrauen zu konnen. Aber ich habe noch keine Abschrifl von ibnen. Im ubrigen wiirden sie in jenen grofien Zusammenhang unserer letzten Arbeiten gehoren, in den ich nicht eintreten will, ebe ich Ibren Jazzaufsatz gelesen babe, dessen Expose mir grope Erwartungen macht. Leider verfugt das pariser BUro im Augenblick weder Uber ein Manuscript nocb uber die Fabnen. Anfang ndchster Wocbe soil mir jedoch der Text zur Verfugung steben. Bis dabin mochte ich auch ein naberes Eingehen auf Ibren grofien Brief iiber die kunsttheoretiscbe Arbeit (s. 1 000-1006) zuruckstellen - und lie- ber noch etwas Idnger - namlicb bis zu unserer t hoffentlicb bevorstehen- den, Begegnung. Ich kann mir diesen Brief jedenfalls aus meinen Pa- pieren nicbt mebr wegdenken. Seine Positionen sind mir auch da klar, wo sie in Gegensatz zu den meinen treten. Alles Einzelne will auf sebr bebutsame Weise ausgemacht sein. Unbedingt einleucbtend ist mir Ibr Hinweis auf Mallarme, an dessen Werk in der Tat ein ritualfreier und rein dialektischer Aspekt der Kunst, wenn uberhaupt, am ebesten zu vergegenwdrtigen ware. [. . .J leb habe in der letzten Zeit eine Arbeit uber Nikolai Lesskow (s. Bd. 2) gescbrieben, die, ohne im entferntesten die Tragweite der kunsttheoretischen [scil. der Reproduktionsarbeit] zu beanspruchen, einige Parallelen zu dem »Verfall der Aura* in dem Umstande aufweist y dafi es mit der Kunst des Erzdhlens zu Ende geht. (4. 6. 1936, an Th. W. Adorno) In einem Brief vom 30. 6. 1^6 ging Benjamin sodann auf das Verhaltnis seines Kunstwerk-Aufsatzes zu Adornos Arbeit »Ober Jazz« ein: Ich babe Ibren Jazz-Aufsatz in den Fabnen gelesen. Vberrascht es Sie t wenn ich Ibnen sage, dafi ich ungeheuer erfreut iiber eine so tiefgeben- de und so spontane Kommunikation unserer Gedanken bin? Einer Kommunikation, von der Sie mir nicbt zu versicbern braucbten, daft sie bestanden bat ebe meine Arbeit iiber den Film Ibnen vorlag. Ibre Betrachtungsweise hat eine Durchschlagskrafi und Ursprunglichkeit wie sie nur die vollkommene Freibeit im produktiven Prozefi mit sich bringt - eine Freibeit, deren Praxis bei Ibnen sowohl wie bei mir die tiefgehenden Obereinstimmungen unserer Anscbauungsweise gradezu zum sachlichen Beweisstiick macht. In Erwartung unserer bevorsteben- den Begegnung will ich auf Einzelheiten Ihrer Arbeit kaum eingehen. Immerhin will ich es nicht auf die lange, ja nicht einmal auf die kurze Bank scbieben, Ibnen zu sagen wie sehr mir der Komplex »Chock- wirkung* im Film durch Ihre Darstellung der Synkope im Jazz er- bellt wurde. Ganz allgemein scheint mir, dafi unsere Untersuchungen wie zwei Scheinwerfer, die von entgegengesetzten Seiten auf ein Objekt gerichtet werden, Umrifl und Dimension der gegenwdrtigen Kunst in durchaus neuer und sehr viel folgenreicherer Weise erkenn- bar macben als das bisber erzielt wurde. Alles - und das heifit vieles - Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 1023 andere im Gesprdch. (30. 6. 1936, an Th. W. Adorno) - Eine andere - briefliche - Reaktion auf die Reproduktionsarbelt erfuhr Benja- min von Alfred Cohn. In seinem - Ende Juni geschriebenen - Dan- kesbrief, der vor allem audi wegen des Berichts iiber die Reaktion der parteilich organisierten linken Schriftsteller auf die Kunstwerkar- beit von groftem Belang ist, heifit es: Am meisten von allem, was Du zu meiner Arbeit schreibst, hat mich gefreut, dafl Du trotz ihrer neuen, vielfach gewifr audi uberraschenden Tendenz ihre Kontinuit'dt mit meinen friihern Versuchen erkannt hast - eine Kontinuit'dt, die wohl vor allem darin begriindet ist, dafl ich mir durch all die Jahre hindurch einen immer genauern und kompromifilosem Begriff von dem, was ein Kunstwerk ist, zu machen gesucht babe. Mein Versuch, die Arbeit unter den hiesigen emigrierten Schriftstellern zur Debatte zu stellen, war zu sorgfaltig vorbereitet, um nicht einen reichen infor- matorischen Ertrag zu bringen. Dieser war aber nahezu sein einziger. Am interessantesten war das Bestreben der Parteimitglieder un[terj den Schriftstellern, wenn schon nicht den Vortrag so die Debatte meiner Arbeit zu hintertreiben. Das gelang ihnen nicht und so be- schrdnkten sie sich darauf, die Sache schweigend zu verfolgen, soweit sie ihr nicht ganz fern blieben. Es ist der Instinkt der Selbsterhaltung, der in soldo en Fallen die Mangel der Auffassungsgabe kompensiert: diese Leute fiihlen ihr en so wohl eingespielten belletristischen Betrieb durch mich gefahrdet, diirfen sich aber eine Auseinandersetzung mit mir sowohl vorldufig sparen als auf die Dauer nicht zutrauen. Im ubrigen diirfen sie sich wohl mit einigem Recht solange in Sicherheit wiegen als auch Moskau das A und O der Literaturpolitik in der Forderung linker Belle tristik erblickt, wie die neue Grundung »Das Wort* es mich furchten la fit, Genaueres iiber diese Zeitschrift [ihre erste Nummer erschien Juli 1936 in Moskau; Benjamin ver- sudite im Mai, die unterdessen wohl abgeschlossene, eher zu diesem Zweck eigens abzuschlieftende »2weite Fassung« der Reproduktions- arbeit beim »Wort« unterzubringen; s. 1026] werde ich in kurzer Zeit von Brecht, der mit [Lion] Feuchtwanger und [Willi] Bredel zu ihrem Redaktionskomitee gehort, vernehmen. Ich denke, dafl ich im Laufe des Juli nach Danemark [scil. zum Sommeraufenthalt bei Brecht in Svendborg] fahre. (Briefe, 715 f.) Begierig zeigte sich auch Horkheimer, von den ersten Wirkungen der Reproduktionsarbeit zu erfahren. »Haben Sie >extreme< Aufierungen iiber Ihren Aufsatz gehort? Ich bin sehr gespannt darauf, wie er bei den Franzosen auf- genommen wird«, heifk es in einem Brief an Benjamin vom 13.7. 1936. Benjamin, inzwischen in Svendborg, antwortete am 10. Au- gust: Vber die Auswirkungen meines Aufsatzes im letzten Heft der Zeitschrift wollte ich Ihnen schon ehe ich den ersten Ihrer beiden Brie- 1024 Anmerkungen zu Seite 431—508 und 709-739 }e bekam, kurz schreiben. Die interessanteste habe ich im Wort- laut nod) nicht zu Gesicht bekommen. Es ist eine Aufierung von [Andre] Malraux auf dem Londoner Schriflstellerkongrefi vom vorigen Monat, bei dem er das Hauptref.erat hatte. [. . ./ Malraux ist vor dem Kongreft auf meine Uberlegungen eingegangen und hat mir dies bei einem Zusammentreffen in Paris bekrdftigt. Er ging so- weit, mir eine genauere Bezugnahme auf den Aufsatz in seinem ndcb- sten, offenbar tbeoretischen, Buck in Aussicht zu stellen. Naturlich wiirde ich mid) daruber freuen. Man darf aber nicht vergessen, dafi Malraux sehr temper amentvoll ist; nicht jeder seiner oft impulsiven Vorsatze kommt zur Ausfuhrung. Der Aufsatz hat weiter Anlafi zu einer Aussprache zwischen Jean Wahl und Pierre Jean Jouve, der ein bedeutender Dichter ist, gegeben. Ich war nicht zugegen; es ist mir davon berichtet worden. Der Budohandler Ostertag vom Pont de VEurope erzdhlte mir, das Heft der Zeitschrift sei, mit Hinweis auf meinen Aufsatz, mehrfach bei ihm gekauft worden. Schliejllich weifi ich, dafl Jean Paulhan, der Redakteur der NJouvelleJ RJevueJ F[ran$aise], nachhaltig auf die Arbeit hingewiesen worden ist. Man hat ihm nahe gelegt, in seiner Zeitschrift mit einer Notiz auf sie ein- zugehen. Ob er es tun wird, ist mir zweifelhaft. Der Kreis um die NRF ist von jener Impermeabilit'dt, die eine ganz bestimmte Art von Zirkeln sett jeher, und dreifach, wenn es literarische sind, kennzeich- net. (Briefe, 716 f.) Am 11. August schrieb er an Kraft. Der Brief gibt unter anderem Aufschluft iiber Benjamins Bemiihungen, die seit Januar 1936 erfolglos angestrebte Publikation der Reproduktions- arbeit in Moskau, jetzt durch Brechts Vermittlung, doch noch zu er- reichen. Gestern traf das zweite Heft des »Wort« [. . .] bier ein. Brecht war, wie Sie sich denken kbnnen, sehr unwillig in dem unge- zeichneten und daber die Verantwortlichkeit der Redaktion, der auch er angebort, angehenden »VorworU einige sehr tbrichte und respekt- lose Worte iiber Kraus [anlaftlich seines Todes am 12. Juli 1936] zu lesen. [. . .J Ob unter Umstdndcn wie den angedeuteten die Re- daktion des »Wortes« ihre gegenwdrtige Zusammensetzung lange beibehalten wird, weifi ich nicht. Ich ware daran inter essiert, dafi sie: es wenigstens solange tut, bis der Versuch, den nur Brecht unterneh- men kann, meine Arbeit iiber das »Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeiu in deutscher Fassung dort erscheinen zu lassen, gemacht worden ist. (Briefe, 720 f.) Diesem von Benjamin erhofTten Versuch - wie Brecht selbst iiber die Reproduktionsarbeit dachte, daruber belehrt eine Eintragung im unterdessen verofTent- lichten »Arbeitsjournal«, die, ware sie Benjamin bekannt gewesen, ihn jeglidier Illusion beraubt hatte: »b[enjamin] hat das«, »was er a u r a nennt« und daft »diese [. . .] in letzter zeit im zerfall sein [so!l]«, Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 1025 »bei der analyse des films entdeckt, wo aura zerfallt durch die repro- duzierbarkeit von kunstwerken. alles mystik, bei einer haltung gegen mystik. in solcher form wird die materialistische geschichtsauffassung adapdert! es ist ziemlich grauenhaft.« (Bertolt Brecht, Arbeitsjournal. Erster Band 1938 bis 1942, hg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973, 16 [25.7.1938]) .-, diesem Versuch war Benjamins eigner bereits im Marz 1936 vorhergegangen, den er mit einer Reise Grete Steffins nach Moskau verkniipfte. An die Mitarbeiterin Brechts hatte er damals geschrieben: Ich darf [, . ./ auf Ihre Bereitwilligkeit zuriickkommen, wenn Sie nach Moskau hereinfahren, sich meines bei . Reich befindlicben Manuskripts [scil. des Typoskripts der »Ersten Fassung«, wahrscheinlicher dessen, das der ersten franzosischen Fas- sung zugrundelag; s. 985] anzunehmen. Der franzosische Text der Arbeity deren deutscher bei Reich ist befindet sich augenblicklich im Druck und wird in der »Zeitschrift fur Sozialforschung* erscheinen. Stuart Gilbert, der Obersetzer von Joyce, bemiiht sich zur Zeit in London um einen englischen Obersetzer [dieser wurde, ob durch Gilbert, ob durch einen andern, in Pierre Leyris gefunden, erschienen ist dieObersetzung nicht; s. 1028]. Natiirlicb ware mir aufierordentlicb viel daran gelegen die Arbeit in Rutland erscheinen zu sehen. Und warum das natiirlich ist werden Sie verstehen wenn Sie sie gelesen haben. Ich bitte Sie sehr darum das zu tun. Sie werden danach besser als ich sehen konnen ob die Arbeit in Rutland Publikationschancen hat. Ich denke mir daruber, unmafigeblich, das Folgende: Die Frage- stellung von der ich ausgehe miifite in Rutland auf das grofite Inter- esse stofien. Gegen meine Methode sehe ich vom Standpunkt der materialistischen Dialektik keine Einwande. D age gen lasse ich da bin- gestellt, wie weit man in den Schlufifolgerungen mit mir ubereinstim- men wird. Einen Brief, den mir Reich am xy. Februar schrieb, mochte ich zur Beurteilung dieser let z ten Frage nur sehr bedingt heranziehen. Ich glaube ich tue gut, Sie zu bitten ihm gegeniiber uber diesen Brief garnicht oder nur ganz oberfldchlich informiert zu sein. Er ist ab- lehnend; und zwar auf unfruchtbare Art. Methodische Einwande er~ hebt Reich nirgends. Und aus dem Brief geht nur hervor, dafi ihm die Sache »zu weiu geht; dafi es sich wo hi »nicht ganz so« verhalten diirfle, usw. Sein Brief ist keine Grundlage fur die Diskussion und ich weifi noch nicht recht was ich ihm antworten werde. Abet die Antwort eilt wohl nicht. Sie eilt umso weniger als Reich wahrscheinlich, selbst wenn er es wollte, nicht allzuviel fiir die Veroffentlichung der Ar- beit wiirde tun konnen. Mir ware daran gelegen y dafl [SergejJ Tre- tjakow die Arbeit zu lesen bekommt.Das war von vornherein [Slatan] Dudows Vorschlag der von der Sache sehr viel halt und mir gleich voraussagte, dafl Reich nicht auf sie eingehen wiirde. Ich vermute, ioz6 Anmerkungen zu Seite 43 1—508 und 709-739 daft Sie Tretjakow gut kennen und ihm das Manuskript geben konn- ten. Bei alldem ware mir daran gelegen yt dafi sich das Manuskript nicht verliert. Vielleicht ist sein Erscheinen in Rutland nur eine Zeit- frage. Was den deutschen Text betrifft y so wiirde ich ihn gem in der »lnternationalen Literature [einer seit 1930 in Moskau erschienenen, von Johannes R. Becher redigierten deutschsprachigen Zeitschrift] gedruckt haben. Zu diesem Zweck werde ich ihn mehreren Genossen vorlesen, mit denen ich daruber diskutieren werde. Auf der Grund- lage dieser Diskussion wird dann eine offentliche Verhandlung im hiesigen [scil. Pariser] Schriftstellerschutzverband anheraumt werden [daruber s. 1023]. (4. 3. 1936, an Grete Steffin) Mit dem deutschen Text, von dem Benjamin spricht, ist zweifelsohne die »Zweite Fas- sung« der Reproduktionsarbeit - oder doch eine Vorstufe davon - gemeint, die Version, mit der Benjamin bereits wahrend der Ober- setzungsarbeit an der »Ersten Fassung« - oder vielmehr der aus ihr entstandenen, verlorenen, die der franzb'sischen Fassung zugrundelag - beschaftigt war, ganz sicher mit dem Blick auf die Publikation in Rutland. Diesen deutschen Text hatte Reich in Moskau noch garnicht in Handen, er war in dem Brief an Grete Steffin gewissermaften an- gekiindigt, der jedoch in Moskau nicht an die Adressatin gelangt sein diirfte. In einem spateren Brief Benjamins an Grete Steffin, geschrie- ben Ende Mai, heifit es: In grofier Eile will ich Sie nur eben zu Ihrer glucklichen Ankunfl in London beglilckwiinschen [. . ./ Es scbeint, dafl kaum eine einzige der zahlreichen Nachrichten y die ich Ihnen in die [Sow jet-] Union geschickt habe, Sie erreicht hat. In meiner letzten y die Ihnen eben falls entgangen sein wird, bat ich Sie schliefllich, das Manuskript meiner Arbeit [scil. das bei Reich befindliche] statt es an Tretjakoff zu leiten lieber Brecht mitzubringen. Das Schlimme ist 3 dafi ich im Augenblick kein Exemplar des deutschen Textes besitze; mit dem franzosischen> der jetzt erschienen ist, kann Brecht nichts anfangen. Sowie ich ein deutsches Exemplar habe y sende ich Ihnen eins. Dieser wie der vorhergehende Satz konnen durchaus bedeuten, daft die Arbeit an der »Zweiten Fassung« noch garnicht abgeschlos- sen war, oder zumindest, daft es noch kein Typoskript von dieser Fassung gab; die Existenz eines soldien ist brieflich erst 1938 ein- deutig bezeugt (s. 1032). Von dem Gedanken an eine Publikation der Arbeit in der »Internationalen Literatur« war Benjamin inzwischen abgeriickt. Jetzt heifit es: Ich brauche nicht zu sagen wie viel mir daran lage, den deutschen Text im [zu diesem Zeitpunkt mit seiner ersten Nummer noch garnicht erschienenen] »Wort« erscheinen zu sehen. Zunachst mil fit e man freilich feststellen, ob die Zeitschrift uberhaupt die raumliche Moglichkeit hat s einen $0—60 Schreibma- schinenseiten umfassenden Beitrag zu veroffentlichen. Die iiberliefer- Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739* 1027 ten Typoskripte der »Zweiten Fassung« zahlen 52 (= T 2 ; s. »Ober- lieferung«, 1056) und 60 (= T 1 ; s. a. a. O.) Schreibmaschinenseiten. Dies, fahrt Benjamin fort, mufi ja jetzt scbon feststellbar sein. Bitte schreiben Sie mir eine Zeile dariiber. (28. 5. 1936, an Grete Steffin) Wie die im November erneut vorgetragene Bitte beweist, war, wenn iiberhaupt etwas in der Angelegenheit geschah, diese, trotz der von Benjamin auf Brecht gesetzten Hoffnung - oder gerade wegen deren Vergeblichkeit, wie Brechts Tagebucheintrag uber die Reproduktions- arbeit wohl beweisen konnte - dilatorisch behandelt worden. Benja- min schrieb an Grete Steffin: Geben Sie mir bitte t wenn irgend mog- Uch auch Nachricht wie es denn urn »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techniscben Reproduzierbarkeiu beim »WorU bestellt ist. Mittlerweile sollte man Bredel [Brechts und Feuchtwangers Mitre- dakteur] wohl zu einer Stellungnahme bewegen konnen. Sprechen Sie doch noch einmal mit Brecht dariiber. (4. 11. 1936, an Grete Steffin) Fiinf Wochen spater, nachdem eine Stellungnahme noch immer nicht erfolgt war, vertagte Benjamin seine Hoffnung furs erste. Anlaftlich seiner Ankiindigung des zweiten Pariser Brief [es J (s. Bd. 3, 495-507) schrieb er; Im ubrigen haben die Leute [sciL vom »Wort«] noch immer keinen Bescheid Uber meine Reproduktionsarbeit kundge- geben. Nun mu$ das wohl ruhen, bis Brecht selbst hinkommt [sciL nach Moskau]. Oder glauben Sie t es sei zweckmafiig, Maria Osten, die wie der zuriick ist 3 davon zu schreiben? Ich halte das nicht fur gewifi. (12. 12. 1936, an Grete Steffin) Endlich, 1 im Friihjahr 1937, aufierte sich einer der Redakteure: Bredel hat mir gerade des Umfangs wegen ablehnenden Bescheid uber »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeiu zukommen lassen. Daft diese Be- griindung den eigentlichen Sachverhalt, dessen Benjamin sich nach der Erfahrung mit der Diskussion linker Schriftsteller wohl bewufk sein konnte (s. 1023), eher verschleierte, wollte er sich freilich, wenigstens Grete Steffin gegeniiber, nicht eingestehen. Jedenfalls liefi er, wie die Fortsetzung des Briefes beweist, nichts unversucht, um die Publikation anderer Arbeiten im »Wort« dennoch zu erreichen. Unverdrossen habe ich ihm [scil. Bredel], wie Sie aus dem beiliegenden Breif sehen, gleich neue Vorschldge gemacht; dazu einen Gesang angestimmt, wie ihn wohl die Sirenen h'dtten erschallen lassen, wenn sie Geld von Odysseus batten bekommen wollen. Es ware sehr scbon und hochst wahrschein- lich erfolgreich, wenn Sie ihn zart wurden begleiten wollen. (26. 4. 1937, an Grete Steffin; s. den Brief an Bredel, Bd. 3, 6j6 f.) Ob nun mit dem begleitenden Gesang oder ohne ihn:abgesehenvom ersten Pariser Brief druckte »Das Wort« keine Arbeit Benjamins. - Ebenso- wenig wie eine Publikation der Reproduktionsarbeit in Rutland zu- standekam, ist es zu einer in englischer Sprache gekommen. Die Bernu- 1028 Anmerkungen zu Seite 43 1— 508 und 709-739 hungen Benjamins um einen Obersetzer datieren bis in den Marz 1936 zuriick (s. 1025). Erhalten ist der Entwurf eines Brief es an Mrs.Bryher [Winifred Ellerman] (s. Brief e, 838), dessen Original er kurz nach Erscheinen der franzosischen Fassung der Reproduktionsarbeit, zusammen mit einem mit Widmung versehenen Separatdruck, abge- schickt haben wird. Der Brief entwurf, welcher in dem Notizenkon- volut sich findet, das u. a. die Aufzeichnungen, Varia und Paralipo- mena zur »2weiten Fassung« enthalt (s. 1037 f.), Iautet: Sehr verehrte Frau Bryher, meine Arbeit uber das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ist nun in der franzosischen Fassung erschienen. Icb sende sie Ihnen mit gleicher Post. Die englische Uber- setzung, die Pierre Leyris ubernommen hat y ist im erst en Entwurf fertig. Icb koffe sie bis Ende des Monats zu haben und Sie erhalten sie dann sofort. Ich wiirde mich auflerordentlich freuen, wenn Ihr Weg Sie wieder einmal uber Paris fiihrt. In dieser Hoffnung bin ich mit herzlichen Gruflen [die Unterschrift fehlt] (Druckvorlage: Benja- min- A rchiv, Ms 400). Am Rande des Entwurfs steht die Widmung Benjamins, oder vielmehr ihr Entwurf: a M me Bryher en signe de sa sympathies devoues hommage de I'auteur (Druckvorlage: a. a. O.) Spat ere Zeugnisse Die Zeugnisse, die von der Reproduktionsarbeit Kunde geben, wer- den von Ende 1936 an sparlicher. Sie betreffen, soweit iiberliefert, namentlich die Rolle, welche der Aufsatz und die Verflochtenheit seiner Motive mit der spateren Produktion Benjamins - und Ador- nos - in der schriftlichen und vorab in der, weit intensiveren, mund- lichen Korrespondenz zwischen beiden gespielt hat. Welche Bedeutung gerade die - in aller Regel durch Horkheimer geforderten und finan- zierten - Rencontres fur Benjamin hatten, lassen zwei Briefe spiiren, die dieser Ende 1936 aus Anlafi des Adornoschen Besuchs in Paris an Horkheimer richtete. Im ersten heiftt es: Bevor ich meinen Bericht [scil. uber die Aktivitaten Benjamins als Mitarbeiters des Instituts in Paris] aufnehme, mochte ich Ihnen meinerseits herzlichen Dank da fur sagen, dafi Sie den hie si gen Auf enthalt von Wiesengrund mog~ Itch gemacht haben. Unsere Aussprache,' die doch jahrelang angestan- den hatte, lieji eine Gemeinschaft in den wich tigs ten theoretischen Intentionen erkennen.die sehr erfreulichwar, ja belebendwirkte. Diese V bereinstimmung hatte, angesichts unserer langen Trennung, biswei- len etwas beinabe Erstaunliches. Das unserer Aussprache zugrunde- liegende Material: der Jazz-Essai, die Reproduktionsarbeit, der Ent- wurf meines Buchs [scil. das Expose zum Passagenwerk] und eine An- zahl methodischer Reflexionen dazu von Wiesengrund - dies Material Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 1029 war grofi genug, um die grundsatzlichsten Fragen in Angriff zu neh- men. (Brief e, 722 f.) Und im zweiten Brief, verfafk um Mitte Dezem- ber, schrieb Benjamin: Sie haben gewifi zunachst dem Institut zuliebe Wiesengrunds Kommen bier her ermbglicht. Das scbliefit nicht aus t dafi Sie mir damit ein personliches Geschenk gemacht haben, Und es ist mein Erstes, Ihnen da fiir zu danken. ]e ofter Wiesengrund und ich dazu gelangen, die weit auseinander liegenden Bezirke, denen unsere Arbeit in den Jahren vor unserem Wiedersehen im Oktober gegol- ten hat, gemeinsam zu durchstreifen, desto mehr bewahrt sidy die Verwandtschaft unserer Intentionen. Sie ist so ursprunglich, dafi sie auf die Beruhrung im Stoff lichen verzichten kann, ohne darum went- ger deutlich, ja kontrollierbar zu sein. So sind die letzten Gesprache, die sich bald mit der Husserlanalyse, bald mit erganzenden Reflexio- nen zur Reproduktionsarbeit, bald mit Sohn-Rethels Entwurf be- f apt en, fiir uns von wirklicher Bedeutung gewesen. (17. 12. 1936, an Horkheimer) In seinem Erwtderungsschreiben kam Horkheimer auf das - ihm nicht eben sympathische - Interesse zu sprechen, das man in New York an der Reproduktionsarbeit zu nehmen begann, Sicher- lich Komplikationen befiirchtend, die in der prekaren Situation des Insututs in Amerika nie auszuschlieflen waren, riet er Benjamin vorsichtiges Verhalten an. »Heute hat Herr Ley da vom Museum of Modern Art, Film Library Corp., 'hier angerufen, und um das Manuskript zu Ihrer Reproduktionsarbeit aus dem ersten Heft 1936 gebeten. Er vermutete, dafi es sich um einen aus dem Deutschen ins Franzdsische ubersetzten Artikel handle und wollte nun gern den deutschen Text haben, um diesen ins Englische ubersetzen zu lassen und ihn dann der Library einzufiigen. Ich habe erwidert, dafi ein deutscher Text nicht mehr vorliegt, was fiir unser hiesiges Biiro audi zutrifft. Sollte er sich an Sie selbst wenden, so ware ich dankbar> wenn auch Sie ein deutsches Manuskript nicht zur Verfiigung stellten. Wir mochten es namlich vermeiden, dafi aus irgendwelchen DifTeren- zen zwischen dem deutschen und dem verorTentlichten franzosischen Text Diskussionen entstehen, was nicht ganz ausgeschlossen ist.« (30. 12. 1936, Horkheimer an Benjamin) Benjamin schrieb zuriick: Herr Leyda von der Film Library hat sich bisher nicht an mich ge- wandt. Wenn er mich um einen Text bittet, werde ich den franzosi- schen zur VerfUgung stellen. (31. 1. 1937, an Horkheimer) Wie aus seinem Antwortbrief hervorgeht, hatte Horkheimer unterdessen seine Bedenken wegen moglicher Komplikationen zugunsten der Aussich- ten, die Benjamin hier sich eroffnen mochten, zuruckgestellt: »2weck dieses Briefes ist lediglich, Ihnen mitzuteilen, dafi Herr Leyda und ein weiterer Herr sich inzwischen nochmals wegen Ihrer Arbeit bei uns erkundigt haben. Wir verwiesen beide ausdriicklich an Sie und 1030 Anmerkungen zu Seite 43 1—508 und 709-739 erklarten uberdies auf Befragen, daft Sie frei waren, weitere Artikel uber denselben Gegenstand audi fur andere Zeitschriften als fiir die unsrige zu produzieren. Es scheint, daft hier die Moglichkeit einer Mitarbeit bei amerikanischen Stellen besteht. Sollten Anfragen in dieser Richtung an Sie gelangen, so rate ich, daft Sie unbedingt zu- sagen. Offenbar haben Sie einige Kreise der Filmindustrie durch den Artikel interessiert, und es ware toricht, die Chancen, die sich da bieten, nicht wahrzunehmen. Gegebenenfalls konnen Sie auch mittei- len, daft Sie weitere Artikel in englisch liefern konnten. Wir wiirden Ihnen unter Umstanden die Obersetzung gerne hier von einer sach- kundigen Kraft besorgen lassen. Vielleicht aber ist die ganze Ange- legenheit inzwischen wieder in Vergessenheit geraten, was hier nicht selten passiert.« (25.2. 1937, Horkheimer an Benjamin) Tatsachlich scheint das der Fall gewesen zu sein. Adorno, unterdessen in den Vereinigten Staaten, hatte im Mai 1938 die Angelegenheit noch einmal benihrt und Benjamin geraten: »Was das Museum of Modern Arts anlangt, so sollten Sie den Kontakt mit Schapiro aufnehmen, der ein grower Kenner Ihrer Schriften und uberhaupt ein ebenso in- formierter, wie einfallsreicher Mann ist, wenn auch nicht eben heikel, indem er uns z. B. auseinandersetzte, daft er Ihre Reproduktionsar- beit mit der Methode des logischen Positivismus fiir vereinbar hake. Ich sage Ihnen das nur, um Sie dariiber zu informieren, daft bei der hiesigen Avantgarde die Baume genau so wenig in den Himmel wachsen wie bei der Pariser. Immerhin diirften aber die materiellen Ressourcen der hiesigen grower sein, und der Gedanke, Sie durch eine combine zwischen dem Institut und Schapiro oder etwas ahnli- ches hierher zu bringen, diinkt mir nicht utopisch. [. . .] Noch modi- te ich in diesem Zusammenhang zu bedenken geben, daft durch die jungsten Ereignisse die Sekuritat in Paris jedenfalls nicht zugenom- men hat. Die Tatsache, daft es nach unserer Theorie keinen Krieg geben wird, macht diesen nicht harmloser fiir den Fall, daft die Theo- rie nicht stimmt.« (4. 5. 1938, Adorno an Benjamin) Anscheinend hatte Benjamin aber, bis zuletzt, da ihm noch MSglichkeiten sich boten, aus Frankreich hinauszukommen (s. Brief e, 857), mit Meyer Schapiro brieflich keinen Kontakt genommen, wenn auch moglicherweise ein personl icher - in Paris, im Sommer 1939 - zustandegekommen war (s. Briefe, 822). - Uber Benjamins okonomische Situation gegen Ende des Jahres 1937 gibt ein Brief Horkheimers Auskunft, in dem auch Aspekte der Verkniipfung der Arbeit am »Jochmann« (s. Bd. 2) mit Motiven der Reproduktionsarbeit erwogen werden. Dort heiftt es zunachst: »Ich horTe, daft der Bescheid uber die finanzielle Regelung, der Ihnen von Herrn Pollock mitgeteilt worden ist, zur Klarung Ihrer Verhaltnisse beitragt. Infolge des Borsenriickgangs haben wir Anmerkungen zu Seite 431-508 und 709-739 1031 die meisten Forschungsauftrage und Stipendien kiirzen oder ganz streichen miissen. Die Gehalter der Mitarbeiter wurden zum groften Teil zuriickgesetzt. Daft wir Ihr Gehalt im Gegensatz dazu erhoht und stabilisiert haben, darf Ihnen ein Zeichen dafiir sein, daft wir Ihre Mitarbeit zu den unzweifelhaften Aktivposten des Instituts zahlen.« Und spater: »Wir erwagen gegenwartig die Frage, wie und ob wir den Jochmann in einer der nachsten Nummern der Zeitschrift publizieren sollen. Einerseits sind wir mit Ihnen der Oberzeugung, daft es sich um wichtige Gedanken handelt, andererseits haben wir bis jetzt noch nie alte Texte publiziert. Konnten Sie eine nicht so sehr vom Standpunkt des Historikers als von der philosophischen Theorie aus verfaftte Einleitung dazu schreiben? Ich denke daran, daft Sie die Beziehung der Jochmannschen Ansicht zu unserer Position, im besonderen vielleicht zu Ihrer Reproduktions-Arbeit herstellten. Auf solche Weise konnten wir der Frage begegnen, warum wir ge- rade dieses vergessene Dokument publizierten, wahrend andere, die ebensoviel oder noch mehr mit unseren Ansichten zu tun haben, lie- gen bleiben. Es erschiene dann im Zusammenhang mit dem besonders von Ihnen bei uns vertretenen theoretischen Arbeitsgebiet.« (5. 11. 1937, Horkheimer an Benjamin) Benjamin antwortete: In meiner Arbeit iiber »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Repro- duzierbarkeit« , sehe ich gewifl ein Motiv, das eine Vmformulie- rung von Jochmanns Essay vermitteln konnte. Es ist das Motiv vom V erf all der Aura. Ich babe mich in der letzten Zeit gerade hieruber um neue Aufschliisse bemiiht, und ich hoffe nicht ohne Erfolg. Aber sie setzen mich nicht in Stand, die sakulare Perspektive Jochmanns, die von den homer ischen Epen bis zu Goethe reicht, zu umspannen. Ich fiirchte y dafi eben diese Spannweite die unvergleichliche Originali- tat Jochmanns ausmacht, mit dem man hierin nicht in unmittelbaren Wettbewerb tret en darf, ohne dem Leser allzu deutlich zu machen, wie wenig es uns, unter unserm helleren, dazu noch frostigen Himmel zu traumen gestattet ist. Es ist manchmal angezeigt, den Leser ohne Umstdnde mit den Scbwierigkeiten bekannt zu machen, die sich dem Verfasser in den Weg stellen. Das fuhrt mich zu der Frage: sollte ich nicht versuchen, die obigen Uberlegungen in einem kurzen Ab- schnitt der Ihnen vorliegenden Einleitung einzuflechten? Er hatte den Leser iiber die force majeure aufzukldren, krafl deren gerade das un- gebrochene philosophische Interesse angesichts dieser Ab- handlung auf den histor ischen Kommentar verwiesen wird. Auf solchem Umwege wilrde ich in der Tat ihre Beziehung zur Reproduktionsarbeit herstellen und damit den Schein der blofien historischen DenkwUrdigkeit von ihr fernhalten. (6. 12. 1937, an Horkheimer) Wie er das Problem dann loste, ist aus der Entstehungs- 103 2 Anmerkungen zu Seite 43 1—508 und 709-739 geschichte des »Jochmann« und dem Text selbst zu ersehen (s. Bd. 2). - Unter den Zeugnissen aus dem Jahr 1938 findet sich der erste definitive Hinweis auf die - wohl friiher - abgeschlossene »Zweite Fassung« des Kunstwerkaufsatzes. In einem dem Brief Benjamins an Adorno vom 16. April 1938 beigeschlossenen, an Gretel Adorno ge- richteten Abschnitt heifit es: Deine Bereitschaft, mir die Reproduk- tionsarbett abzuscbreiben y ist unscbatzbar. Ich nehme das mit der grofiten Freude an. Sobald ich die Zeit finde, das Manuskript noch einmal durchzusehen, erhdltst Du es. Es bat ganz den Anschein, als ob sicb mit Deiner Intervention ein guter Stern iiber meinen Opusculis erhoben hatte. (16.4. 1938, an Theodor W. und Gretel Adorno) In der Tat war dann das Manuskript (i. e. das Typoskript T 1 ) von Gretel Adorno in Amerika - zunrindest teilweise (s. 1056 ff.) und frei- lich erst ein voiles Jahr spater (s. 1034 f.) - kopiert worden; die Kopie (= T 2 ) hat der ersten Veroffentlichung der - deutschen - Reproduk- tionsarbeit (i. e. ihrer »Zweiten Fassung«, der einzigen bislang iiberhaupt gedruckten deutschen) in den »Schriften« von 1955 zugrundegelegen. Die durcbzusehen[de] Urschrift (= T 1 ) wird wahrscheinlich von Benjamin im Sommer 1938 mit nach Svendborg genommen wor- den sein, in welcher Gestalt dann Brecht - vielleicht iiberhaupt zum erstenmal - die Arbeit gelesen haben mag; das wiirde denn auch den relativ spaten Eintrag ins »Arbeitsjournal« vom Juli 1938 erklaren. Dafi spatestens vom Datum dieser Eintragung an von Brecht keine weitere Unterstiitzung des Benjaminschen Publikationswunsches zu gewartigen war, spricht aus dieser - einigermafien unqualifizierten und sonderbar hamischen - Eintragung selber. Die sehr naheliegende Vermutung, dafi von Benjamin diese ganze zweite Fassung der Reproduktionsarbeit mit ihren gegenuber der ersten wie der franzo- sischen ins Auge springenden Varianten, Erganzungen und Modifika- tionen imBlick auf ihre eigentlidie Zustandigkeit in Rutland (s. 1018), wenn nicht vollends in dem auf Brecht selber hergestellt worden war: diese Vermutung, durch Benjamins tatsachliche HofFnung gestiitzt, findet im Scheitern dieser HofFnung - an der dilatorischen Behandlung der Angelegenheit erst, dann mit der Ablehnung Bredels, schliefilich in der unzweideutigen Tagebucheintragung Brechts - ihre Bestati- gung.* - In der Phase der Arbeit Benjamins am »Baudelaire«, die * Eine Bestatigung, die erst indirekt zu ersdilieflen freilich als iiberflussig erschei- nen mag, da sie durch die Mttteilung Adornos langst direkt erfolgte, wonach Ben- jamin »- nach seiner Erklarung Adorno gegenuber ~ den Kunstwerkaufsatz [schrieb], urn Brecht [. . .] an Radikalismus zu uberbieten* (Rolf Tiedemann, Studien zur Philosophie Walter Benjamins, Frankfurt a. M. 196 j, 89 [Anm.] und 149; s. auch Theodor W. Adorno, Ober Walter Benjamin, Frankfurt a. M. 1970, 95 [»Interims- bescheid*]). Sichcrlich war das schon in den friiheren Fassungen intendiert: an der letz- ten ist es vollends deutlich geworden. Anmerkungen zu Seite 43 1-508 und 709-739 1033 von der theoretisch intensivsten Korrespondenz mit Adorno beglel- tet war, kamen audi wichuge, mit der Reproduktionsarbeit aufge- worfene Fragen zwischen den Korrespondenten zur Verhandlung. So heifSt es in einem - umfanglichen - Brief Benjamins an Adorno vom Dezember 1938: Ich komme auf Ihre neue Arbeit [scil. »Uber den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des H6rens«] und damit auf den besonnteren Teil dieses Schreibens. Mich betrifft sie sacblich in zwei Beziehungen - beide von Ihnen angedeutet. Ein- mal in den Teilen, die gewisse Merkmale der gegenwartigen akusti- schen Apperzeption des Jazz in Beziebung zu den von mix bescbrie- benen optischen des Films setzen. Icb vermag ex improvisto nicht zu entscheiden > ob die verschiedene Verteilung der Licht- und Schatten- partien in unseren respektiven Versuchen aus theoretischen Diver- genzen hervorgeht. Moglicherweise bandelt es sich um nur scheinbare Verscbiedenheiten der Blickrichtung, die in Wabrbeit, gleicb adaquat y verschiedne Gegenstdnde betrifft. Es ist ja nicht gesagt, daft aku- stische und optische Apperzeption einer revolutionaren Umwalzung gleicb zuganglich sind. Damit mag zusammenbdngen, dafi die Ibren Essai abschlieflende Perspektive eines umspringenden Hbrens min- destens fiir den nicht ganz deutlich wird, dem M abler nicht eine bis ins letzte erbellte Erfabrung ist. In meiner Arbeit [scil. dem Kunst- werkaufsatz] versuchte ich, die positiven Momente so deutlich zu artikulieren, wie Sie es fur die negativen zuwege bringen. Eine Starke Ihrer Arbeit sebe ich infolgedessen dort, wo eine Schwacbe der meinigen lag. Ihre Analyse der von der Industrie erzeugten psycholo- gischen Typen und die Darstellung ihrer Erzeugungsweise ist uberaus glucklich. Wenn ich meiner seits dieser Seite der Sache mehr Aufmerk- samkeit zugewandt hatte % so h'dtte meine Arbeit grower e historische Plasdzitat gewonnen. Immer mehr stellt sich mir heraus, dafi die Lancterung des Ton films als eine Aktion der Industrie betrachtet werden mu$ y welche bestimmt war, das revolutionare Primat des stummen Films, der schwer kontrollierbare und politisch gefahrliche Reaktionen begunstigte, zu durchbrechen. Eine Analyse des Tonfilms wurde eine Ihre und meine Ansicht im dialektischen Sinne vermitteln- de Kritik der heutigen Kunst abgeben. (Briefe, 798) Wie ein Blick auf die »Paralipomena«, namentlich zur zweiten Fassung des Kunst- werkaufsatzes, lehrt (s. 1049, 105 1), gibt es einige interessante Ansatze zu dieser Analyse, vorab iiber die Rolle des Jazz, von Benjamin selber. - Adorno antwortete, Anfang 1939, in einem gleich- falls extensiven und vorab den Baudelaire-Problemen gewidmeten Brief, auf die von Benjamin zuletzt beriihrten Fragen: »Nur nodi ein paar Worte zu dem, was Sie iiber den Fetisdiaufsatz sagten. Ich stimme mit Ihnen uberein, dafi die Verschiedenheit der Akzente bei 1034 Anmerkungen zu Seite 43 1—508 und 709-739 Film und Jazz sich wesentlich von den Materialien herschreibt, wobei man wohl daran zu denken hat, daft der Film ein prinzipiell neues Material darstellt, nidit aber der Jazz. Der Schwache meines Auf- satzes bin ich mir nur zu deutlich bewuftt. Sie liegt, grob gesagt, in der Tendenz zur Jeremiade und zum Schimpfen. Die Klage iiber den gegenwartigen Zustand, darin haben Sie gewift recht, ist so fruchtlos, wie ich umgekehrt sagen wiirde, daft der geschichtsphiiosophische Aspekt heute dessen >Rettung< verwehrt. Heute scheint mir die ei- gentlich mogliche Fragestellung die einer Versuchsanordnung: was wird aus den Menschen und ihrer asthetischen Apperzeption, wenn man sie den Bedingungen des Monopolkapitalismus aussetzt? Aber als ich den Aufsatz schrieb, waren meine Nerven einer solchen teuflisch-behavioristischen Fragestellung noch nicht gewachsen. Er ist wesentlich als Ausdruck derjenigen amerikanischen Erfahrungen zu verstehen, die mich vielleicht einmal dazu bestimmen werden, das an- zupacken, was wir beide mit Recht an unseren Arbeiten iiber Massen- kunst im Monopolkapitalismus bisher vermissen. Ihrer Ansicht iiber den Tonfilm stimme ich zu, am Jazz selber laftt sich sehr Analoges beobachten, nur glaube ich, daft es weniger um Intrigen der Industrie als um objektiv sich durchsetzende Tendenzen geht. Zum Komisch- werden der Musik: in der Tat ich sehe darin und im >ZerfalI der sakralen VersohnIichkeit< etwas iiberaus Positives, und sicherlich kommuniziert meine Arbeit an keiner Stelle eindringlicher mit Ihrer Reproduktionsarbeit als hier. Wenn das im Text zweideutig geblieben ist, so wiirde ich das als einen schweren Mangel empflnden.« (1.2. 1939, Adorno an Benjamin) - Hatte Benjamin Gretel Adorno unter dem 16.4. 1938 die Absendung seines Arbeitsmanuskripts avisiert, so erfolgte sie doch erst im Fruhjahr 1939. Dies geht aus einem Brief an Gretel Adorno hervor, der zwar ohne Datum blieb, jedoch auf Grund des Kontexts mit der ubrigen Korrespondenz und wegen anderer sicherer Indizien zweifelsfrei fur die Zeit um Ende Marz/Anfang April 1939 zu datieren ist. Darin heiftt es: Deinen kleinen Brief vom 26. M'drz habe ich mit Bekiimmerung gelesen. So froh ich bin, dafl Dh Dich meiner Reproduktionsarbeit annehmen willst, so triibe stimmt mich, daft es auf dem Hintergrund des ennui oder gar des spleen vor sich gehen soil. [. . .] Das Manuscript geht mit gleicher Post unter Einschreiben an Dich ab. Es ist wohlgeordnet; ich hoffe, es macht Dir keine Muhe, Dich durchzufinden. Der Text unterscheidet sich mehrfach von dem Dir bekannten [womit der der franzosischen Fassung ge- meint sein diirfte]; er ist vor allem viel ausgedehnter. Freilich sind auch seit dieser Redaktion eine Reihe weiterer Reflexionen zur Sacbe von mir verzetchnet worden. [Diese weiteren Reflexionen wie jene groftere Ausdehnung des Textes lassen als zweifelsfrei es erscheinen, Anmerkungen zu Seke 431-508 und 709-739 1035 daft in dem Manuscript die eigentliche »2weite Fassung« vorliegt, die demnach erst zu diesem Zeitpunkt iiberhaupt abgeschlossen war und, wie die Fortsetzung des Briefes belegt, dennoch von Benjamin nicht als endgiiltig angesehen wurde.] Es ist einer der wichtigsten Dienste, die Deine Abschrifl mix leisten soil, diesen Reflexionen ihren Ort im Ge- samtzusammenhange anweisen zu konnen. Ich bitte Dido daher, die Abschrifl mit verhaltnismafiig breitem Rand anzufertigen, damit sie sick einer weiteren Bearbeitung besser leiht. (Marz/ April 1939, an Gretel Adorno) Es entbehrt nicht der Ironie, dafi die Reproduktions- arbeit in dieser Fassung in der Rezeption nahezu kanonisches Gewidit erlangte, wahrend doch Benjamin selber sie bis zuletzt als »work in progress« begrirT. - Eine der spatesten Xufterungen Benjamins iiber den Kunstwerkaufsatz findet sich in einem Ende Juni 1939 an Gretel Adorno geschriebenen Brief. Sie gedenkt des konstitutiven Anteils der Arbeit an der Neufassung des »Baudelaire«: Das Flaneurkapitel [. . .] (s. 537-569) wird in der neuen Fassung entscheidende Motive der Reproduktionsarbeit und des Erz'dhlers (s. Bd. 2), vereint mit solchen der Passagen (s. Bd. 5) zu integrieren suchen. (Briefe, 821) Und sie belegt damit die in Benjamins Produktion fortwirkende Kraft eines der originarsten Ansatze dieser Produktion insgesamt. Zur besseren Einschatzung des Stellenwertes, den die im folgenden abgedruckten Paralipomena, Varianten und Varia zur Reproduk- tionsarbeit innerhalb ihrer mehrfachen - teils verlorenen, teils er- haltenen - Fassungen haben, sei zunachst ein Oberblick iiber diese Fassungen gegeben, wie Entstehungsgeschichte und Oberlieferungslage der Arbeit ihn zu skizzieren erlauben. Die friihest bezeugte Niederschrift der Reproduktionsarbeit ist der Entwurf aus dem Jahre 1935; er ist in Gestalt des Notizenkonvoluts Ms 997-1023 im Benjamin-Archiv erhalten. Nach ihm wurde - mut- maftlich - die erste definitive Fassung, Ende 1935, hergestellt, die in Gestalt eines vollstandigen, reinschriftartigen Manuskripts (— M 1 ) ebenfalls im Benjamin-Archiv erhalten ist; sie findet sich abgedruckt als »Erste Fassung« im Textteil (s. 431-470). Von diesem Manuskript wurden - mutmafilich - jene Typoskripte angefertigt, von denen Benjamin spatestens um die Jahreswende 1935/36 eines Horkheimer vorlegte und ein weiteres Bernhard Reich nach Moskau sandte; beide Typoskripte sind verloren. Um diese Zeit fiel der Entscheid, die Ar- beit in franzosischer Obersetzung in der »Zeitschrift fiir Sozialfor- schung« zu publizieren. Ob der Ubersetzungsarbeit eines jener Typo- skripte - oder ein weiteres, neugefafkes - zugrundelag, ist unausge- 1036 Anmerkungen zu Seite 431-508 macht. Daft aber eine weitere - sowohl deutsche wie franzosisdie - Fassung wahrend der Obersetzungsarbeit resultierte - jene, die die zuerst in Satz gegangene franzosisdie Druckfassung bildete und in der u. a., was in M 1 Vorwort iiberschrieben ist, gestrichen wurde (wahrend sie zugleich um einen Anmerkungsapparat bereichert war) - ist bezeugt; indessen die Fassung selber ist verloren. Rekonstruierbar davon ist lediglich, was aus den Anderungsvorschlagen der New Yorker Redaktion der »Zeitschrift fiir SoziaIforschung« hervorgeht (s. 999 f.). Was aus ihnen resultierte, ist die zweimal wahrend der Drucklegung revidierte franzosisdie Fassung (zur zweiten Revision s. 1015 fT.), die im Mai 1936, im 1. Heft des 5. Jahrgangs der Zeit- schrift, erschien. Daft Benjamin an einer weiteren definitiven (deutschen) Fassung arbeitete, ist spatestens von Marz 1936 an bezeugt. Sie wird in nachster Nahe mit. der Arbeit an der Ubersetzung begonnen wor- den sein, hat sicherlich mehrere Modifikationen erfahren und diirfte, gemafi der Absidit Benjamins, sie erst bei der » International Lite- rature dann in dem ab Juii 1936 erscheinenden »Wort« zu publizie- ren, kaum vor Sommer 1936 abgeschlossen worden sein. Sehr viel wahrsdieinlicher ist, dafi sie erst im Laufe des zweiten Halb- jahres 1936, wenn nicht iiberhaupt wahrend des Jahres 1937 de- finitive Gestalt erlangte; denn eindeutig ist eine solche erst im Friihjahr 1938 bezeugt*, bei Gelegenheit des Dankes Benjamins an Gretel Adorno dafiir, daft diese eine Kopie herzustellen iibernommen hatte.Bei dieser Kopie wird es um das - im Benjamin-Archiv er- haltene - Typoskript T 2 mit hoher Wahrscheinlichkeit sich gehandelt haben, bei der Vorlage um das - gleichfalls, und zwar in Kopie, erhaltene - Typoskript T 1 . Dieses wird das spatestens um 1937/38 in Paris hergestellte Typoskript sein, nach dem die einzige deutsche Fassung der Reproduktionsarbeit - die »Zweite Fassung«, s. Text- teil 471-508 -, namlich in der Kopie *von Gretel Adorno, 1955 publiziert wurde. Zu dieser wie zu der »Ersten Fassung« (— M 1 ) gibt es eine Anzahl von Aufzeichnungen, die bei der Bearbeitung der beiden Fassungen von Benjamin unberucksichtigt blieben - mutmafilich bei der ersten (denn was davon moglidierweise in die verlorenen Typoskriptfas- sungen anlaftlich der Arbeit an der franzosischen Fassung einging, ist nicht mehr auszumachen) und so gut wie sicher bei der zweiten (denn von weiteren Typoskripten der » Zweiten Fassung« aufier T 1 und T 2 , in die sie noch hatten eingehen konnen, ist weder materialiter noch durch Erwahnung etwas bekannt). Diese Aufzeichnungen werden * Aber selbst sie war eher als work in progress denn als endgiikige Fassung begrif- fen - und dies nodi 1939, wie der Brief von Ende Marz oder Anfang April an Gretel Adorno erhartet (s. 1034 i.). Anmerkungen zu Seite 431-508 1037 nachfolgend abgedruckt. Sie konnten iibersichtlidi und zwanglos in zwei Komplexen angeordnet werden: 1. dem der Paralipomena, Varianten und Varia zur »Ersten Fassung« und 2. dem der Paralipo- mena und Varia zur »Zweiten Fassung«. Dabei ist sowohl der Cha- rakter dieser Aufzeichnungen als Paralipomena (in einem Brief an Adornojs. 1021 f.) wie als Varia (in denAufzeichungenselber)gesichert, wenn audi gewifi nicht fiir alle, die Benjamin Paralipomena nannte, jedoch fur alle Varia genannten; denn in diesem Fall stent die Be- zeichnung unmittelbar iiber den betrefTenden Textpassagen. Es han- delt sich bei diesen Aufzeichnungen um ungestrichene kiirzere oder langere, in der Regel ausformulierte Stiicke, die sich in zwei einheit- lichen und gut datierbaren Manuskriptblattkonvoluten finden, von denen jedes in vermutlich vollstandiger, wenn auch in der Anordnung der Blattfolge problematischer Gestalt erhalten ist (die auf den ersten Blick ungeordnete Lage der Blatter zueinander diirfte die Anordnung ausdriicken, die Benjamin den Blattern im Laufe der - diskontinuier- lich vorzustellenden - Bearbeitung des Aufzeichnungsmaterials ge- geben hatte). Von jenen Konvoluten ist das eine das Konvolut der fruhesten Niederschrift vom Herbst 1935, bestehend aus den Blattern Ms 997-1023 (Benjamin-Archiv): 27 Uberwiegend doppelseitig und sehr eng beschriebenen Blattern gelblichen, festen Papiers, die aus einem Notizenblock losgetrennt sind und deren jedes 11 mal 8 cm im Umfang mifk. Sie sind teilweise paginiert, durchweg mit in ver- schiedenen Farben gehaltenen und der Art nach verschiedenen Signa zur Arbeitsanweisung ubersat und tragen, etwa zur Halfte, am Kopf der jeweiligen Vorderseite - manchmal auch auf der Ruckseite - die Uberschrift Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Re- produzierbarkeit. Das meiste auf diesen Blattern ist gestrichen: zum Zeichen der Bearbeitung, in diesem Fall wohl der Herstellung der ersten Fassung (= M l ). Die nicht gestrichenen Passagen, insgesamt zwolf, werden im Wortlaut abgedruckt; die gestrichenen, d. h. zumin- dest in M 1 eingegangenen konnten, wegen der Grenzen im Umfang dieser Ausgabe, nicht reproduziert werden, wiewohl es von In- teresse gewesen ware, sie namentlich um der Bekundung der Formulie- rungsarbeit willen gleichfalls abzudrucken. In dieser - fruhesten - Fassung ubrigens fehlt - neben anderen Passagen - das marxistische Vorwort der ersten und zweiten (deutschen) Fassung, das, als Ab- schnitt /, auch die franzosische Fassung enthielt, aus der es, mit Ben- jamins Einverstandnis (s. ion f.), herausgestrichen wurde. - Das andere Konvolut ist das aus den Blattern Ms 384-410 (+ Ms 1024 und Ms 1025) bestehende; es fand sich eingelegt in das gefaltete Ms-Blatt 383 (s. 1052). Die Blatter - insgesamt 29 - sind weifie, karierte, am Rand gelochte Ringbuchblatter vom Umfang 17 mal 9,5 cm (ein 1038 Anmerkungen zuSeite 431-508 einziges Blatt, Ms 403, hat andere Beschaffenheit). Sie sind, wie aus mehreren in ihnen aufgezeichneten Briefentwiirfen hervorgeht, durch- weg 1936 besdirieben und enthalten, neben jenen Briefentwiirfen, Aufzeichnungen zur zweiten Fassung der Reproduktionsarbeit, einige wenige Entwiirfe zur franzosischen Fassung aus der Zusammenarbeit mit Pierre Klossowski, Varia und Materialien zur Arbeit iiber Fuchs (s. Bd. 2) und zum zweiten Pariser Brief (s. Bd. 3, 495-507), Listen von Titeln und Autoren, die Benjamin damals bearbeitete oder las, sowie von Namen mehrerer Bnefadressaten und wohl audi Empfanger von Separatdrucken der franzosischen Fassung, ferner eine Anzahl ausformulierter Reflexionen, Aphorismen und Serien (wie Gag- buch> Ms 391), die Aufnahme in den Nachtragsband dieser Aus- gabe (s. Bd. 7) finden. Von den auf die Reproduktionsarbeit beziig- lichen Biichern oder Artikeln, soweit sie nicht unten zitiert werden, und aus denen Benjamin teilweise umfangliche Exzerpte niederschrieb, seien wenigstens die folgenden genannt: Guterman-Lefebvre »La con- science mystifi£e«, Valery » Pieces sur Tart«, Ramuz »Taille de rhomme«, Luc Durtain »La technique et Phomme« (in: Vendredi, 13. 3. 1936). Gleichfalls werden, aus diesem zweiten Konvolut, nur diejenigen Aufzeichnungen zur Reproduktionsarbeit abgedruckt, die von Benjamin nicht gestrichen sind, d. h. die in die »2weite Fassung« nicht eingingen. Von ihnen sind namentlich die letzten (scil. Ms 1025, Ms 411 f.), die mit grower Wahrscheinlichkeit Entwiirfe zu dem von Benjamin geplanten programmatiscben Begleitschreiben (s. 101 8) enthal- ten, hochst belangvoll, wie iiberhaupt alle die Varianten, die einen Hinweis auf die Differenz der Benjaminschen Intention zu orthodox- marxistischen Arbeiten iiber Kunst geben und die, wie etwa auch die hochst aufschluftreiche Interpretationsvariante zu dem grolkn Hux- ley-Exzerpt, sicherlich deshalb unterdriickt oder nicht beriicksichtigt wurden, weil Benjamin auf die Publikation der zweiten Fassung in Moskau aspirierte, fur die er die Unterstiitzung Brechts sich erhoffte. - Auf eine Lokalisierung der jeweiligen Bezugsstelle der Paralipo- mena und Varia wurde verzichtet, teils weil hochstens vermutet wer- ' den kann, wo sie, im Fall der Beriicksichtigung, in der ersten oder zweiten Fassung ihren Platz gefunden haben wurden, teils weil (wie bei den Varianten) die Bezugsstellen infolge der ubersichtlichen Ein- teilung der Reproduktionsarbeit in kurze Abschnitte unschwer auf- gefunden werden konnen - wie insgesamt von einer Verweisung zwi- schen den drei im Textteil und im Anhang abgedruckten Fassungen abgesehen ist, weil doch gerade dieser Abdruck in extenso ein synop- tisch-vergleichendes Lesen aller Fassungen muhelos zulaftt. Anmerkungen zu Seite 43 1-508 1039 1. Paralipomena, Varianten und Varia zur ersten Fassung von Das Kunst- werk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit Vorldufige Thesen 1) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks jUhrt zu seiner Ummontierung 2) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks fuhrt zu seiner Aktualisierung j) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks fuhrt zu seiner Liter arisierung [letztes Wort gestrichen; dafur:] Politisierung 4) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks fiihrt zu seinem Verschleifi j) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks schafft sich das Optimum ihrer Arbeitsmoglichkeiten im Film. Der Film ist die Kunstform, die der Epoche der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks entspricht 6) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks macht es zum Gegenstand der Zerstreuung y) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks steigert den Kampf urns Dasein unter den Kunstwerken der vergangnen Epochen 8) Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verdndert das Verhdltms der Masse zur Kunst, welches aus dem ruckstandigsten y etwa der Malerei gegenuber t in das fortschrittlichste, etwa dem komischen Film gegenuber t umschldgt. Dabei ist das fortschr [ittlichej Verhfalten] rad[ikal] gek. [These 8 gestrichen] Druckvorlage: Benjamin-Ardiiv, Ms 997 Welches ist dieses Element [scil. das sportliche Element, das der Film an einem Mord oder an einer Liebesszene . . . aufgreift] ? Das er- gibt sich aus folgender Vberlegung: Grundlage des Sports bildet ein System von Vorschrifien, das menschliche Verhaltungsweisen in letzter Instanz der Messung durch die elementaren physikalischen Mafistabe zufuhrt: der Messung nach Sekunden und Zentimetern. Es sind diese Messungen, die den sportlichen Rekord etablieren. Die alte agonale Form verschwindet zusehends aus der modernen Sportubung. Diese entfernt sich von Konkurrenzen, die den Menschen am Men- schen messen. Nicht umsonst hiefi es von Nurmi, dafi er gegen die Uhr lief. Damit ist der zeitgemafle Standort der Sportubung festge- stellt. Er lost sich vom agonalen ab y um die Richtung des Tests einzu- schlagen. Dem Test in seiner modernen Gestalt ist nichts gelaufiger> als den Menschen an einer Apparatur zu messen. Gemessen an der Apparatur der Tests ist die sportliche ungemein primitiv. Aber zum Unterschied von der sportlichen Leistung kann die Leistung am 1040 Anmerkungen zu Seite 431-508 mechanisierten Test nicbt ausgestellt werden. Das schrankte ihre gesellschafllicbe Bedeutung ein. Druckvorlage: Benjamin-Ardiiv, Ms 1008, 1009 [Dazu die Variante Ms 1023; vor dem Satz iiber Nurmi heifk es dort: Olympiaden sind riickschrittlich. Druckvorlage: Benjamin-Ardiiv, Ms 1023 Auch sie [scil. die Testleistung ersten Ranges, im Ltcht der Jupiter- lampen zu spielen und gleichzeitig spracblicb den Anforderungen des Mikrophons zu entspreclieri] mobilisiert den ganzen Menschen, Aber nicht mehr wie der Agon nach seiner harmonischen Gesamterscbei- nung sondern in seiner polytechnischen Anpassungsfdhigkeit. Druckvorlage: Benjamin-Ardiiv, Ms 1009 Die Formel in der die dialektische Struktur des Films seiner techni- schen Seite nach zum Ausdruok kommt, lautet: Diskontinuierliche Bilder losen in kontinuierlicker Folge einander ab. Die Theorie des Films miifite den beiden Daten dieser Formel gerecht werden. Was zundchst die Kontinuitdt angeht, so kann nicbt ubersehen werden, daft das laufende Band, welches eine so entscheidende Rolle im Pro- duktionsprozefi spielt, im Prozefi der Consumption gewissermaflen durch das Filmband vertreten wird. Beide durfien einigermajlen gleichzeitig aufgetreten sein. Die gesellschafilicbe Bedeutung des einen kann ohne die des anderen nicht voll verstanden werden. In jedem Fall steht dies Verstandnis noch in seinen allerersten Anfangen. - Nicht ganz so ist es mit dem andern Elemente bestellt, dem der Diskontinuitdt. Wir besitzen auf dessen Bedeutung zumindest einen sehr wicbtigen Hinweis. Er besteht in dem Umstand t dajl der Chap- linsche Film den bisher grofiten Erfolg unter alien gehabt hat. Der Grund davon ist ein uberaus handgreiflicber. Chaplins Gestus ist kein eigentlich schauspieleriscber. Er hatte sich auf der Buhne nicbt halten kbnnen. Seine einzigartige Bedeutung besteht darin y dafi er den Men- schen seinem Gestus - also seiner leiblichen wie geistigen Haltung - nach in den Film einmontiert. Das ist das Neue an Chaplins Gestus: er zerfdllt die menschliche Ausdrucksbewegung in eine Folge kleinster Innervat'tonen. Jede einzelne seiner Bewegungen setzt sich aus einer Folge abgehackter Bewegungsteilchen zusammen. Ob man sich an seinen Gang halt, an die Art in der [er] sein Stbckcben handhabt oder seinen Hut lufiet - es ist immer dieselbe ruckartige Ab folge kleinster Bewegungen^ die das Gesetz der filmischen Bilderfolge zum Gesetze der menschlicben Motorik erhebt. Worauf beruht nun die Komik dieses Verhaltensf Druckvorlage: Benjamin-Ardiiv, Ms ion Anmerkungen zu Seite 431-508 1041 Der Dadaismus sucbt den »Chock*> den der Film durch seine tech- nische Struktur herauffuhrt, durch seine Inhalte zu erzeugen. Ihre [scil. der dadaistisdien Werke] hochgradig zerstreuende Wirkung beruht darauf, daft sie unfehlbar Parteiungen hervorrufen. Der Da- daismus hat damit - und zwar wiederum in der unbeholfenen, auch Uhertriehnen Weise des Vorlaufers - ein sehr wichtiges Element der Zerstreuung gelt end gemacht: ein Element, das das Pttblikum, das zerstreut ist, von der Kunstgemeinde, die gesammelt ist, unter schei- det. In der Zerstreuung ist das Kunstwerk Anstoft, ja unter Umstan- den so gar lediglich Vorwand eines aktiven Verhaltens der Subjekte. Selbstverstandlich ist dieses aktive Verhalten nicht auf die Ausschrei- tungen dadaistischer Skandalszenen angewiesen. Unter alien Umstan- den aber ist eines an ihnen bedeutsam: die Schnelligkeit, mit welcher ihre Reaktionen erfolgten. [von unter scheidet bis erfolgten gestri- chen] Druckvorlage: Benjamin- Archiv, Ms 1013, 1014 Da von der massenweisen Verbreitung von Kunstwerken die durch den heutigen Stand der Technik bedingt ist, die Rede ist, liegt es nahe, ein Wort Uber die massenweise Verbreitung von Wissen zu sagen, fiir die eben falls alle technischen Voraussetzungen gegeben sind. Hier haben sich> zumindest in Westeuropa aber noch keinerlei Prak- tiken bemerkbar gemacht, die mit dem Standard des Films konkurrie- ren konnten. Das kommt unter anderm daher y daft die herrschenden Klassen der massenweisen Verbreitung von Wissen mifttrauischer gegenuber stehen als der massenweisen Verbreitung von Kunst. Sie sind es gewesen, die die populare Darstellung der Wissenschafi in Verruf gebracht haben und sie haben durch die Art popularwissen- schaftlicher Darstellung, die sie praktiziert und gefordert haben, das ihre getan, um diesen Verruf zu begrunden. Es ist kein Zufall, daft in den letzten hundert Jahren die popularwissenschaflliche Darstel- lung tief unter das Niveau herabgesunken ist, das sie einst in der Aufklarung einnahm. Ebensowenig aber ist es ein Zufall, daft unsere Zeit wieder grofte Popular is at or en er stehen sieht. Man denke an Lenin, an Eddington und an Freud. Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 1016 Varia Das Leben der Massen ist von jeher fur das Gesicht der Geschichte entscheidend gewesen. Aber daft diese Massen bewuftt, und gleichsam als die Muskeln dieses Gesichts, des sen Mimik zum Ausdruck bringen — das ist eine ganzlich neue Erscheinung. Diese Erscheinung macht sich vielfach, und besonders drastisch der Kunst gegenuber geltend. 1042 Anmerkungen zu Seite 431-508 Unter alien KUnsten ist das Theater der mechanischen Reproduktion t das heiflt der Standardisierung am wenigsten zugdnglich: daher wen- den die Massen sich von ihm ab. Vielleicbt ist es aus der historischen Perspektive das wichtlgste in Brechts Werk, seine dramatische Pro- duktion, die es dem Theater erlaubt, seine nuchternste und beschei- denste, ja seine reduzierteste Form anzunehmen, urn dergestalt gleich- sam zu uberwintern. [lies: daft seine dramatische Produktion es dem Theater erlaubt] [von Unter bis zugdnglich; gestrichen] Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 1017 Das massenweise Auftreten von Giitern, deren Wert frtiher nicht zum wenigsten an ihre Vereinzlung gebunden war, ist nicht auf die Kunst beschrankt. Es lohnt sich kaum, auf die W arenproduktion hinzuwei- sen } in der diese Erscheinung naturlich zuerst greifbar wurde. Wich- tiger ist zu betonen, dafi sie sich weder auf den Kreis der natUrlichen noch der aesthetischen [?] Giiter beschrankt sondern sich nicht weniger an den sittlichen durchsetzt. Nietzsche verkiindete einen eignen sht- lichen Wertmafistab fur jeden Einzelnen. Diese Ansicht ist aufter Kurs; unter den gegebnen gesellscbaftlicben Verhdltnissen ist sie un- fruchtbar. Unter diesen ist ausschlaggebend fur die Beurteilung des Einzelnen sein moralischer Standard. Es wird nicht bestritten werden, daft der Einzelne nach seiner Funktion in der Gesellschafl zu beur- teilen ist. Der Begriff des moralischen Standards aber weist uber diese Einsicht hinaus. Das ist sein Vorzug, Wo ndmlich j ruber Vorbildlich- keit moralisch gef order t wurde, for der t die Gegenwart Reproduzier- barkeit. Sie erkennt als richtig und zweckentsprechend nur diejenigen Denk- und Verhaltungsweisen [an], die neben ihrer Vorbildlichkeit ihre Erlernbarkeit nachweisen. Und zwar wird hier mehr gefordert als ihre Erlernbarkeit durch unbegrenzt viele Einzelne. Es wird viel- mehr von ihnen gefordert, unmittelbar durch Massen und von jedem Einzelnen innerhalb dieser Massen erlernbar zu sein. Die massenweise Reproduktion von Kunstwerken steht also nicht allein im Zusammen- hang mit der massenweisen Produktion von Industrieerzeugnissen sondern auch mit der massenweisen Reproduktion von menschlichen Haltungen und Verrichtungen. An diesen Zusammenhangen voruber- gehen, heiflt sich jedes Mitt els berauben, die heutige Funktion der Kunst zu bestimmen. Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 1019 [Der folgende Text ist eine Variante des Abschnitts daft die vielfachen neuen Anforderungen, die der Film an das Verstandnis der Leute stellt, ihren Anteil an der Nachfrage nach ihm haben. Wenn man sich dies gegenwartig halt, so wird man die Konkurrenz zwischen Photographic (Film) und Malerei als Erklarungsprinzip auch fiir ge- wisse scheinbar entlegnere Experimente der modernsten Malerei fest- halten. Wir denken an Marcel Duchamps. Duchamps ist eine der interessantesten Erscheinungen der franzbsisdoen Avant garde. Seine Produktion ist sehr klein aber sein Einflufi ist kein geringer. Duchamps ist mit keiner Schulart zu identifizieren. Er stand dem Surrealismus 1046 Anmerkungen zu Seite 431-508 nahe, ist Picasso befreundet, aber immer ein Eigenbrotler gewesen, Seine Theorie des Kunstwerks [Kunstwerts}], die er letzthin in einem Mappenwerk »La Mariee mise a nu par ses Celibataires* exemplifiziert (nicht erldutert) hat, sieht ungefahr so aus: Sobald ein Gegenstand von uns als ein Kunstwerk angeschaut w'trd, kann er als solches uberhaupt garnicht mehr fungieren. Die spezifische Wirkung des Kunstwerks kann der heutige Mensch darum weit eher an [zufal- ligen Konfigurationen im Abfall oder Schutt, an Gegenstanden — von zufalligen bis Gegenstanden gestrichen] degagisierten [dega- gierten}] {das heifit ihrem Funktionszusammenhang entruckten[)] Objekten (einer Klaviertasten tragenden Zimmerpalme, einem vielfach durchlochten Zylinderhut) als an beglaub[ig]ten Werken derKunst erfahren. Die H erst ellung surrealistischerObjekte, bei denen dem Zufall (dem Verrosten der Stasbalolagerung [}]) ein grofier Spielraum gewabrt wird, ist fur viele Maler aus diesem Kreis eine passionierende Beschaftigung geworden. Es steht jedem frei, dies als Entartungserscheinungen anzusehen. Dodo kbnnen auch solche ihren diagnostischen Wert haben. Man mag sick angesichts der bier be- schriebenen einer beruhmten S telle bei Lionardo er inner n. Lionardo berichtety wie er gelegentlich seinen Scktilern, die um Modelle ver- legen gewesen seien, eine feuchte Mauer in ihrem Blickfeld mit den Worten gewiesen habe: diese mochten sie zum Modell nehmen; daraus wurden sie alles lesen konnen, woran sie Bedarf hatten: Schlachten, Frauenleiber und Tiere. Druckvorlage: Benjamin- Arduv, Ms 394 Die Geschichte der Kunst ist eine Geschichte von Prophetien. Sie kann nur aus dem Standpunkt der unmittelbaren, aktualen Gegenwart geschrieben werden; denn jede Zeit besitzt die ihr eigene neue aber unvererbbare Moglichkeit, die Prophetien zu deuten } die die Kunst von vergangnen Epochen gerade auf sie enthielt. Es ist die wichtigste Aufgabe der Kunstgeschichte die der Epoche ihrer Abfassung geltenden Prophetien in den grojlen Kunstwerken der Ver- gangenheit zu entzijfern. Der Zukunfl - in der Tat - und nicht immer unmittelbar bevorste- henden, niemals einer durchaus bestimmten. Vielmehr gibt es nichts Wandlungsfahigeres im Kunstwerk als diesen dunklen und brauen- den Raum der Zukunfl, aus dem von jenen Prophetien, die die be- seelten Werke von den gepfuschten scheiden, niemals eine einzige sondern stets eine Folge y wenn auch eine intermittierende, im Verlauf der Jahrhunderte an den Tag tritt. Damit diese Prophetie aber fafi- lich werde, miissen Umstande zur Reife gekommen sein y denen das Anmerkungen zu Seite 431-508 .1047 Kunstwerky oft um Jahrhunderte oft auch nur Jahre vorauseilte. Das sind auf der einen Seite bestimmte gesellschaftliche V er cinder ung[ en], die die Funktion der Kunst wandeln, zweitens gewisse mechanische Erftndungen. Druckvorlage: Benjamin-Ardnv, Ms 397 Varia zum »Kunstwerk« [das doppelseitig beschriebene Blatt verzeichnet 14 Passagen, wovon 5 gestridien, d. h. in die »zweite Fassung« eingearbeitet sind; die iibrigen 9 lauten:] Der sicherste Agent fur den Sieg des Neuen ist die Langeweile am Alten. Zwei Funktionen der Kunst: 1) Die Menschheit mit bestimmten Bil- dern vertraut zu machen, ehe noch die Zwecke, in deren Verfolgung dergleichen Bilder entstehen, dem Bewufitsein gegeben sind. 2) Ge- sellschaftlichen Tendenzen, deren Realisierung an den Menscben selber z erst or end ware, in der Bilderwelt zu ihrem Recbt zu verhelfen. Zerstucklung bei Chaplin; er legt sich selbst allegorisch aus. »La canne representait la dignite, la moustache etait Vorgueil et les hotlines exprimaient toute la lourdeur des soucis d'ici-bas.« Propos de Chap- lin rapportes par Pattinson-Knight Intransigeant 22 fevrier 1931 (cit Philippe Soupault: Chariot Paris 19 31 p II) »Mit der fixierten Kamera und dem ungeschnittenen Bildstreifen hat der Film . . . begonnen.« Arnheim I c p 320 Passus iiber die Baugeschichte zu modifizieren. Der Magnansche A p par at ermoglicht 3000 Aufnahmen in der Sekun- de. Maso [da] Finiguerra - Er finder der Radierungf - Incunabel des Holz- schnitts: Spencer. Die befreite Technik schliejlt die Bewdltigung der gesellscbaftlichen Elementarkrafte als Voraussetzung fur die der naturlichen ein. (In der Urzeit liegt die umgekehrte Beziehung vor: die Beherrschung der naturlichen Kr'dfte schliefit die Beherrschung von gewissen gesell- scbaftlichen Elementarkrdften ein,) Die Kunst ist ein Verbesserungsvorschlag an die Natur, ein Nach- machen, dessen verborgenstes Inner e ein Vormachen ist. Kunst ist, mit andern W or ten, vollendende Mimesis. Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 399 Zum »Kunstwerk im Zeitalter [. . .«] »Dans Vespace d'une seconde [. . .] Percevoir signifie immobiliser .* Henri Bergson: Matiere et memoire Paris 1896 p 229/232 Berg- 1048 Anmerkungen zu Seite 431-508 son stellt also die menschliche Wahrnehmung als den ersten Zeitraffer dar. J a die Fahigkeit, die Zeit zu raff en, ware nach ihm eine Grund- bedingung unserer Wahrnehmung. [auf die Wiedergabe der in extenso exzerpierten Stellen ist hier verzichtet] Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 400 Es ist notwendig auf das starkste zu betonen, daft der Film, indem er die Ausstellharkeit zum wichtigsten Gegenstande der Testprufung macht, den gesamten Bereich menschlicher Verhaltungsweisen genau in der gleichen Weise an einer Apparatur mifit, wie dies mit der Arbeitsleistung des Industriearbeiters in den Fabriken der Fall ist. Und damit erweist die Kunst, dafi die Objekte, die sie um den Pol des Ausstellungswerts gruppiert prinzipiell ebenso unbegrenzt sind wie die, die sich um den Pol ihres Kultwerts gruppieren. Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 406 *. . . dafi, wie erw'dhnt [. . ./ technischer Aufzeichnungsapparat.« Ru- dolf Arnheim: Film als Kunst Berlin 1932 p 216 »Das Besondere [. . ./ an Reichtum.« I c p 212 »Le plus certain [. . ./ de ¥Immililiation.« Bardeche et Brasillach I c p 132 Die erste Technik schloft die selbst'dndige Erfahrung des Individuums aus. Alle magische Natur erfahrung war kollektiv. Der erste Ansatz einer individuellen Erfahrung erfolgt im Spiel. Aus ihr entwickelt sich dann die wissenschaflliche. Die ersten wissenschafllichen Erfah- rung [en] gehen im Schutze des unverbindlichen Spieles vor sich. Die- se Erfahrung ist es dann, welche in einem jahrtausendelangen Prozefi die Vorstellung und vielleicht auch die Realit'dt derjenigen Natur zum V erschwinden bringt, welcher die erste Technik entsprochen hat. Spielelemente der neuern Kunst: tuturismus, atonale Musik, poesie pure, Kriminalroman, Film. Wenn die Aura in den frilhen Photographien ist, wieso ist sie nicht im Film? Werkzeugdenken und Magie Arbeitsteilung bei Marr [diese und die vorhergehende Notiz sind eingeruckt und eingerahmt. Die Streichung, die teils durch das Bardeche-Uxzerpt, teils durch die Aufzeichnung iiber Die erste Tech- nik verlauft, scheint keine Streichung sondern der Abdruck einer solchen durch feucht gebliebene Tinte zu sein] »Was aber die Unwilrdigkeit /. . ./ Werke der Kunst.* G W F He- gel: Werke X 1 Berlin 1842 p 11/13 (Vorlesungen iiber die Aesthe- tik edHG Hotho) Druckvorlage: Benjamin-Ardiiv, Ms 407, 408 Anmerkungen zu Seite 431-508 1049 »Les progres en technologie [. . ./ >matiere a lire, a voir et a enten- dre< t « Aldous Huxley: Crotsiere d'biver Voyage en Amerique cen- trale Paris p 275I2J5 - Man kann nicht zwingender auf die Notwendigkeit hinweisen, die Kunst durch ibre innigste Verbindung mil didaktischen, informatorischen, politischen Elementen vor dem schrecklicben Verfallsprozeft, der sie bedrobt y zu schutzen. [in extenso niedergeschriebenes Exzerpt (s. Lesart zu 494, 42) wie anschlieftende Folgerung sind zwar gestrichen, werden aber hier wegen der anders lautenden Folgerung (s. 494, 44) abgedruckt; vgl. u. Ms 41 1 f.] Druckvorlage: Benjamin-Arduv, Ms 409 Gewobnen kann sich auch der Zerstreute - ja gerade er. Taktile [konj. furTaktiscbe; s. 1 o 5 3 f .] Rezeption und Zerstreuung schliefien ein- ander nicht aus. Der Automobilist, der mit seinen Gedanken »ganz wo anders* z.B. bei seinem scbadbaflen Motor ist, wird sich an die moderne Form der Garage besser gewobnen als der Kunsthistoriker \ der sich vor ihr anstrengtj nur ibren Stil zu ergrunden. Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit anwacbsendem Nacbdruck auf nahezu alien Gebieten der Kunst bemerkbar macht, ist das Symptom einer entscbeidenden Umfunktionierung des menschlichen Apperzep- tionsapparats, der sich Aufgaben gegenuber siebt, die nut noch kollektiv gelost werden konnen. Gleichzeitig ist sie das Symptom einer zunebmenden Bedeutung der taktilen [konj. fur taktischen] Apper- zeption, welche von der Architektur t wo sie ursprunglich zu, Hause ist, auf die ubrigen Kunste tibergreift. Sehr sinnfalUg ist das in der Musik der Fall, in der ein wesentlicbes Element ihrer neuesten Ent- wicklung, der Jazz, seinen wichtigsten Agenten in der Tanzmusik hatte. Weniger sinnfallig, aber nicht weniger weittragend kommt die- se Tendenz im Film zur Geltung, der durch die Chockwirkung seiner Bilderfolge ein taktiles [konj. fur taktisches] Element in die Optik selbst tragi . [der Passus iiber Musik ist, bis zum Ende der Aufzeich- nung, mit Blaustiftmarkierung umrahmt, das Wort Jazz ebenso unter- strichen] Druckvorlage: Benjarmn-Archiv, Ms 1024 Nachtrage zur Arbeit Thesen, die fur die Debatte zu empfehlen sind: Kritik des Ausdrucks als Prinzips der dichterischen Hervorbringung Kennzeichnung der besondern Struktur der Arbeit: sie tragt die Methode der materialistischen Dialektik nicht an irgendein geschichtlich gegebnes Objekt heran, sondern entfaltet sie an demjenigen Objekt, das - im Gebiet die Kunste -ihr gleich- zeitig ist. Dies der Unterschied von Plechanoff und Mehring. 1050 Anmerkungen zu Seite 431-508 Anmerkung uber das Prinzip des Ausdrucks und seine reaktiondren Funktionen. Panofsky: Perspektiven (Massenerzeugung von Ikonen in Byzanz) Versuch, die Betrachtung des Films von allem Spezialistentum zu emanzipieren Enstehungsgeschichte der Arbeit Schlufisatze des ersten Teils Vber das Motto Druckvorlage : Benjamin-Archiv, Ms 1025 [Die folgenden funf Textpassagen sind aus Typoskriptkopie-Seiten herausgeschnittene, unkorrigierte, in einem Fall mit Benjaminschem Einfiigungsvermerk versehene Streifen, die mit den beiden Manu- skriptseiten 411 und 412 - beschrieben mit Arbeitsanweisungen - durch Klammer zusammengeheftet sich fanden] Die Arbeit sieht keineswegs darin ibre Aufgabe, Prolegomena zur Kunstgeschichte zu liefern. Sie bemuht sich vielmehr an erster Stelle, der Kritik des aus dem neunzehnten Jahrhundert uns iiberkommenen Begriffs der Kunst die Wege zu ebnen. Von diesem Begriff wird zu zeigen versucht, dafl er den Stempel der Ideologic trdgt. Sein ideolo- gischer Charakter ist in der Abstraktion zh erblicken in welkiinstlerische« M 1 - 445,9 Verscbanzung,] konj. fur Verscbanzung M 1 - 448,22 hat] konj. fur haben M 1 - 448,32 Ge- malde,] konj. fur Gemalde M 1 - 449,32 Strecke,] konj. fiir Strecke M 1 - 459,19 z. B.] konj. fiir z B M 1 - 459,20 z. B.] konj. fiir z # M 1 - 462,13 fort] konj. fiir haben M l - 463,39 taktile] konj. fiir taktische M 1 - 464,6 taktile] konj. fiir taktische M 1 - 464,9 taktiles] konj. fiir taktiscbes] M 1 ; hier, wie bei der Lesart zu 463,39 ist freilich die Be- deutung »taktisch« (im Sinne eines planvollen Ablenkungsmanovers) keinesfalls vollig auszuschliefien; weil aber doch die Bedeutung »auf den Leib riickend«, die der technisch manipulierten »Hautnahe«, offenkundig iiberwiegt, wurde »taktil« konjiziert. - 464,16 abrollt,] konj. fiir abrollt M 1 - 464,34-466,34 (18) bis hiefi.] s. die Variante, i042ff. - 465,34 taktil] konj. fiir taktiscb M 1 - 465,36 z.B.] konj. fiir zfiM 1 - 465,38 taktilen] konj. fur taktiscben M 1 - 465,39 tak- tile] konj. fiir taktische M 1 - 466,11 taktilen] konj. fiir taktiscben M 1 - 466,24 ist,] ist fehlt in M 1 - 466,26 taktile] konj. fiir taktische M 1 - 466,29 taktile] konj. fiir taktische M 1 - 467,10 gar nicht] konj. fiir garnicht M 1 - 467,28 darstellen. -] darstellen. M 1 ; der Gedan- kenstrich wurde konjiziert, weil an dieser Stelle ein langerer Ein- schub endet. - 467,30 sucbt] fehlt in M 1 . nachweise 439,13-16 ^Shakespeare bis Pforten«]im Original: »Shake- speare, Rembrandt, Beethoven feront du cinema . . . Toutes les legen- des, toute la mythologie et tous les mythes, tous les fondateurs de religion et toutes les religions elles-me'mes . . . attendent leur resur- rection lumineuse, et les heVos se bousculent a nos pones pour entrer.« Abel Gance, Le temps de 1'image est venu!, in: L.-P. Quint, G. Dulac, L. Landry, Abel Gance: L'art cinematographique. II, [Paris] 1927, 94 und 96. - 440,10-34 was bis abgewinnt.] s. die uberwiegend gleich bzw. ahnlich lautenden Passagen in Kleine Gescbicbte der Photogra- phic (Bd. 2), und in Ober einige Motive bei Baudelaire (646 f.). - 440,33 Jensen)] s. Johannes V. Jensen, Exotische Novellen, Ber- lin 19 19 - 445,21 festhielt.] s. Atget, Lichtbilder. Hg. von Camille Recht, Paris, Leipzig 193 1 - 445,20-36 Atget> bis erhalt,] s. die ahnlich lautende Passage in Kleine Gescbicbte der Photographic (Bd. 2). - 446,31 ^Opinion publique*] A Woman of Paris, Chaplin-Film von 1923 - 447,30-35 »Nous bis expriment.*] im Original: »[. . .] reve- nus sur le plan d'expression des Egyptiens«, Abel Gance, a.a.O., 100; »[...] de cuke pour [...]«, a.a.O., 101 (Hervorhebung und Komma von Benjamin). - 447,35-448,5 »Quel bis course.*] im Original: »[...] plus r£el? [. . .] plus mysteneux [...]«, Severin- Anmerkungen zu Seite 431-469 1055 Mars, zit. bei Abel Gance, a. a.O., 100. - 448,11 »La ruee vers ¥or«~\ Goldrush, Chaplinfilm von 1925 - 451,7-17 »Der Filmdarstel- ler bis spielen.«] im Original: »>Les acteurs de cinema, ecrit Pirandello, se sentent comme en exil. En exil non seulement de la scene, mais encore d'eux-memes. lis remarquent confusement, avec une sensation de depit, d'ind^finissable vide et meme de faillite, que leur corps est pres- que subtilised, supprime', prive* de sa r£alite\ de sa vie, de sa voix, du bruit qu'il produit en se remuant, pour devenir une image muette qui tremble un instant sur Tecran et disparait en silence ... La petite machine jouera devant le public avec leurs ombres; eux, ils doivent se contenter de jouer devant elle.<« Luigi Pirandello, On tourne, zit. bei Leon Pierre-Quint, Signification du cinema, in: L'art cine*matogra- phique. II, a. a.O., 14 und 15. - 455,18-456,6 J ahrhundertelang bis Gemeingut.] s. die ahnlich lautende Passage in Der Autor als Pro- duzent (Bd. 2). - 461,16-33 So bis Psychoanalyse.] s. die ahnlich lautende Passage in Kleine Geschichte der Photographie (Bd. 2). - 462,6 beraklitische Wahrheit] s. Herakleitos, fr. 89: xoig eyQr\yoQooiv elg xotl |uvog xowe/?r] sehrT x ,*X 2 ;mehr M 1 - 486,17 set -] sei, - T 2 - 487,3 geradezu] gradezu T 1 - 487,12 heranzuziehen,] konj. fiir heranzuziehen T 1 , T 2 ; in T 2 Komma von fremder Hand - 487,14 heute noch] heute T 2 ; heute noch M 1 - 487,22 hdtte] konj. fiir batten T 1 , T 2 - 488,25 anderen,] konj. fiir anderen T 1 , T 2 ; anderen, M 1 - 488,36 f. Vers«c&$/mer] T 2 ; Versuchleiter T 1 - 489,9 f. Filmdar- steller« f scbreibt Pirandello, »fUhlt] T 2 ; in T 1 und M 1 fehlen die An- fiihrungszeichen, was insofern richtig ist, als nicht Pirandello selbst, sondern Pirandello nadi Pierre-Quint zitiert wird, s. Nachweis zu 451,7-17. - 490,10 sicb] sicb auch T 7 ; sich M 1 - 490,13 auf:] auf T 2 - 490,30 in] T 2 ; im T 1 - 491,10 kann } ] konj. fiir harm T 1 , T 2 ; kann, M 1 - 491,19 einzige] Einzige T 1 , T 2 ; einzige M 1 - 491,28 konstatierbare] konstatierte T 2 - 491,32 Parlament] Parliament T 2 - 491,35 Anstel- lung] konj. fiir Ausstellung T 1 , T 2 ; Anstellung M 1 - 492,37 Aufstel- lung] T 1 , T 2 ; Ausstellbarkeit M 1 - 492,39 aw* matiere a lire et a voir* s'est accrue, j'imagine, dans le rapport de un a vingt, au moins, et peut-Stre a cinquante, ou meme a cent. S'il y avait n hommes de talent dans une population de x millions, il y aura vraisemblable- ment 2n hommes de talent dans une population de 2X millions. Or, voici comment on peut resumer la situation. Contre une page impri- m£e, de lectures ou damages, publi^e il y a un siecle, il s'en publie aujourd'hui vingt, si non cent pages. Mais, contre chaque homme de talent vivant jadis, il n'y a maintenant que deux hommes de talent. II se peut, bien entendu, que, grace a Pinstruction universelle, un grand nombre de talents en puissance, qui, jadis, eussent &t& morts-n^s, doivent actuellement a meme de se r^aliser. Admettons [. . .] qu'il y ait a present trois ou meme quatre hommes de talent pour chacun de ceux qui existaient autrefois. II demeure encore vrai que la consom- mation de >matiere a lire et a voir< a consideVablement depasse la production naturelle d'^crivains et de dessinateurs dou£s. Il en est de meme de la >matiere a entendre*. La prosp£rite\ le gramophone et la radiophonie ont cree* un public d'auditeurs qui consomment une quan- tite de >matiere a entendre< accrue hors de toute proportion avec Pac- croissement de la population, et, partout, avec l'accroissement normal du nombre des musiciens dou£s de talent. II r&ulte de la que, dans tous les arts, la production de fratras est plus grande, en valeur absolue et en valeur relative, qu'elle ne Pa hi autrefois; et qu'il faudra qu'elle demeure plus grande, aussi longtemps que le monde continuera a con- sommer les quantit^s actuelles et demesur^es de >matiere a lire, a voir et a entendre<.« (s. Benjamins Exzerpt: Ms 409; »Paralipomena und Varia zur zweiten Fassung . . .«, 1049) - 498,34 ist.«] Der franzosische Text lautet: »La peinture domaine la musique, parce qu'elle n'est pas forced de mourir chaque fois, apres sa creation, comme Pinfortunee musique [. . .] La musique, qui s'eVapore a mesure qu'elle nait, est in- f£rieure a la peinture, que l'emploi du vernis a rendue £ternelle.« - 499»39 dastehen.*] Der franzosische Text lautet: »Quoi de plus loin de nous que Pambition deconcertante d'un Leonard, que consid^rant la Peinture comme un supreme but ou une supreme demonstration de la connaissance, pensait qu'elle exigeat P acquisition de Pomniscience et ne reculait pas devant une analyse g^nerale dont la profondeur et la precision nous confondent?« Paul Vale>y, a. a. O., p. 1323 - 500,11-27 So bis Psychoanalyse] s. den Nachweis zu 461,16-33 - 503,4 gesetzt.*] Den franzosischen Text s. »Anhang«, 734,15-17 - 504,8 werden.«\ Den franzosischen Text s. a. a.C, 735,4-9 - 507,20 werde!*] s. Nach- weis zu 468,8 - 507,24-37 wird bis Technik,] s. den Nachweis zu 468,30-469,4 - 508,6 mundus«] s. den Nachweis zu 469,9 Walter Benjamin Gesammelte Schriften VII • i Herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhauser unter Mitarbeit von Christoph Godde, Henri Lonitz und Gary Smith Suhrkamp Die Editionsarbeiten wurden durch die Stiftung Volkswagenwerk, die Fritz Thyssen Stiftung und die Hamburger Stiftung zur Forderung von Wissenschaft und Kultur ermoglicht. Die vorliegende Ausgabe ist text- und seitenidentisch mit Band VII der gebundenen Ausgabe der Gesammelten Scbriften Walter Benjamins. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fur diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhaltlich suhrkamp taschenbuch wissenschaft 937 Erste Auflage 1991 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1989 Suhrkamp Taschenbuch Verlag Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des offentlichen Vortrags, der Ubertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Ubersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfaltigt oder verbreitet werden. Druck: Nomos Verlagsges ells chart, Baden-Baden Printed in Germany Umschlag nach Entwvirfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt 234 5 6 7 - 07 06 05 04 03 02 Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Zweite Fassung) Le vrai est ce qu'il peut; le faux est ce qu'il veut. Madame de Duras Als Marx die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise unter- nahm, war diese Produktionsweise in den Anfangen. Marx richtete seine Untersuchungen so ein, dafi sie prognostischen Wert beka- men. Er ging auf die Grundverhaltnisse der kapitalistischen Pro- duktion zuriick und stellte sie so dar, dafi sich aus ihnen ergab, was man kunftighin dem Kapitalismus noch zutrauen konne. Es ergab sich, dafi man ihm nicht nur eine zunehmend verscharfte Ausbeu- tung der Proletarier zutrauen konne sondern schliefilich auch die Herstellung von Bedingungen, die die Abschaffung seiner selbst moglich machen. Die Umwalzung des Uberbaus, die viel langsamer als die des Unter- baus vor sich geht, hat mehr als ein halbes Jahrhundert gebraucht, um auf alien Kulturgebieten die Veranderung der Produktionsbe- dingungen zur Geltung zu bringen. In welcher Gestalt das geschah, lafk sich erst heute angeben. An diese Angaben sind gewisse pro- gnostische Anforderungen zu stellen. Es entsprechen diesen Anfor- derungen aber weniger Thesen iiber die Kunst des Proletariats nach der Machtergreifung, geschweige die der klassenlosen Gesellschaft, als Thesen iiber die Entwicklungstendenzen der Kunst unter den gegenwartigen Produktionsbedingungen. Deren Dialektik macht sich im Uberbau nicht weniger bemerkbar als in der Okonomie. Darum ware es falsch, den Kampfwert solcher Thesen zu unter- schatzen. Sie setzen eine Anzahl uberkommener Begriffe - wie Schopfertum und Genialitat, Ewigkeitswert und Geheimnis - bei- seite - Begriffe, deren unkontrollierte (und augenblicklich schwer kontrollierbare) Anwendung zur Verarbeitung des Tatsachenmate- rials in faschistischem Sinn fiihrt. Die im folgenden neu in die Kunsttheorie eingefuhrten Begriffe unterscheiden sich von geldufi- geren dadurch, dafi sie fiir die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauch bar sind. Dagegen sind sie zur Formuliewng revolutiona- rer Forderungen in der Kunstpolitik braucbbar. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 351 II Das Kunstwerk ist grundsatzlich immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nachgemacht werden. Solche Nachbildung wurde auch ausgeiibt, von Schiilern zur Ubung in der Kunst, von Meistern zur Verbrei- tung der Werke, endlich von gewinnliisternen Dritten. Demgegen- iiber ist die technische Reproduktion des Kunstwerkes etwas Neues, das sich in der Geschichte intermittierend, in weit auseinan- derliegenden Schiiben, aber mit wachsender Intensitat durchsetzt. Mit dem Holzschnitt wurde zum ersten Male die Graphik technisch reproduzierbar; sie war es lange, ehe durch den Druck auch die Schrift es wurde. Die ungeheuren Veranderungen, die der Druck, die technische Reproduzierung der Schrift, in der Literatur hervor- gerufen hat, sind bekannt. Von der Erscheinung, die hier in weltge- schichtlichem Maftstab betrachtet wird, sind sie aber nur ein, frei- lich besonders wichtiger Sonderfall. Zum Holzschnitt treten im Laufe des Mittelalters Kupferstich und Radierung, sowie im An- fang des neunzehnten Jahrhunderts die Lithographic Mit der Lithographie erreicht die Reproduktionstechnik eine grundsatzlich neue Stufe. Das sehr viel bundigere Verfahren, das die Auftragung der Zeichnung auf einen Stein von ihrer Kerbung in einen Holzblock oder ihrer Atzung in eine Kupferplatte unterschei- det, gab der Graphik zum ersten Mai die Moglichkeit, ihre Erzeug- nisse nicht allein massenweise (wie vordem) sondern in taglich neuen Gestaltungen auf den Markt zu bringen. Die Graphik wurde durch die Lithographie befahigt, den Alltag illustrativ zu begleiten. Sie begann, Schritt mit dem Druck zu halten. In diesem Beginnen wurde sie aber schon wenige Jahrzehnte nach der Erfindung des Steindrucks durch die Photographie iiberfliigelt. Mit der Photogra- phic war die Hand im Prozefl bildlicher Reproduktion zum ersten Mai von den wichtigsten kunstlerischen Obliegenheiten entlastet, welche nunmehr dem Auge allein zufielen. Da das Auge schneller erfafk als die Hand zeichnet, so wurde der ProzefS bildlicher Repro- duktion so ungeheuer beschleunigt, dafi er mit dem Sprechen Schritt halten konnte. Wenn in der Lithographie virtuell die illu- strierte Zeitung verborgen war, so in der Photographie der Ton- film. Die technische Reproduktion des Tons wurde am Ende des vorigen Jahrhunderts in Angriff genommen. Um neunzehnhundert 3 $2 Nachtrage hatte die technische Reproduktion einen Standard erreicht, aufdem sie nicht nur die Gesamtheit der uberkommenen Kunstwerke zu ih- rem Objekt zu machen und deren Wirkung den tiefsten Verande- rungen zu unterwerfen begann, sondern sicb einen eigenen Platz unter den kunstlerischen Verfabrungsweisen eroberte. Fur das Stu- dium dieses Standards ist nichts aufschluftreicher, als wie seine bei- den verschiedenen Manifestationen - Reproduktion des Kunstwerks und Filmkunst - auf die Kunst in ibrer uberkommenen Gestalt zu- ruckwirken. HI Noch bei der hochstvollendeten Reproduktion fallt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks - sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet. An diesem einmaligen Dasein aber und an nichts sonst vollzog sich die Geschichte, der es im Laufe seines Bestehens unterworfen gewesen ist. Dahin rechnen sowohl die Veranderungen, die es im Laufe der Zeit in seiner physischen Struktur erlitten hat, wie die wechselnden Besitzverhaltnisse, in die es eingetreten sein mag. Die Spur der ersteren ist nur durch Analy- sen chemischer oder physikalischer Art zu fordern, die sich an der Reproduktion nicht vollziehen lassen; die der zweiten Gegenstand einer Tradition, deren Verfolgung von dem Standort des Originals ausgehen mufi. Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus, und auf deren Grund ihrerseits liegt die Vorstellung einer Tra- dition, welche dieses Objekt bis auf den heutigen Tag als ein Selbes und Identisches weitergeleitet hat. Der gesamte Bereich der Echt- heit entzieht sich der technischen - und naturlich nicht nur der technischen - Reproduzierbarkeit. Wahrend das Echte aber der ma- nuellen Reproduktion gegenuber, die von ihm im Regelfalle als Fal- schung abgestempelt wurde, seine voile Autoritat bewahrt, ist das der technischen Reproduktion gegenuber nicht der Fall. Der Grund ist ein doppelter. Erstens erweist sich die technische Reproduktion dem Original gegenuber selbstandiger als die manuelle. Sie kann, beispielsweise, in der Photographie Ansichten des Originals her- vorheben, die nur der verstellbaren und ihren Blickpunkt willkiir- lich wahlenden Linse, nicht aber dem menschlichen Auge zugang- lich sind, oder mit Hilfe gewisser Verfahren wie der Vergrdfkrung Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 353 oder der Zeitlupe Bilder festhalten, die sich der natiirlichen Optik schlechtweg entziehen. Das ist das Erste. Sie kann zudem zweitens das Abbild des Originals in Situationen bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind. Vor allem macht sie ihm moglich, dem Aufnehmenden entgegenzukommen, sei es in Gestalt der Photo- graphic, sei es in der der Schallplatte. Die Kathedrale verlafk ihren Platz, um in dem Studio eines Kunstfreundes Aufnahme zu finden; das Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem Himmel exeku- tiert wurde, lafit sich in einem Zimmer vernehmen. Diese veranderten Umstande mogen im iibrigen den Bestand des Kunstwerks unangetastet lassen - sie entwerten auf alle Falle sein Hier und Jetzt. Wenn das auch keineswegs vom Kunstwerk allein gilt sondern entsprechend z. B. von einer Landschaft, die im Film am Beschauer vorbeizieht, so wird durch diesen Vorgang am Ge- genstande der Kunst ein emphndlichster Kern beruhrt, den so ver- letzbar kein naturlicher hat. Das ist seine Echtheit. Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles von Usprung her an ihr Tradierba- ren, von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeu- genschaft. Da die letztere auf der ersteren fundiert ist, so gerat in der Reproduktion, wo die erstere sich dem Menschen entzogen hat, auch die letztere: die geschichtliche Zeugenschaft der Sache ins Wanken. Freilich nur diese; was aber dergestalt ins Wanken gerat, das ist die Autoritat der Sache, ihr traditionelles Gewicht. Man kann diese Merkmale im Begriff der Aura zusammenfassen und sagen: Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkummert, das ist seine Aura. Dieser Vorgang ist symptomatisch; seine Bedeutung weist iiber den Bereich der Kunst weit hinaus. Die Reproduktionstechnik, so lafit sich allgemein for- mulieren, lost das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ah. Indem sie die Reproduktion vervielfdltigt, setzt sie an die Stelle sei- nes einmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden in seiner jeweiligen Si- tuation entgegenzukommen , aktualisiert sie das Reproduzierte. Diese beiden Prozesse fiihren zu einer gewaltigen Erschiitterung des Tradierten - einer Erschiitterung der Tradition, die die Kehr- seite der gegenwartigen Krise und Erneuerung der Menschheit ist. Sie stehen im engsten Zusammenhang mit den Massenbewegungen unserer Tage. Ihr machtvollster Agent ist der Film. Seine gesell- schaftliche Bedeutung ist auch in ihrer positivsten Gestalt, und ge- 354 Nachtrage rade in ihr, nicht ohne diese seine destruktive, seine kathartische Seite denkbar: die Liquidierung des Traditionswertes am Kultur- erbe. Diese Erscheinung ist an den grofien historischen Filmen am handgreiflichsten. Sie bezieht immer weitere Positionen in ihr Be- reich ein. Und wenn Abel Gance 1927 enthusiastisch ausrief: »Shakespeare, Rembrandt, Beethoven werden filmen . . . Alle Le- genden, alle Mythologien und alle Mythen, alle Religionsstifter, ja alle Religionen . . . warten auf ihre belichtete Auferstehung, und die Heroen drangen sich an den Pforten«\ so hat er, ohne es wohl zu meinen, zu einer umfassenden Liquidation eingeiaden. IV Innerhalb grofler geschichtlicher Zeitrdume verdndert sich mit der gesamten Daseinsweise der menscb lichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Wahrnehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche Wahrnehmung sich organisiert - das Medium, in dem sie erfolgt - ist nicht nur natiirlich sondern auch geschichtlich be- dingt. Die Zeit der Volkerwanderung, in der die spatromische Kunstindustrie und die Wiener Genesis entstanden, hatte nicht nur eine andere Kunst als die Antike sondern auch eine andere Wahr- nehmung. Die Gelehrten der wiener Schule, Riegl und Wickhoff, die sich gegen das Gewicht der klassischen Uberlieferung stemm- ten, unter dem jene Kunst begraben gelegen hatte, sind als erste auf den Gedanken gekommen, aus ihr Schlusse auf die Organisation der Wahrnehmung in der Zeit zu tun, in der sie in Geltung stand. So weittragend ihre Erkenntnisse waren, so hatten sie ihre Grenze darin, daft sich diese Forscher begniigten, die formale Signatur auf- zuweisen, die der Wahrnehmung in der spatromischen Zeit eigen war. Sie haben nicht versucht - und konnten vielleicht auch nicht hoffen -, die gesellschaftlichen Umwalzungen zu zeigen, die in die- sen Veranderungen der Wahrnehmung ihren Ausdruck fanden. Fur die Gegenwart liegen die Bedingungen einer entsprechenden Ein- sicht gunstiger. Und wenn die Veranderungen im Medium der Wahrnehmung, deren Zeitgenossen wir sind, sich als Verfall der Aura begreifen lassen, so kann man dessen gesellschaftliche Bedin- gungen aufzeigen. 1 Abel Gance: Le temps de Pimage est venu, in: L'art cinematographiquc II. Paris 1927, p. 94-96. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 355 Was ist eigentlich Aura? Ein sonderbares Gespinst aus Raum und Zeit: einmalige Erscheinung einer Feme, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft - das heifit die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen. An der Hand dieser Beschreibung ist es ein Leichtes, die gesellschaftli- che Bedingtheit des gegenwartigen Verfalls der Aura einzusehen. Er beruht auf zwei Umstanden, welche beide mit dem zunehmenden Wachstum von Massen und der zunehmenden Intensitat ihrer Bewegungen zusammenhangen. Namlich: Die Dinge sich »ndher~ zubringen« ist ein genauso leidenschaftliches Anliegen der gegen- wartigen Massen, wie es ihre Tendenz einer Uberwindung des Einmaligen jeder Gegebenheit durch die Aufnahme von deren Re- produktion darstellt. Tagtaglich macht sich unabweisbarer das Be- diirfnis geltend, des Gegenstands aus nachster Nahe im Bild, viel- mehr im Abbild, in der Reproduktion, habhaft zu werden. Und unverkennbar unterscheidet sich die Reproduktion, wie illustrierte Zeitung und Wochenschau sie in Bereitschaft halten, vom Bilde. Einmaligkeit und Dauer sind in diesem so eng verschrankt wie Fluchtigkeit und Wiederholbarkeit in jener. Die Entschalung des Gegenstandes aus seiner Hiille, die Zertriimmerung der Aura, ist die Signatur einer Wahrnehmung, deren »Sinn fiir das Gleichartige in der Welt* so gewachsen ist, dafi sie es mittels der Reproduktion auch dem Einmaligen abgewinnt. So bekundet sich im anschauli- chen Bereich, was sich im Bereiche derTheorie als die zunehmende Bedeutung der Statistik bemerkbar macht. Die Ausrichtung der Realitat auf die Massen und der Massen auf sie ist ein Vorgang von unbegrenzter Tragweite sowohl fiir das Denken wie fiir die An- schauung. V Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebet- tetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradition selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas ganz aufterordentlich Wandelbares. Eine antike Venusstatue z.B. stand in einem anderen Traditionszusammenhange bei den Griechen, die sie zum Gegen- stand des Kultus machten, als bei den mittelalterlichen Klerikern, die einen unheilvollen Abgott in ihr erblickten. Was aber beiden in 3 5 6 Nachtrage gleicher Weise entgegentrat, war ihre Einzigkeit, mit einem anderen Wort: ihre Aura. Die urspriingliche Art der Einbettung des Kunst- werks in den Traditionszusammenhang fand ihren Ausdruck im Kult. Die altesten Kunstwerke sind, wie wir wissen, im Dienst eines Rituals entstanden, zuerst eines magischen, dann eines religiosen. Es ist nun von entscheidender Bedeutung, daft diese auratische Da- seinsweise des Kunstwerks niemals durchaus von seiner Ritual- funktion sich lost. Mit anderen Worten : Der einzigartige Wert des »echten« Kunstwerks hat seine Fundierung immer im Ritual. Diese mag so vermittelt sein wie sie will, sie ist auch noch in den profan- sten Formen des Schonheitsdienstes als sakularisiertes Ritual er- kennbar. Der profane Schonheitsdienst, der sich mit der Renais- sance herausbildet, urn fur drei Jahrhunderte in Geltung zu bleiben, lafit nach Ablauf dieser Frist bei der ersten schweren Erschiitterung, von der er betroffen wurde, jene Fundamente deutlich erkennen. Als namlich mit dem Aufkommen des ersten wirklich revolutiona- ren Reproduktionsmittels, der Photographie (gleichzeitig mit dem Anbruch des Sozialismus), die Kunst das Nahen der Krise spurt, die nach weiteren hundert Jahren unverkennbar geworden ist, reagierte sie mit der Lehre vom Tart pour Tart, die eine Theologie der Kunst ist. Aus ihr ist dann weiterhin geradezu eine negative Theologie in Gestalt der Idee einer »reinen« Kunst hervorgegangen, die nicht nur jede soziale Funktion sondern auch jede Bestimmung durch einen gegenstandlichen Vorwurf ablehnt. (In der Dichtung hat Mallarme als erster diesen Standort erreicht.) Diese Zusammenhange zu ihrem Recht kommen zu lassen, ist uner- laftlich fur eine Betrachtung, die es mit dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit zu tun hat. Denn sie berei- ten die Erkenntnis, die hier entscheidend ist, vor: die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mai in der Weltgeschichte von seinem parasitaren Dasein am Ritual. Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Mafie die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunst- werks. 2 Von der photographischen Platte z.B. ist eine Vielheit von 2 Bei den Fiimwerken ist die technische Reproduzierbarkeit des Produkts nicht, wie z.B. bei den Werken der Literatur oder der Malerei, eine von aufien her sich einfindende Bedingung ihrer massenweisen Verbreitung. Die technische Reproduzierbarkeit der Filmwerke ist tmmittelbar in der Technik ihrer Produktion begriindet. Diese ermoglicht nicht nur auf die unmittelbarste Art die massenweise Verbreitung der Filmwerke, sic er/.wingt sie vielmehr geradezu. Sie erzwingt sie, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 357 Abzugen moglich; die Frage nach dem echten Abzug hat keinen Sinn. In dem Augenblick abet, da der Maflstab der Echtbeit an der Kunstproduktion versagt, bat sicb die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewdlzt. An die Stelle ibrer Fundierung aufs Ritual hat ihre Fundierung aufeine andere Praxis zu treten: ndmlich ihre Fun- dierung aufPolitik. VI Es ware moglich, die Kunstgeschichte als Auseinandersetzung zweier Polaritaten im Kunstwerk selbst darzustellen und die Ge- schichte ihres Verlaufs in den wechselnden Verschiebungen des Schwergewichts vom einen Pol des Kunstwerks zum anderen zu erblicken. Diese beiden Pole sind sein Kultwert und sein Ausstel- lungswert. 3 Die kiinstlerische Produktion beginnt mit Gebilden, wcil die Produktion eines Films so tcuer ist, daB ein Einzelncr, der z.B. ein Gemalde sich leisten konnte, sich den Film nicht mehr leisten kann. 1927 hat man errechnet, dafl ein groflerer Film, um sich zu rentieren, ein Publikum von neun Millioncn erreichen mussc. Mit dem Tonfilm ist hier allerdings zunachst eine riicklaufige Bewegung eingetrcten; sein Publikum schrankte sich auf Sprachgrenzen ein. Und das geschah gleichzeitig mit der Bctonung nationaler Interessen durch den Faschismus. Wichtiger aber als diesen Ruckschlag zu registrieren, der im ubrigen durch die Synchronisierung abgeschwacht wurde, ist es, scinen Zusammenhang mit dem Fa- schismus ins Auge zu fassen. Die Gleichzeitigkeit beider Erscheinungen beruht auf der Wirt- schaftskrise. Die gleichen Storungen, die im Groficn gesehen zu dem Versuch gefiihrt haben, die bestchenden Eigentumsvcrhaltnisse mit offener Gewalt festzuhalten, haben das von der Krise bedrohte Filmkapital dazu gefiihrt, die Vorarbcitcn zum Tonfilm zu forcieren. Die Einfuhrung des Tonfilms brachte sodann cine zeitweiligc Erleichterung. Und zwar nicht nur, weil der Ton- film von neuem die Massen ins Kino fuhrte, sondern auch, weil der Tonfilm neue Kapitalicn aus der Elektrizitatsindustrie mit dem Filmkapital solidarisch machte. So hat er von auften bctrachtet nationale Interessen gefordert, von innen bctrachtet aber die Filmproduktion nochmehrinterna- tionalisiert als vordem. 3 Dicsc Polaritat kann in der Asthetik des Idealismus, dessen Begriff der Schtinhcit sie im Grunde als eine ungeschiedene umschlieflt (demgemafi als eine geschiedene ausschliefit) nicht zu ihrcm Rechte gdangen. Immerhin meldet sic sich bei Hegel so deutiich an, wie dies in den Schranken des Idealismus denkbar war. »Bilder«, so hciflt es in den Vorlcsungen zur Philosophic der Gcschichte, »hatte man schon lange: die Frommlgkeit bedurfte lhrer schon friih fiir ihre Andacht, aber sic brauchtc keine scbonen Bilder, ja diese waren ihr sogar storend. Im schonen Bildc ist auch ein Aufierlichcs vorhanden, aber insofern es schon ist, spricht der Geist desselben den Menschen an; in jener Andacht aber ist das Verhaltnift zu cinem Dinge wcsentlich, denn sic ist selbst nur ein gcistloses Verdumpfcn der Secle . . . Die schone Kunst ist ... in der Kirchc selbst entstanden, ... obgleich ... die Kunst schon aus dem Principe der Kirche hcrausgetreten ist.« (Gcorg Wilhclm Fricdrich Hegel: Werkc IX. Berlin 1837, p. 414) Auch eine Stelle in den Vorlc- sungen ubcr die Asthetik weist darauf hin, dafi Hegel hier ein Problem gespiirt hat. ». . . wir sind", heifk es in diesen Vorlcsungen, »daruber hinaus Wcrke der Kunst gdttlich verehren und 358 Nachtrage die im Dienste der Magie stehen. Von diesen Gebilden ist einzig wichtig, daft sie vorhanden sind, nicht aber, daft sie gesehen werden. Das Elentier, das der Mensch der Steinzeit an den Wanden seiner Hohle abbildet, ist ein Zauberinstrument, das er nur zufallig vor seinen Mitmenschen ausstellt; wichtig ist hochstens, daft es die Gei- ster sehen. Der Kultwert als solcher drangt geradezu darauf hin, das Kunstwerk im Verborgenen zu halten: gewisse Gotterstatuen sind nur dem Priester in der cella zuganglich, gewisse Madonnenbilder bleiben fast das ganze Jahr iiber verhangen, gewisse Skulpturen an mittelalterlichen Domen sind fur den Betrachter zu ebener Erde nicht sichtbar. Mit der Emanzipation der einzelnen Kunstubungen aus dem Schofie des Rituals wachsen die Gelegenbeiten zurAusstel- lung ihrer Produkte. Die Ausstellbarkeit einer Portratbiiste, die da- hin.und dorthin verschickt werden kann, ist grofier als die einer Gotterstatue, die ihren festen Ort im Inneren des Tempels hat. Die Ausstellbarkeit des Tafelbildes ist grofier als die des Mosaiks oder Freskos, die ihm voranging. Und wenn die Ausstellbarkeit einer Messe von Hause aus vielleicht nicht geringer war als die einer Sym- phonic, so entstand doch die Symphonie in dem Zeitpunkt, als ihre Ausstellbarkeit grofier zu werden versprach als die der Messe. Mit den verschiedenen Methoden technischer Reproduktion des Kunstwerks ist dessen Ausstellbarkeit in so gewaltigem Mafi ge- wachsen, daft die quantitative Verschiebung zwischen seinen beiden Polen ahnlich wie in der Urzeit in eine qualitative Veranderung seiner Natur umschlagt. Wie namlich in der Urzeit das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Kultwert lag, in erster Linie zu einem Instrument der Magie wurde, das man als Kunstwerk gewis- sermaften erst spater erkannte, so wird heute das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das. auf seinem Ausstellungswert liegt, zu einem Gebilde mit ganz neuen Funktionen, von denen die uns be- wuftte, die kiinstlerische, als diejenige sich abhebt, die man spater als eine beilaufige erkennen mag. So viel ist sicher, dafi gegenwartig der Film die brauchbarsten Handhaben zu dieser Erkenntnis gibt. Sicher ist weiter, daft die geschichtliche Tragweite dieses Funktionswandels der Kunst, der im Film am vorgeschrittensten auftritt, deren Kon- frontation mit der Urzeit der Kunst nicht nur methodisch, sondern auch materiell erlaubt. sie anbeten zu konnen, der Eindruck, den sie machen, ist besonnenerer Art, und was durch sie in uns erregt wird, bedarf noch eines hoheren Prufsteins«, {Hegel, I.e. X, 1, Berlin 1835, p. 14) Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 359 Die Kunst der Urzeit halt, im Dienste der Magie, gewisse Notie- rungen fest, die der Praxis dienen. Und zwar wahrscheinlich als Ausiibung magischer Prozeduren (das Schnitzen einer Ahnenfigur ist selbst eine magische Verrichtung), wie auch als Anweisung zu solchen (die Ahnenfigur macht eine rituelle Haltung vor), wie auch endlich als Gegenstande einer magischen Kontemplation (die Be- trachtung der Ahnenfigur starkt die Zauberkraft des Betrachten- den). Gegenstande solcher Notierungen boten der Mensch und seine Umwelt dar, und abgebildet wurden sie nach den Erfordernis- sen einer Gesellschaft, deren Technik nur erst verschmolzen mit dem Ritual existiert. Diese Technik ist an der maschinellen gemes- sen natiirlich riickstandig. Aber nicht das ist fur die dialektische Betrachtung das Wichtige. Fur sie kommt es auf den tendenziellen Unterschied zwischen jener Technik und der unsrigen an, der darin besteht, daf$ die erste Technik den Menschen so sehr, daft die zweite ihn so wenig wie moglich einsetzt. Die technische Grofkat der er- sten Technik ist gewissermafien das Menschenopfer, die der zwei- ten liegt auf der Linie der fernlenkbaren Flugzeuge, die keine Be- mannung brauchen. Das Ein fur allemal gilt fur die erste Technik (da geht es um die nie wiedergutzumachende Verfehlung oder den ewig stellvertretenden Opfertod). Das Einmal ist keinmal gilt fur die zweite (sie hat es mit dem Experiment und seiner unermiidlichen Variierung der Versuchsanordnung zu tun). Der Ursprung der zweiten Technik ist da zu suchen, wo der Mensch zum ersten Mai und mit unbewufker List daran ging, Abstand von der Natur zu nehmen. Er liegt mit anderen Worten im Spiel. Ernst und Spiel, Strenge und Unverbindlichkeit treten in jedem Kunstwerk verschrankt auf, wenn auch mit Anteilen sehr wech- selnden Grades. Damit ist schon gesagt, daft die Kunst der zweiten wie der ersten Technik verbunden ist. Allerdings ist hierbei anzu- merken, daft die »Naturbeherrschung« das Ziel der zweiten Tech- nik nur auf hochst anfechtbare Weise bezeichnet; sie bezeichnet es vom Standpunkt der ersten Technik. Die erste hat es wirklich auf Beherrschung der Natur abgesehen; die zweite viel mehr auf ein Zusammenspiel zwischen der Natur und der Menschheit. Die ge- . sellschaftlich entscheidende Funktion der heutigen Kunst ist Ein- iibung in dieses Zusammenspiel. Insbesondere gilt das vom Film. Der Film client, den Menschen in denjenigen Apperzeptionen und Reaktionen zu tiben, die der Umgang mit einer Apparatur bedingty 360 Nachtrage deren Rolle in seinem Lebenfast tdglich zunimmt. Der Umgang mit dieser Apparatur belehrt ihn zugleich, dafi die Knechtung in ihrem Dienst erst dann der Befreiung durch sie Platz machen wird, wenn die Verfassung der Menschhek sich den neuen Produktivkraften angepafk haben wird, welche die zweite Technik erschlossen hat. 4 VII In der Photographie beginnt der Ausstellungswert den Kultwert auf derganzen Linie zuriickzudrdngen. Dieser weicht aber nicht wider- standslos. Er bezieht eine letzte Verschanzung, und die ist das Menschenantlitz. Keineswegs zufallig steht das Portrat im Mittel- punkt der fruhen Photographie. Im Kult der Erinnerung an die fer- nen oder die abgestorbenen Lieben hat der Kultwert des Bildes die letzte Zuflucht. Im fliichtigen Ausdruck eines Menschengesichts winkt aus den fruhen Photographien die Aura zum letzten Mai. Das ist es, was deren schwermutvolle und mit nichts zu vergleichende Schonheit ausmacht. Wo aber der Mensch aus der Photographie sich zuriickzieht, da tritt erstmals der Ausstellungswert dem Kult- wert iiberlegen entgegen. Diesem Vorgang seine Statte gegeben zu haben, ist die unvergleichliche Bedeutung von Atget, der die Pariser Strafien um neunzehnhundert in .menschenleeren Aspekten fest- hielt. Sehr mit Recht hat man von ihm gesagt, daft er sie aufnahm 4 Es ist das Zicl der Revolutionen, diese Anpassung zu beschleunigen. Revolutionen sind Inner- vationen des Kollektivs: gcnauer Innervationsversuche des neuen, geschichtlich erstmaligen Kollektivs, das in der zwciten Technik seine Organc hat. Diese zweite Technik ist ein System, in wclchem die Bewaltigung der gesellschaftlichen Elementarkrafte die Voraussetzung fur das Spiel mit den natiirlichcn darstellt. Wie nun ein Kind, wenn es grcifen lernt, die Hand so gut nach dem Mond ausstreckt wie nach einem Bali, so falit die Menschheit in ihren Inncrvationsversuchen neben den greifbaren solche Ziele ins Augc, welche vorerst utopisch sind. Denn es ist ja nicht nur die zweite Technik, die ihrc Forderungen an die Gesellschaft in den Revolutionen anmeldet. Eben weil diese zweite Technik auf die zunehmende Befreiung des Mcnschen aus der Arbeitsfron uberhaupt hinauswill, sicht auf der anderen Seite das Individuum mit einem Mai seinen Spiel- raum unabsehbar crweitert. In diesem Spielraum weifS es noch nicht Bescheid. Aber es meldct seine Forderungen in ihm an. Denn je mehr sich das Kollektiv seine zweite Technik zu cigen macht, desto fuhlbarer wird den ihm angchorenden Individuen, wie wenig ihnen bisher, im Banne der crstcn, das Ihre geworden war. Es ist, mit anderen Worten, der durch die Liquidation der ersten Technik emanzipicrte Einzelmcnsch, welcher seinen Anspruch erhebt. Die zweite Technik hat nicht sobald ihre ersten revolutionarcn Errungenschaften gesichert, als die durch die crstc verschuttcten Lebcnsfragen des Individuums - Liebc und Tod - von neuem nach Losung drangen. I ; ouriers Wcrk ist das crstc geschichtHche Dokument dieser Forderung. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 361 wie einen Tatort. Auch der Tatort ist menschenleer. Seine Auf- nahme erfolgt der Indizien wegen. Die photographischen Aufnah- men beginnen bei Atget Beweisstiicke im historischen Prozefi zu werden. Das macht ihre verborgene politische Bedeutung aus. Sie fordern schon eine Rezeption in bestimmtem Sinne. Ihnen ist die freischwebende Kontemplation nicht mehr angemessen. Sie beun- ruhigen den Betrachter ; er fiihlt : zu ihnen mufi er einen bestimmten Weg suchen. Wegweiser beginnen ihm gleichzeitig die illustrierten Zeitungen aufzustellen. Richtige oder falsche - gleichviel. In ihnen ist die Beschriftung zum ersten Mai obligat geworden. Und es ist klar, dafi sie einen ganz anderen Charakter hat als der Titel eines Gemaldes. Die Direktiven, die der Betrachter von Bildern in der illustrierten Zeitschrift durch die Beschriftung erhalt, werden bald darauf noch praziser und gebieterischer im Film, wo die Auffassung von jedem einzelnen Bild durch die Folge aller vorangegangenen vorgeschrieben erscheint. VIII Die Griechen kannten nur zwei Verfahren technischer Reproduk- tion von Kunstwerken: den Guft und die Pragung. Bronzen, Terra- kotten und Miinzen waren die einzigen Kunstwerke, die von ihnen massenweise hergestellt werden konnten. Alle tibrigen waren ein- malig und technisch nicht zu reproduzieren. Daher mufken sie fur die Ewigkeit gemacht sein. Die Griechen waren durch den Stand ihrer Technik darauf angewiesen y in der Kunst Ewigkeitswerte zu produzieren. Diesem Umstand verdanken sie ihren ausgezeichneten Ort in der Kunstgeschichte, an dem Spatere ihren eigenen Standort bestimmen konnen. Es ist kein Zweifel, daft der unsrige sich an dem den Griechen entgegengesetzten Pol befindet. Niemals vorher sind Kunstwerke in so hohem Maft und in so weitem Umfang technisch reproduzierbar gewesen wie heute. Im Film haben wir eine Form, deren Kunstcharakter zum ersten Mai durchgehend von ihrer Re- produzierbarkeit bestimmt wird. Diese Form in ihren Einzelheiten mit der griechischen Kunst zu konfrontieren ware muftig. Wohl aber ist das in einem exakten Punkt aufschlufireich. Mit dem Film namlich ist fur das Kunstwerk eine Qualitat ausschlaggebend ge- worden, die ihm die Griechen wohl zuletzt zugebilligt oder doch als seine unwesentlichste angesehen haben wiirden. Das ist seine Ver- 362 Nachtrage besserungsfahigkeit. Der fertige Film ist nichts weniger als eine Schopfung aus einem Wurf ; er ist aus sehr vielen Bildern und Bild- folgen montiert, zwischen denen der Monteur die Wahl hat - Bil- dern, die im ubrigen von vornherein in der Folge der Aufnahmen bis zum endgultigen Gelingen beliebig zu verbessern gewesen waren. Um seine »Opinion publique«, die 3000 m lang ist, herzu- stellen, hat Chaplin 125000 m drehen lassen. Der Film ist also das verbesserungsfdhigste Kunstwerk, Und diese seine Verbesserungs- fahigkeit hdngt mit seinem radikalen Verzicht auf den Ewigkeits- wert ZHsammen. Das geht aus der Gegenprobe hervor: fiir die Griechen, deren Kunst auf die Produktion von Ewigkeitswerten angewiesen war, stand an der Spitze der Kiinste die am allerwenig- sten verbesserungsfahige Kunst, namlich die Plastik, deren Schop- fungen buchstablich aus einem Snick sind. Der Niedergang der Plastik im Zeitalter des montierbaren Kunstwerks ist unvermeid- lich. IX Der Streit, der im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts zwischen der Malerei und der Photographie um den Kunstwert ihrer Pro- dukte durchgefochten wurde, wirkt heute abwegig und verworren. Das spricht aber nicht gegen seine Bedeutung, konnte sie vielmehr eher unterstreichen. In der Tat war dieser Streit. der Ausdruck einer weltgeschichtlichen Umwalzung, die als solche keinem der beiden Partner bewufit war. Indem das Zeitalter ihrer technischen Repro- duzierbarkeit die Kunst von ihrem kultischen Fundament loste, erlosch auf immer der Schein ihrer Autonomic Die Funktionsver- anderung der Kunst aber, die damit gegeben war, fiel aus dem Blickfeld des Jahrhunderts heraus. Und auch dem zwanzigsten, das die Entwicklung des Films erlebte, entging sie lange. Hatte man vordem vielen vergeblicben Scharfsinn an die Entscbei- dung der Frage gewandt, ob die Photographie eine Kunst sei - ohne die Vorfrage sich gestellt zu haben: ob nicht durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst sich verandert babe - so ubernahmen die Filmtheoretiker bald die entsprechende voreilige Fragestellung. Aber die Schwierigkeiten, welche die Photographie der uberkommenen Asthetik bereitet hatte, waren ein Kinderspiel gegen die, mit denen der Film sie erwartete. Daher die blinde Ge- Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 363 waltsamkeit, die die Anfange der Filmtheorie kennzeichnet. So ver- gleicht Abel Gance z.B. den Film mit den Hieroglyphen: »Da sind wir denn, infolge einer hdchst merkwiirdigen Riickkehr ins Dage- wesene, wieder auf der Ausdrucksebene der Agypter angelangt . . . Die Bildersprache ist noch nicht zur Reife gediehen, weil unsere Augen ihr noch nicht gewachsen sind. Noch gibt es nicht genug Achtung, nicht genug Kult fur das, was sich in ihr ausspricht.« 5 Oder Severin-Mars schreibt: »Welcher Kunst war ein Traum be- schieden, der . . . poetischer und realer gleichzeitig gewesen ware! Von solchem Standpunkt betrachtet wiirde der Film ein ganz un- vergleichliches Ausdrucksmittel darstellen, und es durften in seiner Atmosphare sich nur Personen adligster Denkungsart in den voll- endetsten und geheimnisvollsten Augenblicken ihrer Lebensbahn bewegen.« 6 Es ist sehr lehrreich zu sehen, wie das Bestreben, den Film der »Kunst« zuzuschlagen, diese Theoretiker notigt, mit einer Rucksichtslosigkeit ohnegleichen kultische Elemente in ihn hinein- zuinterpretieren. Und doch waren zu der Zeit, da diese Spekulatio- nen veroffentlicht wurden, schon Werke vorhanden wie »L'opi- nion publique« und »La ruee vers l'or«. Das hindert Abel Gance nicht, den Vergleich mit den Hieroglyphen heranzuziehen, und Se- verin-Mars spricht vom Film wie man von Bildern des Fra Angelico sprechen konnte. Kennzeichnend ist, dafi auch heute noch beson- ders reaktionare Autoren die Bedeutung des Films in der gleichen Richtung suchen und wenn nicht geradezu im Sakralen so doch im Ubernaturlichen. Anlaftlich der Reinhardtschen Verfilmung des Sommernachtstraums stellt Werfel fest, dafi es unzweifelhaft die sterile Kopie der Aufienwelt mit ihren Straflen, Interieurs, Bahnho- fen, Restaurants, Autos und Strandplatzen sei, die bisher dem Auf- schwung des Films in das Reich der Kunst im Wege gestanden hatte. »Der Film hat seinen wahren Sinn, seine wirklichen Moglichkeiten noch nicht erfafit . . . Sie bestehen in seinem einzigartigen Vermo- gen, mit natiirlichen Mitteln und mit unvergleichlicher Uberzeu- gungskraft das Feenhafte, Wunderbare, Ubernatiirliche zum Aus- druck zu bringen.« 7 5 Abel Gance: I.e., p. 101. 6 Severin-Mars: cit. Abel Gance, I.e., p. 100. 7 Franz Werfel: Ein Sommernachtstraum. Ein Film von Shakespeare und Reinhardt, in: Neues Wiener Journal, cit. LU, ij novembre 1935. 364 Nachtrage Es ist eine andere Art der Reproduktion, die die Photographie ei- nem Gemalde, und eine andere, die sie einem im Filmatelier gestell- ten Vorgang zuteilwerden laflt. Im ersten Falle ist das Reprodu- zierte ein Kunstwerk, und seine Produktion ist es nicht. Denn die Leistung des Kameramanns am Objektiv schafft ebensowenig ein Kunstwerk, wie die eines Dirigenten an einem Symphonieorche- ster; sie schafft bestenfalls eine Kunstleistung. Anders bei der Auf- nahme im Filmatelier. Hier ist schon das Reproduzierte kein Kunstwerk und die Reproduktion ihrerseits ist es ebensowenig wie in dem ersten Fall. Das Kunstwerk entsteht hier erst auf Grund der Montage. Einer Montage, von der jedes einzelne Bestandstiick die Reproduktion eines Vorgangs ist, der ein Kunstwerk weder an sich ist, noch in der Photographie ein solches ergibt. Was sind diese im Film reproduzierten Vorgange, da sie doch keine Kunstwerke sind? Die Antwort mufi von der eigentiimlichen Kunstleistung des Film- darstellers ausgehen. Ihn unterscheidet vom Buhnenschauspieler, dafi seine Kunstleistung in ihrer originalen Form, in der sie der Re- produktion zu Grunde liegt, nicht vor einem zufalligen Publikum, sondern vor einem Gremium von Fachleuten vor sich geht, die als Produktionsleiter, Regisseur, Kameramann, Tonmeister, Beleuch- ter u.s.w. jederzeit in die Lage geraten konnen, in seine Kunstlei- stung einzugreifen. Es handelt sich hier um eine gesellschaftlich sehr wichtige Kennmarke. Das Eingreifen eines sachverstandigen Gremiums in eine Kunstleistung ist namlich charakteristisch fur die sportliche Leistung und im weiteren Sinn fur die Testleistung iiber- haupt. Ein solches Eingreifen bestimmt in der Tat den Prozefi der Filmproduktion durchgehend. Viele Stellen werden bekanntlich in Varianten gedreht. Ein Hilfeschrei beispielsweise kann in verschie- denen Ausfertigungen registriert werden. Unter diesen nimmt der Cutter dann eine Wahl vor; er statuiert gleichsam den Rekord unter ihnen. Ein im Aufnahmeatelier dargestellter Vorgang unterscheidet sich also von dem entsprechenden wirklichen so, wie das Werfen eines Diskus auf einem Sportplatz in einem Wettbewerb unterschie- den ist von dem Werfen der gleichen Scheibe am gleichen Ort auf die gleiche Strecke, wenn es geschahe, um einen Mann zu toten. Das erste ware eine Testleistung, das zweite nicht. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 365 Nun ist allerdings die Testleistung des Filmdarstellers eine voll- kommen einzigartige. Worin besteht sie? Sie besteht in der Uber- windung einer gewissen Schranke, welche den gesellschaftlichen Wert von Testleistungen in enge Grenzen schlieftt. Es ist hier nicht von der sportlichen Leistung die Rede, sondern von der Leistung am mechanisierten Test. Der Sportsmann kennt gewissermafien nur den natiirlichen. Er mifit sich an Aufgaben, wie die Natur sie bietet, nicht an denen einer Apparatur- es sei denn in Ausnahmefallen, wie Nurmi, von dem man sagte, daft er gegen die Uhr lief. Inzwischen ruft der Arbeitsprozeft, besonders seit er durch das laufende Band normiert wurde, taglich unzahlige Priifungen am mechanisierten Test hervor. Diese Priifungen erfolgen unter der Hand: wer sie nicht besteht, wird aus dem Arbeitsprozefs ausgeschaltet. Sie erfol- gen aber auch eingestandlich: in den Instituten fur Berufseignungs- priifungen. In beiden Fallen stoftt man auf die oben erwahnte Schranke. Diese Priifungen sind namlich, zum Unterschied von den sport- lichen, nicht im wiinschenswerten Mafi ausstellbar. Und genau dies ist die Stelle, an der der Film eingreift. Der Film macht die Testlei- stung ausstellbar, indent er aus der Ausstellbar keit der Leistung selbst einen Test macht. Der Filmdarsteller spielt ja nicht vor einem Publikum, sondern vor einer Apparatur. Der Aufnahmeleiter steht genau an der Stelle, an der bei der Eignungspriifung der Versuchs- leiter steht. Im Licht der Jupiterlampen zu spielen und gleichzeitig den Bedingungen des Mikrophons zu geniigen, ist eine Testleistung ersten Ranges. Sie darstellen heifk, im Angesicht der Apparatur seine Menschlichkeit beibehalten. Das Interesse an dieser Leistung ist riesengrofl. Denn eine Apparatur ist es, vor der die iiberwie- gende Anzahl der Stadtebewohner in Kontoren und in Fabriken wahrend der Dauer des Arbeitstages ihrer Menschlichkeit sich ent- auflern mull. Abends fiillen dieselben Massen die Kinos, um zu er- leben, wie der Filmdarsteller fur sie Revanche nimmt, indem seine Menschlichkeit (oder was ihnen so erscheint) nicht nur der Appara- tur gegeniiber sich behauptet, sondern sie dem eigenen Triumph dienstbar macht. }66 Nachtrage XI Dem Film kommt es viel weniger darauf an, dafi der Darsteller dem Publikum einen anderen, als dafi er der Apparatur sich selbst dar- stellt. Einer der ersten, der diese Umanderung des Darstellers durch die Testleistung gespiirt hat, ist Pirandello gewesen. Es beeintrach- tigt die Bemerkungen, die er in seinem Roman »Es wird gefilmt« dariiber macht, nur wenig, dafi sie sich darauf beschranken, die ne- gative Seite der Sache hervorzuheben. Noch weniger, dafi sie an den stummen Film anschliefien. Denn der Tonfilm hat an dieser Sache nichts Grundsatzliches geandert. Entscheidend bleibt, dafi fur eine Apparatur - oder, im Fall des Tonfilms, fur zwei - gespielt wird. »Der Filmdarsteller, schreibt Pirandello, fiihlt sich wie im Exil. Exiliert nicht nur von der Buhne sondern von seiner eigenen Per- son. Mit einem dunklen Unbehagen spurt er die unerklarliche Leere, die dadurch entsteht, dafi sein Korper zur Ausfallserschei- nung wird, dafi er sich verfluchtigt und seiner Realitat, seines Le- bens, seiner Stimme und der Gerausche, die er verursacht, indem er sich riihrt, beraubt wird, um sich in ein stummes Bild zu verwan- deln, das einen Augenblick auf der Leinwand zittert und sodann in der Stille verschwindet . . . Die kleine Apparatur wird mit seinem Schatten vor dem Publikum spielen; und er selbst mufi sich begnii- gen, vor ihr zu spielen. « 8 Man kann den gleichen Tatbestand folgen- dermafien kennzeichnen: Zum ersten Mai - und das ist das Werk des Films - kommt der Mensch in die Lage, zwar mit seiner gesam- ten lebendigen Person, aber unter Verzicht auf deren Aura wirken zu miissen. Denn die Aura ist an sein Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr. Die Aura, die auf der Buhne um Macbeth ist, kann von der nicht abgelost werden, die fur das lebendige Publi- kum um den Schauspieler ist, welcher ihn spielt. Das Eigentiimliche der Aufnahme im Filmatelier aber besteht darin, dafi sie an die Stelle des Publikums die Apparatur setzt. So mufi die Aura, die um den Darstellenden ist, fortfalien - und damit zugleich die um den Dar- gestellten. Dafi gerade ein Dramatiker, wie Pirandello, in der Charakteristik des Filmdarstellers unwillkurlich den Grund der Krise beriihrt, von der wir das Theater befallen sehen, ist nicht erstaunlich. Zu dem 8 Luigi Pirandello: On tourne, cit. Leon Pierre-Quint: Signification du cinema, in: L'art cine- matographique II, I.e., p. 14-15. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 367 restlos von der technischen Reproduktion erfafken, ja - wie der Film - aus ihr hervorgehenden Kunstwerk gibt es in der Tat keinen entschiedeneren Gegensatz als das der Schaubuhne. Jede eingehen- dere Betrachtung bestatigt dies. Sachkundige Beobachter haben langst erkannt, daft in der Filmdarstellung »die grofken Wirkungen fast immer erzielt werden, indem man so wenig wie moglich >spielt< . . . Die letzte Entwicklung« sieht Arnheim 1932 darin, »den Schau- spieler wie ein Requisit zu behandeln, das man charakteristisch aus- wahlt und ... an der richtigen Stelle einsetzt.« 9 Damit hangt aufs engste etwas anderes zusammen. Der Schauspieler, der auf der Biihne agiert y versetzt sich in eine Rolle. Dem Filmdarsteller ist das sehroft versagt. Seine Leistung ist durchaus keine einheitliche, son- dern aus vielen einzelnen Leistungen zusammengestellt. Neben zu- falligen Riicksichten auf Ateliermiete, Verfiigbarkeit von Partnern, Dekor u.s.w. sind es elementare Notwendigkeiten der Maschine- rie, die das Spiel des Darstellers in eine Reihe montierbarer Episo- den zerfallen. Es handelt sich vor allem um die Beleuchtung, deren Installation die Darstellung eines Vorgangs, der auf der Leinwand als einheitlicher geschwinder Ablauf erscheint, in einer Reihe ein- 9 Rudolf Arnheim: Film als Kunst. Berlin 1932, p. 176/177.- Gewisse scheinbar nebensachliche Einzelheiten, mit denen der Filmregisseur sich von den Praktiken der Biihne entfernt, gewinnen in diesem Zusammenhang ein erhohtes Interesse. So der Versuch, den Darsteller ohne Schminke spielen zu lassen, wie unter anderem Dreyer ihn in der Jeanne d'Arc durchfiihrt. Er verwendete Monate darauf, die einigen vierzig Darsteller ausfindig zu machen, aus denen das Ketzergericht sich zusammensetzt. Die Suche nach diesen Darstellern glich der nach schwer beschaffbaren Requisiten. Dreyer verwandte die groftte Miihe darauf, Ahnlichkeiten des Alters, der Statur, der Physiognomic bei diesen Darstellern zu vermeiden. (cf. Maurice Schultz: Le maquillage, in: L'art cinematographique VI. Paris 1929, p. 65/66) Wenn der Schauspieler zum Requisit wird, so fungiert auf der anderen Seite das Requisit nicht selten als Schauspieler. Jedenfails ist es nichts Ungewtihnliches, daft der Film in die Lage kommt, dem Requisit eine Rolle zu leihen. Anstatt beliebige Beispiele aus einer unendlichen Fiille herauszugreifen, halten wir uns an eines von besonderer Beweiskraft. Eine in Gang befindliche Uhr wird auf der Biihne immer nur storend wirken. Ihre Rolle, die Zeit zu messen, kann ihr auf der Biihne nicht eingeraumt werden. Die astronomische Zeit wiirde auch in einem naturalistischen Stuck mit der szenischen kollidieren. Unter diesen Umstanden ist es fur den Film hochst bezeichnend, dalS er bei Gelegenheit ohne weiteres eine Zeitmessung nach der Uhr verwerten kann. Hieran mag man deutlicher als an manchen anderen Ziigen erkennen, wie unter Umstanden jedes einzelne Requisit entscheidende Funktionen in ihm iibernehmen kann. Von hier ist es nur ein Schritt bis zu Pudowkins Feststel- lung, daft »das Spiel des Darstellers, das mit einem Gegenstand verbunden und auf ihm aufgebaut ist, . . . stets eine der starksten Methoden filmischer Gestaltung« ist. (W. Pudowkin: Filmregie und Filmmanuskript. Berlin 1928, p. 1 26) So ist der Film das erste Kunstmittel, das in der Lage ist zu zeigen, wie die Materie dem Menschen mitspielt. Er kann daher ein hervorragendes Instru- ment materialistischer Darstellung sein. 368 Nachtrage zelner Aufnahmen zu bewaltigen zwingt, die sich im Atelier unter Umstanden iiber Stunden verteilten. Von handgreiflicheren Monta- gen zu schweigen. So kann ein Sprung aus dem Fenster im Atelier in Gestalt eines Sprungs vom Geriist gedreht werden, die sich an- schliefiende Flucht aber gegebenenfails wochenlang spater bei einer Auftenaufnahme. Im iibrigen ist es ein leichtes, noch weit parado- xere Falle zu konstruieren. Es kann, nach einem Klopfen gegen die Tiir, vom Darsteller gefordert werden, dafi er zusammenschrickt. Vielleicht ist dieses Zusammenfahren nicht wunschgemafi ausgefal- len. Da kann der Regisseur zu der Auskunft greifen, gelegentlich, wenn der Darsteller wieder einmal im Atelier ist, ohne dessen Vor- wissen in seinem Riicken einen Schufi abfeuern zu lassen. Das Er- schrecken des Darstellers in diesem Augenblick kann aufgenom- men und in den Film montiert werden. Nichts zeigt drastischer, dafi die Kunst aus dem Reich des »schdnen Scheins« entwichen ist, das solange als das einzige gait, in dem sie gedeihen konne. 10 10 Die Bedeutung des schonen Scheins ist in dem Zeitalter der auratischen Wahrnehmung, das seinem Ende zugeht, begriindet. Die hier zustandige asthetischeTheorie hat ihre ausdriicklichste Fassung bei Hegel erhalten, dem Schonheit *>Erscheinung des Geistes in seiner unmittelbaren, . . . vom Gcist als ihfn adaquat erschaffenen, sinnlichen Gestalt* ist. (Hegel: Werke X,2. Berlin 1837, p. 121) Freilich tragt diese Fassung schon epigonale Ziige. Hegels Formel, derzufolge die Kunst »den Schein und die Tauschung dieser schlechten, verganglichen Welt« von dem »wahr- haften Gehalt der Erscheinungen« fortnehme (Hegel: I.e. X,i, p. 13), hat sich vom iiberkomme- nen Erfahrungsgrund dieser Lehre schon abgelost. Dieser Erfahrungsgrund ist die Aura. Der schone Schein als auratische Wirklichkeit erfiillt dagegen noch ganz und gar das goethesche Schaffen. Mignon, Ottilie und Helena haben an dieser Wirklichkeit teil. » Weder die Hulle noch der verhiillte Gegenstand ist das Schone, sondern dies ist der Gegenstand in seiner Hiille« - das ist die Quintessenz der goetheschen wie der antiken Kunstanschauung. Ihr Verfall legt es doppelt nahe, den Blick auf ihren Ursprung zunickzulenken. Dieser liegt in der Mimesis als dem Urpha- nomen allcr kunstlerischen Betatigung. Der Nachmachende macht, was er macht, nur scheinbar. Und zwar kennt das alteste Nachmachen nur eine einzige Materie, in der es bildet: das ist der Leib des Nachmachenden selber. Tanz und Sprache, Korper- und Lippengestus sind die friihe- sten Manifestationen der Mimesis. - Der Nachmachende macht seine Sache scheinbar. Man kann auch sagen : er spielt die Sache. Und damit stofit man auf die Polaritat, die in der Mimesis waitet. In der Mimesis schlummern, eng ineinandergefaltet wie Keimblatter, beide Seiten der Kunst: Schein und Spiel. Dieser Polaritat kann freilich der Dialektiker nur Interesse entgegenbringen, wenn sie eine geschichtliche Rolle spielt. Das ist aber in der Tat der Fall. Und zwar ist diese Rolle bestimmt durch die weltgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen der ersten und zweiten Technik. Der Schein namlich ist das abgezogenste, damit aber auch bestandigste Schema aller magischen Verf ah rungs weisen der ersten, das Spiel das unerschopfHche Reservoir aller experi- mentierenden Verfahrungsweisen der zweiten Technik. Weder der Begriff des Scheins noch der des Spiels ist der iiberkommenen Asthetik fremd; und insofern das Begriffspaar Kultwert und Ausstellungswert in dem crstgenannten Begriffspaar verpuppt ist, sagt es nichts Neues. Das Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 369 XII In der Representation des Menschen durch die Apparatur hat dessert Selbstentfremdung eine hochst produktive Verwertung erfahren. Diese Verwertung kann man daran ermessen, daft das Befremden des Darstellers vor der Apparatur, wie Pirandello es schildert, von Hause aus von der gleichen Art ist, wie das Befremden des Men- schen vor seiner Erscheinung im Spiegel, bei der die Romantiker zu verweilen liebten. Nun aber ist dieses Spiegelbild von ihm ablosbar, es ist transportabel geworden. Und wohin wird es transportiert? Vor die Masse. 11 Das Bewufitsein davon verlafk den Filmdars teller natiirlich nicht einen Augenblick. Er weifl, wahrend er vor der Ap- andert sich aber mit einem Schlage, sowie diese Begriffe ihre Indifferenz gegen die Geschichte verlieren. Sie fiihren damit zu einer praktischen Einsicht. Diese besagt: Was mit der Verkumme- rung des Scheins, dem Vcrfall der Aura in den Werken der Kunst elnhergeht, ist ein ungeheurer Gewinn an Spiel-Raum. Der weiteste Spieiraum hat sich im Film eroffnet. In ihm ist das Schein- moment ganz und gar zugunsten des Spiel moment es zuriickgetreten. Die Positionen, welche die Photographie dem Kultwert gegenuber errungen hatte, sind damit ungeheuer befestigt word en. Im Film hat das Scheinmoment seinen Platz dem Spielmoment abgetreten, das mit der zweiten Technik im Bunde steht. Dieses Biindnis hat k'irzlich Ramuz mit einer Formulierung erfaflt, die unter dem Anschein einer Metapher die Sache selbst trifft. Ramuz sagt: »Wir wohnen gegenwar- tig einem fascinierenden Vorgang bei. Die verschiedenen Wissenschaften, die bisher jede fur sich auf ihrem eigenen Gebiet gearbeitet haben, beginnen in ihrem Objekt zu konvergieren und sich zu einer einzigen zu vereinigen: Chemie, Physik und Mechanik verschranken sich. Es ist als verfolgten wir heute als Augenzeugen die enorm beschleunigte Fertigstellung eines Puzzles, bei dem die Placierung der ersten Stiicke mehrere Jahrtausende in Anspruch genommen hat, wah- rend die letzten auf Grund ihrer Umrisse, zur Verwunderung der Umstehenden, im Begriff sind, wie von selber zueinanderzufmden.« (Charles Ferdinand Ramuz: Paysan, nature. In: Mesure No 4, octobre 193 j) In diesen Worten kommt das Spielmoment der zweiten Technik, an dem das der Kunst erstarkt, uniibertreffiich zum Ausdruck. 1 1 Die hier konstatierbare Veranderung der Ausstellungsweise durch die Reproduktionstechnik macht sich auch in der Politik bemerkbar. Die Krise der Demokratien laflt sich als eine Krise der Ausstellungshedingungen des politischen Menschen verstehen. Die Demokratien stellen den Poli- tiker unmittelbar in eigener Person, und zwar vor Reprasentanten aus. Das Parlament ist sein Publikum. Mit den Neuerungen der Aufnahmeapparatur, die es erlauben, den Redenden wah- rend der Rede unbegrenzt vielen vernehmbar und kurz darauf unbegrenzt vieien sichtbar zu machen, tritt die Ausstellung des politischen Menschen vor dieser Aufnahmeapparatur in den Vordergrund. Es veroden die Parlamente gleichzeitig mit den Theatern. Rundfunk und Film verandern nicht nurdie Funktion des profess ionellen Darstellers sondern genauso die Funktion dessen, der, wie es der politische Mensch tut, sich selber vor ihnen darstellt. Die Richtung dieser Veranderung ist, unbeschadet ihrer verschiedenen Spezialaufgaben, die gleiche beim Filmdar- steller und beim Pohtiker. Sie erstrebt die Ausstellung priifbarer, ja ubernehmbarer Leistungen unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, wie der Sport sie zuerst unter gewissen natur- Hchen Bedingungen gefordert hatte. Das ergibt eine neue Auslese, eine Auslese vor der Appara- tur, aus der der Champion, der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen. 370 Nachtrage paratur stent, hat er es in letzter Instanz mit der Masse zu tun. Diese Masse ist's, die ihn kontrollieren wird. Und gerade sie ist nicht sichtbar, noch nicht vorhanden, wahrend er die Kunstleistung ab- solviert, die sie kontrollieren wird. Die Autoritat dieser Kontrolle wird durch jene Unsichtbarkeit gesteigert. Freilich darf nicht ver- gessen werden, dafi die politische Auswertung dieser Kontrolle so lange auf sich wird warten lassen, bis sich der Film aus den Fesseln seiner kapitalistischen Ausbeutung befreit haben wird. Denn durch das Filmkapital werden die revolutionaren Chancen dieser Kon- trolle in gegenrevolutionare verwandelt. Der von ihm geforderte Starkultus konserviert nicht allein jenen Zauber der Personlichkeit, welcher schon langst im fauligen Schimmer ihres Warencharakters besteht, sondern sein Komplement, der Kultus des Publikums, be- fordert zugleich die korrupte Verfassung der Masse, die der Fa- schismus an die Stelle ihrer klassenbewufiten zu setzen sucht. 12 1 2 Das proietarische Kkssenbewufitsein, welches das erhellteste ist, verandert, nebenbei gesagt, die Struktur der proletarischen Masse grundlegend. Das klassenbewufite Proletariat bildet eine kompakte Masse nur von aufien, in der Vorstellung seiner Unterdriicker. In dem Augenblick, da es seinen Befreiungskampf aufnimmt, hat seine scheinbar kompakte Masse sich in Wahrheit schon aufgelockert. Sie hort auf, unter der Herrschaft blofier Reaktionen zu stehen; sie geht zur Aktion iiber. Die Auflockerung der proletarischen Massen ist das Werk der Solidaritat. In der Solidaritat des proletarischen Klassenkampfs ist der tote, undialektische Gegensatz zwischen Individuum und Masse abgeschafft; er besteht nicht fiir den Genossen. So entscheidend daher die Masse fiir den revolutionaren Fiihrer auch ist, so besteht dessen grofite Leistung nicht darin, die Massen nach sich zu ziehen, sondern immer wieder in die Massen sich einbeziehen zu lassen, um immer wieder einer von Hunderttausenden fiir sie zu sein. - Der Klassenkampf lockert die kom- pakte Masse der Proletarier auf; eben derselbe Klassenkampf aber komprimiert die der Kleinbtfr- ger. Die Masse als undurchdringliche und kompakte, wle sie Le Bon und andere zum Gegen- stand ihrer »Massenpsychoiogie« gemacht haben, ist die kleinbiirgerliche. Das Kleinbiirgertum ist keine Klasse; es ist in der Tat nur Masse und zwar eine umso kompaktere, je grofier der Druck ist, welchem es zwischen den beiden feindlichen Klassen der Bourgeoisie und des Proletariats ausgesetzt ist. In dieser Masse ist in der Tat das emotionale Moment bestimmend, von dem in der Massenpsychologie die Rede ist. Aber gerade dadurch bildet diese kompakte Masse den Gegen- satz zu den einer kollektiven Ratio gehorchenden Kaders des Proletariats. In dieser Masse ist in der Tat das reaktive Moment bestimmend, von dem in der Massenpsychologie die Rede ist. Aber eben dadurch bildet diese kompakte Masse mit ihren unvermittelten Reaktionen den Gegensatz zu den proletarischen Kaders mit ihren Aktionen, welche durch eine Aufgabe, und sei es die momentanste, vermittelt werden. So tragen die Manifestationen der kompakten Masse durchweg einen panischen Zug - es sei, dafi sie der Kriegsbegeisterung, dem Judenhafi oder dem Selbster- haltungstrieb Ausdruck geben. - Ist der Unterschied zwischen der kompakten, namlich klein- biirgerltchen, und der klassenbewufiten, namlich proletarischen, Masse einmal geklart, so ist auch seine operative Bedeutung klar. Anschaulich gesagt erweist diese Unterscheidung ihr Recht nirgends besser als in den keineswegs seltenen Fallen, wo das, was urspriinglich Ausschreitung einer kompakten Masse war, in Folge einer revolutionaren Situation vielleicht schon nach dem Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 371 XIII Es hangt mit der Technik des Films genau wie mit der des Sports zusammen, daft jeder den Leistungen, die sie ausstellen, als halber Fachmann beiwohnt. Man braucht nur einmal eine Gruppe von Zeitungsjungen, auf ihre Fahrrader gestlitzt, die Ergebnisse eines Radrennens diskutieren gehort zu haben, um diesem Zusammen- hang auf die Spur zu kommen. Fur den Film beweist die Wochen- schau klipp und klar, daft jeder einzelne in die Lage kommen kann, gefilmt zu werden. Aber mit dieser Moglichkeit ist es nicht getan. Jeder heutige Mensch hat einen Anspruch, gefilmt zu werden. Die- sen Anspruch verdeutlicht am besten ein Blick auf die geschichtli- che Situation des heutigen Schrifttums. Jahrhundertelang lagen im Schrifttum die Dinge so, daft einer gerin- gen Zahl von Schreibenden eine vieltausendfache Zahl von Lesen- den gegeniiber stand. Darin trat gegen Ende des vorigen Jahrhun- derts ein Wandel ein. Mit der wachsenden Ausdehnung der Presse, die immer neue politische, religiose, wissenschaftliche, berufliche, lokale Organe der Leserschaft zur Verfugung stellte, gerieten im- mer groftere Teile der Leserschaft - zunachst fallweise - unter die Schreibenden. Es begann damit, daft die Tagespresse ihnen ihren »Briefkasten« eroffnete, und es liegt heute so, daft es kaum einen im Arbeitsprozefi stehenden Europaer gibt, der nicht grundsatzlich ir-, gendwo Gelegenheit zur Publication einer Arbeitserfahrung, einer Beschwerde, einer Reportage oder dergleichen finden konnte. Da- mit ist die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Be- griff, ihren grundsatzlichen Charakter zu verlieren. Sie wird eine Ablaufe von Sekunden zur revolutionaren Aktion einer Klasse geworden ist. Das Eigentumliche solcher wahrhaft historischen Vorgange besteht darin, dafi die Reaktion einer kompakten Masse in ihr selbst eine Erschiitterung hervorruft, welche sie auflockert und ihr erlaubt, ihrer selbst als einer Vereinigung klassenbewuliter Kaders innezuwerden. Was ein solcher konkreter Vorgang in gedrangtester Frist enthalt, ist nichts anderes, als was in der Sprache der kommunistischen Taktiker »die Gewinnung des Kleinburgertums« heifit. An der Klarstellung dieses Vorgangs sind diese Taktiker selbst noch in anderem Sinn interessiert. Denn unzweifelhaft hat ein zweideutiger Begriff der Masse, der unverbindliche Hinweis auf ihre Stimmung wie er in der revolutionaren Presse Deutschlands iiblich gewesen ist, Illusionen befordert, die dem deutschen Proletariat zum Verhangnis geworden sind. Dagegen hat sich der Faschismus diese Gesetze - mag er sie durch- schaut haben oder nicht - ausgezeichnet zunutze gemacht. Er weiiJ: je kompakter die Massen sind, die er auf die Beine bringt, desto mehr Chance, daiJ die konterrevolutionaren Instinkte des Kleinburgertums ihre Reaktionen bestimmen. Das Proletariat seinerseits aber bereitet eine Ge- sellschaft vor, in der weder die objektiven noch die subjektiven Bedingungen zur Formicrung von Massen mehr vorhanden sein werden. 37 2 Nachtrage funktionelle, von Fall zu Fall so oder anders verlaufende. Der Le- sende ist jederzeit bereit, ein Schreibender zu werden. Als Sachver- standiger, der er wohl oder iibel in einem aufierst spezialisierten ArbeitsprozeK werden mufke - sei es auch nur als Sachverstandiger einer geringen Verrichtung -, gewinnt er einen Zugang zur Autor- schaft. Die Arbeit selbst kommt zu Wort. Und ihre Darstellung im Wort macht einen Teil des Konnens, das zu ihrer Ausiibung erfor- derlich ist. Die literarische Befugnis wird nicht mehr in der speziali- sierten, sondern in der polytechnischen Ausbildung begriindet, und so Gemeingut. Alles das lafit sich ohne weiteres auf den Film iibertragen, wo Ver- schiebungen, die im Schrifttum Jahrhunderte in Anspruch genom- men haben, sich im Laufe eines Jahrzehnts vollzogen. Denn in der Praxis des Films - vor allem des russischen - ist diese Verschiebung stellenweise bereits verwirklicht worden. Ein Teil der im russischen Film begegnenden Darsteller sind nicht Darsteller in unserem Sinn, sondern Leute, die sich - und zwar in erster Linie in ihrem Arbeits- prozefi - darstellen. In Westeuropa verbietet die kapitalistische Ausbeutung des Films dem legitimen Anspruch, den der heutige Mensch auf sein Reproduziertwerden hat, die Beriicksichtigung. Im iibrigen verbietet auch die Arbeitslosigkeit sie, welche grofie Massen von der Produktion ausschliefk, in deren Arbeitsgang sie in erster Linie ihren Anspruch auf das Reproduziertwerden hatten. Unter diesen Umstanden hat die Filmindustrie alles Interesse, die Anteilnahme der Massen durch illusionare Vorstellungen und durch zweideutige Spekulationen zu stacheln. Zu diesem Zweck hat sie einen gewaltigen publizistischen Apparat in Bewegung gesetzt: sie hat die Karriere und das Liebesleben der Stars in ihren Dienst gestellt, sie hat Plebiszite veranstaltet, sie hat Schonheitskonkur- renzen einberufen. Alles das, um das urspriingliche und berechtigte Interesse der Massen am Film - ein Interesse der Selbst- und somit auch der Klassenerkenntnis - auf korruptivem Weg zu verfalschen. Es gilt daher vom Filmkapital im besonderen, was vom Faschismus im allgemeinen gilt: daft ein unabweisbares Bediirfnis nach neuen sozialen Verfassungen insgeheim im Interesse einer besitzenden Minderheit ausgebeutet wird. Die Enteignung des Filmkapitals ist schon darum eine dringende Forderung des Proletariats. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 373 XIV Eine Film- und besonders eine Tonfilmaufnahme bietet einen An- biick wie er vorher nie und nirgends denkbar gewesen ist. Sie stellt einen Vorgang dar, dem kein einziger Standpunkt mehr zuzuord- nen ist, von dem aus die zu dem Spielvorgang als solchem nicht zugehorige Aufnahmeapparatur, die Beleuchtungsmaschinerie, der Assistentenstab u.s.w. nicht in das Blickfeld des Beschauers fiele. (Es sei denn, die Einstellung seiner Pupille stimme mit der des Auf- nahmeapparats iiberein.) Dieser Umstand, er mehr als jeder andere, macht die etwa bestehenden Ahnlichkeiten zwischen einer Szene im Filmatelier und auf der Biihne zu oberflachlichen und belanglosen. Das Theater kennt prinzipiell die Stelle, von der aus das Geschehen nicht ohne weiteres als illusionar zu durchschauen ist. Der Aufnah- meszene im Film gegeniiber gibt es diese Stelle nicht. Dessen illusio- nare Natur ist eine Natur zweiten Grades; sie ist ein Ergebnis des Schnitts. Das heifk: Im Filmatelier ist die Apparatur derart tief in die Wirklichkeit eingedrungen, daft deren reiner y vom Fremdkorper der Apparatur freier Aspekt das Ergebnis einer besonderen Proze- dur y ndmlich der Aufnahme durch den eigens eingestellten photo- graph ischen Apparat und ihrer Montierung mit anderen Aufnah- men von dergleichen Art ist. Der apparatfreie Aspekt der Realitat ist hier zu ihrem kunstlichsten geworden und der Anblick der unmit- telbaren Wirklichkeit zur blauen Blume im Land der Technik. Der gleiche Sachverhalt, der sich so gegen den des Theaters abhebt, lafit sich noch aufschlufireicher mit dem konfrontieren, der in der Malerei vorliegt. Hier haben wir die Frage zu stellen: wie verhalt sich der Operateur zum Maler? Zu ihrer Beantwortung sei eine Hilfskonstruktion gestattet, die sich auf den Begriff des Operateurs stiitzt, welcher von der Chirurgie her gelaufig ist. Der Chirurg stellt den einen Pol einer Ordnung dar, an deren anderm der Magier steht. Die Haltung des Magiers, der einen Kranken durch Auflegen der Hand heilt, ist verschieden von der des Chirurgen, der einen Eingriff in den Kranken vornimmt. Der Magier erhalt die naturliche Distanz zwischen sich und dem Behandelten aufrecht; genauer ge- sagt: er vermindert sie - kraft seiner aufgelegten Hand - nur wenig und steigert sie - kraft seiner Autoritat - sehr. Der Chirurg verfahrt umgekehrt; er vermindert die Distanz zu dem Behandelten sehr- indem er in dessen Inneres dringt -, und er vermehrt sie nur wenig - 374 Nachtrage durch die Behutsamkeit, mit der seine Hand sich unter den Orga- nen bewegt. Mit einem Wort: zum Unterschied vom Magier (der auch noch im praktischen Arzt steckt) verzichtet der Chirurg im entscheidenden Augenblick darauf, seinem Kranken von Mensch zu Mensch sich gegeniiber zu stellen; er dringt vielmehr operativ in ihn ein. - Magier und Chirurg verhalten sich wie Maler und Ka- meramann. Der Maler beobachtet in seiner Arbeit eine natiirliche Distanz zum Gegebenen, der Kameramann dagegen dringt tief ins Gewebe der Gegebenheit ein. Die Bilder, die beide davontragen, sind ungeheuer verschieden. Das des Malers ist ein totales, das des Kameramanns ein vielfaltig zerstiickeltes, dessen Teile sich nach einem neuen Gesetz zusammenfinden. So ist die filmische Darstel- lung der Realitdt fur den heutigen Menschen darum die unver- gleichlich bedeutungsvollere, weil sie den apparatfreien Aspekt der Wirklicbkeit, den er vom Kunstwerk zu fordern berechtigt ist, ge- rade aufGrund ihrer intensivsten Durchdringung mit der Appara- tur gewdhrt. XV Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verdndert das Verhdltnis der Masse zur Kunst. Aus dem ruckstdndigsten, z. B. ei- nem Picasso gegeniiber, schlagt es in dasfortschrittlichste, z. B. ange- sichts eines Chaplin, urn. Dabei ist das fortschrittliche Verhalten da- durch gekennzeichnet, dafi die Lust am Schauen und am Erleben in ihm eine unmittelbare und innige Verbindung mit der Haltung des fachmannischen Beurteilers eingeht. Solche Verbindung ist ein wichtiges gesellschaftliches Indizium. Je mehr namlich die gesell- schaftliche Bedeutung einer Kunst sich vermindert, desto mehr fal- len - wie das deutlich angesichts der Malerei sich erweist - die kriti- sche und die geniefiende Haltung im Publikum auseinander. Das Konventionelle wird kritiklos genossen, das wirklich Neue kriti- siert man mit Widerwillen. Nicht so im Kino. Und zwar ist der entscheidende Umstand dabei: nirgends mehr als im Kino erweisen sich die Reaktionen des Einzelnen, deren Summe die massive Reak- tion des Publikums ausmacht, von vornherein durch ihre unmittel- bar bevorstehende Massierung bedingt. Und indem sie sich kund- geben, kontrollieren sie sich. Auch weiterhin bleibt der Vergleich mit der Malerei dienlich. Das Gemalde hatte stets ausgezeichneten Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 375 Anspruch auf die Betrachtung durch Einen oder durch Wenige. Die simultane Betrachtung von Gemalden durch ein grofies Publikum, wie sie im neunzehnten Jahrhundert aufkommt, ist ein friihes Sym- ptom der Krise der Malerei, die keineswegs durch die Photographie allein sondern relativ unabhangig von dieser durch den Anspruch des Kunstwerks auf die Masse ausgelost wurde. Es liegt eben so, dafi die Malerei nicht imstande ist, den Gegenstand einer simultanen Kollektivrezeption darzubieten, wie es von jeher fur die Architektur, wie es einst fur das Epos zutraf, wie es heute fur den Film zutrifft. Und sowenig aus diesem Umstand von Hause aus Schliisse auf die gesellschaftliche Rolle der Malerei zu ziehen sind, so fallt er doch in dem Augenblick als eine schwere Beeintrachti- gung ins Gewicht, wo die Malerei durch besondere Umstande und gewissermafien wider ihre Natur mit den Massen unmittelbar kon- frontiert wird. In den Kirchen und Klostern des Mittelalters und an den Furstenhofen bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts fand die Kollektivrezeption von Gemalden nicht simultan sondern vielfach gestuft und hierarchisch vermittelt statt. Wenn das anders geworden ist, so kommt darin der besondere Konflikt zum Aus- druck, in welchen die Malerei durch die technische Reproduzier- barkeit des Bildes verstrickt worden ist. Aber ob man auch unter- nahm, sie in Galerien und in Salons vor die Massen zu fiihren, so gab es doch keinen Weg, auf welchem die Massen in solcher Rezep- tion sich selbst hatten organisieren und kontrollieren kdnnen. So mufi eben dasselbe Publikum, das vor einem Groteskfilm fort- schrittlich reagiert, vor dem Surrealismus zu einem riickstandigen werden. XVI Unter den gesellschaftlichen Funktionen des Films ist die wichtigste, das Gleichgewicht zwischen dem Menschen und der Apparatur her- zustellen. Diese Aufgabe lost der Film durchaus nicht nur auf die Art, wie der Mensch sich der Aufnahmeapparatur, sondern wie er mit deren Hilfe die Umwelt sich darstellt. Indem der Film durch Grofiaufnahmen aus ihrem Inventar, durch Betonung versteckter Details an den uns gelaufigen Requisiten, durch Erforschung bana- ler Milieus unter der genialen Fuhrung des Objektivs auf der einen Seite die Einsicht in die Zwangslaufigkeiten vermehrt, von denen }j6 Nachtrage unser Dasein regiert wird, kommt er auf der anderen Seite dazu, eines ungeheuren und ungeahnten Spielraums uns zu versichern. Unsere Kneipen und Groftstadtstrafien, unsere Biiros und moblier- ten Zimmer, unsere Bahnhofe und Fabriken schienen uns hoff- nungslos einzuschliefien. Da kam der Film und hat diese Kerker- welt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daft wir nun zwischen ihren weitverstreuten Tnimmern gelassen abenteuer- liche Reisen unternehmen. Unter der Grofiaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung. Und so wenig es bei der Vergroflerung sich um eine blofie Verdeutlichung dessen handelt, was man »ohnehin« undeutlich sieht, sondern vielmehr vollig neue Stmkturbildungen der Materie zum Vorschein kommen, sowenig bringt die Zeitlupe nur bekannte Bewegungsmotive zum Vor- schein, sondern sie entdeckt in diesen bekannten ganz unbekannte, »die gar nicht als Verlangsamungen schneller Bewegungen sondern als eigentiimlich gleitende, schwebende, iiberirdische wirken.« 13 So wird handgreiflich, dafi es eine andere Natur ist, die zu der Kamera, als die zum Auge spricht. Anders vor allem so, daft an die Stelle eines vom Menschen mit Bewufttsein durchwirkten Raums ein un- bewuftt durchwirkter tritt. Ist es schon iiblich, daft einer vom Gang der Leute, sei es auch nur im groben, sich Rechenschaft ablegt, so weift er bestimmt nichts von ihrer Haltung im Sekundenbruchteil des Ausschreitens. Ist uns schon im groben der Griff gelaufig, den wir nach dem Feuerzeug oder dem Loffel tun, so wissen wir doch kaum von dem, was sich zwischen Hand und Metall dabei eigent- lich abspielt, geschweige wie das mit den verschiedenen Verfassun- gen schwankt, in denen wir uns befinden. Hier greift die Kamera mit ihren Hilfsmitteln, ihrem Stiirzen und Steigen, ihrem Unterbre- chen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raffen des Ablaufs, ihrem Vergroftern und ihrem Verkleinern ein. Vom Optisch-Unbewuft- ten erfahren wir erst durch sie, wie von dem Triebhaft-Unbewuft- ten durch die Psychoanalyse. Im iibrigen bestehen zwischen beiden Arten des Unbewuftten die engsten Zusammenhange. Denn die mannigfachen Aspekte, die die Aufnahmeapparatur der Wirklichkeit abgewinnen kann, liegen zum groften Teil nur aufterhalb eines normalen Spektrums der Sin- neswahrnehmungen. Viele der Deformationen und Stereotypies der Verwandlungen und Katastrophen, die die Welt der Optik in 13 Rudolf Arnheim: I.e., p. 138. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 377 den Filmen betreffen konnen, betreffen sie in der Tat in Psychosen, in Halluzinationen, in Traumen. Und so sind jene Verfahrungswei- sen der Kamera ebensoviele Prozeduren, dank deren sich die Kol- lektivwahrnehmung die individuellen Wahrnehmungsweisen des Psychotikers oder des Traumenden zu eigen zu machen vermag. In die alte heraklitische Wahrheit - die Wachenden haben ihre Welt gemeinsam, die Schlafenden jeder eine fur sich - hat der Film eine Bresche geschlagen. Und zwar viel weniger mit Darstellungen der Traumwelt als mit der Schopfung von Figuren des Kollektivtraums wie der erdumkreisenden Micky-Maus. Wenn man sich davon Rechenschaft gibt, welche gefahrlichen Span- nungen die Technisierung mit ihren Folgen in den grofien Massen erzeugt hat - Spannungen, die in kritiscben Stadien einen psychoti- schen Charakter annehmen - so wird man zu der Erkenntnis kom- men, daft diese selbe Technisierung gegen solche Massenpsychosen sich die Moglichkeit psychischer Impfung durch gewisse Filme ge- schaffen hat, in denen eine forcierte Entwicklung sadistischer Phan- tasien oder masochistischer Wahnvorstellungen deren natiirliches und gefahrliches Reifen in den Massen verhindern kann. Den vorzeitigen und heilsamen Ausbruch derartiger Massenpsychosen stellt das kollektive Gelachter dar. Die gewaltigen Mengen gro- tesken Geschehens, die im Film konsumiert werden, sind ein drastisches Anzeichen der Gefahren, die der Menschheit aus den Verdrangungen drohen, die die Zivilisation mit sich bringt. Die amerikanischen Groteskfilme und die Filme Disneys bewirken eine therapeutische Sprengung des Unbewufken. 14 Ihr Vorganger ist der Excentrik gewesen. In den neuen Spielraumen, die durch den Film 14 Eine allseitige Analyse dieser Filme diirfte freilich ihren Gegensinn nicht verschweigen. Sie hatte vom Gegensinn jener Tatbestande auszugehen, die sowohi komisch wie grauenhaft wirken. Komik und Grauen liegen, wie es die Reaktionen von Kindern zeigen, eng beieinander. Und warum sollte angesichts von bestimmten Tatbestanden die Frage verboten sein, welche Reaktion in einem gegebenen Fall die menschlichere ist? Einige der neuesten Micky-Maus-Filme stelien einen Tatbestand dar, der diese Frage berechtigt erscheinen lafit. [Ihr dusterer Feuerzauber, fur den der Farbenfilm die technischen Voraussetzungen geschaffen hat, unterstreicht einen Zug, der sich bisher nur versteckt geltend machte und zeigt, wie bequem der Faschismus auch auf diesem Gebiet sich »revolutionare« Neuerungen aneignet.] Was im Licht neuster Disneyscher Filme zu Tage tritt, ist in der Tat in manchen alteren schon angelegt: die Neigung, Bestialitat und Gewaittat als Begleiterscheinung des Daseins gemiitlich in Kauf zu nehmen. Damit wird eine alte und nichts weniger als vertrauenerweckende Tradition aufgenommen; sie wird von den tanzen- den Hooligans angefuhrt, die wir auf mittelalterlichen Pogrombildern finden, und das »Lum- pengesindel« des Grimmschen Marchens bildet ihre undeutliche, fahle Nachhut. 378 Nachtrage entstanden, war er als erster zu Hause: ihr Trockenwohner. In die- sem Zusammenhang hat Chaplin als historische Figur seinen Platz. XVII Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, fiir deren voile Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen 1st. 15 Die Geschichte jeder Kunst- form hat kritische Zeiten, in denen diese Form auf Effekte hin- drangt, die sich zwanglos erst bei einem veranderten technischen Standard, d. h. in einer neuen Kunstform ergeben konnen. Die der- art, zumal in den sogenannten Verfallszeiten, sich ergebenden Ex- travaganzen und Kruditaten der Kunst gehen in Wirklichkeit aus ihrem reichsten historischen Kraftezentrum hervor. An solchen Barbarismen hat noch zuletzt der Dadaismus seine Freude gehabt, Sein Impuls wird erst jetzt erkennbar: Der Dadaismus versuchte, die Effekte, die das Publikum heute im Film sucht, mit den Mitteln der Malerei (bzw. der Literatur) zu erzeugen. 15 »Das Kunstwerk*, sagt Andre Breton, »hat Wert nur insofern als es von Reflexen der Zu- kunft durchzittert wird.« In der Tat steht jede ausgebildete Kunstform im Schnittpunkt dreier Entwicklungslinien. Es arbeitet namlich einmal die Technik auf eine bestimmte Kunstform hin. Ehe der Film auftrat, gab es Photobuchlein, deren Bilder, durch einen Daumendruck schnell am Beschauer voriiberflitzend, einen Boxkampf oder ein Tennismatch vorfuhrten; es gab die Auto- maten in den Bazaren, deren Bilderablauf durch eine Drehung der Kurbel in Bewegung gehalten wurde. Es arbeiten zweitens die uberkommenen Kunstformen in gewissen Stadien ihrer Ent- wicklung angestrengt auf Effekte hin, welche spater zwanglos von der neuen Kunstform erzielt werden. Ehe der Film zur Geltung kam, suchten die Dadaisten durch ihre Veranstaltungen eine Bewegung ins Publikum zu bringen, die ein Chaplin dann auf natiirlichere Weise zuwcge brachte. Es arbeiten drittens, oft unscheinbare, gesellschaftliche Veranderungen auf eine Veran- derung der Rezeption hin, die erst der neuen Kunstform zugute kommt. Ehe der Film sein Publikum zu bilden begonnen hatte, wurden im Kaiserpanorama Bilder (die bereits aufgehbrt hatten, unbeweglich zu sein) von einem versammelten Publikum rezipiert. Dieses Publikum befand sich vor einem Paravant, in dem Stereoskope angebracht waren, deren auf jeden Teilneh- mer eines kam. Vor diesen Stereoskopen erschienen automatisch einzelne Bilder, die kurz ver- harrten und dann anderen Platz machten. Mit ahnlichen Mitteln mufite noch Edison arbeiten, als er den ersten Filmstreifen - ehe man eine Filmleinwand und das Verfahren der Projektion kannte - einem kleinen Publikum vorfuhrte, das in den Apparat hineinstarrte, in welchem die Bilder- folge sich abrollte. - Obrigens kommt in der Einrichtung des Kaiserpanoramas besonders klar eine Dialektik der Entwicklung zum Ausdruck. Kurz ehe der Film die Bildbetrachtung zu einer kollektiven macht, kommt vor den Stereoskopen dteser schnell veralteten Etablissements die Bildbetrachtung durch einen Einzelnen noch einmal mit derseiben Scharfe zur Geltung wie einst in der Betrachtung des Gotterbtlds durch den Priester in der cella. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 379 Jede von Grund auf neue, bahnbrechende Erzeugung von Nach- frage wird iiber ihr Ziel hinausschieflen. Der Dadaismus tut das in dem Grade, dafi er die Marktwerte, die dem Film in so hohem Mafle eignen, zugunsten bedeutsamerer Intentionen - die ihm selbstver- standlich in der hier beschriebenen Gestalt nicht bewufk sind - op- fert. Auf die merkantile Verwertbarkeit ihrer Kunstwerke legten die Dadaisten viel weniger Gewicht als auf ihre Un verwertbarkeit als Gegenstande kontemplativer Versenkung. Diese Un verwert- barkeit suchten sie nicht zum wenigsten durch eine grundsatzliche Entwiirdigung ihres Materials zu erreichen. Ihre Gedichte sind »Wortsalat«, sie enthalten obszone Wendungen und alien nur vor- stellbaren Abfall der Sprache. Entsprechend ihre Gemalde, denen sie Knopf e oder Fahrscheine aufmontierten. Was sie mit solchen Mitteln erreichen, ist eine riicksichtslose Vernichtung der Aura ih- rer Hervorbringungen, denen sie mit den Mitteln der Produktion das Brandmal einer Reproduktion aufdriicken. Es ist unmoglich, vor einem Bild von Arp oder einem Gedicht August Stramms sich wie vor einem Bild Derains oder einem Gedicht von Rilke Zeit zur Sammlung und Stellungnahme zu lassen. Der Versenkung, die in der Entartung des Burgertums eine Schule asozialen Verhaltens wurde, tritt die Ablenkung als eine Spielart sozialen Verhaltens gegeniiber. In der Tat gewahrleisteten die dadaistischen Kundge- bungen eine recht vehemente Ablenkung, indem sie das Kunst- werk zum Mittelpunkt eines Skandals machten. Es hatte vor al- lem einer Forderung Geniige zu leisten: offentliches Argernis zu erregen. Aus einem lockenden Augenschein oder einem uberredenden Klanggebilde wurde das Kunstwerk bei den Dadaisten zu einem Geschofl. Es stieft dem Betrachter zu. Es gewann eine taktische Qualitat. Damit hat es die Nachfrage nach dem Film begiinstigt, dessen ablenkendes Element ebenfalls in erster Linie ein taktisches ist, namlich auf dem Wechsel der Schauplatze und Einstellungen beruht, welche stofiweise auf den Beschauer eindringen. 16 Der Film \6 Man vergieiche die Leinwand, auf der der Film abrollt, mit der Leinwand, auf der sich das Gemalde befindet. Das Bild auf der einen verandert sich, das Bild auf der andern nicht. Das letztere ladt den Betrachter zur Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsab- lauf uberlassen. Vor der Filmaufnahme kann er das nicht. Kaum hat er sie ins Auge gefafit, so hat sie sich schon verandert. Sie kann nicht fixiert werden. Der Assoziationsablauf dessen, der sie betrachtet, wird sofort durch ihre Veranderung unterbrochen. Darauf beruht die Schockwir- kung des Films, die wie jede Schockwirkung durch gesteigerte Geistesgegenwart aufgefangen 380 Nachtrage hat die physische Schockwirkung, welcbe der Dadaismus gleichsam in der moralischen noch verpackt hielt, aus dieser Emballage be- freit. XVIII Die Masse ist eine matrix, aus der gegenwartig alles gewohnte Ver- halten Kunstwerken gegeniiber neugeboren hervorgeht. Die Quan- titat ist in Qualitat umgeschlagen: Die sehrvielgrofieren Massen der Anteilnehmenden baben eine verdnderte Art des Anteils bervorge- bracht. Es darf den Betrachter nicht irre machen, dafi diese zunachst in verrufener Gestalt in Erscheinung tritt. Man klagt ihm, dafi die Massen im Kunstwerk Zerstreuung suchten, wahrend doch der Kunstfreund sich diesem mit Sammlung nahe. Fur die Massen sei das Kunstwerk ein Anlafi der Unterhaltung, fur den Kunstfreund sei es ein Gegenstand seiner Andacht. - Hier heifit es, naher zuse- hen. Zerstreuung und Sammlung stehen in einem Gegensatz, der folgende Formulierung erlaubt: Der vor dem Kunstwerk sich Sam- melnde versenkt sich darein; er geht in dieses Werk ein, wie die Legende es von einem chinesischen Maler beim Anblick seines voll- endeten Bildes erzahlt. Dagegen versenkt die zerstreute Masse ih- rerseits das Kunstwerk in sich; sie umspielt es mit ihrem Wellen- schlag, sie umfangt es in ihrer Flut. So am sinnfalligsten die Bauten. Die Architektur bot von jeher den Prototyp eines Kunstwerks, des- sen Rezeption in der Zerstreuung und durch das Kollektivum er- folgt. Die Gesetze ihrer Rezeption smd die lehrreichsten. Bauten begleiten die Menschheit seit ihrer Urgeschichte. Viele Kunstformen sind entstanden und sind vergangen. Die Tragodie entsteht mit den Griechen, um mit ihnen zu verloschen und nach Jahrhunderten wieder aufzuleben. Das Epos, dessen Ursprung in der Jugend der Volker liegt, erliseht in Europa mit dem Ausgang der Renaissance. Die Tafelmalerei ist eine Schopfung des Mittelalters, und nichts gewahrleistet ihr eine ununterbrochene Dauer. Das Be- diirfnis des Menschen nach Unterkunft aber ist bestandig. Die Bau- kunst hat niemals brach gelegen. Ihre Geschichte ist langer als die jeder anderen Kunst und ihre Wirkung sich zu vergegenwartigen sein will. Der Film 1st die der betonten Lebensgefabr, in der die Heutigen leben, entsprechende Kunstform. Er entspricht tlefgreifenden Verandcrungen des Apperzeptionsapparats - Verande- rungen wie sie im Mafistab der Privatexistenz jeder Passant im Grofistadtverkehr, wie sie im weltgeschichtlichen Mafistab jeder Kampfer gegen die heutige Gesellschaftsordnung erlebt. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 381 von Bedeutung fur jeden Versuch, vom Verhaltnis der Massen zum Kunstwerk sich Rechenschaft abzulegen. Bauten werden auf dop- pelte Art rezipiert: durch Gebrauch und durch Wahrnehmung. Oder besser gesagt: taktisch und optisch. Es gibt von solcher Re- zeption keinen Begriff, wenn man sie sich nach Art der gesammel- ten vorstellt, wie sie z. B. Reisenden vor beruhmten Bauten gelaufig ist. Es besteht namlich auf der taktischen Seite keinerlei Gegenstiick zu dem, was auf der optischen die Kontemplation ist. Die taktische Rezepdon erfolgt nicht sowohl auf dem Wege der Aufmerksamkeit als auf dem der Gewohnheit. Der Architektur gegeniiber bestimmt diese letztere weitgehend sogar die optische Rezeption. Auch sie findet von Hause aus viel weniger in einem gespannten Aufmerken als in einem beilaufigen Bemerken statt. Diese an der Architektur gebildete Rezeption hat aber unter gewissen Umstanden kanoni- schen Wert. Denn: Die Aufgaben, welche in geschichtlichen Wen- dezeiten dem menschlichen Wahrnehmungsapparat gestellt werden, sind auf dem Wege der bloflen Optik, also der Kontemplation, gar nicht zu losen. Sie werden allmahlich nach Anleitung der taktischen Rezeption, durch Gewohnung, bewaltigt. Gewohnen kann sich auch der Zerstreute. Mehr: gewisse Aufgaben in der Zerstreuung bewaltigen zu konnen, erweist erst, daft sie zu losen einem zur Gewohnheit geworden ist. Durch die Zerstreuung, wie die Kunst sie zu bieten hat, wird unter der Hand kontrolliert, wieweit neue Aufgaben der Apperzeption losbar geworden sind. Da im iibrigen fur den Einzelnen die Versuchung besteht, sich sol- chen Aufgaben zu entziehen, so wird die Kunst deren schwerste und wichtigste da angreifen, wo sie Massen mobilisieren kann. Sie tut es gegenwartig im Film. Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit wachsendem Nachdruck auf alien Ge bieten der Kunst bemerkbar macht und das Symptom von tiefgreifenden Verande- rungen der Apperzeption ist, hat am Film ihr eigentliches bungs- instrument. In seiner Schockwirkung kommt der Film dieser Re- zeptionsform entgegen. So erweist er sich auch von hier aus als der derzeitig wichtigste Gegenstand jener Lehre von der Wahrneh- mung, die bei den Griechen Asthetik hiefL 382 Nachtrage XIX Die zunehmende Proletarisierung der heutigen Menschen und die zunehmende Formierung von Massen sind zwei Seiten eines und desselben Geschehens. Der Faschismus versucht, die neu entstan- denen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigen- tumsverhaltnisse, auf deren Beseitigung sie hindrangen, anzuta- sten. Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen. 17 Die Massen haben ein Recht auf Veranderung der Eigentumsverhaltnisse; der Faschismus sucht ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben. Der Faschismus lauft folgerecht auf eine Asthetisierung des politischen Lebens hinaus. Mit D'Annunzio hat die Dekadence in die Politik ihren Einzug gehalten, mit Marinetti der Futurismus und mit Hitler die Schwabinger Tradition. Alle Bemuhungen um die Asthetisierung der Politik gipfeln in Ei~ nem Punkt. Diesereine Punkt ist der Krieg, Der Krieg, und nur der Krieg, macht es moglich, Massenbewegungen groflten Mafistabs unter Wahrung der uberkommenen Eigentumsverhaltnisse ein Ziel zu geben. So formuliert sich der Tatbestand von der Politik her. Von der Technik her formuliert er sich folgendermafien: Nur der Krieg macht es moglich, die samtlichen technischen Mittel der Ge- genwart unter Wahrung der Eigentumsverhaltnisse zu mobilisie- ren. Es ist selbstverstandlich, dafi die Apotheose des Krieges durch den Faschismus sich nicht dieser Argumente bedient. Trotzdem ist ein Blick auf sie lehrreich. In Marinettis Manifest zum athiopischen Kolonialkrieg heiflt es: »Seit siebenundzwanzig Jahren erheben wir Futuristen uns dagegen, dafi der Krieg als antiasthetisch bezeichnet 17 Hierist, besonders mit Rucksicht auf die Wochenschau, deren propagandistische Bedeutung kaum iiberschatzt werden kann, ein technischer Umstand von Wichtigkeit. Der massenweisen Reproduktion kommt die Reproduktion von Massen besonders entgegen. In den grofien Festauf- ziigen, den Monstreversammlungen, in den Massenveranstaltungen sportlicher Art und im Krieg, die heute samtlich der Aufnahmeapparatur zugefuhrt werden, sieht die Masse sich selbst ins Gesicht. Dieser Vorgang, dessen Tragweite keiner Betonung bedarf, hangt aufs engste mit der Entwicklung der Reproductions- bzw. Aufnahmetechnik zusammen. Massenbewegungen stel- len sich im allgemeinen der Apparatur deutlicher dar als dem Blick. Kaders von Hunderttausen- den lassen sich von der Vogelperspektive aus am besten erfassen. Und wenn diese Perspektive dem menschlichen Auge ebensowohl zuganglich ist wie der Apparatur, so ist doch an dem Bilde, das das Auge davontragt, die Vergrofterung nicht moglich, welcher die Aufnahme unterzogen wird. Das heifit, dafi Massenbewegungen, und an ihrer Spitze der Krieg, eine der Apparatur besonders entgegenkommende Form des menschlichen Verhaltens darstellen. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit 383 wird . . . Demgemafi stellen wir fest: . . . Der Krieg ist schon, weil er dank der Gasmasken, der schreckenerregenden Megaphone, der Flammenwerfer und der kleinen Tanks die Herrschaft des Men- schen iiber die unterjochte Maschine begriindet. Der Krieg ist schon, weil er die ertraumte Metallisierung des menschlichen Kor- pers inauguriert. Der Krieg ist schon, weil er eine bliihende Wiese um die feurigen Orchideen der Mitrailleusen bereichert. Der Krieg ist schon, weil er das Gewehrfeuer, die Kanonaden, die Feuerpau- sen, die Parfums und Verwesungsgeriiche zu einer Symphonie ver- einigt. Der Krieg ist schon, weil er neue Architekturen, wie die der grofien Tanks, der geometrischen Fliegergeschwader, der Rauch- spiralen aus brennenden Dorfern und vieles andere schafft . . . Dichter und Kiinstler des Futurismus . . . erinnert Euch dieser Grundsatze einer Asthetik des Krieges, damit Euer Ringen um eine neue Poesie und eine neue Plastik . . . von ihnen erleuchtet werde!« 18 Dieses Manifest hat den Vorzug der Deutlichkeit. Seine Fragestel- lung verdient von dem Dialektiker ubernommen zu werden. Ihm stellt sich die Asthetik des heutigen Krieges folgendermaften dar: Wird die natiirliche Verwertung der Produktivkrafte durch die Eigentumsordnung hintangehalten, so drangt die Steigerung der technischen Behelfe, der Tempi, der Kraftquellen nach einer unna- tiirlichen. Sie findet sie im Kriege, der mit seinen Zerstorungen den Beweis dafiir antritt, daft die Gesellschaft nicht reif genug war, sich die Technik zu ihrem Organ zu machen, daft die Technik nicht aus- gebildet genug war, die gesellschaftlichen Elementarkrafte zu be- waltigen. Der imperialistische Krieg ist in seinen grauenhaftesten Ziigen bestimmt durch die Diskrepanz zwischen den gewaltigen Produktionsmitteln und ihrer unzulanglichen Verwertung im Pro- duktionsprozefi (mit anderen Worten, durch die Arbeitslosigkeit und den Mangel an Absatzmitteln). Der imperialistische Krieg ist ein Auf stand der Technik , die am » MenschenmateriaU die AnsprU- che eintreibty denen die Gesellschaft ihr naturliches Material entzo- gen hat. An Stelle von Kraftwerken setzt sie die Menschenkraft, in Gestalt von Armeen, ins Land. An Stelle des Luftverkehrs setzt sie den Verkehr von Geschossen, und im Gaskriege hat sie ein Mittel, die Aura auf neue Art abzuschaffen. »Fiat ars - pereat mundus« sagt der Faschismus und erwartet die 18 cit. La Stampa Torino. 384 Nachtrage kiinstlerische Befriedigung der von der Technik veranderten Sin- neswahrnehmung, wie Marinetti bekennt, vom Kriege. Das ist of- fenbar die Vollendung des Tart pour Part. Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt fiir die olympischen Gotter war, ist es nun fur sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als asthetischen Ge- nufi ersten Ranges erleben lafit. So steht es nm die Asthetisierung der Politik, welcbe der Fascbismus betreibt. Der Kommunismus ant- wortet ihm mil der Politisierung der Kunst. 350-384 Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Zweite Fassung) Das vor einigen Jahren unter den Materialien des Max-Horkheimer-Ar- chivs in der Frankfurter Stadt- und Universitatsbibliothek aufgefundene Typoskript Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzier- barkeit erwies sich als die bei der Etablierung der beiden Fassungen der Arbeit 1974(5. Bd. 1,431-469 und 471-508) schmerzlich vermifite Version, die die erste definitive, aus der stellenweise betrachtlich modifizierten handschriftlichen Fassung erwachsene Typos k rip tfassung von Ende 1935/ Anfang Februar 1936 darstellt. Sie ist die Arbeit in der Version, in der Benjamin sie zuerst verdffentlicht sehen wollte, und die bei der Umschmel- zung in ihre franzosische Fassung auf die Version reduziert wurde, in der sie zu seinen Lebzeiten erschien (s. a.a.O., 709-739). Die zugrundelie- gende Erste Fassung erfuhr, neben zahlreichen Textanderungen, wesentli- che Erweiterungen; so wurden aus den 7 (dort textintegral stehenden) Noten der Handschrift, zusammen mit 4 Textpassagen, 18 Noten und teil- weise extensive Anmerkungen, von denen zwar ein Gro/keil auch in die franzosische Fassung und in die - dann noch einmal auf insgesamt 3 3 Noten erweiterte - Dritte (in Bd. 1 noch »Zweite« zubenannte) Fassung eingin- gen, einige wichtige jedoch - kunst- und mimesistheoretische sowie mas- sen- und revolutionstheoretische von grofttem Belang - bei und seit der Redaktion fur die - franzosische - Veroffentlichung ausfielen. Um ihrer und der ersten durchgreifenden Bearbeitung des Aufsatzes: seines Urtextes (s. Bd. 1, cit. 991) willen, wie Benjamin die Arbeit Februar 1936 nannte, war er in extenso zu publizieren, was in diesem Nachtragsband erstmals erfolgt. Brieflich mehrfach bezeugt, gait er den Herausgebern des Bandes 1 als un- auffindbar oderverloren (s. a.a.O., 985). Gelegentlich der Erstpublikation der Arbeit in der »Zeitschrift fur Sozialforschung« (s. a.a.O., 987-1000 und 1006- 1020) hatte Benjamin »zwischen Ende 1935 und Ende Januar 1936 Typoskripte von der ersten definitiven Fassung [. . .] herstellen lassen, wovon eines Horkheimer ubergeben worden war« (a.a.O., 985). »Unaus- gemachu mufite 1974 »bleiben, ob sie Abschriften von der im Dezember 1935 abgeschlossenen« ersten (handschriftlichen; s. a.a.O., 431-469 und 1051-1053) Fassung waren; die »nicht unbetrachtlichen Abweichungen, die [das Manuskript] gegeniiber der publizierten franzosischen Fassung aufweist«, legten damals »den Schlufl nahe, dafi zwischen dem Manuskript der ersten Fassung und dem Druck der franzosischen Fassung eine - wei- tere, differente - Typoskriptfassung existierte, die, die aus ersten Bespre- chungen mit Horkheimer resultierte, und die der - diese Fassung noch weiter modifizierenden - Arbeit an der franzosischen Fassung zugrundege- 662 Anmerkungen zu Seite 350-384 legt wurde.« (a.a.O., 985) Der Schluft ist durch den Fund des - von den Herausgebern »Zweite Fassung« zubenannten* - Typoskripts vollauf be- statigt, und zwar hinsichtlich beider in der seinerzeitigen Uberlegung er- schlossenerTyposkripte: 1. desjenigen, von dem Benjamin am 7. 2. 1936 an Adorno schrieb, dafi er es Max [Horkheimer] mit [gab], und das die neue Arbeit reprasentierte, ah sie - zum ersten Mai, sozusagen - fertig wurde (cit. a.a.O., 986); und 2. desjenigen, das das Ergebnis unserer Gespracbe, scil. Benjamins mit Horkheimer in Paris, war und aus Umformulierungen des Textes und eincr Anzahl von [hinzugefugten] Anmerkungen (cit. a.a.O., 986f.) hervorging: als die Arbeit, wie sie sozusagen zum zweiten- mal fertig wurde. Beide Typoskripte sind in der Gestalt des aufgefundenen - eines Mischtyposkripts - tatsachlich vorhanden: die Umformulierungen und die Anmerkungen finden sich auf 13 neugeschriebenen Seiten, die ge- gen 6 des 54-seitigen Typoskripts ausgetauscht wurden. Um die Gesamtpa- ginierung 54 zu erhalten, hatte Benjamin 7 der neugeschriebenen 1 3 Seiten, je nach Raumbedarf vor allem fur die neuen Anmerkungen, als V und b- Seiten gekennzeichnet; entstanden war so ein neues, durch die Einschiibe auf insgesamt 61 Blatter angewachsenes Typoskript. Diesem lagen die »ausgewechselten« 6 alten Seiten am Schlufi bei; der von fremder Hand gemachte Vermerk auf der ersten (s. unten Lesart zu 357,121.) beweist, dafl die Auswechslung der Seiten, also die technische Zusammensetzung des neuen Typoskripts, von einem der Redaktoren sei's im New Yorker Insti- tut, sei's schon in dessen Pariser Biiro vorgenommen worden war. Auf- grund der erhaltenen 6 Seiten lafk sich das Typoskript in der ersten Gestalt muhelos rekonstruieren (s. Lesarten und Anhang zu den Lesarten, 684-687 und 687-689). Da£ das neu zusammengesetzte Typoskript tatsachlich die erste definitive Fassung der Arbeit - ihr Urtext (s.o.) - ist, die dann als Vorlage fur die - stark modifizierte franzosische - Erstpublikation** diente, dafiir gibt es weitere sichere Indizien. So nahm Benjamin, anlafllich der Auseinanderset- zungen um die Streichungen und Modifikationen bei der Herstellung der franzosischen Fassung, in seinem Brief vom 29. 2. 1936 an Horkheimer auf einen Passus des j. Kapitels der Arbeit Bezug (cit. Bd. 1, 991), der gleich- lautend mit dem in Abschnitt V, S. 12 und 13 des aufgefundenen Typo- skripts ist (s. 356,16-20). Ferner beweisen die Bezugnahmen Adornos auf * Die in Bd. 1 der Gesammelten Schriften »Zweite Fassung* genannte und zwischen Fruhjahr 1936 und 1939 entstandene Version ist jetzt sinngemaft als »Dritte Fassung* zu lesen. "'* Deren Typoskriptfassung ist - bis auf einige Fragmente, z. B. 3 maschinenschriftliche Einfii- gungen; s.u., 670 - unauffindbar oder verloren. Aus Briefzeugnissen geht hervor, daft sie 20 Abschnitte umfafite (s. Bd. 1, 1000 und 998 f). Die nichtredigierte Zweite Fassung enthalt, wie die Erste, aber nur 19 - etnschliefSlich des bei der Redaktion gestrichenen ersten. Daft die redi- gierte - franzosische - auch 19 Abschnitte, aber ohne den ersten zahlt, erklart sich daraus, dafi bei der Redaktion aus Abschnitt VI der Zweiten Fassung die beiden Abschnitte V und VI der franzo- sischen wurden (s. a.a.O., 715-717 und u. 681). Anmerkungen zu Seite 350-384 663 die »aufierordentliche Arbeit« in seinem Brief an Benjamin vom 18. 3. 1936, dafi ihm diese in der Gestalt der ersten definitiven Fassung vorgelegen haben muE; so die auf die »Zweite Technik« und auf »Spiel und Schein als [die] Elemente der Kunst« (cit. Bd. 1, a.a.O., iooi, 1002), also Passagen auf den neugeschriebenen Seiten 77, ija und lyb des Typoskripts (s. 359 und 360), und namentlich auf die »Satze liber die Desintegration des Prole- tariats als >Masse< durch die Revolution* (cit. Bd. 1, 1006) auf den neuge- schriebenen Seiten 32 und 32a (s. 37of.); Satze, von denen Adorno schrieb, dafi sie »zu dem tiefsten und machtigsten an politischer Theorie zahlen, das mir begegnet ist, seit ich Staat und Revolution [von Lenin] las.« (cit. Bd. 1, a.a.O.) Diese Satze faflte Benjamin in Gestalt einer der Anmerkungen zum ersten Typoskript. Die Herausgeber des Bandes 1, in Unkenntnis iiber das spater aufgefundene Typoskript, bezogen die Briefstellen, an denen von der Ab- fassung dieser Anmerkungen die Rede ist (sie sind um Ende Januar/Anfang Februar 1936 entstanden; s. a.a.O., 986, 987), auf die »Textnoten« der franzosischen Fassung (s. a.a.O., 986). Tatsachlich aber handelte es sich um die insgesamt 1 5 Anmerkungen und Texteinschiibe samt einigen Va- rianten Ms 978-992 (s. die Paralipomena, 667 f.), um die das Typoskript vermehrt wurde, und auf denen die jeweilige Seite und Einschubstelle ge- nau vermerkt sind. Zu diesen Vermerken fehlte der Bezugstext, in den sie sich jetzt liickenlos einfiigen. Die Herausgeber reservierten damals die Ma- nuskriptblatter in der Absicht, diejenigen von ihnen, auf denen die bedeu- tenden kunst- und revolutionstheoretischen Reflexionen formuliert sind (s. Textteil, Fufinote 3), 357^, 4), 360, 10), 368 f., 12), 3701., 14), 377 sowie die Varianten u., Paralipomena, 66ji.) t unter die Fragmente »Zur Asthetik« und »Politik« des Bandes 6 aufzunehmen, ein Vorhaben, das sich dann durch den Fund des Bezugstyposkripts und dessen Reservierung fiir den Nachtragsband der »Gesammelten Schriften« erledigt hatte. - Die durch den Fund modifizierte Uberlieferungslage macht folgende weitere Kor- rekturen im Apparat des Bandes 1 (s. dort, 982-1063) notig: Auf. S. 1026, Z. 16 ist »verloren« durch >neuerdings aufgefunden< zu ersetzen. - Der Passus des Horkhei- mer-Briefs von Ende 1936, wonach »ein deutscher Text [der »Reproduktionsarbeit« im New Yorker Institut] nicht mehr vorliegt, was fiir unser hiesiges Biiro auch zu- trifft* (cit. a. a. O., 1029), wird, obwohl dieser Text unter den Materialien des Hork- heimer-Archivs sich fand, so zu interpretieren sein, daft er nach seiner Durcharbei- tung im »hiesigen Biiro* ins Pariser Biiro zuruckgeschickt und irgendwann spater, zusammen mit den dort befindlichen Institutsmaterialien, dem New Yorker Fundus wieder inkorporiert wurde. - Die Parenthese S. 1034, Z. 5 f. v. u. ist folgendermafien zu erganzen: »womit der [Text] der franzosischen«, >aber auch die ihm vorherge- hende erste definitive* »Fassung gemeint sein diirfte*, >die Adorno kommentiert hatte und die seine Frau bei dieser Gelegenheit gleichfalls kennengelernt haben 664 Anmerkungen zu Seite 350-384 wird.< - Der drittletzte Satz auf S. 1035 mufi lauten: »Von diesem Manuskript wur- den« >jene es modifizierenden< »Typoskripte angefertigt, von denen Benjamin spate- stens urn die Jahreswende 1935/1936 eines Horkheimer vorlegte«, >das dann um 13 Seiten erweitcrt wurde<, »und ein weiteres Bernhard Reich nach Moskau sandte«; >erstercs ist erhalten, letzteres< »verloren.« - Der Passus, der mit dem letzten Satz auf S. 1035 bcginnt und mit dem ersten auf S. 1036 endet, ist so zu modifizieren: Der »Ubersetzungsarbeit« lag »ein weiteres, neugefafites« Typoskript (scil. das im Horkheimcr-Archiv aufgefundene) »zugrunde«. Aus ihm »resultierte« eine vielfach modifizierte »franzosische« Fassung, deren Typoskript »verloren« scheint. »Rekon- struierbar davon ist lediglich [. . .]« (s. auch 0., 662, 1. Fufin.)- - Der Anfang des zweiten Abschnitts auf S. 1036 ist wie folgt abzuandern : »Zu dieser« >Fassung - scil. der in Bd. 1 »Zweite«, jetzt »Dritte« zubenannten -< »wie zu der >Ersten Fassung<« >und zu der neuen »Zweiten«< »gibt es eine Anzah) von Aufzeichnungen, die bei der Bearbeitung« >ailerdrei< »Fassungen von Benjamin unberucksichtigt« >geblieben zu sein scliienen; tatsachlich blieben es nicht alle: die Blatter Ms 971 und Ms 978-995 sind iiberwiegend in die neue Zweite Fassung eingearbeitet. Ferner fanden sich Auf- zeichnungen in der Pariser Bibliotheque Nationale (s. R. Tiedemann, Epilegomena zur Benjamin-Ausgabe, in: Dialektik im Stillstand. Versuche zum Spatwerk Walter Benjamins, Frankfurt a. M. 1983, 1 5 5), und zwar iiberwiegend, wenn nicht vollstan- dig, zur Dritten Fassung der Arbeit; sie werden als Nachtrage zu den Paralipomena des Bandes 1 (s, dort, 1039-105 1) unten< »abgedruckt« (s. 670-680). -In dem Kom- mentar zu dem Paralipomenon Anmerkungen., S. 1044, mufi es heiflen: »d'ie Seiten- zahlen beziehen sich [. . .] auf das« >wiedergefundene< »Typoskript«. - Die Paralipo- mena auf den Seiten i05of., 5 ausgeschnittene Typoskriptstreifen, sind nach den im Benjamin-Archiv neusiglierten Druckvorlagen als »Ts 2799 - 2803* zu kennzeich- nen. - Der letzte Satz auf S. 1052 ist folgendermafien abzuandern: ^[Dieses erste geschlossene Zeugnis, scil. die Manuskriptfassung des Kunstwerkaufsatzes] ist des- halb unschatzbar, weil es die Arbeit in der urspriinglich intendierten«, >wenn auch noch nicht definitiven< »Gestalt reprasentierte«. >Diese erlangte es, uber eine erste Typos kriptf ass ung - scil. die Zweite Fassung ohne deren 13 neugeschriebene Sei- ten-, in einer zweiten - scil. der mit diesen 13 Seiten -< »vor der Umschmelzung in ihre franzosische Fassung, in jene also, die [. . .] die einzig verbreitete war.* - In der Parenthese S. 1052 unten und der Z. 3 S. 1053 oben (sowie an alien weiteren entspre- chenden Stellen des Apparates) ist »Zweite« in »Dritte Fassung« zu korrigieren. - Zur durchgangigen Ersetzung des Benjaminschen taktisch durch »taktil« in den bei- den 1974 edierten deutschen Fassungen der Arbeit, das er selber schon nicht konse- quent durchhielt (s. Bd. 1, 106 1, Lesart zu 504,37 und 1053, Lesart zu 433,19) und das auch der Redaktor der - neuen - Zweiten Fassung monierte (s.u., Lesart zu 381,4), ist korrigierend nachzutragen, daft »taktisch« fiir »taktil« nicht falsch, son- dern u. a. im Sprachgebrauch kunstwissenschaftlicher Abhandlungen zumindest im osterreichischen Sprachraum durchaus gelaufig war. - Auf ein wichtiges, neuerlich erschlossenes Selbstzeugnis zum Kunstwerkaufsatz sei zum Schlufi hingewiesen. Heifk es in Bd. 1 von einem anderen Dokument zur Entstehungsgeschichte der Ar- Anmerkungen zu Seite 350-384 665 beit aus der frtihesten Zeit: »Hier [scil. im Brief Benjamins vom 27. 12. 1935 an Werner Kraft] findet der methodische Zusammenhang, in den Benjamin die« der Gegenwart gewidmete »Reproduktionsarbeit mit dem« der Vergangenheit gewid- meten »Passagenwerk damals geriickt wissen wollte, sich dcutlich markiert« (Bd. 1, 9841.) - so gibt iiber das Fundament dieses Zusammenhangs in der Sache, namlich der geschichtlichen Erkenntnis, in der Gewesencs und Gegenwart einander die Waage halten (Bd. 6, 814), ein erst vor wenigen Jahren entdeckter Brief Benjamins vom 24. 11. 1935 die »aufschlufireichste« (a.a.O., 813) Auskunft. Der Brief findet sich in extenso auf S. 814 in Bd. 6. - Die nachstehend abgedruckten Paralipomena finden sich in zwei Konvolu- ten: (a) der Anzahl von Anmerkungen und Texteinschiiben (samt Vorstu- fen oder Varianten und Notizen) zur - neuen - Zweiten Fassung (— Ms 971, 978-995), die Benjamin urn Ende Januar/Anfang Februar 1936 nieder- schrieb (s. Bd. 1, 986, 987) - dieses Konvolut befindet sich im Frankfurter Benjamin-Archiv; und (b) einer Anzahl von Exzerpten, Aufzeichnungen und Notizen uberwiegend Zum »Kunstwerk im Zeitalter«, scil. der Arbeit in ihrer Dritten Fassung, ferner zur Rezension » Encyclopedic Eranqai$e«, vol. 16 et 1 j (s. Bd. 3, 579-585) nebst einigen Briefentwiirfen bzw. -frag- menten und 3 Typoskripteinschiiben zur franzosischen Fassung (= Enve- loppe 3, Blatt [1] - [29]) - dieses Konvolut befindet sich im Departement des manuscrits der Bibliotheque Nationale, Paris, wo es 198 1 aufgefunden wurde (s. R. Tiedemann, Epilegomena zur Benjamin-Ausgabe, a.a.O., 155), und liegt den Herausgebern in Form eines Mikrofilms vor. (a) Das erste Konvolut setzt sich aus den folgenden, erforderlichenfalls als Paralipomena abgedruckten Blattern zusammen (der Abdruck eriibrigte sich bei den Blattern, die in das Typoskript der Zweiten Fassung eingingen; die meist geringfugigen Abweichungen werden als Lesarten verzeichnet; s.u., 687-689): Ms 971 enthalt 4 Aufzeichnungen, von denen die erste eine Variante von Ms 981, der Fufinote 4) in der Zweiten Fassung - i.f. abgek. »ZwF« - (s. Textteil, 360; s. auch Bd. 1, 1048), die zweite Vorform eines Passus von Ms 985,derFufinote /o y )inZwF(s. 368 f.), diedritteund vierte Vorformen von Ms 981 (s.o.) sind: {Im Ubrigen bricht in den Revolutionen noch ein anderer utopiscber Wille durch. Denn es gibt neben der Utopie der zweiten eine Utopie der ersten Natur. Jene liegt der Realisierung ndher als diese. Je wetter die Entwicklung der Menscbheit ausgreift, desto offenkundiger werden die die erste Natur (und zumal den menscblichen Leib) betreffenden Utopien zugunsten der die Gesellscbaft und die Tecbnik angehenden zuriicktreten. Daft dieser Rucktritt ein provisoriscber ist y vcrsteht sich dabei von selber.} Die Pro- bleme der zweiten Natur, die gesellscbaftlichen und tecbniscben, miissen 666 Anmerkungen zu Seite 350-384 ibrer Lbsung sehr nahe sein, ebe die der ersten - Liebe und Tod - ibre Um- risse abnen lassen. (Freilicb wollten das einige gerade unter den weitestblik- kenden Geistern der burgerlichen Revolution nicbt wahrbaben. Sade und Fourier fassen die unmittelbare Verwirklicbung des menschlichen Freuden- lebens insAuge. Demgegenuber sieht man in Rufiland diese Seite der Utopie zuriicktreten. Dafiir verbindet die Planung des Kollektivdaseins sicb mit einer technischen Planung in umfassendem planetarischen Majlstab [)]. (Nicbt zufdllig gehoren Streifziige in die Arktis und in die Stratospbare zu den ersten Grofitaten der befriedeten Sowjetunion.) Gewahrt man in die- sem Zusammenbang der Parole »Blut und Boden« ein Ohr, so stebt mit einem Scblag derFaschismus da, wie er be id en Utopien den Weg zu verle- gen sucbt. »Blut« - das gebt wider die Utopie der ersten Natur, die seine Medizin alien Mikroben zum Tummelplatz geben will. »Boden« -das gebt wider die Utopie der zweiten Natur, deren Realisierung ein Vorrecbt desje- nigen Typus von Mensch sein soil, der in die Stratospbare aufsteigt, um Bomben von dort herabzuwerfen. {Dieser [der Ursprung der antiken Kunstanschauung] liegt in der Mimesis als dem Urphdnomen aller kiinstleriscben Betdtigung. Der Nacbahmende macbt eine Sacbe scheinbar. (Und zwar kennt das alteste Nacbabmen zu- nachst nur einen einzigen Stoff, in dem es bildet; das ist der Leib des Nacb- ahmenden selber. [)] Sprache und Tanz (Lippen- und Korpergestus) sind die ersten Manifestationen der Mimesis. Der Nacbabmende macbt eine Sacbe scheinbar. Man kann auch sagen, erspielt die Sacbe: Und damit hat man die Polaritat beruhrt, die im Grunde der Mimesis ruht. } {Es ist das Ziel der Revolutionen, dies zu beschleunigen. Der durch die Liquidation der ersten Technik befreite Leib) {Revolutionen sind Innervationen des Kollektivs, Versuche zur Beherr- schung jener zweiten Natur, in der die Bewaltigung der gesellschaftlichen Elementarkrafte als Voraussetzung einer hbhern technischen Bewalti- gung der naturlichen unerldjJlich geworden ist. Wie nun ein Kind, wenn es greifen lernt, die Hand so gut nacb dem Mond ausstreckt wie nacb einem Ball, sofafitjede Revolution neb en greifbaren auch Ziele ins Auge, die vor- erst utopisch sind. Es bricht aber in den Revolutionen ein doppelter uto- pischer Wille durch. Denn es ist ja nicht nur die zweite Natur, deren das Kollektiv sicb als seiner ersten in der Technik bemdchtigt, die ihre revolution n'dren Forderungen stellt. Auch der ersten Natur, der organiscben und an erster Stelle dem leiblichen Organismus des Einzelmenschen ist noch langst nicht das Ihre geworden. Deren Forderungen werden freilicb im Entwick- lungsprozejl der Menschheit zunacbst an die Stelle zu treten haben, an der die Probleme der zweiten Natur . . . } Druckvorlage: Benjamin- Archiv, Ms 971 Anmerkungen zu Seite 350-384 667 Ms 978 wurde Fuflnotej) in ZwF (s. 3 5 7 f . ; Einschubstelle mit Anschlufi- wort s. Lesart zu 3 5 7, 1 2 f . ; Abweichungen s. Anhang zu den Lesarten, 687-689). - Ms <)j<) wurde 7m-Einschub in ZwF (s. 3 59,3-7 f.; s. Lesart dazu, 684; s. Anhang, a. a. O.). - Ms 980 wurde 7ex£-Einschub in ZwF (s. 359,11 - 360,6; s. Lesart dazu, 684; s. Anhang, a.a.O.). - Ms 981 wurde Fufinote 4) in ZwF (s. 360; s. Lesart zu 360,6; s. Anhang, a.a.O.); die Varianten s.o., Ms 971, 665! - Ms 982 wurde [Text-]Einschub in ZwF (s. 366,22-31; s. Lesart dazu, 685; s. Anhang, a.a.O.). -Ms 983 wurde Text- Einschub in ZwF (s. 367,13-368,3 und 368, 6f.; s. Lesart dazu, 685; s. An- hang, a.a.O.). - Ms 984 wurde die - erweiterte - Fuftnote 9) in ZwF (s. 367; s. Lesart zu 367,9; s. Anhang, a.a.O.). Nach dem Vermerk der Ein- schubstelle folgt erst der zweite Teil der Anmerkung (Wenn bis sein, 367,28-43), deren erster Teil auf der Riickseite des Blattes steht {Gewisse bis 6f/66, }6j, 20-28); die Umkehrung der Textfolge ist durch Markie- rung kenntlich gemacht. - Ms 985 und 987, signiert / und //, wurden Fufinote jo) in ZwF (s. 368 f.; s. Lesart zu 368,16; s. Anhang, a.a.O.); zur Vorform eines Passus von Ms 985 s.o., Ms 971, 666. - Ms ^%6 (mit am Kopf vermerkter Einschubstelle pjo und kbnne.) ist eine unberucksich- tigte Variante - eher wohl Vorform - von Ms 985; dazu s. auch Bd. 1, 1047: Die Bedeutung des schonen Scheins fur die uberlieferte Asthetik ist in dem seinem Ende sich zuneigenden Zeitalter der Wahmehmung tief begrundet. Die dementsprechende Lehre hat ihre letzte Fassung im deutschen Idealis- mus erfabren. Aber sie tragt scbon epigonale Ziige. Seine beruhmte Formel y dafi Schonheit Schein sei - sinnliche Erscheinung einer Idee oder sinnliche Erscheinung des Wabren - bat die antike nicht nur vergrobert sondern ihren Erfahrungsgrund preisgegeben. Dieser liegt in der Aura. » We der die Hulle noch der verhUllte Gegenstand ist das Schone, sondern dies ist der Gegen- stand in seiner Hulle« [s. Bd. 1, 195] - das ist die Quintessenz der antiken Asthetik. Durch seine Hulle, die nichts anderes als die Aura ist y scheint das Schone. Wo es aufhort zu scheinen, da bort es auf, scbbn zu sein. Das ist die authentische Form jener alten Lehre, deren Ableger vor unsern Augen [ca. 6-7 Worter unkenntlich gestrichen]. Das darf den Betrachter nicht abhal- ten[J seinen Blick auf deren Ursprung zuriickzuLenken, ware es nur auch um daselbst jenem polaren Begriff zu begegnen, der bisher von dem des Scheins beeintrachtigt wurde, nun aber in helles Licht zu treten berufen ist. Dieses ist der Begriff des Spiels. Schein und Spiel bilden eine asthetische Polaritat. Bekanntlich hat Schiller in seiner Asthetik dem Spiel einen ent- scheidenden Platz gegeben, wahrend Goethes Asthetik durch ein leiden- schaftliches Interesse am Schein bestimmt ist. In der Definition der Kunst mufi diese Polaritat Platz finden. Die Kunst, so durfte sie form uliert wer- den, ist ein Verbesserungsvorschlag an die Natur: ein Nachahmen, dessen 668 Anmerkungen zu Seite 350-384 verborgenes Innere ein Vormachen ist. Kunst ist, mit andern Worten, voll- endende Mimesis. In der Mimesis schlummern eng ineinandergefaltet wie Keimbldtter beide Seiten der Kunst: Scbein und Spiel. Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 986 Ms 988 ist eine Variante von Ms 9891., der Fuftnote 12) in ZwF (s.u.), und vermerkt die Einschubstelle (pj2 [. . .] sucht.) am Kopf: So zweideutig die Inter essen sind, die von Le Bon und under en mit ibrer »Psycbologie der Masse« gefordert wurden, so kann, wie die vorstebenden Uberlegungen zeigen, das dialektiscbe Denken docb keinesfalls aufden Be- griff der Masse verzicbten und ibn durcb den der Klasse vertreten lassen. Es wurde sicb damit eines der Instrumente zur Darstellung des Werdens von Klassen und der Vorgdnge in ihnen berauben. Die Formierung von Massen gebt keineswegs allein im Scbofte von Klassen vor sicb. Mit mebr Recht konnte man sagen, die Formierung von Klassen erfolge im Scbofie von Mas- sen. Nun ist dieser Satz in seiner abstrakten Form freilicb leer; und er wird auch nicbt inbaltsreicher, wenn man beliebige Massen - etwa die Einwob- nerschaft einer Stadt oder die Masse der Farbenblinden - in diese Formel einsetzt. In gewissen Fallen ist aber die Formierung von Klassen im Scbofi einer Masse ein konkreter undinbaltlich sebr wichtiger Vorgang. Eine sol- cbe Masse stellt unter Umstanden der Kinobesucber dar. Von Hause aus ist sie ibrer Klassenstruktur nacb nicbt f est bestimmt, also politiscb nicbt ohne weiteres mobilisierbar. Das scblieftt aber nicbt aus, daft durcb bestimmte Film[e] eine gewisse politiscb e Mobilbereitscbaft in ibr gesteigert oder ge- mindert wird. Und zwar geschiebt das oft nacbhaltiger als durcb eigentliche Propagandafilme durcb Darbietungen, in denen das Klassenbewufttsein, wie es den verscbiedenen Publikumsscbichten zukommt, unter der Hand gefordert bezw. gescbddigt wird. Es ist im wesentlicben diese Seite des Films, auf die die fortgeschrittene Kritik sicb bisher bescbrankt bat. So baben z. B. in Deutscbland Kracauer, in Frankreicb Moussignac die Aufmerksamkeit auf die Schadigung des proletariscben Klassenbewufttseins durcb die biir- gerlicbe Filmproduktion gelenkt. Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 988 Ms 989, 990, signiert / und //, wurden Fuftnote 12) in ZwF (s. 37of.; s. Lesart zu 370,15; s. Anhang, a.a.O.); die Variante Ms 988 s.o. - Ms 991 wurde Fufinote 14) in ZwF (s. 377; s. Lesart zu 377,26; s. Anhang, a.a.O.). - Ms 992 wurde Fuflnote 1$) in ZwF (s. 378; s. Lesart zu 378,7; s. Anhang, a.a.O.). - Ms 993 ist eine Vorform des Abschnitts (19), Erste Fassung (s. Bd. 1, 467-469) und des Abschnitts XIX, ZwF (s. 382-384): Weit unmittelbarer als man geneigt sein konnte, es anzunebmen, greifen die Signaturen des Zeitalters, denen diese Betracbtung am Kunstwerk nacb- Anmerkungen zu Seite 350-384 669 geht, in die Politik ein. Zunachst liegt bereits auf der Hand, daft die tiefgrei- fenden Veranderungen in beiden Bereicben - dem astbetischen wie dem politiscben - mit jener groften Bewegung der Massen verbunden sind, in deren Verlauf diese mit einem vordem ungekannten Nachdruck und mit einer vordem ungekannten direkt-indirekt[en] Bewufttheit den Vorder- grund der gescbicbtlicben Bubne einnebmen. Dasfindet seinen drastischen Ausdruck in zweien der wicbtigsten Wendungen des Zeitalters, deren ge- meinsame und unverstellte Erscheinungsform der Faschismus ist. Es bandelt sicb um den Niedergang der Demokratie. und urn die Vorbereitung des Krieges. Man konnte nun, diese Bebauptung, deren Beweis folgen wird, als zutreffend unterstellend [,] die Frage erbeben: wie kann im Bereiche der Kunst eine heilsame Funktion von Krdften erwartet werden, die im Bereicb der Politik zum Faschismus fubren^ Darauf bat man zu antworten: Die Kunst ist nicbt nur, wie die Psycboanalyse gezeigt bat, jenes besondere Be- reicb, in dem Konflikte des Einzeldaseins einer Erledigung zugefuhrt wer- den konnen, sondern sie bat die gleiche Funktion auf vielleicht nocb intensi- vere Art im gesellschaftlicben Mafistab. Es besagt daber die verheerende Kraft [,] die den in ihr befriedeten Tendenzen einwohnt, gegen die Kunst ebensowenig wie gegen sie der Wahnsinn besagt, in den die individuellen Konflikte, die der Scbopfer in ihr befriedet bat, ibn im Leben zu sturzen vermocbt batten. Auf die Astbetisierung des politiscben Lebens [,] die der Faschismus herauffiibrt, antwortet der Kommunismus mit der Politisierung der Kunst. {Es ist das Eigentumliche des Faschismus, diesen Massenbewegungen den unmittelbarsten Ausdruck zu geben. Und dieser unmittelbarste Ausdruck ist der Krieg. In Deutschland hat die Scbwabinger Tradition in die Politik ihren Einzug gebalten. In Italien hat sicb der Futurismus seiner revolutionaren Elemente entauftert, um, im Geist des rabiaten Spiefters Marinetti, die Astbetisierung der Politik zu proklamieren. } Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 993 Ms 994 verzeichnet folgende bibliographischen Angaben: Erich Hirscbfeld: Schauspieler und Film Diss Lpz 192J Bela Baldsz: Der sichtbare Mensch Berlin-Wien 1924 Guido Bagier: Der kommende Film Stuttgart 1928 Lfdszlo] Moholy-Nagy: Malerei, Photographie, Film [Baubausbuch 8] Munchen 192} Rudolf Harms: Philosophic des Films Lpz 1926 Jahrbuch der Filmindustrie 1926/2J Berlin 1928 [Bibliographic des Films] Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 994 670 Anmerkungen zu Seite 350-384 Ms 995 ist eine Liste mit bibliographischen Hinweisen und Motiven: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techniscben Reproduzierbarkeit {Qu'est-ce que c'est que la dialectique NRF Septembre/Octobre Kleine Gescbichte der Pbotograpbie [s. Bd. 2, 368-385] Kontroverse uber den russischen Film [s. a.a.O., 751-755 und i486 bis 1489]} Gescbichte der Reproduktionstecbnik Zweierlei Volkstumlichkeit [s. Bd. 4, 671-673] Volkstiimlichkeit als Problem [s. Bd. 3, 450-452] Freud: Jenseits des Lustprinzips (Cbock-Tbeorie und Film) Bekranzter Eingang zur Ausstellung [s. Bd. 4, 557-561] Der Surrealismus (antbropologischer Materialismus) Druckvorlage: Benjamin-Archiv, Ms 995 (b) Das zweite Konvolut setzt sich aus folgenden - hier sachlich und, nach Moglichkek, chronologisch in 5 Gruppen geordneten - Blattern zusam- men, die, soweit sie blofle Exzerpte verzeichnen, nur mit den Anf angs- und Schlufiworten der exzerpierten Texte, und, soweit die Exzerpte kommen- tiert sind, in extenso abgedruckt werden. 1. Die Blatter [27] - [29]* sind Typoskript-Einschiibe in die - verlorene - franzosische Fassung, die Benjamin in Kollabo ration mit Pierre Klos- sowski zwischen Januar und April 1936 herstellte (s. Bd. 1, 987-1000, 1006- 1020). [27], mit dem Vermerk Zu p 14, ist die Ubersetzung der Fufi- note 9) in ZwF (s. 367), [28], mit dem Vermerk Zu p /j, die Ubersetzung der Fufinote 11) in ZwF (s. 369) und [29], mit dem Vermerk Anmerkung Seite 6/11/ $ nach exposition, die - gekiirzte - Ubersetzung der Fufinote 3 ) in ZwF (s. 357f.)« Alle drei Anmerkungen sind in den franzosischen Ab- druck nicht aufgenommen worden. 2. Die Blatter [1] und [3] verzeichnen 2 Exzerpte und diverse Notizen wahrscheinlich zur Baudelaire- Arbeit von 1938: Causer ies du Tintamarre [(] 28 mars 1847D] Charles Baudelaire: CEuvres en collaboration [. . . Introduction et notes par]/«/es Mouquet Paris 1952 p 218 Uber die aus Akademikern bestehende Jury einer Ausstellung: » Les Mes- sieurs [. . .] meilleurs artistes. « Aus einer Kritik von [Wilhelm] Pinder: [Die] Kunst der ersten Burgerzeit * Die Zahlung samtlicher Blatter des Konvoluts ([1-29]) wurde von den Herausgebern vorge- nommen. Da sie gezwungen waren, nach Mikrofilmen zu arbeiten, konnen sie jedoch weder die Ubereinstimmung der von ihnen vorgenommenen Blattzahlung mit der Blattfolge im Konvolut, noch in alien Fallen die tatsachliche Anordnung einzelner Aufzeichnungen auf den Blattern ga- rantieren; dies ist bei den folgenden Druckvorlagen-Nachweisen im Auge zu behalten. Anmerkungen zu Seite 350-384 671 [bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts] Leipzig (Seemann) [1937] dutch F G Hartlaub im Literatur blatt der Frankfurter] Z[eitung] 6 M'drz 193 8: »Pin- der zeigt [. . .] schauenden Person. * Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, Paris; Bestand W. Benjamin, Umschlag 3, Blatt [r],[3] 3. Die Blatter [2], [4] - [8] verzeichnen Exzerpte aus der »Encyclopedie Franchise, tome XVI: Arts et litteratures dans la societe contemporaine, I, Paris i935«, davon 2 kommentierte, und 2 (?) Epilegomena zum »Kunst- werk im Zeitalter«. Benjamin konnte sie friihestens im Erscheinungsjahr des Bandes, eventuell vor oder wahrend der Arbeit am Kunstwerkaufsatz angefertigt haben; am wahrscheinlichsten jedoch sind die Ausziige wah- rend der Entstehungszeit der Rezension Encyclopedic Francaise, vol. 16 et J 7 [• - 7( s - Bd. 3> 579-58 5), die mehrere Exzerpte berucksichtigt und spate- stens Marz 1939 abgeschlossen wurde, niedergeschrieben. Ubrigens scheint Benjamin 1934 in Paris um Mitarbeit an der Encyclopedic sich be- miiht zu haben; in einem undatierten Brief an Gretel Adorno ist die Rede von eventueller Mitwirkung an einer groflen Enzyklopadie, die auf Veran- lassung des ehemaligen Unterrichtsministers [xx] untemommen wird und sich im ersten Vorbereitungsstadium befindet. (o.D. [wahrscheinlich Ok- tober 1934], an Gretel Adorno) - Die Zitierweise wurde beim Abdruck nachstehender Exzerpte vereinheitlicht. Maurice Denis [: Les besoins collectifs et la peinture. A.] Les problemes d'aujourd'hui [. La photographie, le cinema]: »Les progres [. ..] de 1870.* »Les hommes [. . ,]sansfin.<« Encyclopedic Francaise XVI \ I [a. a. O.: s. o.] 16' 70-1 {Ozenfant weist auf die anthropologischen Veranderungen hin y die der Malerei abtraglich geworden sind. Da steht an ersterStelle das Leben in den stddtischen Mietwohnungen. Schon 1828 schrieb Stendhal 16' 70-2 [s. Bd. 3,583] - Man verldflt die Mietwohnung eherals das eigene Haus. Die Rei- sen) entfemen nicht aus dem eignen Heim, in dem sie [abgebrochen] [zu Ozenfant s. auch u., Blatt [6]] Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O. Blatt [2] [Pierre Abraham: Ou se rejoignent l'ouvrier et Pusager:] »Que Vartiste [. . .] pouvoir deceler« [Enc. Franc,., a.a.O.] 16' 94-2,3 [s. Bd. 3,584] Jean Bruller: [Le dessin et la gravure.] La gravure: »Ily aurait [. . .] lois esthetiques.« [Enc. Frang., a.a.O.] 16' 28-13 Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [4] Andre Vigneau: Les besoins collectifs et la photographie - Der Artikel ist von besonderer Mittelmajligkeit. II donne dans le panneau de »Vauthenti- cite«. Er ubersieht insbesondere das Problem der Beschriftung (Liter arisie- 672 Anmerkungen zu Seite 350-384 rung) fast voilig. Daftir nimmt er Gemeinpldtze uber die »Pbotograpbie als KunsU auf Eines der von der Pbotographie erschlossenen Objekte durfte von besonderer Bedeutung sein, freilich ist sie nicht leicht zufixieren. Es ist der voilig entspannte Menscb, der f ruber in den meisten Fallen nur von den ihm Ndcbststebenden (im wbrtlichen oder ubertragnen Sinne) beobacbtet werden konnte; mit der Momentpbotograpbie aber Gegenstand einer ange- spannten und beliebig andauernden Aufmerksamkeit der Fernstehenden werden kann. Hiermit durften sick ganz neue Quellen der Affektivitat er- schlieflen, zumal des H asses. » . . . la pbotographie ne $e borne pas a nous transmettre . . . les temoignages apportes autrefois par lapeinture et le dessin. Elle nous ouvre un monde d* elements nouveaux. Avant Vinstantane, rien ne nous permettait de saisir V>instant< d'angoisse sur un visage humain, ni meme V expression familiere . . . Rien ne nous donnait ...la detente, a une seconde donnee, les muscles d'un cbeval au galop. « [Enc. Fran?., a.a.O.] 16' 70-7 Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [jj Amedee Oz enfant: Les besoms collectifs et lapeinture. Lapeinture mu- rale: »Aux grandes epoques [. . J belles en soi.« [Enc. Fran?., a.a.O.] 16' 70-4 »Vceuvre d'art [. . Jdependance du mur.« le 16' 70-5 Eisenbeton (ciment [recte: beton] arme von Hennebique 1890 erfunden): »en 1 900 [. . .] cloisonnement des etages.« le 16' 70-2 Puvis de Cbavannes »(Euvre metriquement f. . J a ['architecture. « I c 16' 70-2 Epilegomena zum »Kunstwerk im Zeitalter« »A Vepoque [. . .] cette conquete.« Emile Vuillermoz: Les besoins collectifs et le cinema [Enc. Fran?., a.a.O.] 16' 78-$ Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [6] »Le seul reprocbe [. . .] des pbotographes.« Leopold Lobel: La technique photograph ique [Enc. Fran?., a.a.O.] 1 6" 30-12 Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [7] Fernand Leger: [Les besoins collectifs et la peinture. C] Lapeinture et la cite - Die kurze Notiz ist durch den Versuch interessant, den Kubismus als Pionier der Affiche darzustellen. »L'industrie et le commerce . . . ont decou- vert au lendemain de la guerre que le ton pur, les bleus, les rouges, les jaunes eclatants seraient pour eux une bonne arme de guerre. . . . Le cubisme, re- sponsable du ton pur (vers 191$) a permis aux industriels de declencher cette offensive murale. Quelques annees apres, dans certains tableaux de la meme ecole, >Vobjet< est apparu. Meme consequence: tout a coup sur ces fondsjaune vif vert emeraude, les objets publicitaires se sont inscrits en gros Anmerkungen zu Seite 350-384 673 plan. . . . a la suite des peintres et des sculpteursactuels, industriels et bouti- quiers ont decouvert que les articles de leur commerce avaient une beaute in- trinseque, en dehors de leur fonctions pratiques ou decoratives« . [Enc. franc,., a.a.O.] 16' 70-6 - Man mufi freilich daneben die Frage aufwerfen, ob der Kubismus nicht insofern eine Reaktionserscheinung war als er das » Objekt* nicht gemafl seiner Entstehung im Arbeitsgang sondern gleichsam als in sich geschlofinen Organismus zusammensetzte oder vielmehr analy- sierte. [s. Bd. 3, 584] Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [8] 4. Die Blatter [9H15], [i8]-[22], [24] und [25] enthalten Exzerpte, Auf- zeichnungen und Notizen Zum Kunstwerk im Zeitalter, fast durchgangig als solche auch uberschrieben. Sie sind - wohl mit Ausnahme der wahr- scheinlich 193 5/1936 beschriebenen Blatter [21] und [22], von denen letzte- res mit seinem extrem pragmatistischen Tenor Benjamins damalige Ab- sicht, Brecht zu uberbieten (s. Bd. 1, 1032), nicht deutlicher bezeugen konnte- in den Jahren 1938-1940 niedergeschrieben; ein Beweis mehr, dafi Benjamin die Kunstwerkarbeit »bis zuletzt als >work in progress < begriff« (s. a.a.O., 1035). Einen sicheren terminus a quo gibt der Brief vom 12. 3. 1938 an Thieme, wonach mich [. . .] Nachtrdge zu meiner Arbeit uber »Das Kunstwerk im Zeitalter [. . .]« beschaftigt [haben] und ich [. . .] eine sehr folgenreiche Begriindung des Begriffs der Aura [dazu s.u., Blatt 20] gefun- den zu haben [glaubej (12. 3. 1938, an Karl Thieme), und einen terminus ad quern das Erscheinungsdatum Januar/Februar 1940 auf dem ersten Blatt. Einige Blatter vermerken Signaturen des Passagenkonvoluts. Zum »Kunstwerk im Zeitalter« Ein Gedankengang aus Carl Schmitt's [Vortrag] * Uber das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen« 1929. »>Die Erfindungen des 1 j. und 16. Jahrhunderts wirkten freiheitlich, individualistisch und rebel- lisch; die Erfindung der Buchdruckerkunst fiihrte zur Preftfreibeit. Heute sind die technischen Erfindungen Mittel einer ungeheuren Massenbeberr- schung; zum Rundfunk gehort das Rundfunkmonopol, zum Film die Film- zensUr. Die Entscheidung uber Freiheit und Knechtschaft liegt nicht in der Technik als Technik. Sie kann . . . der Freiheit und der Unterdruckung die- nen y der Zentralisation und der Dezentralisation. Aus ihren . . . Prinzipien . . . ergibt sich we der eine politische Fragestellung noch eine politische Ant- worts Schmitts Frage ist deshalb; Welcbe Politik ist stark genug, sich der Technik als eines Mittels zu bedienen und ihr einen >endgultigen Sinn< zu geben f Seine Antwort ist: Nur eine solche, die im selben Ausmafi alle Le- bensbereiche politisiert, wie sie durch Wirtschaft und Technik neutralisiert worden sind. « Karl Lowith: Max Weber und seine Nachfolger (Maft und Wert [Jg.] /// [H.] 2 Januar/Februar 1940 p 173) Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [9] 674 Anmerkungen zu Seite 350-384 Zum Kunstwerk im Zeitalter »Chaque style [. . ./ mains interessantes.* Henri Focillon: Vie des formes Paris 1934 p 14/1$ Zum Kunstwerk im Zeitalter Focillon uber die Arcbitektur: »C'est peut-itre [. . .J ne fait rien.« [a. a.O.] P3*h 2 Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a. a.O., Blatt [10] Zum »Kunstwerk« Nietzsche: Unzeitgemafle Betrachtungen Erster Band Zweite Aufla- ge Lpz 1893 p 164 (Vom Nutzen und Nachteil der Historie [7]) »Alles Lebendige braucht [. . .] nicht mehr wundern. « Stendhal uber den Niedergang der Malerei infolge der Verkleinerung der Wohnungen S 6a,2 [s. Bel. 5, 689; s. diesen Band, 671] Valery (cit Encyclopedic Franqaise [a. a. O./ 16*50-13): »La musique et V ar- chitecture nous font penser a tout autre chose qu'elles-memes.« Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a. a.O., Blatt [i i] Vor dem Bild an der tragenden Wand empfindet der Beschauer vor allem die Funktion des Bildes: die Wand zu schmucken. Vor dem auf einem Ver- schlag angebrachten Bild empfindet der Beschauer vor allem die Funktion des Verschlages: das Bild zu tragen. [s. Bd. 3, 583; s. auch o., Blatt [6] und u., Blatt [13]] Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [12] Zum Kunstwerk im Zeitalter Stil Es ware wichtig, der Fr age nachzugehen, seit wann es einen Begriffdes Stils im Sinne des Historizismus gibt. Gewift kannte schon das achtzehnte Jahr- hundert den Stilbegriff: das gotische Mittelalter war ihm eine geldufige Vor- stellung. Die Renaissance hatte eine Vorstellung von dem klassischen Stil der Griechen t Was diese Stilbegriffe von den unsrigen unterscheidet ist ihr aktualer Gehalt. Die Renaissance ging von der Uberzeugung aus, das klas- sische Muster sei fiir sie durchaus giiltig, es konne von den Meistern sehr wohl erreicht werden. Das achtzehnte J ahrhundert weihte der barbarischen Gotik des Mittelalters eine Verachtung, die eine nicht minder unmittelbare und aktuale Auseinandersetzung mit ihrbedingte als die Renaissance sie mit derAntike vornahm. Erst dem neunzehnten ] ahrhundert durfte der Stilbe- griff sterilisiert und in seinem ] ahrhundert wie ein naturwissenschaftliches Prdparat in Spiritus konservierbar erschienen sein. Das wilrde zu der An- nahme berechtigen als Stil in unserm Sinn konnten sich nur Formen darstel- len, die jede Funktion in der Wahrnehmung eingebiifit batten. Anmerkungen zu Seite 350-384 675 Zum Kunstwerk im Zeitalter Krisis der Malerei 1st es richtig, daft die Bedeutung der Tafelmalerei abhdngig von derfunk- tionalen Rolle der Wand ist, so stofit man auf einen sebr dialektischen Tat- be stand. Die Ausstellungen ndmlich, welche zum ersten Mai die Rezeption der Gemalde zur Sacbe der Masse machen, haben zum ersten Mai das Ge- m'dlde an Wanden ausgestellt, die von arcbitektonischen Funktionen gdnz- licb entbunden waren. Indem die Ausstellungen zum Trdger des Tafelbilds den provisorisch erstellten Verscblag erboben, sind sie einer Entwicklung des Wobnraums vorausgeeilt, die die Krisis der Malerei entscheidend ver- schdrfen sollte. Die Ausstellung von Bildern auf der Staff elei, die man im Makartinterieur haufig findet, eilt gleich falls ihrer be utigen Unterbringung an Wdndenvor- aus, deren Funktion verkiimmert ist. Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [13] Zum Kunstwerk im Zeitalter Malerei und Graphik [paginiert:] 1-6 Es ware wichtig, ein Verzeicbnis derjenigen Vorgdnge aufzustellen, die - nicht im Zentrum sondern an der Peripherie sicb zeigend-fur den Nieder- gang der Tafelmalerei Vorzeicben gewesen sind. Es bandelt sicb, mit andern Worten, um Vorgdnge der Ausstellungstecbnik und nicht der Produktions- technik. Der gemeinsame Nenner, auf den diese Vorgdnge sicb bringen lassen, ware: die VerkUmmerung der arcbitektonischen Armatur, auf die die Tafelmale- rei angewiesen ist. Es ware ein Irrtum anzunebmen, solche Angewiesenheit gelte nur dem Fresko. Die funktionale Abbdngigkeit von der Arcbitektur ist dem Fresko wie dem Tafelbild grundsdtzlich gemeinsam. Es bestehen da nur graduelle Unterscbiede. Das Fresko ist aufeine bestimmte Wand ange- wiesen; das Tafelbild nur auf die Wand an sicb. In welcbem Sinne Fresko und Tafelbild zusammengeboren und solidarisch sind, wird durch ihren Vergleich mit der Graphik augenfdllig. Die Graphik ist von der Wand schlechtbin emanzipiert. Fine Folge davon: daft die Vertikale ftir die Gra- phik nicht mehr verbindlich ist. Dadurcb, und dadurch allein y macht sicb die Graphik denn auch vom Hausefrei. Naturlich braucht sie, wenn sie sicb halten soil, so gut ein Scbutzdach wie jedes Tafelbild. Aber wenn sie Ver- zicht tut auf Haltbarkeit, so braucht sie sich um die Vertikale nicht zu kum- mern und bat an einem Sandplatz oder an einem Asphaltbelag [erg. etwa genug.] Der Himmel, den das Tafelbild dem Beschauer darstellt, befindet sicb im- mer in der Richtung, in derer den wirklichen Himmelzu suchen hat, die Graphik ist auf diesen Befund nicht festgelegt. Die Malerei pro j[i]ziert den Raum in die vertikale Flache; die Graphik proj[i]ziert ibn ebensowohlin die 6j6 Anmerkungen zu Seite 350-384 borizontale Fldche. Das konstituiert einen tiefgreifenden Unterscbied. [s. Bd. 2, 602-607] Die Vertikalprojektion des Raumes wendet sich allein an die Einbildungskraft des Beschauers; seine Horizontalprojektion auch an seine motorischen Krafte. Die Graphik bildet die Welt so ab, daft der Mensch sie beschreiten kann. Das Auge ihres Betracbters eilt seinem Fuft voraus. Kein Ubergang undkeine Vermittlungfiihrtvom Tafelbildzu einer Landkarte. In jeder Zeichnung aber steckt virtuell das Prinzip der Merka- torprojektion. Man darf bier an Schemata altester Herkunft erinnern, wie sie Kinder mit Kreide auf den Asphalt zeicbnen - Hblle, Himmel, Erde und ahnli- che. Der Himmel dieser Spiele befindet sich an der Stelle des graphi- scben [.] Die Graphik verleugnet nicht ibre Solidaritat mit diesen Auf- rissen. Die grundsatzliche Differenz zwischen Malerei und Graphik, mit der diese Uberlegungen es zu tun haben, lafit sich unter der Kategorie des Ausstellungswertes nicht erfassen. Was den Ausstellungswert betrifft, gibt es zwischen Fresko, Tafelbild und Graphik nur quantitative Unter- schiede, wo das Maximum, selbstverstandlicb, bei der Graphik liegt. Dagegen lafit sich das durchaus Grundsatzliche der Unterschiedenheit von Graphik und Malerei unterm Begriff des Kultwerts genau bestim- men. Es ist die Frage nacb den Korrespondenzen, die Graphik und Ma- lerei in der Magie besitzen, die hier aufzuwerfen ist, die Frage nach den magischen Urphanomenen, die, in der Graphik einerseits, in der Malerei andererseits etwa beschlossen liegen, Man muft sich an dieser Stelle zweierlei vergegenwartigen [-] daft es darauf ankommt, die sinnlichen Differenzen zwischen Graphik und Malerei in der elementarsten Form zu erfassen; {zweitens} wo sie {sich am) menschlichen Leib darstellen, denn der Leib ist die zentrale Instanz des Magischen. Fur die Graphik liegt die Lbsung der Frage nicht gerade fern. Die Li- nie, die ihre magische Kraft von Hause aus in der Horizontalen hat, ist der Bannkreis. Sie steht, als die nicht-uberscbreitbare in ursprunglichster Beziebung zur Graphik, die ja ein virtuell beschreitbares Feld absteckt. Im Bannkreis erreicht der Kultwert der Linie sein Maximum. Wo liegt der entsprechende Wert fur die Malerei? Es ist klar, daft es sich hier nur um ein Phanomen handeln kann, bei dem die Farbe den Primat vor der Linie hat. Man wird eben darum weiterhin eher an ein Phanomen transitorischer Art denken diirfen, im Gegensatz zum graphischen »Schwarz« auf »Weift«, zu seiner genau umschriebnen Figur. {Wird man ein derartiges Phanomen am Menschen suchen, so bietet sich sehr bedeutungsvoll das Erroten dar [s. Bd. 6, 120 und 69-71]. Im Erroten farbt sich der Mensch vorubergehend; ein »MaU erscheint auf seinem Antlitz und schwindet wieder. Mit einem Wort:} Man hatte in diesem Zusammenhange an Erscheinungen zu denken, wie die laterna magica Anmerkungen zu Seite 350-384 6jj sie bervorruft. Man h'dtte sich zu fragen, ob sich dem Spiel der magiscben Laterne etwa ah magiscb uberlieferte Pbdnomene substituieren lassen. Man hatte an Chamissos »Die Sonne blinkt von der Scbale Rand, Malt zitternde Kringel an die Wand« [Adelbert von Chamisso, Die Sonne bringt es an den Tag, Vers 6f.] zu denken, auch wohl an die Rolle die die Wand in Poes Erzahlung von der schwarzen Katze spielt, zu schweigen von der Wand im Palaste des Nebu- kadnezar, an der die Scbrift ah ein Mai sichtbar ist [s. Daniel, 5.5]. Kurz, es ware der Frage nachzugehen, ob das, was das maleriscbe Phdnomen ah Kultwert vom graphischen grundsdtzlicb unterscbeidet, nicht in einem Phd- nomen liegen diirfte, das man vielleicht ah das » MaU im exaktesten Sinne des Wortes bezeicbnen diirfte: eine far bige Konfiguration die aufder Wand erscheint (aus ibr heraustritt oder aufsie geworfen wird) - eine Konfigura- tion, die magiscb angesehen, transitorisch, prof an angesehen eber transpor- tabel zu nennen ware. Die gegenwdrtige Krise der Malerei wurde, in diese geschicbtsphilosophische Perspektive versetzt also auf Veranderungen bin- auslaufen, die auf eine Verkiimmerung des Mediums der Malerei, des Me- diums, in welchem das Mai zuhause ist, schliefien lassen. Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.C, Blatt [14 f], [i8f.] Zum Kunstwerk im Zeitalter Das unendliche[?] Filmband macht, wie [Siegfried] Kracauer richtig sagt [s. Jean Vigo, in: Nationalzeitung Basel, 1. 2. 1940], die Tragodie unmoglich. (Es bedingt uberhaupt die eigentlich epische Struktur des Films; vgl episches Theater.) Wiertz bat eine Anschauung von Malerei gehabt, die schon ganz vom Film her bestimmt zu sein scheint. vgl. Q 2,1 [s. Bd. 5, 658 f.] Der Kultwert (das Heilige) ist ah eine mit bistorischem Gehalt gesattigte Aura zu definieren. Die Aura war ursprUnglich (solange sie den Kultwert begrundete) mit Gescbichte geladen. [dazu s. o., Malerei und Graphik> 675-677] Zum Kunstwerk im Zeitalter In dem Mafie als die Wiedergabe derRealitdt im Film »treuer« wird, mus- sen diejenigen Formelemente im Film an Bedeutung und Durchschlagskraft zunebmen, die das Bild einer totalen Realitat zertrummern. Kracauer geht von derrichtigen Anscbauung aus, im Film set alles von vorn- herein auf allergenaueste »Naturwiedergabe« abgestellt. Der fruhe Film bringt Gesangsnummern. Das Filmband mit der Soubrette ist koloriert. Bei der Vorfuhrung Iduft eine Grammopbonplatte mit einem Chanson. Dafi die ersten Agenten des Films aus ganz kleinem Milieu gekommen sei- en und dafi der Film anfdnglich durcb die Rummelpldtze und Jahrmdrkte 678 Anmerkungen zu Seite 350-384 geschleift worden sei, ist ebenfalls eine wichtige Feststellung von Kracauer. Das Standphoto: Synthese von Warenprobe und Zitat. Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Biatt [20] Sport: ckockartiges Ein- und Austreten des Champions aus dem Bezirk der Offentlichkeit Funktion des Liedes zur Arbeit: nicht nur, deren Rhythmus zu scbaffen, sondern die Aufmerksamkeit von ihr abzuziehen, sie zu mechanisieren Solange die Kunsttheorie nicht jedes ihrer Elemente am Film zu exemplifizie- ten vermag, ist sie verbesserungsbediirftig Die Zerstreuung des Publikums ist dem technischen Standard des Kun st- iver ks proportional. Fur die sen Standard kbnnte man den Be griff des Recordwerts einfuhren {Zur Filmtheorie ist zu berucksicbtigen, dafi im Film der Unterschied zwi- schen Original und Reproduktion gegenstandslos wird} [s. Bd. 1, 4}ji-> 47 6f.] Das Kunstwerk unternimmt es> auf verantwortliche Weise Zerstreuung zu produzieren {Der Chock der im Film den Rhythmus der Rezeption bestimmt, bestimmt am laufenden Band den Rhythmus der Produktion) [s. Bd. 1, 503 und 631] Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [21] Theorie der Zerstreuung [s. Bd. 1, 465L, 504^] Versuch die Wirkung des Kunstwerks unter Eliminierung der Weihe in ihr zu fixieren Parasitare Existenz der Kunst auf der Grundlage des Heiligen »Der Autor als ProduzenU [s. Bd. 2, 683-701] vernachlassigt uber dem Lehrwert den Konsumwert Im Film erreicht das Kunstwerk den Hohepunkt der Verschleifibarkeit Die Mode ist in der Beschleunigung des Verschleifles ein unentbehrlicher Faktor Die Werte der Zerstreuung sind am Film zu entwickeln wie die Werte der Katharsis an der Tragodie Zerstreuung wie Katharsis sind als physiologische Phanomene zu umschrei- ben Zerstreuung und Zerstbrung [f] als subjektive und als objektive Seite des gleichen Vorgangs Das Verhaltnis der Zerstreuung zur Einverleibung mufi untersucht werden Das Fortleben der Kunstwerke ist unter dem Gesichtspunkt ihres Kampfs urns Dasein darzustellen Ihre wirkliche Humanitat besteht in ihrer unbegrenzten Anpassungsfahig- keit Anmerkungen zu Seite 350-384 679 Das Kriterium fur die Fruchtbarkeit ihres Wirkens ist die Kommunizierbar- keit dieser Wirkung Lehrwert und Konsumwert der Kunst kbnnen in optimalen Fallen (bei Brecht) konvergieren, fallen aberkaum zusammen Die Griecben batten nur eine einzige Reproduktionsform (mecbanische): die Munze Sie konnten ibre Kunstwerke nicht reproduzieren, Diese muflten also dau- erbaft sein. Daber: ewige Kunst So wie die Kunst der Griecben aufDauer ist die gegenwartige auf Verscbleift angewiesen Dieser ist auf zweierlei Art mbglicb: durcb ibre Auslieferung an die Mode oder durcb ibre Umfunktionierung in der Politik Reproduzierbarkeit - Zerstretiung - Politisierung Lehrwert und Konsumwert konvergieren. Damit ist eine neue Art des Ler- nens gegeben Die Kunst tritt in Berubrung mit Ware; die Ware tritt in Berubrung mit Kunst Druckvorlage: Bibliotheque Nationale, a.a.O., Blatt [22] Prouststellen zum Kunstwerk im Zeitalter Vergleicb zxviscben der Art wie sicb das Automobil des Terrains bemacbtigt mit der Art wie die Eisenbahn das tut [A Vombre des]][eunes] F[illes en fleurs] (2) 62/63 Aura, s S 10a [s. Bd. 5, 6 1 - Vorwort (2> II I I FN 1 <3> (FN 1 ZwF = FN 1 FrF = FN 5 DrF hier textintegral) III FN 1 II FN 1 II FN 2, 3, 4, 5 <4> IV III III FN 6 <5> (Abs. 2 - FN 2 ZwF, FN 2 FrF und FN 9 DrF) V FN 2 IV FN 2 IV FN 7, 8, 9 <6> VI FN 3 (= FN 10 DrF), FN 4 (-FN 3 FrF) V (=VI ZwF, Abs. 1,*) V FN 10, 11, 12 VI (= VI ZwF, Abs. 3.4) FN 3 (?) VII VII VI <8> VIII VIII - <9> (FN 5, 6, 7 ZwF = FN 4 , 5, 7 FrF = FN 13, 14, 16 DrF hier text- integral) IX FN 5) 6, 7 IX FN 4, $, 6, 7 VII FN 13, 14, 15, 16 do) X X VIII FN 17 <"> (Abs. 2 = XII ZwF) (FN 8, 9 fnur Quelle] in XI FN 8, 9, 10 XI FN 8, 9 IX FN 18, 19 682 Anmerkungen zu Seite 350-384 Synopse (Fortsetzung) Erste Fassung (Bd. 1,431-469) Zweite Fassung (Bd. 7, 350-384) Franzos. Fassung (Bd. 1,709-739) Dritte Fassung (Bd. 1,471-508) ZwF = FN 8, 9 [n. Qu.] in FrF = FN 18, 19 [n. Qu.] in DrF hier textintegral) (= FN 1 1 ZwF) XII (= (Abs. 3 = FN 1 s ZwF) XIII (=(13) Abs. 1, 2) XIII (Abs. 2, 3 = XIII ZwF) FN 20, 21 XIV XIV XI FN 22 XV XV XII FN 23 <*> XVI FN 13 (-FN 10 FrF und FN 25 DrF), FN 14 (= FN 11 FrF) XVI FN 10, 11 XIII FN 24, 25 <-7> (Abs. 4 = FN 16 ZwF) XVII FNi 5 (=(i 3 > Abs. 3 und FN 26 DrF), FNi6 XVII FNi2(=FN^7 DrF), 13 (= FN 28 DrF), 14 (= FN 29 DrF) XIV FN 26, 27, 28, 29, 30 <>8> XVIII XVIII FN 15 (= FN 31 DrF) XV FN 31 <>9> (Abs. 1, Mittelteil = FN 17 ZwF, FN i6FrFund FN 32 DrF) (FN 18 ZwF = FN 33 DrF hier textintegral) XIX FN 17, 18 XIX FN 16 (FN 18 ZwF = FN 33 DrF hier textintegral) Nachwort FN 32, 33 Anmerkungen zu Seite 350-384 683 UBERLIEFERUNG T 1 Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen Benjamins sowie An- streichungen, Randbemerkungen u. a. von fremder Hand; 62 Blatter (= Titelblatt, S. 1-15, 15a, i6i., i?a y ijb, 18-29, 2 9 a * 2 9^> 3°~3 2 , 3 2 &> 33-45, 45a, 46-54) mit Beilage (= »ausgewechselte« Seiten 15, ij, 29, jo, 32, 44); T 1 (von Ende Januar/Anfang Februar 1936) setzt sich zu- sammen aus: Titelblatt, 48 alten und 13 neugeschriebenen Seiten (= 62 Seiten). - Stadt- und Universitatsbibliothek Frankfurt a.M., Max- Horkheimer-Archiv. T 2 s. T 1 ; das zu erschliefiende »alte« Typoskript (von Ende 1935) setzte sich zusammen aus: Titelblatt, 48 und 6 »ausgewechselten« Seiten (=54 Seiten). - Besitzer wie oben. Druckvorlage: T 1 Das Typoskript bot hinsichtlich der Textanschliisse der neugeschriebenen Seiten (/;, 15a, 77, ija, iyb, 29, 29a, 29b, 30, 32, 32a, 44, 45a) an die alten (i$, 77, 29,^0, j^, 44) nur eine einzige Schwierigkeit. Benjamin hatte bei der Bearbeitung am Ende der Seite 2 8 den Anfang des Einschubs Man kann (s. 366,22) nachzutragen vergessen, sodafi der Eindruck entstehen mufke, die Seite ende nach spielen.« mit einem Absatz, und der Einschub beginne mit einem neuen auf Seite 29. Durch Rekurs auf den Texteinschub Ms 982, der die Bezugs seite p 28 und das Anschlufiwort spielen.[«] ver- merkt, lief? sich die Schwierigkeit beheben. — Samtliche Abschnitts- nummern I -XIX sind von Benjamin handschriftlich ins Typoskript ein- getragen. Fast auf jeder Seite finden sich handschriftliche Korrekturen Benjamins, die, soweit sie den Textstand betreffen, in der Regel als Les- arten verzeichnet werden. Diejenigen, die er an den maschinenschriftlichen Seitenzahlen vornahm (13, 18, 31, 33-43), sind, bis auf die korrigierte /j, die auf Vertippen beruhen mufke, durchweg konsequent: sie wurden erfor- derlich durch die 13 eingeschobenen Seiten. - Daneben weist das Typo- skript Korrekturworter, Bemerkungen, Randstriche, Schlangenlinien, Frage- und Ausrufungszeichen in nicht geringer Zahl von fremder Hand auf- Eintragungen des Redaktors im Pariser, wohl eherNew Yorker Insti- tutsbiiro anlafilich der Herstellung der franzosischen Fassung der Arbeit, auf die, soweit sie deutlich erkennbar sind, in den Lesarten hingewiesen wird. — Die Fufinoten und Anmerkungen sind nicht durchgezahlt; sie wur- den, wie schon in Band 1 (s. dort, 1059) mit fortlaufenden Nummern verse- hen. Grundsatzlich wurde bei der Revision des Textes wie im Falle der drei dort abgedruckten Fassungen verfahren (s. a.a.O.. 1053, 1058-1060). Gleichfalls wurde auf ein Verzeichnis samtlicher Abweichungen des Textes von erster, franzosischer und dritter Fassung verzichtet; der Uberblick ist durch synoptisches Lesen leicht zu gewinnen. Dagegen bietet der Nach- tragsapparat eine Synopse der Textzusammensetzung aller vier Fassungen (s. o., 681 f.). In alien Fallen, da die Vergleichstexte nicht abgedruckt sind - 684 Anmerkungen zu Seite 350-384 so die »ausgewechselten« 6 Seiten, die dem Typoskript beilagen, und die 12 Manuskriptblatter mit den Anmerkungen und Einschiiben (Ms 978-985, 987 und 989-991; s.o., Paralipomena) - wurden die Abweichungen vom Typoskript als Lesarten verzeichnet, und zwar, um die Ubersicht zu er- leichtern, in einem dem Lesartenverzeichnis beigegebenen Anhang (s.u., 687-689). lesarten 3 jo,6 T] wie die folgenden Nummern II-XIX hds. Zusatz - 350,23 weniger] korrigiert aus wenige-$$o,i4 Gesellscbaft,] konjiziert fur Gesellschaft - 350,27 im] fur {dem} - 350,29 iiber] fur [voll[f]} - 350,33-37 Die bis brauchbar] im Ts gesperrt; diese wie alle folgenden Sperrungen wurden wie schon in Bd 1 (s. dort, 1052) durch Kursive wiedergegeben - 350,37 brauchbar] im Ts darunter hds. Schluflstrich wie, teils hand-, teils maschinenschriftlich, an alien folgenden Abschnittsenden - 352,8 f. die bis zuruckwirken] fur {einander einwirken) - 352,17 bat] konj. fur baben - 353,32 Aufnehmenden] fur {Bescbauer} -355,12 Massen,] konj. fur Massen - 355,20 jener] {\irjene{n} - 355,25 Bereicb,] konj. fur Bereicb - 356,7 bis 15 von etwa niemals bis erkennen] am Rand Pfeil mit Spitze unten von fremder Hand - 356,201. und 24 f. etwa von Lebre bis ist und von (In bis erreicbt.)] am Rand Strich von fr. Hd. - 356,30^ zum ersten Mat] darunter und am Rand Schlangenlinie von fr. Hd. - 357,5 ndmlich] unterstrichen und Bemerkung »Warum?« von fr. Hd. - 357,7 - 358,16 VI bis oder (ohne den Rest der Fuftn. 2)] die ins Ts eingelegten neuen Seiten 1$ und i$a\ die Abweichungen von der »ausgewechselten« Seite /j s., wie in alien folgen- den Fallen, im Anhang zu den Lesarten, 687-689 - 3 57,1 2 f. Ausstellungs- wert. 3 ] die FufSn. ist das leicht modifizierte Ms 978 (mit am Kopf vermerk- ter Einschubstelle p 15 [. . J Ausstellungswert.); die Abweichungen im Ms s., wie in alien folgenden Fallen, im Anhang zu den Lesarten, 687-689 - 357,26 aucb,] konj. iiiraucb - 358,8 Priester] fur {Hobep}riester - 358,1 1 f. von etwa Mit bis Rituals] am Rand Schlangenlinie und Bemerkung »wann?« von fr. Hd. - 3 58,32 So bis sicber] unterstrichen, am Rand Schlan- genlinie und »?« von fr. Hd. - 358,341. Tragweite und Kunst] teilunterstri- chen und am Rand Winkelzeichen von fr. Hd. - 359,1-360,40 Die bis For- derung (ohne den Anfang von VII)] die ins Ts eingelegten neuen Seiten 77, ija und lyb; die Abweichungen von der ausgewechselten Seite 17 s.u., Anhang- 3 59,3-7 f. Prozeduren (das bis Betracbtenden)] der gering modi- fizierte Texteinschub Ms ^j^ (mit am Kopf vermerkter Einschubstelle p iy [...] Prozeduren); die Abweichungen s.u., Anhang - 359,11-360,6 exi- stiert. Diese bis bat] der modifizierte Texteinschub Ms 980 (mit am Kopf vermerkter Einschubstelle p ij [. . .] existiert); die Abweichungen s.u., Anhang - 359,16 technische] ausgestrichen und ersetzt durch »charakteri- stische« von fr. Hd. - 359,1 8f. Bemannung] ausgestr. und ers. durch »Pilo- ten« von fr. Hd. - 359,20 nie wiedergutzumachende] konj. fur niewieder- gutzumachende - 359,23-26 von etwa Der bis Spiel] am Rand Schlangenli- Anmerkungen zu Seite 350-384 685 nie und »?« von fr. Hd. - 359,34 ^/e/me/?r] lies etwa »weit mehr« - 359,35 bis 360,3 von etwa Die bis wird und 360,23-30 £5 bis anmeldei] am Rand Striche und der heutigen Kunst (359,36) unterstrichen von fr. Hd. - 360,6 bat. 4 ] die Fufin. ist das modifizierte Ms 98 1 (mit am Kopf vermerkter Ein- schubstelle p ij [. . .] hat.); die Abweichungen s.u., Anhang - 360,32 hin- auswill,] konj. fur hinauswill - 360,37 seinen Anspruch erbebt] fxir {seine Forderungen anmeldei) - 361,22-25 von Daber bis Umstand] Daber und ' Diesem Umstand unterstrichen, am Rand »!« und Schlangenlinie von fr. Hd. -361,25 verdanken] konj, iiir verdankten -361,30-32 von etwa Im bis wird] am Rand Schlangenlinie und deren Kunstcharakter unterstrichen von fr. Hd. - 361,33 konfrontieren,] konj. fur konfrontieren - $62,2 vielen Bil- derh] hds. Korrekturworte Benjamins - 362,6 publique«,] konj. fur publi- que« - $62,7$. von etwa Der bis Kunstwerk] am Rand Schlangenlinie und Bemerkung »Wortkunst!« von fr. Hd. - 362,13-15^ von etwa Kunst bis unvermeidlich] am Rand Schlangenlinie, »?« und Plastik unterstrichen von fr. Hd. - 362,24-26 von etwa bewufit bis Autonomic] am Rand Schlangenli- nie von fr. Hd. - 362,32 nicht] hds. Einfiigung Benjamins - 363,20 heran- zuziehen,] konj. fur beranzuzieben - 363,22 f. von etwa Kennzeicbnend bis Films] am Rand Strich von fr. Hd. - 363,29 batte] konj. fur batten - 364,3 Gemalde,] konj. fur Gemalde - 364,5 seine] hds. Korrekturwort Benja- mins - 364,6 und 8 scbafft] fur {ist} - 364,7 f. von etwa Kunstwerk bis Sympbonieorchester] am Rand Strich von fr. Hd. - 364,1 1 f. von etwa Das bis Montage] am Rand »?« von fr. Hd. - 364,36-38 von etwa am bis zweite] am Rand Strich von fr. Hd. - 365,27-3 5 von etwa Das bis macht] am Rand Strich, »?« und, am Ende, Doppelstrich von fr. Hd. - 366,3 anderen,] konj. fur anderen - 366,6 Bemerkungen] korr. aus Bemerkung- 366,22 spielen.« 8 Man kann] die Worter Man kann fehlen im Ts; sie wurden gemafl dem Texteinschub Ms 982, das die Einschubstelle/? 2 #/. . .] spielen.[«] am Kopf vermerkt, eingesetzt (dazus.o., 683); der Einschub ist der Text von 366,22 bis 31 Man bis setzt.; die Abweichungen s.u., Anhang- 366,22-368,37 den bis Rolle] die ins Ts eingelegten Seiten 29, 29a und 29 b; die Abweichungen von der ausgewechselten Seite 29 s.u., Anhang - 366,25 Person,] konj. fur Person - 367,9 einsetzt.« 9 ] der die Fufinote nach der Fundstelle erweiternde Text ist das leicht modifizierte Ms 984 (mit am Kopf vermerkter Einschub- stelle/^/'. . .] einsetzt. [«]); die Abweichungen s.u., Anhang- 367,13 bis 368,3 und 368,6 f. zusammengestellt. Neben bis scbweigen. und Im bis Klopfen] der geringfiigig modifizierte Texteinschub Ms 983 (mit am Kopf vermerkter Einschubstelle p 29a zusammengestellt); die Abweichungen s.u., Anhang - 367,15 u.s.w.] konj. fur usw - 367,23 lassen y ] konj. fiir lassen - 368,16 konne. 10 ] die Fufinote sind die modifizierten Blatter Ms 98 5 und 987 (mit am Kopf vermerkter Einschubstelle /: p 30 konne und 77: p 30); die Abweichungen s.u., Anhang - 368,17^ von etwa Die bis begrun- det] am Rand Strich von fr. Hd. - 368,3 8-43 bestimmt bis Das und 369, 1 2 bis 686 ■ Anmerkungen zu Seite 350-384 29 dndert bis Ausdruck] die ins Ts eingelegte Seite 30 (= Ende der Fufln. 10); die Abweichungen von der alten Seite 30 (= die Schlufisatze von Ab- schnitt XI in der alten Version) s.u., Anhang - 369,7 seiner Erscheinung im Spiegel] fur seine {m} Spiegel{bild} - 369,10-371,41 darsteller bis werden (ohne den Rest der Fuftn. /o, ohne die Fuftn. // und den Anfang von Abschn. XIII}] die ins Ts eingelegten Seiten 32 und 32 a; die Abweichun- gen von der alten Seite 32 s.u., Anhang - 369, 1 6 f. Positionen] korr. aus Position - 369,30-44 Die bis hervorgeben] am Rand Schlangenlinie, oben abwarts weisender Pfeil und in derMitte »!« von fr. Hd. -370,15 sucht. 12 ] die Fuftn. sind die modifizierten Blatter Ms 989 und 990 (mit am Kopf vermerkter Einschubstelle I\p 32 [. . .] sucht und II: p 32); die Abweichun- gen s.u., Anhang - 370,16 nebenbei gesagt] unterstrichen und am Rand Strich von fr. Hd - 371,3 Leistungen,] konj. fur Leistungen - 371,21 liegt] fur {steht} - 371,3 1 anderes,] konj. fiir anderes- 372,14 allem des] iurallem de{r) - 372, 16-22 von etwa in bis ausschliejlt] am Rand Strich von fr. Hd. - 372,21 sie] hds. Einfiigung Benjamins - 372,26 stacbeln,] danach {Das ge- lingt ihr zumal bei den Frauen.} - 372,36^ Die bis Proletariats] am Rand eckige Klammer von fr. Hd. - 373, 19 f. den [. . J eingestellten photographi- schen Apparat] fiir d{ie} [. . .] eingestellte {Kamera} - 373,34 f. gesagt:] konj. fiir gesagt; - 373,38 dringt -,] konj. fiir dringt 374, 13 fur bis Menschen] hds. Einfiigung Benjamins - 374,21 f. von etwa schldgt bis um] am Rand Strich von fr. Hd. - 374,28 f. von etwa sicb bis auseinander] am Rand Doppelstrich von fr. Hd. - 374,32 mehr als] fiir {so s}thr {wie} - 374,34 durch] fiir {50 sehr} durch -- 375,19 zutraf] fiir {der Fall war} - 375,23 solcher] konj. iursolcbe - 376,8 Reisen] Korrekturwort Benjamins - 376,9 Bewegung. Und] korr. aus Bewegung, und- 376,17 Kamera,] konj. fiir Kamera - 376,22 nichts] fiir nichts {mehr} - 376,30-32 von etwa Worn bis Psychoanalyse] am Rand Doppelstrich von fr. Hd. - 377,12 von etwa die bis in] am Rand Strich von fr. Hd. - 377,18-41 stellungen bis Nachhut (einschliefll. 378,1-3)] die ins Ts eingelegte Seite 44; die Abweichungen von der alten Seite 44 s.u., Anhang - 377,26 Unbewujlten.' 4 ] die Fuftn. ist das modifizierte Ms 991 (mit am Kopf vermerkter Einschubstelle p 44 [. . •] Unbewuflten); die Abweichungen s.u., Anhang - 377,32 neuesten] korr. aus neusten - 377,33 und }6[undJ] hds. Einfiigungen Benjamins ? - 377,34 Zug] fiir {Gegensinn} - 377,37-41 von etwa der bis Nachhut] am Rand Doppelstrich von fr. Hd. - yjf^ofinden,] konj. (urfinden - 378,7 Stunde] fiir {Zeit} - 378,7 ist. 1 *] die Fufinotennummer vergafi Benjamin, auf der Ts- Seite 4$ einzufiigen; sie wurde gemafi Ms 992 nachgetragen; die Note selbst, die auf der Ts-Seite 45 a (s. Lesart zu 378,18-41 n bis cella) steht, ist das modifizierte Ms 992 (mit am Kopf vermerkter Einschubstelle/? 45 [. . .] ist.), seinerseits der starker modifizierte letzte Absatz von ( 13 }, Erste Fas- sung (s. Bd. 1, 4j6f.); die Abweichungen vom Ts s.u., Anhang - 378,10 Standard,] konj. fiir Standard- 378,16 Effekte,] konj. fiir Effekte - 378,18 Anmerkungen zu Seite 350-384 687 bis 41 '* bis cella] die ins Ts eingelegte Seite 45a -378,41 Priester] fur {Ho- hep}riester - 379,1 f. Nachfrage] korr. aus Nachfragen - 379,15 Hervor- bringungen] korr. aus Hervorbringung- 379,29 und 61 taktiscbe und tafctr- sc^ei] die Worter wurden hier wie im folgenden nicht mehr (wie in Bd. 1) durch »taktile« und »taktiles« usw. ersetzt; dazu s.o., 664 - 380,32-381,1 (ohne 380,35-39) von etwa nach bis Versuch] am Rand die schrag aufwarts geschriebene und unterstrichene Bemerkung »Notwendig[keit?]« von fr. Hd. - 380,34 und 381,1 und und vom] hds. Einfugungen Benjamins - 381,4 Oder besser gesagt: taktisch] die ersten drei Worter unterstrichen, am Rand Strich und uber taktisch die Bemerkung »(taktil)« von fr. Hd. - 381,5 f. gesammelten] dahinter »?« und am Rand Strich von fr. Hd. - 381,15-19 von etwa Denn bis bcwaltigt] am Rand Schlangenlinie von fr. Hd. - 381,15 Aufgaben,] konj. fiir Aufgaben - 381,26 und 27^ so [. . .] Kunst und sie tut] unterstrichen und am Rand »?« von fr. Hd. - 381,32-35 von etwa In bis hiefi] am Rand Schlangenlinie von fr. Hd. - 382, 5 f. ohne die Eigentumsverhaltnisse] hds. Einfiigung Benjamins - 382,6 Beseiti- gung] ausgestrichen und ersetzt durch »Veranderung« von fr. Hd. - 382,11 folgerecht] unterstrichen und am Rand »?« von fr. Hd. - 382,1 5 f. von etwa Alle bis Krieg] am Rand Schlangenlinie von fr. Hd. - 382,16 Punkt] hds. Einfiigung Benjamins - 382,3 5 f. Hunderttausenden] konj. fiir hunderttausenden -382,39 und 40 Massenbewegungen und darstelleri] korr. aus Massenbewegung; darstellt blieb von Benjamin unkorrigiert, da- fiir wurde darstellen konj. - 383,10 Der bis schon] hds. Einfiigung Benja- mins - 383,30 und 3 1 ( und )] hds. Einfugungen Benjamins? - 383,36 den] hds. Einfiigung Benjamins - 383,36 Geschossen,] konj. fiir Geschossen - 383,39 '*] die Fufin. ist hds., mit leergelassener halber Zeile zwischen ' und La Stampa Torino^ hinzugefugt. Anhang (Textabweichungen der ausgewechselten Seiten /j, 77, 29, jo, j2, 44 sowie der Blatter Ms 978-985, 987, 989-992 vom Text der ZwF) 3 57,1 2 f. Ausstellungswert. 3 Die] Ausstellungswert. Die alte S. 15 (am Kopf der Vermerk »ausgewechselt« von fr. Hd.) - 357,23 Idealismus] Idealismus nut irgend Ms 978 - 3 5 7,40 f. den bis die] der Ms 978 - 357,42 in bis Vor- lesungen] don Ms 978 - 358,8 Priester] Hohepriester alte S. 15 - 358,14 Inneren] Innern alte S. 1 5 - 359,3-7^ Prozeduren bis Betrachtenden)] Pro- zeduren, wie auch als Anweisungen zu solchen, wie auch endlich als Gegen- stande einer Kontemplation y der man magische Wirkungen zuschrieb alte S, 17-3 59,4 selbst und Verrichtung) y ] selber und Verrichtung) Ms 979 -359,5 vor) t ] vor) Ms 979 - 359,1 1-37 Diese bis vom] Diese Gesellschaft stellte den Gegenpolzu der heutigen dar y deren Technik die emanzipierteste ist. Diese emanzipierte Technik steht aber der heutigen Gesellschaft als eine zweite Natur gegenUber und zwar t wie Wirtschaftskrisen undKriege beweisen, als 688 Anmerkungen zu Seite 350-384 eine mcht minder element are wie die der Urgesellschaft gegebene es war. Dieser zweiten Natur gegenuber ist der Mensch, der sie zwar erf and aber scbon langst nicbt mehroder noch nicbt bemeistert, genau so aufeinen Lebr- gang angewiesen wie einst vor der ersten. Und wie der stellt sich in dessen Dienst die Kunst. Insbesondere aber tut das der alte S. 17-359,14 Unter- schied bis an] Unterscbied an Ms 980 - 3 59,1 6 f. ersten Tecbnik] ersten Ms 980 - 359,19^ erste bis urn] erste (da baben wir Ms 980 - 359,22 sie bat es mit dem] da baben wir das Ms 980 - 3 59,22 f. und bis zu tun] mit bis Ver- sucbsanordnung Ms 980 - 359,26 Spiel] danach kein Absatz in Ms 980 - 3 59,28 f. wechselnden Grades] verschiedener Grofie Ms 980-3 60, 1-6 Der bis hat'. 4 ] Die tecbnische Apparatur unserer Zeit, die fur das Individuum eine zweite Natur ist, dem Kollektivum zu seiner ersten zu macben, ist die gescbicbtlicbe Aufgabe des Films, alte S. 17 (der Passus ist hier gesperrt) - 360,26 Voraussetzung] Voraussetzungen Ms 981 - 360,27 darstellt] reali- siert hat Ms 98 1 - 360,28 die] auch die Ms 98 1 - 360,28 Innervationsversu- cben] danach {, welches die Revolutionen sind,} Ms 981 - 360,30 an die Gesellscbaft] fehlt in Ms 981 - 360,32 auf der anderen Seite] fehlt in Ms 981 - 360,34 in ihm] darin Ms 981 - 360,36 Worten,] Worten Ms 981 - 360,37 seinen Anspruch erhebt] seine Forderungen anmeldet Ms 981 - 360,38 er- sten revolutionaren] jrubesten Ms 981 - 360,39 Individuums - Liebe und Tod -] Individuums: Liebe und Tod Ms 981 - 360,39 nacb [. . .] drangen] auf [. . .] dringen Ms 98 1 - 366,26 gebunden.] danach {Sie teilt sich seinem durch die Apparatur reproduzierten Abbild so wenig mit wie seine Eigen- scbaft, einen Schatten zu werfen. (Der Schatten im Film ist das Abbild von dem Schatten des Originals , nicht aber der Schatten des Abbilds.) Ein Ab- bild der Aura dagegen existiert nicbt.) Ms 982 - 366,28 kann bis die] wenn erzu seiner Frau spricht, ist nicht ablbsbar von der, welch e Ms982~366,29 den bis spielt] die sen Schauspieler ist Ms 982-366,30 darin] ja darin Ms 982 - 366,34 f. gerade bis Film darste Hers] bier der Dramatiker Pirandello alte S. 29 - 367,13 zusammengestellt. Neben] zusammengestellt y deren Hier und Jetzt von alte S. 29 - 367,1 5-368,3 u.s.w. bis schweigen. So] u.s.w. bestimmt wird. So alte S. 29 — 367,15 u.s.w.] usw. Ms 983 - 367,23 unter anderem] u. a. Ms 984-367,23 durcbfuhrt] konsequent durchfuhrte Ms 984 - 367,27 cf.] vgl Ms 984 - 367,29 und 37 anderen] andern Ms 984 - 367,36 kann.] fehlt in Ms984~368,2 verteilten] verteilen Ms983~368,5 gegebenenfalls wochenlang] unter Umstdnden Wochen alte S. 29 - 368,6 f. Im bis konstru- ieren] Weit paradoxere F'dlle sind moglicb alte S. 29 - 368,1 5 f. das solange] dessen Klima solange alte S. 30 - 368,16 Einzige] einzige alte S. 30 - 368,16 konne.'°] konne. alte S. 30-368,17 auratischen] fehlt in Ms 985 - 368,19 bei] durch Ms 985 - 368,24 Lehre] fiir {Anschauung} Ms 985 - 368,40^ experimentierenden bis zweiten] Varianten der experimentierenden Ms 985 - 368,42 Begriffspaar] Begriffspaar: Ms 985 - 368,43 dem [. . J Begriffspaar] den [. . .] Begriffen Ms 985 - 368,43 ist] erscheint Ms 985 - 368,43 es] auch Anmerkungen zu Seite 350-384 689 dies Ms 985 - 369,13 vcrlieren. bis Einsicht] verlieren und den Betracbten- den zu einer praktiscb zu verwertenden Einsicht fuhren Ms 985 - 369,15 Der]Den Ms 98 5 -369,15 sich im] ihrder Ms 985-369,18 hat bis abgetre- ten] ist das Scheinmoment ganz und gar zu Guns ten des Spielmomentes zuriickgetreten Ms 985 - 369,20 unter dem] unterm Ms 985 - 369,28 der zweiten] einer sich vollendenden Ms 987 - 370,10 geforderte] geforderte alte S. 32 - 370,15 sucht' 2 ] sucht. aite S. 32 - 370,20 auf] auf Ms 989 - 370,41 proletarischen,] prole tar isch en Ms 989 - 370,43 besser] besser, Ms 989 - 370,43 ursprunglicb] danach die Ms 989 - 370,44 einer kompak- ten] einer Ms 989 - 371,30 innezuwerden] bewuflt zu werden Ms 989 - 371,33 diese]die Ms 989 -371,33 noch bis Sinn] fehlt in Ms 989 -371,34 der unverbindlicbe] ein unverbindlicher Ms 989 - 371,34 Stimmung wie er] Stimmung, wie sie Ms 989 - 371,35 ist,] sind, die Ms 989-371,36 Verbdng- nis geworden sind] Verderben wurden Ms 989 - 371,36 Gesetze] Verbalt- nisse Ms 989 - 371,41 vorbanden] fur {gegeben} Ms 990 - 377,26 Unbe- wufiten.' 4 Ibr] Unbewufiten. Ihr alte S. 44 - 377,27 Excentrik] Exzentrik alte S. 44 - 377,28 ihr en Gegensinn] aucb ihr en »Gegensinn« Ms 991 - 377,29 vom bis Tatbestdnde] von dem dialektischen Verbdltnis Ms 991 - 377,29^ die bis Komik] das zwischen Grauen und Komik berrscbt. Oft kann derselbe (Sachverhali) An b lick grausig oder auch komisch wirken. (Klassiscbes Beispiel: der Totenkopf) Geldchter Ms 991 - 377,30 es bis bei- einander] jeder an Kindern erkennen kann, nab beisammen Ms 991 - 377,32 in bis Fait] fehlt in Ms 991 - 377,32 der [. . .] Filme] von den [. . J Filmen Ms 99X~377,33 und 36//] in Ms 991 keine Klammern- 377,34 Zug] Gegensinn Ms 991 - 377,35 zeigt] zeigt in einem kritischen Augenblick Ms 99 l ~ I77*l6 Gebiet] Gebiete Ms 991 - 377,36 neuster] neuester Ms 991 - 377.37 alter en [. . ./ die] dltern [. . .] angelegt. Es ist eine gewisse Ms 991 - 377.38 als Begleiterscheinung] mit Bonhomie als {komischer Sacblage} Be- gleiterscheinungen Ms 991 - 377,38 gemutlich] fehlt in Ms 991 - 377,41 undeutliche } ] undeutliche Ms 991 - 378,34 anderen] andern Ms 992 - 378,37 Einrichtung] fur {Installation} Ms 992 - 378,41 Priester in der cello] Hohepriester im Allerheiligsten Ms 992 nachweise 354,9 Pforten«] den franzos. Text s. Bd. 1, 1054, Nachweis zu 439,13-16 — 355,23 Wclt«] s. a. a. O., Nachweis zu 440,33 - 357,39 und 358.39 ist.« und Priifsteins«] die vollstandigen Nachweise s. a.a.O., 483 - 360,21 festbielt] s. a.a.O., 1054, Nachweis zu 445,21 - 362,6 publique«] s. a.a.O., Nachweis zu 446,31 - 363,7 ausspricht.«] den franzos. Text s. a.a.O., 447 und 1054, Nachweis zu 447,30-35 - 363,14 bewegen.«] den franzos. Text s. a.a.O., 447 f. und 10541., Nachweis zu 447,35-448,5 - 363,19 l'or«] s. a.a.O., 1055, Nachweis zu 448,11 - 366,22 spielen.*] den franzos. Text s. a.a.O., Nachweis zu 451,7-17 - 368,27 Hulle«] Selbstzi- tat, s. a.a.O., 195 (»Denn weder«, »i««) - 371,13-372,10 Jabrhunderte- 690 Anmerkungen zu Seite 350-384 lang bis Gemeingut] s, den Passus Bd. 2, 687,39-688,34 - 377,7 sich] s. Bd. 1, 1055, Nachweis zu 462,6 - 382,25 Manifest] s. a.a.O., Nachweis zu 468,8 - 383,38 mundus] s. a.a.O., Nachweis zu 469,9 Band I, Seite 123-690 735 I, 431-508 Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Repro- duzierbarkeit Erste und Zweite [recte: Dritte] Fassung s. die Anmerkungen zur zweiten Fassung des Kunstwerkaufsatzes, 661 bis 690. Unter den in der Pariser Nationalbibliothek 198 1 wiederentdeckten Mate- rialien Benjamins (s.- 525 f.) befindet sich auch ein Typoskript der Zweiten [recte: Dritten] Fassung des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: es handelt sich hierbei um das Original zu dem Durchschlag im Benjamin-Archiv (Ts 598-657), der den Herausgebern als Druckvorlage diente (T 1 ; s. Bd. 1, 1056). Zeitschrift fur Sozialforschung Herausgegeben im Auftrag des INSTITUTS FUR SOZIALFORSCHUNG von Max Horkheimer Jahrgang V 1936 Heft I UBRAIRIE FELIX ALCAN I PARIS L'oeuvre d'art a l'epoque de sa reproduction mecanisee. Par Walter Benjamin. I II est du principe de l'oeuvre d'art d'avoir to u jours et6 repro- ductible. Ce que des hommes avaient fait, d'autres pouvaient tou- jours le refaire. Ainsi, la replique fut pratiquee par les maitres pour la diffusion de leurs oeuvres, la copie par les 61£ves dans l'exercice du metier, enfin le faux par des tiers avides de gain. Par rapport a ces proc6d6s, la reproduction m6canis£e de l'oeuvre d'art reprfesente quelque chose de nouveau ; technique qui s'elabore de manure intermittente a travers l'histoire, par poussees k de longs inter- valles, mais avec une intensity croissante. Avec la gravure sur bois, le dessin fut pour la premiere fois mecaniquement reproductible — il le fut longtemps avant que TScriture ne le devint par l'impri- merie. Les formidables changements que rimprimerie, reproduction m6canis6e de l'6criture, a provoqu^s dans la literature, sont suffi- samment connus. Mais ces proc6d6s ne repr&entent qu'une 6tape particuliere, d'une portee sans doute considerable, du processus que nous analysons ici sur le plan de l'histoire universelle. La gra- vure sur bois du moyen &ge, est suivie de Testampe et de 1'eau- forte, puis, au debut du xix e si£cle, de la lithographic Avec la lithographic la technique de reproduction atteint un plan essentiellement nouveau. Ce proc6d6 beaucoup plus imm6diat, qui distingue la r6plique d'un dessin sur une pierre de son incision sur un bloc de bois ou sur une planche de cuivre, permit k Tart graphique d'ecouler sur le march6 ses productions, non seulement d'une manure massive comme jusques alors, mais aussi sous forme de creations tou jours nouvelles. Grace a la lithographie, le dessin fut a mSme d'accompagner illustrativement la vie quotidienne. II se mit a aller de pair avec rimprime. Mais la lithographie en 6tait encore a ses debuts, quand elle se vit d6pass6e, quelques dizaines d'annees apres son invention, par celle de la photographic Pour L'ceuvrc d'art a Tepoque de sa reproduction m6canisee 41 la premiere fois dans les proc6des reproductifs de l'image, 7 a main se trouvait libferee des obligations artistiques les plus importantes, qui dSsormais incombaient a l'oeil seul. Et comme 1'ceil pergoit plus rapidement que ne peut dessiner la main, le procede de la reproduction de l'image se trouva acc616re & tel point qu'il put aller de pair avec la parole. De mfime que la lithographie contenait virtuellement ie journal illustr6 — ainsi la photographic le film sonore. La reproduction m6canis6e du son fut amorc6e a la fin du siecle dernier. Vers 1900, la reproduction mecanisee avait atteint un standard oh non settlement elle commengait a faire des ceuvres d'art du passe son objet et a. transformer par la mime leur action, mais encore atteignait a une situation autohome parmi les procides artistiques. Pour Vetude de ce standard, rien n'est plus rivelateur que la maniere dont ses deux manifestations differentes — reproduction de Vceuure d'art et art cinimatographique — se repercuterent sur Vart dans sa forme traditionnelle. II A la reproduction meme la plus perfectionnee d'une oeuvre d'art, un facteur fait toujours d6faut : son hie et nunc, son existence unique au lieu ou elle se trouve. Sur cette existence unique, exclusivement, s'exergait son histoire. Nous entendons par la autant les alterations qu'elle put subir dans sa structure physique, que les conditions toujours changeantes de proprtete par lesquelles elle a pu passer. La trace des premieres ne saurait Stre relev6e que par des analyses chimiques qu'il est impossible d'opSrer sur la reproduction ; les secondes sont l'objet d'une tradition dont la reconstitution doit prendre son point de depart au lieu meme ou se trouve roriginal. Le hie et nunc de roriginal forme le contenu de la notion de I'authenticit6, et sur cette derniere repose la representation d'une tradition qui a transmis jusqu'& nos jours cet objet comme 6tant reste identique a lui-m6me. Les composantes de V authenticity se refusent a toute reproduction, non pas seulement a la reproduction mtcanisee. L'original, en regard de la reproduction manuelle, dont il faisait aisement apparaftre le produit comme faux, conservait toute son autorit£ ; or, cette situation privil6gi6e change en regard de la reproduction m6canis6e. Le motif en est double. Tout d'abord, la reproduction m6canis6e s'afFirme avec plus d'ind^pendance par rapport a l'original que la reproduction manuelle. Elle peut, par exemple en photographic r6v61er des aspects de l'original accessibles non a 1'ceil nu, mais seulement a l'objectif reglable et libre de choisir 42 Walter Benjamin son champ et qui, a l'aide de certains procedes tels que l'agrandisse- inent, capte des images qui echappent a 1'optique naturelle. En second lieu, la reproduction mecanis6e assure a l'original Tubiquite dont il est naturellement priv6. Avant tout, elle lui permet de venir s'offrir a la perception soit sous forme de photographic soit sous forme de disque. La cath^drale quitte son emplacement pour entrer dans le studio d'un amateur ; le choeur execute en ptein air ou dans une salle d'audition, retentit dans une chambre. Ges circonstances nouvelles peuvent laisser intact le contenu 6 de TexUrieur, le film sonore a favorisc les inWrfcts nationaux, mais, vu de I'inte"rieur, il a contribuS a internationaliser la production du film encore davantage que ses conditions anteneures de production. 46 Walter Benjamin sa valeur d'exposition. La production artistique commence par des images au service de la magie. Leur importance tient au fait m&me d'exister, non au fait d'&tre vues. L'61an que Thomme de 1'age de la pierre dessine sur les murs de sa grotte est un instru- ment de magie, qu'il n'expose que par hasard a la vue d'autrui ; ^important serait tout au plus que les esprits voient cette image. La valeur rituelle exige presque que Toeuvre d'art demeure cachde : certaines statues de dieux ne sont accessibles qu'au pr6tre, cer- taines images de la Vierge restent voilees durant presque toute Tannee, certaines sculptures des cathidrales gothiques sont invi- sibles au spectateur au niveau du sol. Avec V emancipation des differents procedes d'art du sein da rituel se multiplient pour Vceuvre d'art les occasions de s'exposer. Un buste, que Ton peut envoyer a tel ou tel endroit, est plus susceptible d'etre expose qu'une statue de dieu qui a sa place fixee dans Tenceinte du temple. Le tableau surpasse a cet 6gard la mosaique ou la fresque qui le prec6d6rent. Avec les differentes mEthodes de reproduction de Tceuvre d'art, son caractEre d' exposabilite s'est accru dans de telles proportions que le dSplacement quantitatif entre les deux poles se renverse, comme aux ages prehistoriques, en transformation qualitative de son essence. De m&me qu'aux ages prehistoriques, Tceuvre d'art, par le poids absolu de sa valeur rituelle, f ut en premier lieu un instrument de magie dont on n'admit que plus tard le caract£re artistique, de m£me de nos jours, par le poids absolu de sa valeur d'exposition, elle devient une creation a fonctions enticement nouvelles — parmi lesquelles la fonction pour nous la plus familiere, la fonction artistique, se distingue en ce qu'elle sera sans doute reconnue plus tard accessoire. Du moins est-il patent que le film fournit les Ele- ments les plus probants a pareil pronostic. II est en outre certain que la portee historique de cette transformation des fonctions de Tart, manifestement deja fort avancee dans le film, permet la confrontation avec la prehistoire de maniere non seulement methodologique mais mat6rielle. VI L'art de la prehistoire met ses notations plastiques au service de certaines pratiques, les pratiques magiques — qu'il s'agisse de tailler la figure d'un ancetre (cet acte 6tant en soi-m&me magique) ; d'indiquer le mode d'execution de ces pratiques {la statue 6tant dans une attitude rituelle) ; ou enfm, de fournir un objet de contemplation magique (\a contemplation de la statue L'ceuvre d'art k l'Spoque de sa reproduction mGcanise'e 47 renforgant la puissance du contemplateur). Pareilles notations s*effectuaient selon les exigences (Tune societe a technique encore confondue avec le rituel. Technique naturellement arri6ree en comparaison de la technique mecanique. Mais ce qui importe k la consideration dialectique, ce n'est pas rinferiorite mecanique de cette technique, mais sa difference de tendance d'avec la notre — la premiere engageant l'homme autant que possible, la seconde le moins possible. L'exploit de la premiere, si Ton ose dire, est le sacrifice humain, celui de la seconde s'annoncerait dans Tavion sans pilote dirige a distance par ondes hertziennes. Une fois pour toutes — ce fut la devise de la premiere technique (soit la faute irreparable, soit le sacrifice de la vie eternellement exemplaire). Unt fois n'est rien — c'est la devise de la seconde technique (dont rob jet est de reprendre, en les variant inlassablement, ses experiences). L'origine de la seconde technique doit etre cherch£e dans le moment ou, guide par une ruse inconsciente, Thomme s'appreta pour la premiere fois k se distancer de la nature. En d'autres termes : la seconde technique naquit dans le jeu. Le serieux et le jeu, la rigueur et la desinvolture se metent intimement dans Toeuvre d'art, encore qu'a differents degres. Ceci implique que Tart est solidaire de la premiere comme de la seconde technique. Sans doute les termes : domination des forces natu- relles n'expriment-ils le but de la technique moderne que de fa^on fort discutable ; ils appartiennent encore au langage de la premiere technique. Celle-ci visait reellement k un asservissement de la nature — la seconde bien plus a une harmonie de la nature et de l'humanite. La fonction sociale decisive de Tart actuel consiste en Initiation de I'humanite k ce jeu „harmonien". Cela vaut surtout pour le film. Le film sert a exercer Vhomme a Vaperception et a la reaction determinees par la pratique d'un equipement technique dont le role dans sa vie ne cesse de crottre en importance. Ce role lui ensei- gnera que son asservissement momentane a cet outillage ne fera place a raffranchissement par ce meme outillage que lorsque la structure economique de Thumanite se sera adaptee aux nouvelles forces productives mises en mouvement par la seconde technique. 1 ) : .) Le but meme des revolutions est d*acc61£rer cette adaptation. Les revolutions sont les innervations de I'element coUectif ou, plus exactement, les tentatives d'inner- vation de la collectivite* qui pour la premiere fois trouve ses organes dans la seconde technique. Cette technique constitue un systeme qui exige que les forces sodales ele- mentaires soient subjugufies pour que puisse s'etablir un jeu „harmonien" entre les forces naturelles et rhomme. Et de mfime qu'un enfant qui apprend /k saisir tend la main vers la lune comme vers une balle a sa portee — I'humanite, dans ses tentatives d'innervation, envisage, a cdte des buts accessibles, d'autres qui ne sont d'ftbard 48 Walter Benjamin VII Dans la photographic la valeur d 'exposition commence a refouler sur toute la ligne la valeur rituelle. Mais celle-ci ne cede pas le terrain sans resister. Elle se retire dans un ultime retranchement : la face humaine. Ce n'est point par hasard que le portrait se trouve £tre l'objet principal de la premiere photographic Le culte du souvenir des 6tres aim6s, absents ou d£funts, off re au sens rituel de Tceuvre d'art un dernier refuge. Dans Fexpression fugitive d'un visage humain, sur d'anciennes photographies, l'aura semble jeter un dernier eclat. C'est ce qui fait leur incom- parable beaute, toute chargee de m&ancolie. Mais sitot que la figure humaine tend a disparaitre de la photographic la valeur d'exposition s'y affirme comme superieure a la valeur rituelle. Le fait d 'avoir situe ce processus dans les rues de Paris 1900, en les photographiant d&ertes, constitue toute I'importance des cliches d'Atget. Avec raison, on a dit qu'il les photographiait comme le lieu d'un crime. Le lieu du crime est desert. On le photographie pour y relever des indices. Dans le proems de l'histoire, les photographies d'Atget prennent la valeur de pieces k conviction. Cest ce qui leur donne une signification politique cachee. Les premieres, elles exigent une comprehension dans un sens determine. Elles ne se patent plus a un regard detachS. Elles inquietent celui qui les contemple : il sent que pour les pdnfctrer, il lui faut certains chemins ; il a d6ja suivi pareils chemins dans les journaux illustres. De vrais ou de faux — n'importe, Ce n'est que dans ces illustres que les 16gendes sont devenues obligatoires. Et il est clair qu'elles ont un tout autre caract^re que les titres de tableaux. Les directives que donnent a Tamateur d'images les legendes bient6t se feront plus precises et plus imperatives dans le film, ou Interpretation de chaque image est determinee par la succession de toutes les precedentes. qu'utopiques. Car ce n'est pas settlement la seconde technique qui, dans les revolu- tions, annonce les revendications qu'elle adressera a la soci6te\ C'est pr6cis6ment parce que cette technique ne vise qu'a liberer davantage Thomme de ses corv£es que l'indi- vidu voit tout d'un coup son champ d'action s'etendre, incommensurable. Dans ce champ, il ne salt encore s'orienter. Mais il y affirme deja ses revendications. Car plus I'etement collectif s'approprie sa seconde technique, plus I'individu Sprouve combicn limits, sous I' emprise de la premiere technique, avait €t& le domaine de ses possibilit.es. Bref, c'est l'individu particulier, 6mancipe* par la liquidation de la premiere technique, qui revendique. ses droits. Or, la seconde technique est a peine assuree de ses premieres acquisitions revolutionnaires, que d£ja les instances vitales de l'individu, rSprimces du fait de la premiere technique — Famour et la mort — aspirent a s'imposer avec une nouvelie vigueur. L'oeuvre de Fourier constitue Tun des plus importants documents ■historiques de cette revendication. L'ceuvre d'art a l'epoque de sa reproduction mecanisee 49 VIII Les Grecs ne connaissaient que deux procSdes de reproduction mecanisee de Toeuvre d'art : le moulage et la frappe, Les bronzes, les terracottes et les medailles etaient les seules ceuvres d'art qu'ils pussent produire en serie. Tout le reste restait unique et techni- quement ^reproductible. Aussi ces ceuvres devaient-elles e*tre faites pour Teternite. Les Grecs se voyaient contraints, de par la situation mime de leur technique, de crier un art de „valeurs eternelles ". C'est a cette circonstance qu'est due leur position exclusive dans Thistoire de Tart, qui devaitservir aux generations suivantes de point de repere. Nul doute que la ndtre ne soit aux antipodes des Grecs. Jamais auparavant les oeuvres d'art ne furent a un tel degre meca- niquement reproductibles. Le film offre l'exemple d'une forme d'art dont le caractere est pour la premiere fois integralement determine par sa reproducibility II serait oiseux de comparer les particularites de cette forme a celles de Tart grec. Sur un point cependant, cette comparaison est instructive. Par le film est devenue decisive une qualite que les Grecs n'eussent sans doute admise qu'en dernier lieu ou comme la plus negligeable de l'art : la perfectibilite de l'ceuvre d'art. Un film acheve n'est rien moins qu'une creation d'un seul jet; il se compose d'une succession d'images parmi lesquelles le monteur fait son choix — images qui de la premiere a la demtere prise de vue avaient ete a volonte retouchables. Pour monter son Opinion Publique, film de 3.000 metres, Chaplin en tourne 125.000. Le film est done Vceuvre d'art la plus perfectible, etcette perfectibilite pro- cede directement de son renoncement radical a toute „ valeur d'etemite ". Ce qui ressort de la contre-epreuve : les Grecs, dont l'art etait astreint k la production de „ valeurs 6ternelles u , avaient place au sommet de la hierarchie des arts la forme d'art la moins susceptible de perfecti- bility la sculpture, dont les productions sont litteralement tout d'une piece. La decadence de la sculpture k Tepoque des cp»vres d'art montables apparait comme inevitable. IX La dispute qui s'ouvrit, au cours du xix e siecle, entre la peinture et la photographic quant a la valeur artistique de leurs productions respectives, apparait de nos jours confuse et depassee. Cela n'en diminue du reste nullement la portee, et pourrait au contraire la souligner. En fait, cette querelle etait le symptdme d'un bouleverse- ment historique de portee universelle dont ni Tune ni 1' autre des deux rivales ne jugeaient toute la portee. L'£re de la reproductibilite mecanisee separant l'art de son fondement rituel, l'apparence de 50 Walter Benjamin son autonomic s'evanouit a jamais* Cependant le changement des fonctions de Tart qui en rSsultait depassait les limites des per- spectives du Steele. Et m^me, la signification en Schappait encore au xx e siecle — qui vit la naissance du film. Si Von s'eiait auparavant depense en vaines subtilites pour resoudre ce probleme : la photographie est-elle ou n'est-elle pas un art ? — sans s'etre prealablement demande si Vinveniion mime de la photographie n'avait pas, du tout au tout, renverse le caractere fondamental de Fart — les theoriciens du cinema a leur tour s'attaquerent a cette question prematuree. Or, les difficultes que la photographie avait suscitees k Testhetique traditionnelle n'etaient que jeux d'enfant au regard de celles que lui preparait le film. D'ou l'aveuglement obstinS qui caracterise les premieres theories cinSmatographiques. C'est ainsi qu'Abel Gance, par exemple, prdtend : „Nous voila, par un prodigieux retour en arriere, revenus sur le plan d'expression des figyptiens... Le langage des images n'est pas encore au point parce que nos yeux ne sont pas encore faits pour elles. II n'y*a pas encore assez de respect, de culte pour ce qu' elles expriment." x ) S6verin-Mars ecrit : „Quel art eut un r£ve plus hautain, plus poe- tique a la fois et plus reel. Considere ainsi, le cinematographe deviendrait un moyen d'expression tout a fait exceptionnel, et dans son atmosphere ne devraient se mouvoir que des personnages de la pensSe la plus superieure aux moments les plus parfaits et les plus mysterieux de leur course. " 2 ) Alexandre Arnoux de son cdt£ achevant une fantaisie sur le film muet, va m£me jusqu'a demander : „En somme, tous les termes hasardeux que nous venons d'employer ne defmissent-ils pas la priere ?" 3 ) II est significatif de constater combien leur d6sir de classer le cinema parmi les arts, pousse ces theoriciens a faire entrer brutalement dans le film des Elements rituels. Et pourtant, a l'6poque de ces speculations, des oeuvres telles que rOpinion publique et la Ruie vers for se projetaient sur tous les 6crans. Ce qui n'empSche pas Gance de se servir de la comparaison des hteroglyphes, ni S6verin-Mars de parler du film comme des peintures de Fra Ange- lico. II est caract&istique qu'aujourd'hui encore des auteurs conser- vateurs cherchent Timportance du film, sinon dans le sacral> du moins dans le surnaturel. Commentant la realisation du Songe d'une nuit d'eie, par Reinhardt, Werfei constate que c'est sans aucun doute la sterile copie du monde ext6rieur avec ses rues, ses i) Abel Gance, I. c. p. 100-101. *) Severin-Mars, cite par Abel Gance, 1. c, p. 100. ») Alexandre Arnoux : Cinema, Paris 1929, p. 28. L'oeuvre d'art a l'6poque de sa reproduction m6canis6e 51 interieurs, ses gares, ses restaurants, ses autos et ses plages qui a jusqu'a present entrav6 Tessor du film vers le domaine de Tart. „ Le film n'a pas encore saisi son vrai sens, ses veritables possi- bilites... Celles-ci consistent dans sa faculty sp^cifique d'exprimer par des moyens naturels et avec une incomparable force de per- suasion tout ce qui est feerique, merveilleux et surnaturel. " *) X Photographier un tableau est un mode de reproduction ; photographier un evenement fictif dans un studio en est un autre. •Dans le premier cas, la chose reproduite est une oeuvre d'art, sa reproduction ne Test point. Car Facte du photographe reglant l'objectif ne cr6e pas davantage une oeuvre d'art que celui du chef d'orchestre dirigeant une symphonie. Ces actes representent tout au plus des performances artistiques. II en va autrement de la prise de vue au studio. Ici la chose reproduite n'est d£ja plus oeuvre d'art, et la reproduction Test tout aussi peu que dans le premier cas. L'oeuvre d'art proprement dite ne s'£labore qu'au fur et a mesure que s'effectue le decoupage. Decoupage dont chaque partie int6- grante est la reproduction d'une scene qui n'est oeuvre d'art ni par elle-m£me, ni par la photographie. Que sont done ces ev6ne- ments reproduits dans le film, s'il est clair que ce ne sont point des oeuvres d'art ? La r^ponse devra tenir compte du travail particulier de l'inter- prete de film. II se distingue de l'acteur de theatre en ceci que son jeu qui sert de base a la reproduction, s'effectue, non devant un public fortuit, mais devant un comite de sp6cialistes qui, en quality de directeur de production, metteur en scene, operateur, ingenieur du son ou de l'eclairage etc., peuvent a tout instant intervenir personnellement dans son jeu. II s'agit ici d'un indice social de grande importance. L'intervention d'un comite de specialistes dans une performance donnee est caracteristique du travail sportif et, en general, de Tex6cution d'un test. Pareille intervention determine en fait tout le processus de la production du film. On sait que pour de nombreux passages de la bande, on tourne des variantes. Par exemple, un cri peut donner lieu a divers enregistrements. Le monteur proc^de alors a une selection — etablissant ainsi une sorte de record. Un evenement fictif tourne dans un studio se 1 ) Franz Werfel : Ein Sommernachtstraum. Ein Film von Shakespeare und Rein* hardt. Neues Wiener Journal, cit6 par Lu, 15 novembre 1935. 52 Walter Benjamin distingue done de l'evenement reel correspondant comme se dis- tinguerait la projection d'un disque sur une piste, dans un concours sportif, de la projection du meme disque au m&ne endroit, sur la meme trajectoire, si cela avait lieu pour tuer un homme. Le premier acte serait l'execution d'un test, mais non le second. II est vrai que l'epreuve de test soutenue par un interprete de l'ecran est d'un ordre tout a fait unique. En quoi consiste-t-elle ? A depasser certaine limite qui restreint etroitement la valeur sociale d'dpreuves de test. Nous rappellerons qu'il ne s'agit point ici d'epreuve sportive, mais uniquement d'epreuves de tests m^canises. Le sportman ne connait pour ainsi dire que les tests naturels. II se mesure aux epreuves que la nature lui fixe, non k celles d'un appa- reil quelconque — a quelques exceptions pr6s, tel Nurmi qui, dit-on, „courait contre la montre". Entre temps, le processus du travail, surtout depuis sa normalisation par le systeme de la chaine, soumet tous les jours d'innombrables ouvriers a d'innombrables epreuves de tests mecanis6s. Ces epreuves s'etablissent automa- tiquement : est eiimine qui ne peut les soutenir. Par ailleurs, ces epreuves sont ouvertement pratiquees par les instituts d'orienta- tion professionnelle. Or, ces epreuves pr^sentent un inconvenient considerable : a la difference des epreuves sportives, elles ne se patent pas a l'expo- sition dans la mesure desirable. C'est Ik, justement qu'intervient le film. Le film rend T execution d'un test susceptible d'itre exposie en faisant de cette exposabilite meme un test Car 1'interprete de recran ne joue pas devant un public, mais devant un appareil enregistreur. Le directeur de prise de vue, pourrait-on dire, occupe exactement la meme place que le contrdleur du test lors de Texamen d'aptitude professionnelle. Jouer sous les feux des sunlights tout en satisfaisant aux exigences du microphone, e'est \k une perfor- mance de premier ordre. S'en acquitter, e'est pour 1'acteur garder toute son humanite devant les appareils enregistreurs. Pareille performance pr6sente un immense interet. Car e'est sous le contr61e d'appareils que le plus grand nombre des habitants des villes, dans les comptoirs comme dans les fabriques, doivent durant la journee de travail abdiquer leur humanite. Le soir venu, ces memes masses remplissent les salles de cinema pour assister k la revanche que prend pour elles 1'interprete de l'ecran, non seulement en affirmant son humanite (ou ce qui en tient lieu) face a Fappareil, mais en mettant ce dernier au service de son propre triomphe. L'ceuvre d'art a Tepoque de sa reproduction m£canisee 53 XI Pour le film, il importe bien moins que Tinterpr^te represente quelqu'un d'autre aux yeux du public que lui-mSme devant l'appa- reil. L'un des premiers a sentir cette metamorphose que l'6preuve de test fait subir a Tinterprete fut Pirandello. Les remarques qu'il fait k ce sujet dans son roman On tourne, encore qu'elles fassent uniquement ressortir l'aspect n£gatif de la question, et que Pirandello ne parte que du film muet, gardent toute leur valeur. Car le film sonore n'y a rien change d'essentiel. La chose decisive est qu'il s'agit de jouer devant un appareil dans le premier cas, devant deux dans le second. „Les acteurs de cinema, 6crit Pirandello, se sentent comme en exil. En exil non seulement de la scene, mais encore d'eux-memes. lis remarquent confus^ment, avec une sensation de depit, d'indefinissable vide et m£me de faillite, que leur corps est presque subtilise, supprime, priv6 de sa realite, de sa vie, de sa voix, du bruit qu'il produit en se remuant, pour devenir une image muette qui tremble un instant sur l'ecran et disparait en silence... La petite machine jouera devant le public avec leurs ombres, et eux, ils doivent se contenter de jouer devant elle." 1 ) Le fait pourrait aussi se caracteriser comme suit : pour la pre- miere fois — et c'est la Toeuvre du film — l'homme se trouve mis en demeure de vivre et d'agir totalement de sa propre personiie, tout en renongant du mfime coup a son aura. Car Taura depend de son hie et nunc. II n'en existe nulle reproduction, nulle r6plique. L*aura qui, sur la scene, emane de Macbeth, le public Tdprouve necessairement comme celui de Tacteur jouant ce rdle. La singu- larite de la prise de vue au studio tient k ce que l'appareil se sub- stitue au public. Avec le public disparait Taura qui environne Tin- terprete et avec celui de 1'interprtte Taura de son personnage. Rien d'etonnant k ce qu'un dramaturge tel que Pirandello, en caracterisant 1'interprete de l'ecran, touche involontairement au fond mtaie die la crise dont nous voyons le theatre atteint. A l'oeuvre exclusivement congue pour la technique de reproduction — telle que le film — ne saurait en effet s'opposer rien de plus derisif que l'oeuvre sc^nique. Toute consideration plus approfondie le confirme. Les observateurs specialises ont depuis longtemps *) Lulgi Pirandello : On tourne, ciU par Leon Pierre-Quint : Signification du cinema (L'art clnematographique, II, Paris 1927, p. 14-15). 54 Walter Benjamin reconnu que c'est „presque toujours en jouant le moins possible que Ton obtient les plus puissants effets cin6graphiques... ". D&s 1932, Arnheim considere „comme dernier progres du film de n'y tenir Tacteur que pour un accessoire choisi en raison de ses caractdris- tiques... et que Ton intercale au bon endroit. i(1 ) A cela se rattache etroitement autre chose. Uacteur de scene s'identifie au caractere de son role. Uinterprete d'ecran n'en a pas toujours la possibility. Sa creation n'est nullement tout d'une piece ; elle se compose de nombreuses creations distinctes. A part certaines circon- stances fortuites telles que la location du studio, le choix et la mobilisation des partenaires, la confection des decors et autres accessoires, ce ,sont d'elementaires n6cessites de machinerie qui decomposent le jeu de Tacteur en une serie de creations mon- tables. II s'agit avant tout de l'eclairage dont Installation oblige a filmer un evenement qui, sur l'ecran, se deroulera en une scene rapide et unique, en une suite de prises de vues distinctes qui peuvent parfois se prolonger des heures durant au studio. Sans m£me parler de truquages plus frappants. Si un saut, du haut d'une fenStre a l'ecran, peut fort bien s'effectuer au studio du haut d'un echafaudage, la scene de la fuite qui succede au saut ne se tournera, au besoin, que plusieurs semaines plus tard au cours des prises d'exterieurs. Au reste, Ton reconstitue aisement des cas encore plus paradoxaux. Admettons que l'interpr^te doive sursauter apres des coups frappes a une porte. Ce sursaut n'est-il pas realise a souhait, le metteur en sc£ne peut recourir a quelque expedient : profiter d'une presence occasionnelle de Tinterprete au studio pour faire ^clater un coup de feu. L'effroi vecu, spontane de Tinterpr^te, enregistr6 a son insu, pourra s'intercaler dans la bande. Rien ne montre avec tant de plasticite que l'art s'est echappe du domaine de la „belle apparence", qui longtemps passa pour le seul ou il put prosperer. XII Dans la representation de V image de Vhomme par Vappareil, Valienation de Vhomme par lui-meme trouve une utilisation hau- tement productive. On en mesurera toute l'6tendue au fait que le sentiment d'etrangete de l'interprete devant Tobjectif, decrit par Pirandello, est de m£me origine que le sentiment d'etrangete de Thomme devant son image dans le miroir — sentiment que les Romantiques aimaient a pen6trer. Or, desormais cette image refle- chie de Thomme devient separable de lui, transportable — et ou ? !) Rudolf Arnheim : Der Film als Kunst. Berlin 1932, p. 176-177. L'oeuvre (Tart a l^poque de sa reproduction m£canis6e 55 Devant la masse. Evidemment, Finterprete de l^cran ne cesse pas un instant d'en avoir conscience. Durant qu'il se tient devant Tobjectif, il sait qu'il aura a faire en derntere instance k la masse des spectateurs. Ce marchS que constitue la masse, oil il viendra offrir non seulement sa puissance de travail, mais encore son physique, il lui est aussi impossible de se le representer que pour un article d'usine. Cette circonstance ne contribuerait-elle pas, comme Fa remarqu6 Pirandello, a cette oppression, a cette angoisse nou- velle qui l'6treint devant l'objectif ? A cette nouvelle angoisse correspond, comme de juste, un triomphe nouveau : celui de la star. Favoris6 par le capital du film, le culte de la vedette conserve ce charme de la personnalite qui depuis longtemps n'est que le faux rayonnement de son essence mercantile. Ce culte trouve son complement dans le culte du public, culte qui favorise la mentalite corrompue de masse que les regimes autoritaires cherchent a substituer a sa conscience de classe. Si tout se conformait au capital cinematographique, le processus s'arrSterait a l'ali&iation de soi-m6me, chez r artiste de l'6cran comme o>.ez les spectateurs. Mais la technique du film pr6vient cet arr£* . elle prepare le ren- versement dialectique. XIII II appartient k la technique du film comme k celle du sport que tout homme.assiste plus ou moins en connaisseur a leurs exhibitions. Pour s'en rendre compte, il suffit d'entendre un groupe de jeunes porteurs de journaux appuyes sur leurs bicyclettes, commenter les resultats de quelque course cycliste ; en ce qui concerne le film, les actuality prouyent assez nettement qu'un chacun peut se trouver filme. Mais la question n'est pas la. Chaque homme aujourd'hui a le droit d'etre filme. Ce droit, la situation historique de la vie litte- raire actuelle permettrait de le comprendre. Durant des siecles, les conditions determinantes de la vie litt6raire affrontaient un petit nombre d'6crivains k des milliers de lecteurs. La fin du siecle dernier vit se produire un changement. Avec l'extension croissante de la presse, qui ne cessait de mettre de nouveaux organes politiques, religieux, scientifiques, profes- sionnels et locaux a la disposition des lecteurs, un nombre toujours plus grand de ceux-ci se trouverent engages occasionnellement dans la litt^rature. Cela debuta avec les „ Boites aux lettres " que la presse quotidienne ouvrit a ses lecteurs — si bien que, de nos jours, il n'y a guere de travailleur europeen qui ne se trouve a m^me de publier quelque part ses observations personnelles sur le travail 56 Walter Benjamin sous forme de reportage ou n'importe quoi de cet ordre. La diffe- rence entre auteur et public tend ainsi a perdre son caract^re fon- damental. Elle n'est plus que fonctionnelle, elle peut varier d'un cas & Tautre. Le lecteur est a tout moment pr£t a passer ecrivain. En qualite de specialiste qu'il a du tant bien que mal devenir dans un processus de travail differencie a FextrSme — et le fut-il d'un infime emploi — il peut a tout moment acquerir la qualite d'auteur. Le travail lui-m^me prend la parole. Et sa representation par le mot fait partie int6grante du pouvoir necessaire a son execution. Les competences litteraires ne se fondent plus sur une formation sp6cialis6e, mais sur une polytechnique — et deviennent par la bien commun, Tout cela vaut egalement pour le film, ou les decalages qui avaient mis des stecles a se produire dans la vie litt6raire se sont effectu&s au cours d'une dizaine d'ann6es. Car dans la pratique cin6matographique — et surtout dans la pratique russe — ce ddcalage s'est en partie d6ja r6alis6. Un certain nombre d'inter- pr&tes des films sovietiques ne sont point des acteurs au sens occidental du mot, mais des hommes jouant leur propre r61e — tout preincrement leur role dans le processus du travail. En Europe Occidental, Texploitation du film par le capital cin6matographique interdit a l'homme de faire valoir son droit a se montrer dans ce rdle. Au reste, le chdmage Tinterdit Egalement, qui exclut de grandes masses de la production dans le processus de laquelle il trou- veraient surtout un droit a se voir reproduites. Dans ces conditions, l'industrie cin6matographique a tout int6r£t a stimuler la masse par des representations illusoires et des speculations Equivoques. A cette fin, elle a mis en branle un puissant appareil publicitaire : elle a tir6 parti de la carriere et de la vie amoureuse des stars, elle a organist des plebiscites et des concours de beaute. Elle exploite ainsi un Element dialectique de formation de la masse. L'aspiration de l'individu isoI6 a se mettre a la place de la star, c'est-a-dire a se degager de la masse, est prEcisement ce qui agglomere les masses spectatrices des projections. (Test de cet intErSt tout privE que joue Tindustrie cinematographique pour corrompre rint6r£t originel justifie des masses pour le film. XIV La prise de vue et surtout Tenregistrement d'un film offre une sorte de spectacle telle qu'on n'en avait jamais vue auparavant. Spectacle qu'on ne saurait regarder d'un point quelconque sans que tous les auxiliaires strangers a la mise en scEne m£me — appareils I/oeuvre d'art a l'6poque de sa Reproduction mecanisee 57 d'enregistrement, d'eclairage, etat-major d'assistants — ne tom- bent dans le champ visuel (a moins que la pupille du spectateur fortuit ne coincide avec Tobjectif). Ce simple fait suffit seul k rendre superficielle et vaine toute comparaison entre enregistre- ment au studio et repetition theatrale. De par son principe, le theatre connait le point d'ou 1'illusion de Taction ne peut etre detruite. Ce point n'existe pas vis-a-vis de la scene de film qu'on enregistre. La nature illusionniste du film est une nature au second degre — result at du decoupage. Ce qui veut dire : au studio Vequi- pement technique a si profondement pinetre la realite que celle-ci n'apparait dans le film depouillee de Voutillage que grace a une pro- cedure particuliere — a savoir Vangle de prise de vue par la camera et le montage de cette prise avec d'autres de meme ordre. Dans le monde du film la realite n'apparait depouillee des appareils que par le plus grand des artifices et la realite immediate s'y pr£- sente comme la fleur bleue au pays de la Technique. Ces donnees, aihsi bien distinctes de celles du theatre, peuvent £tre confrontees de manure encore plus revelatrice avec celles de la peinture. II nous faut ici poser cette question : quelle est la situa- tion de Top6rateur par rapport au peintre ? Pour y r^pondre, nous nous permettrons de tirer parti de la notion d*op6rateur, usuelle en chirurgie. Or, le chirurgien se tient a Tun des poles d'un univers dont Tautre est occupe par le magicien. Le comportement du magicien qui guerit un malade par imposition des mains diftere de celui du chirurgien qui proc£de & une intervention dans le corps du malade. Le magicien maintient la distance naturelle entre le patient et lui ou t plus exactement, s'il ne la diminue — par Fimpo- sition des mains — que tr6s peu, il l'augmente — par son auto- rite — de beaucoup. Le chirurgien fait exactement Tinverse : il diminue de beaucoup la distance entre lui et le patient — en pene- trant & l'interieur du corps de celui-ci — et ne l'augmente que de peu — par la circonspection avec laquelle se meut sa main parmi les organes. Bref, a la difference du mage (dont le caractere est encore inherent au praticien), le chirurgien s'abstient au moment decisif d'adopter le comportement d'homme k homme vis-a-vis du malade : c'est operatoirement qu'il le penetre plutdt. Le peintre est a l'operateur ce qu'est le mage au chirurgien. Le peintre conserve dans son travail une distance normale vis-^-vis de la realite de son sujet — par contre le cameraman p6netre profon- dement les tissus de la realite donnee, Les images obtenues par J'un et par Tautre resultent de proces absolument differents. L'image du peintre est totale, celle du cameraman faite de frag- 58 Walter Benjamin ments multiples coordonnis selon une loi nouvelle. Cest ainsi que, de ces deux modes de representation de la rialiti — la peinture et le film — le dernier est pour Vhomme actuel incomparablement le plus significaiif, parce qu'il obtient de la realiti un aspect depouille de tout appareil — aspect que Vhomme est en droit d'attendre de Vceuvre d*art — precisiment grdce a une penetration intensive du riel par les appareils. XV La reproduction mecanisee de Vceuvre d'art modi fie la fagon de riagir de la masse vis-a-vis de VarL De retrograde qu'elle se montre devant un Picasso par exemple, elle se fait le public le plus progres- siste en face d'un Chaplin. Ajoutons que, dans tout comportement progressiste, le plaisir emotionnel et spectaculaire se conf ond imme- diatement et intimement avec Tattitude de l'expert. Cest la un indice social important. Car plus l'importance sociale d'un art diminue, plus s'affirme dans le public le divorce entre Tattitude critique et le plaisir pur et simple. On goute sans critiquer le conventionnel — on critique avec dugout le v6ritablement nouveau. Iln'enest pas de m&ne au cinema. La circonstance decisive y est en effet celle-ci .: les reactions des individus isoles, dont la somme constitue la reaction massive du public, ne se montrent nulle part ailleurs plus qu'au cinema d6termin6es par leur multiplication imminente. Tout en se manifestant, ces reactions se contrdlent. Ici, la comparaison a la peinture s'impose une fois de plus. Jadis, le tableau n'avait pu s'offrir qu'& la contemplation d*un seul ou de quelques-uns. La contemplation simultan^e de tableaux par un grand public, telle qu'elle s'annonce au xix e siecle, est un symp- t6me pr6coce de la crise de la peinture, qui ne fut point exclusive- ment provoqu^e par la photographie mais, d'une maniere relati- vement independante de celle-ci, par la tendance de Tceuvre d'art £ rallier les masses. En fait, le tableau n'a jamais pu devenir Tobjet d'une reception collective, ainsi que ce fut le cas de tout temps pour 1' architecture, jadis pour le poeme epique, aujourd'hui pour le film. Et, si peu que cette circonstance puisse se pr&ter a des conclusions quant au rdle social de la peinture, elle n'en repr6sente pas moins une lourde entrave a un moment ou le tableau, dans des conditions en quelque sorte contraires a sa nature, se voit directement confronts avec les masses. Dans les eglises et les monasteres du moyen age, ainsi que dans les cours des princes jusqu'a la fin du xvm e siecle, la reception collective des oeuvres picturales ne s'effectuait pas simultanement L'ceuvre d'art a l'6poque de sa reproduction m6canis6e 59 sur une echelle egale, mais par une entremise infiniment graduee et hi6rarchis6e. Le changement qui s'est produit depuis n'exprime que le conflit particulier dans lequel la peinture s'est vue impkquee par la reproduction m£canis6e du tableau* Encore qu'on entrepiit de Texposer dans les galeries et les salons, la masse ne pouvait gu&re s'y controler et s'organiser comme le fait, a la faveur de ses reactions, le public du cinema. Aussi le mSme public qui reagit dans un esprit progressiste devant un film burlesque, doit-il ndcessairement r6agir dans un esprit retrograde en face de n'importe quelle production du surr^alisme. XVI Parmi les fonctions sociales du film, la plus importante consiste a etablir l'equilibre entre l'liomme et l'equipement technique. Cette tache, le film ne Faccomplit pas seulement par la maniere dont 1'homme peut s'offrir aux appareils, mais aussi par la maniere dont il peut a 1'aide de ces appareils se representer le monde environnant. Si le film, en relevant par ses gros plans dans l'inventaire du monde exterieur des details g^neralement caches d'accessoires familiers, en explorant des milieux banals sous la direction g6niale de Tobjec- tif, etend d'une part notre comprehension aux mille determina- tions dont depend notre existence, il parvient d'autre part a nous ouvrir un champ d'action immense et insoupgonne. Nos bistros et nos avenues de metropoles, nos bureaux et chambres meubiees, nos gares et nos usines paraissaient devoir nous ^nfermer sans espoir d'y echapper jamais. Vint le film, qui fit sauter ce monde-prison par la dynamite des dixiemes de seconde, si bien que desormais, au milieu de ses mines et debris au loin projetes, nous faisons insoucieusement d'aventureux voyages. Sous la prise de vue a gros plan s'etend l'espace, sous le temps de pose se developpe le mouvement. De meme que dans l'agran- dissement il s'agit bien moins de rendre simplement precis ce qui sans cela garderait un aspect vague que de mettre en evidence des formations structurelles entierement nouvelles de la matiere, il s'agit moins de rendre par le temps de pose des motifs de mouve- ment que de deceler plut6t dans ces mouvements connus, au moyen du ralenti, des mouvements inconnus „qui, loin de representer des ralentissements de mouvements rapides, font Teffet de mouvements singulierement glissants, aeriens, surnaturels" 1 ). *) Rudolf Arnheim : 1. c, Berlin 1932, p. 138. 60 Walter Benjamin II devient ainsi tangible que la nature qui parte a la camera, est autre que celle qui parle aux yeux. Autre surtout en ce sens qu'4 im espace consciemment explore par rhomme se substitue un cspace qu'il a inconsciemment p6n£tr6. S'il n'y a rien que cTordi- naire au fait de se rendre compte, d'une maniere plus ou moins sommaire, de la d-marche d'un homme, on ne sait encore rien de son maintien dans la fraction de seconde d'une enjambee. Le geste de saisir le briquet ou la cuiller nous est-il aussi conscient que fami- lier, nous ne savons n6anmoins rien de ce qui se passe alors entre la main et le metal, sans parler m6me des fluctuations dont ce processus inconnu peut Stre susceptible en raison de nos diverses dispositions psychiques. C'est ici qu'intervient la camera avec tous ses moyens auxiliaires, ses chutes et ses ascensions, ses interruptions ct ses isolements, ses extensions et ses accelerations, ses agrandisse- ments et ses rapetissements. C'est elle qui jious initie a Tinconscient optique comme la psychanalyse a Tinconscient pulsionnel. Au reste, les rapports les plus droits existent entre ces deux formes de l'inconscient, car les multiples aspects que l'appareil enregistreur peut derober a la realite se trouvent pour une grande part exclusivement en dehors du spectre normal de la perception sensorielle. Nombre des alterations et stereotypes, des transfor- mations et des catastrophes que le monde visible peut subir dans le film Taffectent reellement dans les psychoses, les hallucina- tions et les reves. Les deformations de la camera sont autant de proc6des gra\ce auxquels la perception collective s'approprie les modes de perception du psychopathe et du reveur. Ainsi, dans ] 'antique verite heraclitienne — les hommes k retat de veille ont un seul monde commun a tous, mais pendant le sommeil chacun retourne k son propre monde — le film a fait une breche, et notam- ment moins par des representations du monde onirique que par la creation de figures puis6es dans le reve collectif, telles que Mickey Mouse, faisant vertigineusement le tour du globe. Si Von se rend compte des dangereuses tensions que la technique rationnelle a engendrees au sein de Veconomie capitaliste devenue depuis longtemps irrationnelle, on reconnaitra par ailleurs que cette mime technique a crii, contre certaines psychoses collectives, des moyens d! immunisation a savoir certains films. Ceux-ci, parce qu'ils presentent des phantasmes sadiques et des images delirantes maso- chistes de maniere artificiellement forcie, pre'viennent la maturation naturelle de ces troubles dans les masses, particulierement e+^si * en raison des formes actuelles de Viconomie. L'hilarite collecx've represente 1'explosion premature et salutaire de pareilles psy- L'ceuvre d'art a F£poque de sa reproduction mScanisee 61 choses collectives. Les enormes quantites d'incidents grotesques qui sont consommees dans le film sorit un indice frappant des dangers qui menacent rhumanite du fond des pulsions refoulees par la civilisation actuelle. Les films burlesques americains et les bandes de Disney d6clenchent un dynamitage de l'inconscient.*) Leur pr6curseur avait et6 Texcentrique. Dans les nouveaux champs ouverts par le film, il avait 6te le premier a s'installer. C'est ici que se situe la figure historique de Chaplin. XVII L'une des taches les plus importantes de l'art a ete de tdut temps d'engendrer une demande dont Tentiere satisfaction devait se produire a plus ou moins longue echeance. L'histoire de toute forme d'art connait des epoques critiques ou cette forme aspire a des effets qui ne peuvent s'obtenir sans contrainte qu'& base d'un standard technique transforme, c'est-a-dire dans une forme d'art nouvelle. Les extravagances et les crudites de Tart, qui se produi- sent ainsi particulierement dans les soi-disant epoques decadentes, surgissent en r£alite de son foyer cr6ateur le plus riche. De pareils barbarismes ont en de pareilles heures fait la joie du Dadaisme. Ce n'est qu'a present que son impulsion devient determinable : le Dadaisme essaya d'engendrer, par des moyens picturaux et littc- raires, les effets que le public cherche aujourd'hui dans le film. Toute creation de demande foncterement nouvelle, grosse de consequences, portera au dela de son but. C'est ce qui se produisait pour les Dadai'stes, au point qu'ils sacrifiaient les valeurs negociables, exploit^es avec tant de succes par le cinema, en obeissant a des instances dont, bien entendu, ils ne se rendaient pas compte. Les Dada'istes s'appuyerent beaucoup moins sur Tutilite mercantile de leurs ceuvres que sur Timpropriete de celles-ci au recueillement contemplatif . Pour atteindre k cette impropriate, la degradation pr£- m£dit6e de leur matdriel ne f ut pas leur moindre moyen. Leurs poemes sont, comme disent les psychiatres allemands, des „salades de mots ", *) II est vrai qu'une analyse integrate de ces films ne devrait pas taire leur sens anli- th£tique. Elle devrait partlr du sens antithetique de ces elements qui donnent un© sensation de comique et d'horreur a la fois. Le comique et Vhorreur, ainsi que le prou- vent les reactions des enfants, voisinent etroitement. Et pourquoi n'aurait-on pas le droit de se demander, en face de certains faits, Iaquelle de ces deux reactions, dans un cas donneY est la plus humaine ? Quelques-unes des plus recentes bandes de Mickey Mouse justifient pareille question. Ce qui, a la lumiere de nouvelles bandes de Disney, apparalt nettement, se trouvatt deja annonc6 dans maintcs bandes plus anciennee : faire accepter de gait6 de coeur la brutalite et la violence comme des „caprices du sort" 62 Walter Benjamin faites de toumures obscenes et de tous les dechets imaginables dtr langage. II en est de mSme de leurs tableaux, sur lesquels ils ajustaient des boutons et des tickets. Ce qu'ils obtinrent par de pareils moyens, fut une impitoyable destruction de l'aura mime de leurs creations, auxquelles ils appliquaient, avec les moyens de la production, la marque infamante de la reproduction. II est impos- sible, devant un tableau d'Arp ou un poeme d'August Stramm, de prendre le temps de se recueillir et d'apprecier comme en face d'une toile de Derain ou d'un poeme de Rilke. Au recueillement qui, dans la decheance de la bourgeoisie, devint un exercice de comportement asocial, ^s'oppose la distraction en tant qu'initiation a de nouveaux modes d'attitude sociale. Aussi, les manifestations dadaistes assurerent-elles une distraction fort veh6mente en fai- sant de 1'oeuvre d'art le centre d'un scandale. II s'agissait avant tout de satisfaire a cette exigence : provoquer un outrage public. De tentation pour Tceil ou de seduction pour l'oreille que 1'oeuvre 6tait auparavant, elle devint projectile chez les Dadaistes. Spectateur ou lecteur, on en etait atteint. L'ceuvre d'art acquit une qualite traumatique. Elle a ainsi favoris6 la demande de films, dont Tetement distrayant est egalement en premiere ligne traumatisant, bas6 qu'il est sur les changements de lieu et de plan qui assaillent le spectateur par a-coups. Que Ton compare la toile sur laquelle se dSroule le film a la toile du tableau ; l'image sur la premiere se transforme, mais non l'image sur la seconde. Cette derntere invite le spectateur a la contemplation. Devant elle, il peut s'abandonner a ses associations. II ne le peut devant une prise de vue. A peine son ceil Tart-elle saisi que deja elle s'est m£tamorphos6e. Elle ne saurait 6tre fixee. Duhamel, qui d6teste le film, mais non sans avoir saisi quelques elements de sa structure, commente ainsi cette circonstance : „Je ne peux d6j& plus penser ce que je veux. Les images mouvantes se substituent k mes propres pensees. " 2 ) En fait, le processus dissociation de celui qui contemple ces images est aussit6t interrompu par leurs transformations. C'est ce qui constitue le choc traumatisant du film qui, comme tout trau- x ) L'archetype th^ologique de ce recueillement est la conscience d'etre seul a seul avec son Dieu. Par cette conscience, a Tepoque de splendeur de la bourgeoisie, s'est fortiflee la liberty de secouer la tutelle clericale. A l'epoque de sa decheance, ce comportement pouvait favoriser la tendance latente a soustraire aux affaires de la communaute les forces puissantes que Tindividu isole mobilise dans sa frequentation de Dieu. *) Duhamel : Scenes de la vie future, Paris 1930, p. 52. L'ceuvre (Tart a l^poque de sa reproduction m6canis6e 63 matisme, demande k Stre amorti par une attention soutenue, 1 ) Par son mecanisme meme, le film a rendu leur caractere physique aux traumatismes moraux pratiquis par le Dadalsme, XVIII La masse est la matrice ou, a l'heure actuelle, s'engendre 1'atti- tude nouvelle vis-&-vis de l'ceuvre d'art. La quantite se transmue en quality : les masses beaucoup plus grandes de parlicipants onf produit un mode transforme de participation. Le fait que ce mode se preseiite d'abord sous une forme decline ne doit pas induire en erreur et, cependant, il n'en a pas manqu6 pour s'en prendre avec passion k cet aspect superficiel du probleme. Parmi ceux-ci, Duhamel s'est exprimS de la manure la plus radicale. Le principal grief qu'il fait au film est le mode de participation qu'il suscite chez les masses. Duhamel voit dans le film „un divertissement d'ilotes, un passe- temps d'illettr^s, de creatures mis^rables, ahuris par leur besogne et leurs soucis..., un spectacle qui ne demande aucun effort, qui ne suppose aucune suite dans les id6es..., n'6veille au fond des coeurs aucune lumiere, n'excite aucune esperance, sinon celle, ridicule, d'etre un jour „star" a Los Angeles". 2 ) On le voit, c'est au fond tou jours la vieille plainte que les masses ne cherchent qu'& se distraire, alors que Tart exige le recueillement. C'est la un lieu commun. Reste k savoir s'il est apte a r£soudre le probleme. Celui qui se recueille devant l'oeuvre d'art s*y plonge : il y penetre comme ce peintre chinois qui disparut daris le pavilion peint sur le fond de son paysage. Par contre, la masse, de par sa distraction m&me, recueille l'ceuvre d'art dans son sein, elle lui transmet son rythme de vie, elle l'embrasse de ses flots. L'architecture en est un exemple des plus saisissants. De tout temps elle offrit le prototype d'un art dont la reception r6servee a la collectivity s'effectuait dans la distraction. Les lois de cette reception sont des plus r6v61atrices. Les architectures ont accompagne Fhumanit6 depuis ses ori- gines. Nombre de genres d'art se sont elabores pour s'6vanouir. La trag6die nait avec les Grecs pour s'eteindre avec eux ; seules les *) Le film represente la forme d'art correspondent au danger de mort accentue" dans Iequel vivent les hommes d'aujourd'hui. H correspond a des transformations profondes dans les modes de perception — transformations telles qu'eprouve, sur le plan de l'existetice privee, tout pieton des grandes villes et, sur le plan historique universel, tout homme resolu a lutter pour un ordre vraiment humain. ') Duhamel : 1. c, p. 58. 64 Walter Benjamin ingles en ressusciWrent, des stecles plus tard. Le poeme epique, dont l'origine remonte k l'enfance des peuples, s'6vanouit en Europe au sortir de la Renaissance. Le tableau est une creation du moyen age, et rien ne semble garantir a ce mode de peinture une duree illimit6e. Par contre, le besoin humain de se loger demeure cons- tant. L'architecture n'a jamais chdm6. Son histoire est plus ancienne que celle de n'importe quel art, et il est utile de tenir compte toujours de son genre d'influence quand on veut com- prendre le rapport des masses avec Tart. Les constructions archi- tecturales sont Tobjet d'un double mode de reception : l'usage et la perception, ou mieux encore : le toucher et la vue. On ne saurait juger exactement la reception de I'architecture en songeant au recueillement des voyageurs devant les Edifices celebres. Car il n'existe rien dans la perception tactile qui corresponde a ce qu'est la contemplation dans la perception optique. La reception tactile s'effectue moins par la voie de I'attention que par celle de l'habitude. En ce qui concerne I'architecture, Thabitude determine dans une large mesure mfime la reception optique. Elle aussi, de par son essence, se produit bien moins dans une attention soutenue que dans une impression f ortuite. Or, ce mode de reception, 61abore au contact de I'architecture, a dans certaines circonstances acquis une valeur canonique. Car : les tdches qui, aux iournants de Fhistoire, ont eii imposees a la perception humaine ne sauraient guere etre resolues par la simple optique, c'est-a-dire la contemplation. Elles ne sont que progressivement surmontees par F habitude d'une optique approxi- mativement tactile. S'habituer, le distrait le peut aussi. Bien plus : ce n'est que Iorsque nous surmontons certaines taches dans la distraction que nous sommes stirs de les r6soudre par Thabitude. Au moyen de la distraction qu'il est a m6me de nous offrir, Tart etablit a notre insu jusqu'a quel point de nouvelles t&ches de la perception sont devenues solubles. Et comme, pour Tindividu isote, la tentation subsiste toujours de se soustraire a de pareilles taches, Tart saura s'attaquer aux plus difficiles et aux plus importantes toutes les fois qu'il pourra mobiliser des masses. II le fait actuellement par le film. La reception dans la distraction, qui s'affirme avec une crois- sante intensite dans tous les domaines de Fart et represente le symp- tome de profondes transformations de la perception, a trouve dans le film son propre champ d' experience. Le film s'avere ainsi Tobjet actuellement le plus important de cette science de la perception que les Grecs avaient nominee Testhetique. L'ceuvre d'art a l^poque de sa reproduction m<5canis6e 65 XIX La prol^tarisation croissante de rhomme d'aujourd'hui, ainsi que la formation croissante de masses, ne sont que les deux aspects du m&me ph6nom£ne. L*6tat totalitaire essaye d'organiser les masses proletaries nouvellement constitutes, sans toucher aux conditions de propriete, a Tabolition desquelles tendent ces masses. II voit son salut dans le fait de permettre a ces masses Texpression de leur „nature", non pas certes celle de leurs droits. 1 ) Les masses tendent a la transformation des conditions de propriete. L'6tat totalitaire cherche a donner une expression a cette tendance tout en mainte- nant les conditions de propriete. En d'autres termes : Vital totali- taire aboutit ne'cessairement a une esthetisation de la vie politique. Tous les efforts